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Religionszugehörigkeiten 2022

Auch im Jahr 2022 hat sich der generelle Trend für die römisch-katholische wie für die evangelische Kirche fortgesetzt: Nur noch 48 Prozent der Deutschen sind Mitglied einer der beiden christlichen Großkirchen, der Bevölkerungsanteil der Konfessionsfreien ist dagegen auf 44 Prozent gestiegen. Die Erosion des Glaubens schreitet weiter voran – was sich auch daran ablesen lässt, dass nur noch 6 Prozent der Bevölkerung ihren Glauben praktizieren.

1. Vorbemerkung und Ergebnisse
2. Sichere Daten: EKD und römische Katholiken
3. Veränderungen: Zuwanderung aus der Ukraine
4. Weiß man es? Kleinere Religionsgemeinschaften
     4.1. Muslime/Kultur-Muslime
     4.2. Orthodoxe
5. Nicht nur eine Rechengröße: Konfessionsfreie
6. Glaubenspraxis: Immer weniger praktizieren ihren Glauben

1. Vorbemerkung und Ergebnisse

Die folgenden Daten sind – wie auch bereits in den Vorjahren beschrieben – eine Mischung aus relativ genauen Daten und Schätzungen verschiedenster Qualitäten. Es sind keine exakten Daten, bei denen es sich lohnt, um die Promillepunkte hinter dem Komma zu verhandeln, vielmehr handelt es sich um belastbare Trends mit unterschiedlicher Fehlervarianz. Eine ‚sichere Bank‘ sind die Daten für die EKD-Evangelischen und die römischen Katholiken mit den Auszählungen aus den Melderegistern. Im Bereich der kleineren Religionsgemeinschaften hingegen besteht eine große Unübersichtlichkeit, was es schwierig macht, den Anteil der größten Einzelgruppe, der Konfessionsfreien, zu bestimmen.

Die EKD hat ihre (vorläufigen geschätzten) Mitgliederzahlen am Ende 2022 bereits am 7. März 2023 veröffentlicht. Am 28.06.2023 publizierte dann auch die Bischofskonferenz die Zahl der Mitglieder der katholischen Bistümer in Deutschland.

Basis für EKD-Schätzung und DBK-Zahlen sind die Auszählungen aus den Melderegistern. Die Zahl der Kirchenmitglieder in den Landeskirchen und den Bistümern belaufen sich demnach auf 47,45 Prozent. Diese Zahl ist auch die Obergrenze der möglichen Ungenauigkeit, da die Melderegister, die eine der zuverlässigsten Quellen darstellen, eine Ungenauigkeit von 1-2 Prozent haben können.

Ein besonderer Aspekt war für 2022 die große Zahl der Zuwanderer aus der Ukraine, deren Religionszugehörigkeiten nur im Rückgriff auf die Verhältnisse in der Ukraine anzunehmen sind – ein besonderes Themenfeld, das unter Punkt 3 erläutert wird. Hinsichtlich der Anzahl der Mitglieder der Organisationen innerhalb der orthodoxen ‚Glaubensfamilie‘ sind die Angaben recht divers, so dass es einen besonderen Aufwand bedeutete, etwas Klarheit zu gewinnen.

Zur Anzahl der Muslime gibt es vom BAMF (in „Jahresrückblick 2021“) die Angabe „5,3 bis 5,6 Millionen muslimische Religionsangehörige mit einem Migrationshintergrund aus einem muslimisch geprägten Herkunftsland.“ Eine Angabe, die häufig auf 5,5 Mio. gemittelt wurde. Aufgrund weiterer Berechnungen (und in Fortschreibung der bisherigen fowid-Berechnungen), wird davon ausgegangen, dass nur ein Teil dieser Menschen als „konfessionsgebundene Muslime“ zu betrachten ist. Ihre Anzahl hat sich in Deutschland im Jahr 2022 um rund 120.000 Personen erhöht.

Daraus ergibt sich die folgende Übersicht über die religiös-weltanschauliche Verteilung in Deutschland (Ende 2022): Katholiken stellen 24,8 Prozent, EKD-Evangelische 22,6 Prozent, Muslime 3,7 Prozent, weitere Religionsgemeinschaften 5,1 Prozent, Konfessionsfreie 43,8 Prozent der Bevölkerung.

