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Landkarten und Agitprop

Geht man der Frage nach, worin sich überall Weltanschauungen zeigen, so kommt man auch auf Aspekte, die auf den ersten Blick damit nichts zu tun haben, aber tatsächlich brisante Agitation und Propaganda (Agitprop) von Weltanschauungen darstellen, in denen sie ihre Weltsichten transportieren: Landkarten. Das hat Tradition und ist häufig Begleiter oder Vorläufer militärischer Konflikte.

Von Carsten Frerk.

Landkarten sind, so könnte man meinen, entweder sachlich „richtig“ oder „falsch“. Es braucht schon mehr, um zu erkennen, dass Landkarten auch politikbezogene Fälschungen sein können. So heißt es (2018) im SPIEGEL: „Fast alle Länder fälschen Landkarten“: „Städte verändern ihre Lage, Militäranlagen verschwinden, Wüsten ergrünen: In Atlanten wird häufig gelogen - die Fälschungen haben in Deutschland besondere Tradition.“

2010 heißt zu „Gefälschten Landkarten“ in der Süddeutschen Zeitung: „Es führt ein Weg nach nirgendwo“. So dienten die Fälschungen nicht nur zur Verwirrung von militärischen Gegnern, sondern sie hatten auch einen Propagandazweck in politischen Auseinandersetzungen.

„Häufig dienen Fälschungen der Propaganda, sie zeugen vom Streit zwischen Staaten. Kaschmir beispielsweise, das zwischen Indien und Pakistan aufgeteilt ist, beanspruchen beide Länder für sich. Entsprechend wurde die Region in den Landkarten jeweils unterschiedlich gekennzeichnet. Chinesische Kartographen haben Tibet, das auf seine Unabhängigkeit pocht, längst China zugeschlagen. Argentinien hat eigens Briefmarken herausgegeben, auf denen die britischen Falkland-Inseln, um die beide Länder 1982 Krieg führten, unter dem Namen ‚Islas Malvinas‘ als argentinisches Staatsgebiet dargestellt sind.“

Ebenso wird diese Kartenpolitik aktuell (September 2021) von China betrieben, wie es der Artikel „Der Kartenkrieg – wie China mit Weltkarten Tatsachen schafft“ in der Neuen Zürcher Zeitung ausführlich beschreibt. Alle in China gedruckten bzw. erlaubten Karten müssen die „nine dash line“ (Neun-Striche-Linie) des Gebietsanspruchs von China im Südchinesischen Meer im Sinne Chinas darstellen oder sie werden geschreddert. Mit diesem Gebietsanspruch, der international nicht anerkannt wird, werden die exklusiven Wirtschaftszonen von Vietnam, Malaysia, Brunei und den Philippinnen verletzt und Taiwan inkorporiert. Dieser Gebietsanspruch wird militärisch konnotiert.

Wozu das Ganze? Dazu schreibt Elisabeth Müllner in „Kartenmanipulation –Karten(ver)fälschung. KLEINE Tricks –GROSSE Lügen.“  (S. 40):

„Zusammenfassend kann nun festgehalten werden, dass, egal wie man den Begriff Propaganda definiert, immer einer Art Beeinflussung dahinter steht. Er beinhaltet das Manipulieren der Wahrnehmung und des Verhaltens des Zielpublikums, um eine Reaktion bei diesem auszulösen, welche dem Ziel des Propagandisten entspricht.“

Auch in Deutschland gibt es Beispiele. Im Landtagswahlkampf Nordrhein-Westfalen 1947 gab die CDU ihrem politischen Willen plakativen Ausdruck und 1949 die SPD: Die Einheit Deutschlands in den Grenzen von 1937.

Beim Internetversandhandel Amazon kann man sich aktuell (Oktober 2021) eine Karte „Deutsche Reichsgebiete - Die völkerrechtlich gültigen Grenzen des Deutschen Reiches“ Landkarte – 1. Januar 1986“ bestellen, die vom Verlag für Volkstum und Zeitgeschichtsforschung des Geschichtsrevisionisten Udo Walendy 1986 herausgegeben wurde.

