Integration und Religiosität von Türkeistämmigen
90 Prozent der Türkeistämmigen in Deutschland fühlen sich wohl in Deutschland, doch mehr als die Hälfte fühlt sich sozial nicht anerkannt. Sie fühlen sich als Bürger zweiter Klasse, egal wie sehr sie sich anstrengen, dazu zu gehören. Ein Haupthindernis ist dabei die Wahrnehmung der eigenen Religion.
Mitglieder des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Universität Münster stellten in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Ergebnisse einer repräsentativen Befragung vor: „Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland“. 1.201 Zuwanderer aus der Türkei und ihre Nachkommen ab 16 Jahren wurden im Auftrag des Exzellenzclusters von TNS EMNID zwischen November 2015 und Februar 2016 befragt.
Wesentliche Erkenntnisse sind ein weit verbreitetes Gefühl mangelnder sozialer Anerkennung, eine vehemente Verteidigung des Islam, verbunden mit fundamentalistischen Haltungen, sowie eine kulturelle Selbstbehauptung vor allem in der zweiten und dritten Zuwanderer-Generation.
Gefühle einer relativen Deprivation sind – im Vergleich zur Bevölkerung im Westen Deutschlands – bei den Türkeistämmigen nicht ausgeprägter. Die Ostdeutschen fühlen sich vergleichsweise stärker benachteiligt.
Danach gefragt, was man tun sollte, um gut in Deutschland integriert zu sein, wird die deutsche Sprache (91 %), die Gesetzestreue (84 %) und gute Kontakte zu Deutschen (76 %) vorrangig genannt. Eine kulturelle Anpassung, wie „Mehr von der deutschen Kultur übernehmen“ (39 %) oder „Sich mit seiner Kleidung anpassen“ (33 %) wird nur von einer Minderheit als notwendig angesehen.
Die Hälfte der befragten Türkeistämmigen fühlt sich als „Bürger 2. Klasse“, ohne Chance als „Teil der deutschen Gesellschaft anerkennt“ zu werden. Ein Viertel fühlen sich als Angehörige einer Bevölkerungsgruppe diskriminiert.
Diese Empfindungen sind bei den Migranten der 1. Generation stärker negativ ausgeprägt als bei ihren Nachkommen, der 2./3. Generation.
Diese 2./3. Generation- also die in Deutschland geborenen oder bereits im Vorschulalter nach Deutschland gekommenen – ist in Vielem der deutschen Mehrheitsgesellschaft näher als ihre Väter und Mütter, aber im Vergleich zur 1. Generation deutlich weniger bereit, sich kulturell anzupassen und betont die Bedeutung, „selbstbewusst zu seiner eigenen Kultur, eigenen Herkunft zu stehen“.
Diese Unterschiede im Generationenvergleich von einerseits weniger, anderseits mehr, zeigt sich auch in der religiösen Praxis und Selbsteinschätzung.
Während die 1. Generation häufiger in die Moschee geht und häufiger mehrmals am Tag das persönliche Gebet verrichten als ihre Kinder, ist diese 2./3. Generation in eigener Selbsteinschätzung jedoch religiöser als ihre Eltern.
Diese Unterschiede zeigen sich sowohl bei den Frauen, wie bei den Männern. Wobei der Unterschied in der Verringerung der religiösen Praxis zwischen den Frauen-Generationen deutlicher ist, als bei den Männern.
Diese religiöse Selbsteinschätzung beinhaltet auch Haltungen, die als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar anzusehen sind.
Den Aussagen „Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe“ und „Es gibt nur eine wahre Religion“ stimmen 47 % bzw. 50 % der Befragten zu.
Auch wenn diese Auffassungen in der 2./3. Generation weniger Zustimmung findet (36 bzw. 46 %), so sind es auch bei ihnen mehr als ein Drittel, die religiöse Gebote über die Verfassung stellen.
In gleichen Größenordnungen bewegen sich auch die Zustimmungen zu den Aussagen, dass Muslime die Rückkehr zu den Zuständen wie zu Zeiten Mohammeds anstreben sollten (36 %) bzw. „Nur der Islam ist in der Lage, die Probleme unserer Zeit zu lösen“ (40 %).
Zu den „religiösen Fundamentalisten“ (Zustimmung zu allen vier Aussagen) zählen in der 1. Generation 18 % der Befragten, in der 2./3. Generation 9 %, also jeder Zehnte. Das sind 13 % aller Türkeistämmigen oder umgerechnet auf die Zahl der Muslime in Deutschland rund 500.00 Mitbürger.
Von jedem Fünften wird der Aussage zugestimmt: „Die Bedrohung des Islam durch die westliche Welt rechtfertigt, dass Muslime sich mit Gewalt verteidigen“ und 7 % stimmen zu: „Gewalt ist gerechtfertigt, wenn es um die Verbreitung und Durchsetzung des Islam geht.“
Die Anzahl derjenigen, die ihren muslimischen Glauben besonders streng leben, verringert sich zwar in der 2./3. Generation, bleibt aber auch dort beträchtlich (18 bzw. 27 %). Beide Auffassungen finden jedoch insgesamt keine Mehrheit. Ebenso wie nur jede dritte muslimische Frau ein Kopftuch trägt, von den Kindern und Enkelinnen nur noch jede fünfte Frau.
Die Verteidigung der eigenen religiösen Zugehörigkeit findet dabei große Unterstützung.
Die Auffassung der Mehrheit der Türkeistämmigen: „Der Islam passt durchaus in die westliche Welt“ (61 % Zustimmung) steht dabei im Widerspruch zur Mehrheitsgesellschaft, die das (wie es in einer anderen Umfrage festgestellt wurde) zu 73 % verneint.
Dieser Unterschied wird auch in den Assoziationen zum Islam / zum Christentum deutlich, bei denen allerdings die Gesamtbevölkerung Deutschlands einseitig negativ bewertet.
Während die Assoziationen zum Christentum in den positiven wie negativen Aspekten bei den Türkeistämmigen wie in der Gesamtbevölkerung Deutschlands recht ähnlich sind, stellen sich die Assoziationen zum Islam extrem gegenteilig unterschiedlich dar.