Um zu verdeutlichen, dass es sich bei den Zahlenangaben nicht um ‚exakte Zahlen‘ handelt, werden die Zahlenangaben in der folgenden Grafik ohne Kommastellen eingesetzt. Es soll hier keine Exaktheit suggiert werden, die unter der gegebenen, lückenhaften Datenlage schlechthin nicht möglich ist.

In den nachfolgenden Punkten werden wir uns die einzelnen Aspekte dieser Analyse etwas genauer anschauen.

2. Sichere Daten: EKD und römische Katholiken

Hatten in den vergangenen Jahren die EKD-Evangelischen einen vergleichsweise stärkeren Mitgliederrückgang zu verzeichnen, so sind es, nach 2021, auch 2022 wiederum die römischen Katholiken: Sie verlieren 708.400 Mitglieder, die EKD 625.000. Gezählt werden dabei stets die formalen Kirchenmitglieder, über die Gläubigkeit ist mit dieser Zahlung noch nichts ausgesagt (siehe Punkt 6).

Summa summarum hat nun zum zweiten Mal hintereinander eine Verringerung der Kirchenmitgliederzahl um mehr als eine Million Personen (1.133.400) stattgefunden. In dieser Hinsicht stellt 2022 in der Zeitleiste der vergangenen Jahre (- 520.000 / - 663.000 / - 705.000 / - 830.000 / - 855.000 / - 1.058.000 / - 1.333.400) sogar eine neue Höchstmarke auf.

Eine interne Aufschlüsselung für die katholische Kirche zeigt, dass die Kirchenaustritte diese Entwicklung begleiten. Allerdings spielen auch die unterschiedlichen Zählweisen zwischen Melderegistern und Statistiken des kirchlichen Lebens eine größere Rolle als in den vergangenen Jahren. Dieser Unterschied ergibt sich vor allem aus der Differenz zwischen Sterbefällen und nicht-kirchlichen Bestattungen, da die Statistiken des kirchlichen Lebens nicht die Zahlen der verstorbenen Kirchenmitglieder ausweisen, sondern nur die Zahlen der kirchlichen Bestattungen. Eine fowid-Ausarbeitung zu diesem Thema („Gestorbene und kirchliche Bestattungen“) hat für beide großen Kirchen eine Bestattungsquote von 66 Prozent ermittelt. Das heißt: Ein Drittel der verstorbenen Katholiken ließ sich nicht kirchlich bestatten, was wir als „stille Austritte“ bezeichnet haben. Die Differenz zwischen Melderegister und Kirchenstatistik von 105.808 Mitgliedern lässt sich zum Großteil durch solche „stillen Austritte“ erklären. Der Rest ergibt sich aus der Zu- und Abwanderung von Kirchenmitgliedern.


3. Veränderungen: Zuwanderung aus der Ukraine

Ausgehend von einem Übersichtartikel von Ralf Lange-Sonntag über „Religionen in der Ukraine“  lässt sich feststellen, dass die Ukraine zum einen „kein religiös homogenes Land“ ist, und zum anderen, dass es „schwierig [ist], näher zu bestimmen, wie groß die jeweiligen religiösen Gruppen sind.“

Eine erste Durchsicht verschiedener Informationsquellen zeigt, dass die Auffassungen zu den Anteilen der Religionsgesellschaften deutlich unterschiedlich sind. Das einzig Gemeinsame scheint zu sein, dass die die Orthodoxen die größte Religionsgruppe sind.

Im Wissen, dass diese Frage für das Thema der Religionszugehörigkeiten 2022 eine Rolle spielt, hat sich die fowid-Recherche „Konfessionen in der Ukraine“ frühzeitig damit beschäftigt. Es konnte detailliert gezeigt werden, wie sich die Umfrageforschung in der Ukraine in den vergangenen rund zwanzig Jahren mehr und mehr kirchenpolitischen Forderungen angepasst hat. Fragestellungen und Auswertungskategorien wurden so verändert, dass schließlich rund 60-70 Prozent der Ukrainer als „orthodox“ bewertet wurden. Der methodische ‚Trick‘ besteht u. a. darin, dass die konfessionsfreien, d. h. ungebundenen („not affiliated“) Gläubigen, schlicht als Untergruppe der Orthodoxen subsummiert wurden – ähnlich wie der „Religionsmonitor 2023“ verfahren ist, der zum Islam 18 Prozent Muslime „ohne Glaubensrichtung“ hinzuzählt.

