Nicht-Religiöse und Religiöse, 1982 - 2018
Eine Frage der Weltanschauung: Nicht-religiös oder religiös? Es ist keine Frage einer Ja/Nein-Dichotomie, sondern eine Selbstbeschreibung mit einer weiten Spannweite von sieben bis zehn Abstufungen. Sie zeigen, dass die Kirchenmitglieder weiter gefächerte Auffassungen nennen – bis hin zu hohen Anteilen von Nicht-Religiösen –, als die Konfessionsfreien, die das eindeutiger betrachten.
Von Carsten Frerk.
1. Vorbemerkung
2. Zur Methodik
3. Religiöser und/oder spiritueller Mensch
4. Kirchganghäufigkeit
5. Vertrauen in die Kirchen
6. Altersgruppen
7. Alte/Neue Bundesländer, Wohnort, Alle Bundesländer
8. Parteipräferenzen
9. Fazit
1. Vorbemerkung
Gegenüber eindeutigen, ‚harten‘ Fakten wie eine Kirchenmitgliedschaft (Ja/Nein) oder den formalen Häufigkeiten des Gottesdienstbesuchs ist die Frage nach der Einschätzung der persönlichen Religiosität ‚weicher‘, unklarer, denn was ist das: Religiosität? Aber, in einer Gesellschaft die lebenslänglich mit Religion ‚imprägniert‘ ist – manche sprechen auch von ‚kontaminiert‘ –, wissen die Befragten, was alles damit gemeint ist, gemeint sein kann und wie sie persönlich darüber denken, als Element ihrer Weltanschauung, mit oder ohne einen Jenseitsbezug. Insofern sagt es mehr über eine Weltanschauung aus, als die formalen Tatsachen.
Das wird auf wissenschaft.de als „Persönlichkeitsmerkmal“ beschrieben:
„Religiosität ist eine Fähigkeit oder Eigenschaft, nämlich das Persönlichkeitsmerkmal, eine Religion zu haben und sich so gläubig auf Transzendentes zu beziehen – im Denken, Fühlen und Handeln. Gläubigkeit charakterisiert die individuelle Ausprägung der Religiosität. Der Begriff Religion schillert in seiner Bedeutungsvielfalt – eine allgemein akzeptierte Definition gibt es nicht. […]
Spiritualität ist eine Unterform der Religiosität und durch Selbstvergessenheit und umfassende Einheitsgefühle charakterisiert – also mit ultimativer Bezogenheit und Mystik. Sie kann auch ‚esoterisch‘ oder ‚atheistisch‘ sein.“
2. Zur Methodik
Der folgende Text beruht auf Auswertungen von ALLBUS-Studien (Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften). Er gliedert sich in einen Abschnitt „1982 – 2012“, sowie in einen Abschnitt „2018“.
In den sechs Umfragen 1982, 1992, 2000, 2002, 2010 und 2012 wurde eine Links-Rechts-10er-Skala verwendet und die Befragten aufgefordert, ihre Positionierung auf dieser Skala zu benennen bzw. anzukreuzen. Im ALLBUS 2018 wurde diese 10er-Skala mit den beiden Enden „Nicht religiös“ und „Religiös“ ausgetauscht mit einer 7er-Skala, wobei 1 – 3 ausdrücklich für „religiös“, 4 für „weder noch“ sowie 5-7 für „nicht religiös“ stehen. Nun könnte man versucht sein, diese drei Gruppen mit anderen Begriffen zu beschreiben, die „Religiösen“ als die „Gottesgläubigen“, die „Weder-noch“ als die „Agnostiker“ sowie die „Nicht-Religiösen“ als die „Atheisten“. Danach wurde jedoch nicht gefragt und so ist es sinnvoller, es bei dem zu belassen, nach dem gefragt wurde, die „Religiosität“.
Ob die Zuordnungen hinsichtlich der eigenen Religiosität eine innere Plausibilität haben, lässt sich aufgrund der ALLBUS-Umfrage 2012 prüfen, in der zusätzlich auch die Meinung zu der Aussage „Meine Weltanschauung folgt keiner religiösen Lehre“ gefragt wurde.
