Israels religiös gespaltene Gesellschaft
Eine Studie des PEW Forschungszentrums zeigt, welche tiefen Gräben zwischen jüdischen Israelis selber und ebenso zwischen Juden und Arabern in Israel bestehen, wenn es um politische Werte und die Rolle der Religion im öffentlichen Leben des Staates geht.
Die jüdische Bevölkerung Israels steht in großer Einigkeit zu dem Grundsatz, dass Israel die Heimat für alle Juden sei und ein notwendiger Zufluchtsort gegenüber dem ansteigenden Antisemitismus in der Welt. Abgesehen von dieser Einigkeit bestehen jedoch tiefe Trennungen innerhalb der israelischen Gesellschaft – nicht nur zwischen den israelischen Juden und der arabischen Minderheit, sondern auch zwischen den religiösen Untergruppen innerhalb der israelischen Juden.
Obwohl sie in dem gleichen kleinen Land leben und viele Traditionen teilen, leben die Ultra-Orthodoxen und die Säkularen in getrennten sozialen Welten, mit wenigen engen Freunden oder Heiraten außerhalb ihrer jeweiligen Gruppe.
Diese Unterschiede zeigen sich in vielen Dimensionen und Regelungen des gesellschaftlichen Lebens, seien es Heiraten, Scheidungen, Militärdienst, Trennung der Geschlechter und im Öffentlichen Transportwesen. Ebenso deutlich wird es darin, worin sie ihre Identität als Juden begründet sehen, in der Religion oder in der Tradition/Kultur.
Nahezu alle Israelischen Juden identifizieren sich mit einer der vier Kategorien: Haredi („ultra-orthodox“), Dati („religiös, Thora-Studien“), Masorti („traditionell, pluralistisch“) oder Hiloni („säkular“).
Diese abgestuften Unterschiede und Gegensätze innerhalb der israelischen Juden zeigen sich ebenso im Für und Wider zu der Frage, ob die „Halakha“
(Sammlung jüdischer Regelungen mit 613 Geboten) staatliches Recht für die Juden sein solle. So sehr die Ultra-Orthodoxen das befürworten (86 %), so strikt (90 %) lehnen das die säkularen Juden ab.
Diese unterschiedlichen sozialen Welten zeigen sich, in ihrer Abstufung bzw. ihrer gegenseitigen Ausschließlichkeit auch in diversen weiteren Aspekten, inwiefern religiöse Traditionen und Regeln gelebt bzw. nicht gelebt werden.
Aus diesen religiösen bzw. nicht-religiösen Orientierungen lassen sich jedoch keine eindeutigen politischen Überzeugungen ableiten. Auch wenn die Säkularen den größten Anteil von sich „links“ verstehenden Mitgliedern haben (14 %), so sind es nicht die Ultra-Orthodoxen, die sich mehrheitlich als „rechts“ verstehen, sondern die „Dati“ (die „religiösen“), von denen sich 56 % als politisch „rechts“ verstehen.
Die Haredim („Ultra-Orthoxen“) verstehen sich mehrheitlich (52 %) als politische „Mitte“, worin sie nur noch von den säkularen Juden (62 %) übertroffen werden.
Wie kompliziert sich diese Überschneidungen von religiösen und politischen Orientierungen zum Zeitpunkt der Untersuchung darstellt (Oktober 2014 bis Mai 2015) veranschaulicht die Übersicht über die Parteipräferenzen nach Religionszugehörigkeiten und Regierungskoalition bzw. Opposition.
Innerhalb der vier jüdischen Unterguppen hat (mit einer Ausnahme) keine der elf im Parlament vertereten politischen Parteien die Mehrheit.
Die Ausnahme ist die Shas-Partei („Sephardische Tora-Wächter“, eine ultraorthodoxe Partei) die mehrheitlich (52 %) von den Haredim bevorzugt wird, die daneben (mit 34 %) für die Yahadut Hatorah („Vereinigtes Torah Judentum“) votieren.
Die Masortim („pluralistische Religiöse“) und die Hilonim („Säkulare“) haben die größte Verbindung (40 % / 27 %) zur Likud-Partei (überwiegend säkular, Mitte-Rechts) des amtierenden Ministerpräsidenten Netanyahu, der eine Koalition mit den bereits erwähnten Parteien Shas und Yahadut Hatorah eingegangen ist, sowie mit der Partei Habayit Hayehudi („Jüdische Heimat“, politisch rechts, religiöse Zionisten und Befürworter der Siedlungspolitik) die, neben der Shas, von den religiösen Dati gestützt wird.
Die Hilonim („Säkulare“) votieren vorrangig (40 %) für den Likud (Regierungspartei), aber ebenso (14 / 14 / 16 %) für drei Oppositionsparteien, die Yisrael Beytenu („Unser Zuhause Israel“, überwiegend säkular, nationalistisch, gestützt durch russische Immigranten), die Yesh Atid („Es gibt eine Zukunft“, säkular, liberal) und die Avoda („Arbeitspartei“, Mitte-links).
Auch wenn es keine eindeutigen politisch-religiösen Zuordnungen gibt, so zeigt sich dennoch eine gewisse Rechts-Links-Tendenz zwischen Haredim („Ultra-orthodox Religiösen“) und Holinim („Säkularen“). Das zeigt sich u. a. in der Frage ob eine Zwei-Staaten-Lösung für Israel und ein unabhängiges Palästina möglich sei.
Das PEW Forschungszentrum sieht es als eines der Ergebnisse der Anzeichen einer stärkeren religiösen Polarisierung in Israel.
Einerseits hat sich der Anteil der Haredim in den letzten zehn Jahren von 6 auf 9 Prozent erhöht – aufgrund der größeren Kinderzahl der Haredim, vor allem gegenüber den Säkularen. 28 Prozent der Haredim haben sieben und mehr Kinder. Bei den Säkularen sind es unter einem Prozent.
Andererseits ist seit 1991 der Anteil der israelischen Juden, die keinerlei religiösen Traditionen beachten, von 21 auf 26 Prozent gestiegen, wie andererseits der Anteil derjenigen Juden, die den religiösen Traditionen eine gewisse Beachtung schenken, von 41 auf 34 Prozent gesunken.
Die religiösen Orientierungen und Überzeugungen sind dabei über die Jahre ähnlich groß geblieben (rund 39 %), während sich der Anteil der Nicht-Religiösen verstärkt hat.