Am plausibelsten erscheint immer noch eine der ersten Umfragen, die sich jedoch auch 2021 bestätigt. Im Jahr 2006 wurde durch das Razumkov-Zentrum eine umfangreiche Untersuchung in der gesamten Ukraine durchgeführt (mit 11.000 Befragten, was schon in Richtung eines Mikrozensus geht). Ihr zufolge geben 62,5 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer an, konfessionslos zu sein.

In einer ersten Frage wurde danach gefragt, ob man einer Kirche oder einer Konfession angehöre.

Alle, die diese Frage mit „Nein“ beantworteten oder angaben, „keiner Kirche anzugehören“, wurden in der Kategorie „konfessionslos“ zusammengefasst. Weitere 33,5 Prozent bezeichneten sich als „gläubige Kirchenmitglieder“, 4 Prozent empfanden diese Frage als „schwierig zu beantworten“. Daraus wurde dann, aufgrund einer zweiten Frage, eine unterteilte Übersicht erstellt: zum einen die Anteile der Konfessionszugehörigkeit aller Befragten, zum anderen die Anteile innerhalb der Religiösen.

Diese Zuordnungen wurden 2020/2021 vom Razumkov-Zentrum hinterfragt und die Unterteilung der 60 Prozent „Orthodoxen“ zeigt, dass die konfessionsfreien Orthodoxen („I am simply Orthodox“) 2020 die größte Gruppe unter den orthodoxen Religionsgesellschaften waren (27 Prozent) und 2021 die zweitgrößte (22 Prozent). Addiert man nun die drei Kategorien „schlicht Orthodox“ + „schlicht Christlich“ + „Ich gehöre zu keiner Religion“ (womit die Nicht-Gläubigen/Atheisten gemeint sind) der Razumkov-Umfrage 2020 und 2021 zusammen, so ergibt sich für 2020 der Anteil von 50,9 Prozent, für 2021 ein Anteil von 48,3 Prozent. Mit anderen Worten, auch nach diesen Umfragen sind – wie 2006 – die „Nicht-Organisierten“ bzw. die „Konfessionsfreien“, mit rund der Hälfte der Bevölkerung, die größte Religionsgruppe in der Ukraine.

Diese Umfrageergebnisse wurden für diese Ausarbeitung mit neueren Umfragen abgeglichen, wodurch sich folgende Anteile ergeben haben: 30 Prozent (organisierte) Orthodoxe aller vier Zuordnungen, 10 Prozent Katholiken, 4 Prozent Muslime, 6 Prozent Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften sowie insgesamt 50 Prozent Konfessionsfreie, die sich aus 20 Prozent Atheisten/Agnostikern und 30 Prozent nicht organisierten Gottesgläubigen ergeben.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten Ende 2022 insgesamt 1.164.200 Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit in Deutschland. Davon waren 1.002.345 mit einer Aufenthaltsdauer von unter einem Jahr. Trotz aller weiteren Unwägbarkeiten über die genauere Anzahl (u. a. keine Meldepflicht) erscheint es plausibel, von rund einer Million 2022 zugewanderter Ukrainerinnen und Ukrainern auszugehen. Unter Zugrundlegung der weiter oben genannten Anteile werden in unserer Aufstellung somit 300.000 Orthodoxe, 500.000 Konfessionsfreie, 100.000 Katholiken, 40.000 Muslime und 60.000 Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften berücksichtigt.

4. Weiß man es? Kleinere Religionsgemeinschaften

Für die weiteren kleineren Religionsgemeinschaften werden – mit Ausnahme der Muslime und der Orthodoxen – die bisherigen Zahlenabgaben beibehalten. Es gibt keine Belege, um Veränderungen oder reale Größenordnungen festzustellen – weder bei Berechnungen noch bei amtlich geprüften Angaben. Das Feld der kleineren Religionsgemeinschaften in Deutschland beruht weitestgehend auf eigenen Angaben, Schätzungen oder Umfragen verschiedenster Qualitäten. Es geht dabei um rund 9 Prozent der Bevölkerung.