95 Prozent der Befragten, die sich als „nicht religiös“ betrachten, folgen in ihrer Weltanschauung auch keiner religiösen Lehre. Die Werte verändern sich kontinuierlich und von denen, die sich als „religiös“ betrachten, sind es 89 Prozent der Befragten, die in ihrer Weltanschauung sehr wohl einer religiösen Lehre folgen.
1982 – 2012
Um die Entwicklung von 1982 bis 2012 übersichtlicher zu erkennen, ist es sinnvoll, die 10 Kategorien der Skala auf weniger Gruppen zusammenzufassen.
In der Zusammenfassung auf drei bzw. zwei Kategorien wird deutlich, dass der Anteil der Nicht-Religiösen von 1982 bis 2012 von 43 auf 55 Prozent ansteigt und der Anteil der Religiösen sich von 57 Prozent auf 47 Prozent verringert.
Bezogen auf die Kirchenmitglieder und die Konfessionsfreien zeigen die Verteilungen, dass sich (2012) rund 50 Prozent der EKD-Evangelischen, sowie 40 Prozent der römischen Katholiken sich – in unterschiedlichen Abstufungen –, als „nicht-religiös‘ bezeichnen. Von den Konfessionsfreien sind es dagegen nur 11 Prozent, die sich als „religiös“ bezeichnen.
In den folgenden Grafiken werden die Verteilungen sichtbarer. Für die EKD-Evangelischen sowie die römischen Katholiken steigt der Anteil der „Nicht-religiösen“ (2012: „grüne Linie“) und verringert sich der Anteil der „Religiösen“. Bei aller Unterschiedlichkeit zeigen beide Verteilungen gleichbleibend über die Jahre die höchsten Selbsteinstufungen beim Wert „5“ (etwas nicht religiös) sowie „8“ (eher religiös). Die beiden höchsten, d. h. der intensivsten Selbstbeschreibungen der eigenen Religiosität („9“ bzw. „10“) bleiben dahinter zurück.
Im Unterschied dazu bleibt die Selbsteinstufung der Konfessionsfreien konstant und eindeutig „nicht-religiös“.
Für Deutschland zeigt sich ein Effekt der Deutschen Einheit im Unterschied 1982 zu 1992 – dass der Anteil der eindeutigen Kategorie „Nicht religiös“ um 10 Prozentpunkte ansteigt –, jedoch der Anteil der „Religiösen“ sich davon unabhängig (rechts der Mitte) verringert.
2018
In einer genaueren Unterteilung und ausdrücklichen Benennung der Kategorien von „religiös“ bzw. „weder noch“ bzw. „nicht religiös“ setzt sich der Trend fort: 37 Prozent der Bevölkerung betrachten sich als „religiös“, 13 Prozent sagen „weder noch“ und 50 Prozent sehen sich als „nicht-religiös“.
Was bringt Menschen dazu – 40 Prozent der EKD-Evangelischen und 33 Prozent der römischen Katholiken, das sind rund 16 Millionen Menschen in Deutschland – Mitglied einer Religionsgesellschaft zu sein, ohne selber religiös zu sein? Die Stichworte dazu könnten Kindestaufe, Gewohnheit, Vermeidung gesellschaftlicher Ausgrenzung u. a. m. sein.
3. Religiöser und/oder spiritueller Mensch?
Die in der Vorbemerkung zitierte Unterscheidung zwischen Religiosität bzw. Spiritualität lässt sich empirisch belegen. Auch wenn die Fragestellung religiös konnotiert ist („… heilige und übernatürliche Dinge …“) sind die Präferenzen für eine Spiritualität vorhanden, aber nicht ausgeprägt.
Bei den EKD-Evangelischen sind ein Drittel jeweils schlicht „religiös“ oder schlicht „nicht religiös“. Bei den römischen Katholiken ist es ähnlich. Bei den Konfessionsfreien ist der Schwerpunkt eindeutig und ausschließlich „nicht-religiös“ (74 Prozent), jedoch verstehen sich 22 Prozent auch als „spirituell“ – was immer damit auch gemeint sein mag.