Dazu schreibt Amazon:

„Diese politische Reichskarte zeigt die völkerrechtlich gültigen Grenzen Deutschlands und erläutert die Gebietsabtrennungen nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, wie z.B. Elsaß-Lothringen, Südtirol, Österreich, Schlesien, Posen-Westpreußen, Ostpreußen usw. Die Karte eignet sich hervorragend als Wandschmuck für patriotische Menschen und Heimatvertriebene. Maßstab 1: 2 Mio., 100 x 67 cm.“

Die angesprochenen „patriotischen Menschen“ haben dann auch zusammen mit dieser Karte die weitere Karte „Das großdeutsche Reich 1942“ - „Deutschland auf dem Höhepunkt seiner Macht“ – sowie „Deutschlands Kolonien: Übersicht über die deutschen Schutzgebiete Schautafel – 20. Oktober 2010“ zusammen gekauft.

Das erinnert an die „Relikte aus dem Kalten Krieg“, von denen das Deutsche Historische Museum eine Postkarte veröffentlichte: „Soll es so bleiben? Nein! Niemals!

Der Kartograph Nikolaus Schobesberger schreibt in: „Propagandakartographie. Die Verwendung von Karten als Mittel für Werbung und politische Meinungsbildung“, dass die Verwendung von Karten naheliegend ist.

„In jüngerer Zeit verloren Propagandakarten vor allem in demokratischen Ländern an Aggressivität, jedoch bedienen sie sich mitunter einer subtileren Methode der Meinungsbeeinflussung. Die Hauptthemen sind nach wie vor Konfliktregionen wie etwa der Nahe Osten und seit dem 11. September 2001 der Kampf gegen den internationalen Terrorismus. […] Karten stellen geographisch- räumliche Phänomene dar, und sowohl in Politik als auch in Wirtschaft geht es häufig um räumliche Geltung, seien es nationale Grenzen, Standorte, Gebietsansprüche, strategische Positionen und Einflussgebiete (sowohl im wirtschaftlichen wie politisch- militärischen Sinn), etc. In diesem Zusammenhang liegt die Nutzung von Karten zur Verdeutlichung politischer oder wirtschaftlicher Ziele auf der Hand.“

Als Beispiele, unter vielen anderen, verwendet Schobesberger zwei Darstellungen, zum einen das „Terroristennetzwerk in den USA“ sowie „Bedrohung Israels durch den Islam“.

Zu dieser Karte schreibt er:

„Islamic Terrorist Network in America“ Die Karte soll die Verbreitung von terroristischen Gruppen in den USA zeigen und benutzt dabei die Generalisierungsmethode der Zusammenfassung oder Aggregation. Die vermeintlichen Terrorzellen sind meist in den Städten angesiedelt und diesen auch zugeordnet. Die Karte gibt jedoch die gesamten Bundesstaaten, in denen diese Städte angesiedelt sind, in der Alarmfarbe Rot wieder. Auf diese Weise wird ein weitgehend punktförmiges Phänomen auf eine Fläche umgelegt – hierbei mit der Intention das Bedrohungspotential der Terrornetzwerke graphisch zu verstärken.“

Schobesberger: „Bedrohung Israels durch den Islam“.

„Diese pro-israelische Karte, die einen Zusammenhang zwischen der aktuellen Weltpolitik und biblischer Prophezeiung verdeutlichen soll, bedient sich im Wesentlichen der oben angeführten Form der semantischen Generalisierung. Alle muslimischen Gebiete, unabhängig von ihrer tatsächlichen politischen Ausrichtung im Nahostkonflikt, werden einheitlich als grüne Gefahr für das kleine rote Israel dargestellt, wie auch die Bildunterschrift auf der zugehörigen Homepage unterstreichen soll: „That Tiny Red ‚Dot‘ is Israel … God warns, ‚Israel is His‘…‘Allah‘ and his vast armies (green) keep trying to prove Him wrong The ‚God of Israel‘ and the Bible … or … ‚Allah‘ and the Koran … The Bible Warns One Is True … and One Is False. The coming Battle of Armageddon (‚Hill of Megiddo‘) … Armageddon lies right in the center of that tiny Red ‚Dot‘. „I (God) will bless those who bless you (Israel) and will curse those who curse you“… (Genesis 12:3)”