In einer Übersicht zu den Religionszugehörigkeiten in Deutschland (auf Wikipedia) sind im August 2023 die Konfessionsfreien und 109 Religionsgemeinschaften genannt. Die Angaben beruhen weitestgehend auf den Zahlen von REMID. Dazu heißt es: „Im Bereich der kleinen Religionsgemeinschaften sind nicht sämtliche Gemeinschaften bzw. Kirchen aufgezählt, sondern nur die bekanntesten.“ 42 dieser Religionsgemeinschaften haben eine Mitgliederzahl von ‚runden‘ Tausendern‘ wie 100.000 oder 10.000, was dafür spricht, dass da mitunter freundlich nach oben hochgerundet wurde.

Für die Einschätzung der eigenen Angaben ist das Bundesland Freistaat Bayern ein transparentes Beispiel. In Bayern werden – auf freiwilliger Basis zur Förderung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften – an Organisationen, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, auf Antrag Zuschüsse pro Kopf der Mitglieder gezahlt, 2022 exakt 7,46 Euro. Das heißt: Die Angabe der Mitgliederzahl bedeutet bares Geld. Vor den damit verbundenen ‚Versuchungen‘ waren auch die katholischen Diözesen nicht gefeit, die – bis zur Einführung der elektronischen Melderegister – in Bayern durchgängig zu hohe Mitgliederzahlen meldeten, die dann vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz für die Berechnung der Gesamtsumme aller Katholiken in Deutschland stillschweigend nach unten ‚korrigiert‘ wurden.

Für die kleineren Organisationen in Bayern ist u. a. bemerkenswert, dass für die Russisch-orthodoxe Kirche von 2001 bis 2022 von gleichbleibend 5.000 Mitgliedern „ausgegangen“ wird, was ebenso für die Griechisch-orthodoxe Kirche gilt, bei der von 2001 bis 2021 jedes Jahr von 52.600 Mitgliedern „ausgegangen“ wird. Diese Großzügigkeit hat aber offensichtlich auch ihre Grenzen, denn in den Haushaltsplänen von 2005/2006 bis 2013/14 heißt es für beide Religionsgemeinschaften gleichbleibend: „Die von der Körperschaft geltend gemachte Erhöhung der Zahl der Glaubensangehörigen konnte nicht nachgewiesen werden.“ Im Haushaltsplan 2022 heißt es (S. 258/259) für den „Zuschuss an die Russisch-Orthodoxe Kirche in Bayern - K.d.ö.R.“: „Wie in den zurückliegenden Jahren wird von einer Zahl von 80.000 Bekenntnisangehörigen ausgegangen.“ Für den „Zuschuss an die Griechisch-Orthodoxe Metropolie - K.d.ö.R. (Vikariat Bayern)“ heißt es dagegen: „Die Zahl der Bekenntnisangehörigen wurde den aktuellen Entwicklungen angepasst und neu festgesetzt. Ab dem Jahr 2022 wird von einer Zahl von 64.100 Bekenntnisangehörigen ausgegangen.“ Dass Gleiche gilt auch für den Protestantismus.

Die Deutsche Evangelische Allianz „repräsentiert“ rund 1,3 Mio. Christen, die ein Netzwerk von 370  verschiedensten Organisationen bilden. Legt man jedoch die Auflage des EiNS-Magazins, dem Mitgliedermagazin der Evangelischen Allianz zugrunde, wird die vom evangelikalen SCM-Bundes-Verlag mit 20.000 angegeben. Eine Angabe, die von der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. (IVW) allerdings nicht bestätigt werden kann, da das Magazin dort nicht angemeldet wurde. Das IDEA-Magazin (Informationsdienst der Evangelischen Allianz), dass bei der IVW gelistet ist, wird dort (im 2. Quartal 2023) mit einer vergleichbaren Anzahl von 20.866 verkauften Exemplaren genannt, davon 14.442 im Abonnement. In den Jahren 2009-2012 waren es noch rund 31.000 verkaufte Exemplare und rund 19.000 Abos. Mit anderen Worten: Die ‚Mitgliederzahlen‘ liegen kaum bei 1,3 Mio., sondern eher bei unter 50.000 (wenn man zwei Mitglieds-Leser pro Magazin annimmt) mit einer zudem insgesamt sinkenden Tendenz.