4. Kirchganghäufigkeit
Hinsichtlich der Kirchganghäufigkeit – zum Gottesdienst – bestätigt sich eine zu erwartende Verteilung, dass die Menschen, die einmal die Woche oder häufiger in die Kirche gehen, sich zu 93 Prozent als „religiös“ verstehen, während das Pendant derjenigen, die nie in die Kirchen, sich zu 92 Prozent als „nicht religiös“ verstehen.
5. Vertrauen in die Kirchen
Hinsichtlich des Vertrauens in Kirchen und religiöse Organisationen verhilft die Religiosität mit 70 Prozent zu „Viel Vertrauen“, während es bei den Nicht-Religiösen 83 Prozent sind, die gegenüber Kirchen und religiösen Organisationen „Gar kein Vertrauen“ haben.
6. Altersgruppen
Bei der Verteilung in den Altersgruppen besteht ein Unterschied zwischen den Älteren und den Jüngeren: „Eher religiös“ sind überdurchschnittlich die über 60-Jährigen, während die Jüngeren (18 – 44-Jährigen) überdurchschnittlich „Gar nicht religiös“ sind.
7. Alte/Neue Bundesländer, Wohnort, Alle Bundesländer
Erwartungsgemäß und hinlänglich bekannt ist der Anteil der Religiösen in den Neuen Bundesländern gering. Während in den Alten Bundesländern eine ‚Patt-Situation‘ zwischen den Religiösen und den Nicht-Religiösen besteht (41:45), ist die christliche Diasporasituation in den Neuen Bundesländern ausgeprägt (15:76).
In den Wohnortgrößen zeigt sich zwar noch ein Stadt-Land-Unterschied – in den Großstädten überwiegen die Nicht-Religiösen (36:51), auf dem Land ist es eine ‚Patt Situation‘ (43:44), aber die Unterschiede sind moderat. In der größten Einzelkategorie, den „Eher Religiösen“, ist der Unterschied überschaubar (Großstädte 25: Land 34). Der größte Anteil an Nicht-Religiösen lebt in den Vororten der Großstädte (26:63).
Bei den Bundesländern rangieren die meisten mit einer zu geringen Fallzahl der Befragten (unter 100) im ‚grauen Bereich der Zufälligkeiten‘, aber für die sechs größten Bundesländer lassen sich belastbare Feststellungen treffen.
In einer Abfolge nach dem Anteil der Religiösen rangieren zwei Bundesländer (Bayern und Rheinland-Pfalz) an der Spitze mit einer Mehrheit an Religiösen. Für alle folgenden Bundesländer (Niedersachsen, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen) dreht sich dann jedoch das Verhältnis und die Nicht-Religiösen stellen die Mehrheit.
8. Parteipräferenzen
Da in den beiden Bundesländern mit dem (abgesehen vom Saarland) höchsten Katholikenteil die Religiösen die Mehrheit stellen, ist es nicht verwunderlich, dass in den Parteipräfenzen auch für die CDU/CSU eine – wenn auch knappe – Mehrheit an Religiösen besteht.
Diese Anteile verweisen auf die Unterschiede zwischen Parteianhängern und Parteimitgliedern, da in den Studien von Otto-Stammer zur Zusammensetzung der Parteimitglieder in 2009/2012 für die Parteimitglieder der CDU/CSU 91 Prozent Kirchenmitglieder gezählt wurden, für die SPD 71 Prozent und für die Grünen 55 Prozent.
9. Fazit
Die Ergebnisse für die Religiosität in der Bevölkerung zeigt einen langsamen Wandel von einer Mehrheit der sich selbst als „religiös‘ Einschätzenden zu denen, die sich als „nicht-religiös“ verstehen.
Der hohe Anteil von nicht-religiösen Kirchenmitgliedern (EKD-Evangelische: 40 Prozent, Römische Katholiken: 33 Prozent) verdeutlicht die Oberflächlichkeit des Bezugs auf die Anzahl der Kirchenmitglieder, wenn es in Diskussionen um Fragen der Religion geht.
Auch der jeweils höchste Anteil in der religiösen Selbsteinschätzung in der Kategorie „Eher religiös“ verweist auf eine moderate Religionsidentifikation und -ausübung, was sich wiederum in der geringen Anzahl der Gottesdienstbesucher bestätigt.