Die seltsamen Blüten, die das Manipulieren von Landkarten zum Thema Israel/Palästina treibt, zeigte sich im Sommer 2016, als es hieß: „Google-Maps macht Außenpolitik gegen Palästina“ und berichtet wurde, dass die Bezeichnung „Palestine“ (und das Anzeigen von Städten auf der Westbank) von den google-Landkarten gelöscht worden sei, es existiere nur noch Israel. Google verteidigte sich, dass diese Bezeichnung noch niemals verwendet worden sei. (Das entspricht einer persönlichen Beobachtung während einer Israelreise im Februar 2016, dass im Navigationsgerät des Mietwagens die Westbank nicht dargestellt wurde und eine Routenanfrage Jerusalem-Bethlehem damit beantwortet wurde, dass Bethlehem nicht existiere.)

Die Internetseite „mena-watch“ widmet sich ebenfalls den Kartendarstellungen unter dem Titel: „Die Feinde Israels nehmen es mit der geschichtlichen Wahrheit nicht so genau.“ Diese Darstellungen, die immer wieder zitiert werden gehen auf eine Darstellung zurück, die von Alex Feuerherdt auf dem Blog „fisch und fleisch“ und „Lizas Welt“ 2015 publiziert wurde als „Antizionistischer Kartentrick.“

Diese Karten-Darstellungen werden dann auch weiterverbreitet, und – damit anscheinend auch der Dümmste versteht, worum es sich handelt –, mit einem breiten Stempel „Lies“ (= Lügen) versehen, sowie mit „DIE WAHRHEIT“ beschriftet.

Die in die Karten eingefügten Erläuterungen sind dabei ebenso propagandistisch wie die langen Erläuterungen der vier Karten ohne „Stempel“.

Der bereits zitierte Kartograph Nikolaus Schobesberger gibt dazu in: „Propagandakartographie. Die Verwendung von Karten als Mittel für Werbung und politische Meinungsbildung“ (S. 84) eine sachbezogene, fachliche Erläuterung, dass die Karten unterschiedliche Zustände zeigen:

„Diese Gegenüberstellung von vier Karten, die eine gravierende Expansion Israels auf Kosten der Palästinenser zeigen, scheint auf den ersten Blick klar und eindeutig verständlich als lineare Reihe einer flächenhaften Thematik in ihren temporären Zuständen. Bei näherer Analyse der politischen Hintergründe wird jedoch ersichtlich, dass der Vergleich zwischen den Karten unzulässig ist. Karte 1 stellt das Siedlungsgebiet (ungeachtet der Siedlungsdichte) dar, während die Karten 2 und 3 politische Grenzziehungen visualisieren. Karte 4 wiederum zeigt die militärische Kontrolle in der Region. Diese einzelnen Thematiken werden nicht benannt, sondern durch die einheitlichen Legenden mit ‚Jewish/Israeli land‘ und ‚Palestinian Land‘ vereinheitlicht. Durch den Kartenvergleich wird somit eine gezielte ‚Tilgung‘ der palästinensischen Bevölkerung durch Israel suggeriert – die erste Karte als Siedlungskarte stellt die Argumentationsbasis her – , die jedoch nicht stattgefunden hat. Auf diese Weise wird die Unterdrückung der Palästinenser im Nahostkonflikt durch kartographische Mittel zusätzlich verstärkt um einerseits Solidarität zu erzeugen und andererseits möglicherweise gewaltsamen Widerstand zu legitimieren.“

Doch es geschehen auch Veränderungen. 2014 zeigte das Magazin KATAPULT eine Grafik, die der HAMAS-Sicht entsprach:

Diese Karte ist heute bei KATAPULT nicht mehr zu finden, dafür gibt es (im Mai 2021) eine Korrektur „Wie eine Karte die Geschichte des Israel-Palästina-Konfliktes verfälscht“.