Die mögliche Annahme, dass von den hohen EKD-Kirchenmitgliederaustritten ein Teil zu den evangelischen Freikirchen wechselt, die deshalb mehr Mitglieder bekommen, findet weder in den EiNS-Magazin/idea-Spektrum-Zahlen eine Bestätigung, noch in der Mitgliederentwicklung der Neuapostolischen Kirche (NAK) in Deutschland, deren Mitgliederzahl sich im Zeitraum 2000-2022 um 21 Prozent verringert hat.

Diese Beispiele weisen in die Richtung, dass die Zahlangaben für die kleineren Religionsgemeinschaften einer Überprüfung bedürfen, da sie sich wohl – bis auf begründete Ausnahmen - eher verringert haben, als größer geworden sind.

Aus den Melderegistern werden normalerweise nur die EKD-Evangelischen und die römischen Katholiken, d. h. die Kirchenmitglieder ausgezählt. So hat das Statistische Landesamt Berlin zum Jahresende 2022 das Melderegister ausgezählt und nennt (auf S. 37) drei Religionszugehörigkeiten „Evangelische Kirchen“ (12,6 Prozent), „Römisch-katholische Kirche“ (7,4 Prozent) sowie die übliche Restkategorie „sonstige bzw. keine“ (80,0 Prozent). Das hat den Hintergrund, dass im Berliner Melderegister nur die Religionsgesellschaften erfasst werden, für die von den Finanzämtern der Kirchensteuereinzug realisiert wird. Entsprechend werden nur vier Kategorien dargestellt: EV, RK, SO (=sonstige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften) und OA (keine Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft), wobei die beiden letzten Kategorien dann zusammengefasst werden.

Dass differenzierte Zählungen aus den Melderegistern möglich sind, zeigt das Land Rheinland-Pfalz. Es realisiert für alle 36 Landkreise und Kreisfreien Städte monatlich umfangreiche Auszählungen aus den Melderegistern, die auch die Mitgliedschaft in Religionsgemeinschaften erfassen, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Aber auch diese Übersichten (Stichwort: „Statistik(Einwohner)“) kommen nicht ohne ‚Sammelkategorien‘ aus. So werden für die Stadt Frankenthal (Ende 2022) für 54 Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in vier Kategorien in Prozent gezählt: „evangelisch: 22,5“, „römisch-katholisch: 24,0“, „Sonstige, Hugenotten, Mormonen, Johannische Kirche: 9,9“ und „ohne Angabe, gemeinschaftslos: 41,3“. Das sind zusammen 97,7 Prozent. In weiteren 50 Kategorien werden die restlichen 2,3 Prozent dargestellt. Ob das nun Sinn macht, ist fraglich.

4.1. Muslime/Kultur-Muslime

4.1.1. Zur Datenlage: Die Datenlage zur Anzahl der Muslime in Deutschland beruht nach wie vor auf Schätzungen, mit großen Spannweiten. Und es gibt eine Tendenz, dass die ‚amtliche‘ Erfassung sich verringert, um nicht zu sagen, aufhört. In der Volkszählung 1987 (also vor fünfunddreißig Jahren) wurde zum letzten Mal die Zahl der Muslime in Deutschland festgestellt. Dadurch gab es eine Vielzahl von Informationen über Altersgruppen, Wohnortgrößen, Arbeitsstatus etc. Seitdem ist nichts Vergleichbares mehr geschehen, im Gegenteil. 2011 ist im Zensus die Frage nach den Religionszugehörigkeiten, abseits der im Melderegister erfassten Organisationen, so gestellt worden, dass die Ergebnisse letztendlich nicht brauchbar erschienen. Seit 2014 wird für Eheschließungen, Geburten und Verstorbene in Deutschland das Religionsmerkmal nicht mehr erfasst. Im Zensus 2022 wird überhaupt nicht mehr nach Religion gefragt.

4.1.2. Aktuelle Situation: Nachdem zur Klärung der Anzahl der Muslime in der fowid-Analyse zu den Religionszugehörigkeiten 2020 bereits die rund 700.000 Aleviten in Deutschland als eigenständige Religionsgemeinschaft aus den Muslimen herausgerechnet worden waren (wofür es eine eigene fowid-Analyse gibt: „Aleviten in Deutschland“), Dabei hatte sich auch gezeigt, dass die die Angaben der Staatsangehörigkeit nichts über die Religionszugehörigkeit der jeweiligen ‚Wanderinnen und Wanderer‘ aussagt. Ein Versuch, wie er in der fowid-Ausarbeitung für 2018, Tabelle 7, noch berechnet wurde, erscheint mittlerweile als fragwürdig, da die staatlichen Angaben zur Religionszugehörigkeit, vor allem in den „mehrheitlich muslimisch Ländern“, eher dem Wunschdenken der Regierungen als der Realität entsprechen. (Beispiel: Iran, Anteil der Muslime - Offizielle Regierungsangabe: 99,4 Prozent, evidenzbasierte Umfrage: 37,2 Prozent.

Nun war wiederum zu klären, ob und wie sich die Anzahl der Muslime im Laufe des Jahres 2022 verändert hat. Die größte Anzahl an Muslimen, die 2022 nach Deutschland gekommen sind, bezieht sich auf die Asylerstanträge nach Religionszugehörigkeit 2022. In den 217.000 Asylerstanträgen werden rund 165.000 mit „Islam“ als Religionszugehörigkeit erfasst. Zusätzlich zu dieser Zuwanderung kann man vier Prozent der zugewanderten Ukrainer, rund 40.000 Personen, als Muslime annehmen. Damit stieg die Zahl ‚der Muslime‘ in Deutschland 2022 um rund 200.000 Personen. Weitere Zahlenangaben sind nicht bekannt. Nach Abzug der 40 Prozent Kultur-Muslime (80.000) verbleiben noch 120.000 konfessionsgebundene Muslime, um die sich die Anzahl der Muslime in Deutschland erhöht hat.

4.1.3. Kultur-Muslime: In Deutschland besteht die Möglichkeit, aus den Kirchen, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts haben, auszutreten, d. h. die Mitgliedschaft zu beenden und dadurch die Distanz zur religiösen Organisation „Kirche“ zu dokumentieren. Für den Islam besteht diese Möglichkeit nicht. Die christliche Kirchenmitgliedschaft wird durch die Taufe begründet, Muslim ist man automatisch als Kind eines muslimischen Vaters. Religionssoziologisch und politisch sind vor allem die konfessionsgebundenen Gläubigen von Interesse. Insofern wird mit der Kategorie der Kultur-Muslime angestrebt, die konfessionsgebundenen Muslime von den säkularen Muslimen zu unterscheiden. Es ist eine Parallele zu christlichen Kirchenmitgliedern und ausgetretenen Konfessionsfreien.

Für die Frage, welche Indikatoren für eine derartige Unterscheidung zur Verfügung stehen, ist bereits in den Berichten der Vorjahre auf die religiöse Bedeutung der Gebetshäufigkeit von Muslimen hingewiesen worden, die zu den „fünf Säulen des Islam“ gehören.

Es ist auch nicht überraschend, entsprechend der soziologischen Assimilierungstheorie, dass zugewanderte Religionen sich ihrem Umfeld allmählich anpassen, also im eher säkularen Deutschland säkularer werden. (Auch entsprechend der Säkularisierungstheorie.) Entsprechend verringert sich – nach der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland 2020“ – die Gebetshäufigkeit von Muslimen (täglich bis ein paar Mal im Monat) von 64 Prozent (in der ersten Generation) auf 53 Prozent (in den Nachfolgegenerationen).

Diese Verringerung der konfessionsgebundenen Muslime zeigt, im Vergleich zu den Daten der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland (MLD, 2008)“, dass sich der Anteil der „stark Gläubigen“ von 36 Prozent (2008) auf 29 Prozent (2020) verringert hat, während der Anteil der „Nicht-Gläubigen“ von 13 Prozent (2008) auf 19 Prozent (2020) gestiegen ist.

„Kultur-Muslime“ ist zudem auch keine fowid-Kreation, sondern wird in (der englischsprachigen) wikipedia als „Cultural Muslims“ benannt:

“Cultural Muslims or nominal Muslims or non-practicing/observing Muslims are people who identify as Muslims but are not religious and do not practice the faith. They may be secular and irreligious individuals who still identify with Islam due to family backgrounds, personal experiences, ethnic and national heritage, or the social and cultural environment in which they grew up.”