Noch weiter holt ein Reiseportal aus, dass neben einem eigenwilligen Text eine sechsteilige Karte seit 1516 und das jeweilige politische Herrschaftsgebiet zeigt. Darin kommen die Palästinenser erst seit 2005 vor.

Eine sachbezogene Darstellung findet sich bei Evelyn Runge und Annette Vowinkel: „Es bleibt kompliziert“, mit vier Karten von 1947 bis heute. Dazu schreiben sie:

„Die Karten zeigen den UN-Teilungsplan für das britische Mandatsgebiet Palästina (1947) sowie Israel in den Grenzen von 1948 (Staatsgründung), 1967 (nach dem Sechstagekrieg) und 1995 (nach dem Inkrafttreten des Oslo-Abkommens). Nicht überall, wo auf den Karten Grenzlinien zu sehen sind, gab bzw. gibt es auch Grenzbefestigungen oder  -markierungen. Zum Beispiel ist die Grenze zu den 1967 von Israel besetzten und 1981 annektierten Golanhöhen (im Nordosten) frei passierbar. Das Gleiche galt bis zum Beginn des Baus einer Sperrmauer (2002) für die Grenze zwischen Israel und dem palästinensisch verwalteten Westjordanland. Dagegen befindet sich auf der Grenze zwischen den Golanhöhen und Syrien eine Sperranlage, wenngleich sie hier nur mit einer gestrichelten Linie markiert ist. Diese Darstellungsform ist als Nichtanerkennung der Annexion zu deuten, bildet aber die Situation vor Ort nur mittelbar ab. (© mr-kartographie, Gotha, mit freundlicher Genehmigung).“

Der ORF versucht sich (2018) auch in einer Vierer-Karte:

Was alle diese Übersichtskarten jedoch nicht deutlich zeigen, ist die Situation auf der Westbank, die in eine A-, B- und C-Zone unterteilt ist.

Eine Zwei-Staaten-Lösung (Israel/Palästina) hat kaum Chancen auf Realisierung. „Palästina“ auf der Westbank ist ein unverbundener Flickenteppich und wirtschaftlich allein nicht überlebensfähig. ebenso wie der Gaza-Streifen, der im Grunde ein großes Flüchtlingslager darstellt, das nur aufgrund von internationalen Hilfslieferungen überlebt.

Ebenso so fraglich, wie die Israel/Palästina-Thematik politisch stabil geklärt werden kann, ist der Konflikt Marokko/Westsahara.

Marokko erhebt Anspruch auf die 1975 von Spanien aufgegebene spanische Kolonie in der Westsahara und entsprechend schreibt die sich neutral gebende aber Regierungsaffine Internetseite „westsahara-konflikt“, dass das in Ordnung sei, weil es immer schon so war.

„Es ist allen bekannt, dass die Westsahara  historisch gesehen immer ein integraler Bestandteil des Königreichs Marokko war, bis 1884, auf Grund der spanischen Invasion. Ab 1912 wurde Marokko von zwei großen europäischen Mächten: nämlich Frankreich und Spanien kolonisiert.“

Das Ganze wird mit einer Karte dekoriert, die genau das veranschaulicht und (links) das „Königreich Marokko“ darstellt.

Dem stellt die Bundeszentrale für politische Bildung eine Karte (rechts) gegenüber, die der Auffassung der UN entspricht, dass der größere, westliche Teil von Marokko „kontrolliert“ wird. In der Frage, ob es auch Teil Marokkos sei, verhält sich die Karte „diplomatisch“, denn es wird die gleiche weiße Schraffur verwendet wie für Marokko selber, die Farbunterlegung ist aber die der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS), die (2021) von rund 50 Staaten anerkannt wird.

Ähnlich verhält sich auch die „Deutsche Welle“, deren Karte das Gebiet der Westsahara im Untergrund in den Farben Marokkos darstellt, das mit weißen Schrägstrichen aber von Marokko unterschieden wird.

So kann man auch mit Farben und Strichen Politik machen oder „diplomatisch“ sein.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom 29.09.2021, dass die Westsahara nicht Teil von Marokko sei, wird daran kurzfristig nichts ändern.