4.2. Orthodoxe

Hinsichtlich der Anzahl der Orthodoxen in Deutschland hat die EKD 2022 eine verblüffende Feststellung publiziert: 2020 wurden in „Zahlen und Fakten“ 1.543.000 Mitglieder „Orthodoxe Kirchen, diverse Stände“ genannt, in der Übersicht für 2022 sind es 3.876.000 Mitglieder. Das wäre ein Plus von mehr als 2 Millionen (2.333.000).

Wie diese 2,3 Mio. mehr Orthodoxe im Jahr 2022 gezählt wurden, bleibt völlig unklar. Auch wenn alle registrierten zugewanderten Ukrainer als Orthodoxe gezählt worden sein sollten, was allerdings auf eine große Unkenntnis der Religionsverhältnisse in der Ukraine hinweisen würde, blieben noch rund 1,3 Mio. ‚neue‘ Orthodoxe, für die es keine Erklärung gibt.

Es könnte auf einem Bericht von dem der Informationsdienst der Evangelischen Allianz (idea) vom Mai 2022 beruhen: „Zahl der orthodoxen Christen in Deutschland gestiegen“.

„In Deutschland leben rund drei Millionen orthodoxe Christen – Tendenz steigend. Das schreibt der frühere Generalsekretär der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD), der russisch-orthodoxe Theologe Nikolaj Thon […] Für seinen Bericht wertete er das Ausländerzentralregister des Bundesverwaltungsamtes (Köln) aus. Danach lebten 2013 rund 1,31 Millionen ausländische orthodoxe Staatsbürger in Deutschland, 2019 seien es 2,2 Millionen gewesen. Hinzu komme eine wachsende Zahl von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund, die in keiner offiziellen Statistik auftauchten. […] Maßgeblich für die Analyse war die Annahme, dass der Anteil der Orthodoxen unter den Migranten in der Regel etwa der gleiche ist wie in den Heimatländern.
Die größte Gruppe mit 900.000 Mitgliedern bildet nach Thons Angaben die rumänisch-orthodoxe Kirche, gefolgt von etwa einer halben Million Mitgliedern der russisch-orthodoxen Kirche. 470.000 Angehörige zählt die griechisch-orthodoxe Metropolie des Patriarchats von Konstantinopel, 424.000 Mitglieder die bulgarisch-orthodoxe Diözese und 410.000 Gläubige das serbisch-orthodoxe Bistum. Hinzu kommen rund 106.000 Mitglieder der griechisch-orthodoxen Kirche von Antiochien und rund 30.000 der georgisch-orthodoxen Kirche.
Die aktuelle Zuwanderung von orthodoxen Christen aus der Ukraine hat Thon noch nicht eingearbeitet. Über 610.000 Ukrainer wurden bisher als Flüchtlinge in Deutschland registriert. Etwa 73 Prozent der Ukrainer sind orthodox.“

Das sieht nach großzügigen Schätzungen aus, wobei bereits die Angabe für 2019 (2,2 Mio.) von der Einschätzung der EKD für 2020 (1,5 Mio. Mitglieder) stark abweicht. Und die Schlussaussage, „etwa 73 Prozent der Ukrainer sind orthodox“, übernimmt nur die gewünschte, kirchenpolitische Wunschzählung des Kiewer Patriarchats.

Die Zahlengaben für 2020 beruhen offensichtlich auf den Zählungen von REMID. Für die christliche Gruppe der „Orthodoxen, Orientalischen und Unierten Kirchen“ wurden für 26 Kirchen Zahlenangaben publiziert, für die sieben größten für 2022. Es ergibt sich eine Gesamtzahl von 1.574.500 Kirchenmitgliedern. Da diese Daten mit „Stand 2022“ bezeichnet werden, muss man nur noch die zugewanderten Orthodoxen aus der Ukraine hinzuzurechnen. Deren Anzahl wurde, wie weiter oben bereits ausgeführt, auf rund 300.000 beziffert. Somit beläuft sich Zahl der Orthodoxen in Deutschland auf rund 1,9 Mio. Personen, das sind 2,2 Prozent der Bevölkerung.

5. Nicht nur eine Rechengröße: Konfessionsfreie

Da die Konfessionsfreien – weltweit – keine nennenswerte Neigung haben, sich in Gemeinschaften zu organisieren, kann man sie auf diese einfache Weise auch nicht zählen. Man kann sie aber sehr wohl nach der Konfessionszugehörigkeit bzw. Konfessionsfreiheit fragen. Ein Beispiel: In den European Values Studies (EVS) wird seit 1981 in 14 Ländern und seit 1990 in 26 Ländern ausdrücklich auch nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft gefragt. Die Antwort der Befragten ist dann das persönliche Bekenntnis, einer Religionsgemeinschaft anzugehören oder nicht. Die Ergebnisse in Westeuropa haben alle den gleichen Trend: Die Anteile der Konfessionsfreien steigen kontinuierlich an. Deutschland liegt dabei im Mittelfeld. In einer Sortierung nach dem höchsten Anteil an Konfessionsfreien – im Befragungszeitraum 2017-2021 – sind von den zehn Ländern mit den höchsten Anteilen vier mit katholischer Tradition (Tschechien, Frankreich, Ungarn, Spanien), vier mit evangelischer Tradition (Niederlande, Großbritannien, Schweden und Norwegen) und zwei mit gemischten Anteilen (Estland und Deutschland).

In Umfragen, in denen 2012-2015-2022 nach der Religiosität gefragt wurde, beantworteten (2022) 50 Prozent der Befragten die Frage „Sind Sie ein religiöser Mensch“ mit „Nein/Atheist“. 2012 waren es nur 39 Prozent gewesen. Und an „einen Gott“ glauben inzwischen in Deutschland nur noch 33 Prozent.

6. Glaubenspraxis: Immer weniger praktizieren ihren Glauben

Da die Tradition der Mitgliederzählung für die beiden großen Amtskirchen auf der formalen Mitgliedschaft beruht und inhaltlich nicht hinterfragt wird, ist es interessant zu erfahren, wie viele der nominellen Religionsmitglieder ihren Glauben tatsächlich öffentlich leben. Ein Indikator dafür ist, dass man „regelmäßig“, zumindest einmal im Monat, an einem Gottesdienst teilnimmt. Für 2019 hatte sich hierfür (vor Corona) ein Anteil von 7,9 Prozent ergeben. Dieser schon sehr geringe Anteil der „praktizierenden Gläubigen“ ist 2022 noch einmal gefallen.

Nach den Angaben der Deutschen Bischofskonferenz (Eckdaten 2022) nahmen 2022 insgesamt 5,7 Prozent der Katholiken an den „Zählsonntagen“ am Gottesdienst teil (mit einer Spannweite in den Bistümern von 3,8 bis 13,1 Prozent). In den evangelischen Landeskirchen belief sich der Anteil der Gottesdienstbesucher (2021) auf 1,6 Prozent. Unter den Muslimen wird der regelmäßige Moscheebesuch (u.a. zum Freitagsgebet) von rund 50 Prozent der Gläubigen praktiziert. Da bei den Muslimen der Aspekt des gesellschaftlichen Lebens und des Kontaktes zu Gleichgesinnten – wie bei allen kleineren Religionsgemeinschaften – eine größere Bedeutung hat als unter den christlichen Kirchenmitgliedern, darf eine höhere Glaubenspraxis auch bei den anderen kleineren Religionsgemeinschaften angenommen werden.

Gesamtergebnis: Nur 6,2 Prozent der Bevölkerung (und aller Religionen) sind als „praktizierende Gläubige“ zu betrachten. Damit setzt sich ein langfristiger Trend fort: 2016 nannte eine Studie der ALLBUS-Auswertungen zur „Kirchganghäufigkeit in Deutschland 1980-2016“ einen Anteil der Gläubigen mit „regelmäßigen Gottesdienstbesuch“ von 12 Prozent, 2019 war es nur noch ein Anteil von 7,9 Prozent, der sich nun abermals um weitere 1,6 Prozentpunkte verringert hat. Mit anderen Worten: Von 100 Bundesbürgern nehmen inzwischen 94 nicht mehr an Gottesdiensten teil, nur 6 von ihnen besuchen regelmäßig eine Kirche, Synagoge oder Moschee. Kaum eine andere statistischen Kennzahl zeigt so deutlich, wie weit die Erosion des Glaubens bereits vorangeschritten ist.

CF, MK, MSS