Dreiviertel aller Berliner haben eine säkulare Lebensauffassung
Das Meinungsforschungsinstitut EMNID hat im Auftrag des Humanistischen Verbandes Deutschlands, Landesverband Berlin-Brandenburg, der Humanismus Stiftung Berlin, sowie der Giordano-Bruno-Stiftung für ihre Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) sowie Herrn Thomas Heinrichs im März/April 2016 eine Umfrage durchgeführt, die sich speziell und repräsentativ auf Berlin bezog.
Von Carsten Frerk.
In Abstimmung mit EMNID gingen sechs Fragen ins Feld:
- Darf ich Sie fragen, welcher Religionsgemeinschaft Sie angehören?
Nur an Konfessionslose: - Haben Sie sich schon einmal benachteiligt gefühlt, weil Sie keiner Religionsgemeinschaft angehören?“
An alle Befragten: - Inwieweit trifft die folgende Lebensauffassung auf Sie persönlich zu: „Ich führe ein selbstbestimmtes Leben, das auf ethischen und moralischen Grundüberzeugungen beruht und frei ist von Religion und Glauben an einen Gott.“
- Es gibt für die Vertretung nicht-religiöser Interessen eigene Organisationen, wie z. B. den Humanistischen Verband Deutschlands HVD. Fühlen Sie sich durch solche Organisationen politisch vertreten?
- Nicht-religiöse Organisationen und Verbände bieten z. B. mit Kindertagesstätten, Beratungsstellen und lebensbegleitenden Feierangeboten eine breite Palette an kulturellen und sozialen Dienstleistungen an. Könnten Sie sich vorstellen, solche Organisationen als Mitglied, durch Spenden oder ehrenamtliche Tätigkeit zu unterstützen?
- In Berlin gibt es ca. 60 Prozent konfessionsfreie Menschen – Haben Sie das Gefühl, dass über diese große Gruppe weltanschaulich Andersdenkender in den Medien und in der Politik hier in Berlin angemessen berichtet wird?
Die ersten drei Fragen sind gleichsam eine ‚Binnenschau’, während die Fragen 4 bis 6 vorrangig die Beziehung und die Wahrnehmung säkularer Organisationen durch Gesellschaft und Politik thematisieren.
Aus den Ergebnissen lässt sich eine ganze Anzahl von Beschreibungen hinsichtlich der weltanschaulichen Einstellungen formulieren – nicht nur für Konfessionslose sondern auch für die Kirchenmitglieder in Berlin.
Da die Daten uns nicht zur Verfügung stehen, waren weitere analytische Zugänge nicht möglich.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die 1.000 Befragten hinsichtlich ihrer demografischen Merkmale mit der amtlichen Statistik weitestgehend übereinstimmen.
Als Ergänzung - für Vergleiche und Veränderungen - werde ich gelegentlich aus drei Vorgänger-Studien zitieren, die einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung in Deutschland darstellen: Erstens die HVD-Akzeptanz-Studie 2004 (durchgeführt vom Institut für Demoskopie Allensbach, als Teil einer Mehrthemenumfrage unter 2033 Personen), zweitens aus einer nationalen forsa-Umfrage 2007 zu Lebensauffassungen (mit 1.003 Befragten) und drittens der HVD-Akzeptanz-Studie 2014 (durchgeführt von EMNID, als Teil einer Mehrthemenumfrage unter 1.002 Befragten).
1. Religionsgemeinschaft?
Nach den Ergebnissen der EMNID-Studie sind von den Befragten in Berlin
- 61 Prozent Konfessionslose
- 21 Prozent Evangelische (Landeskirche und Freikirchen)
- 9 Prozent Katholiken
- 2 Prozent Mitglieder einer anderen christlichen Religionsgemeinschaft
- 5 Prozent Mitglieder einer nicht-christlichen Religionsgemeinschaft
- 2 Prozent machten dazu keine Angabe
Das sind Größenordnungen, wie sie z. B. auch aus anderen Großstädten wie Hamburg bekannt sind: Eine konfessionsfreie Mehrheit von rund 60 Prozent und rund 30 Prozent Christen sowie fünf Prozent anderer Nicht-Christen, anzunehmen vornehmlich Muslime.
Dabei sind die Anteile der Größenordnungen seit 2003 vergleichsweise stabil geblieben.
Hier Anteile für 2003 und hier für 2016:
2003 waren 59 Prozent der Berliner Bevölkerung konfessionslos, 22 Prozent evangelisch und 9 Prozent römisch-katholisch. Der kleine Zuwachs des Anteils der Konfessionsfreien (um 2 Prozentpunkte) ist vorwiegend auf den Rückgang des evangelischen Anteils zurückzuführen. Aber, das ist eine grundsätzliche Feststellung, die Anteile verändern sich nur sehr langsam.
Der große Rückgang des Anteils der Evangelischen findet dabei zwischen 1987 und 2003 statt:
1987 stellen die evangelischen Kirchenmitglieder in West-Berlin nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung. In den folgenden Jahren, bis 2003, halbiert sich dieser Anteil.
Dass diese Veränderungen sich nicht vorrangig durch die Deutsche Einheit 1989 erklären lassen, das zeigt der Anstieg der anderen Religionsgemeinschaften und Konfessionslosen, der 1987 in West-Berlin bereits auf 38,9 Prozent angestiegen war – eine Entwicklung, die eine Parallele in Hamburg hat. In West-Berlin lassen sich von der mehr als Verdoppelung dieser Gruppe durch die Zuwanderung von Muslimen rund 5 Prozentpunkte erklären, die weiteren 17 Prozentpunkte verweisen eher auf die Kirchenaustrittswelle Mitte der 1970er Jahre.
Der Prozentanteil der Evangelischen in Berlin in der aktuellen Umfrage 2016 ist dabei gegenüber der amtlichen Statistik (17 Prozent EKD) um zwei Prozentpunkte leicht überhöht.
Hinsichtlich der 9 Prozent Katholiken sind es in der Umfrage 93 Befragte, was den weiteren Merkmalsverteilungen diese Gruppe enge Grenzen der Differenzierung setzt.
1.1. Ost-West-Verteilung
Hinsichtlich der Verteilungen nach den früheren Zuordnungen West-Berlin bzw. Ost-Berlin sind die Unterschiede zwar zu benennen, sie fallen aber bei den Konfessionsfreien weniger gravierend aus, als vielleicht angenommen:
- Der Anteil der christlichen Kirchenmitglieder ist im Osten geringer. (Evangelisch: 11 zu 6 Prozent, Katholiken: 23 zu 17 Prozent-Anteil). Aber von allen Evangelischen leben zwei Drittel der Mitglieder (66 zu 34) in den westlichen Stadtbezirken, ebenso wie mehr als zwei Drittel der Katholiken (72 zu 38).
- Die Konfessionslosen sind in den östlichen Stadtbezirken anteilig etwas stärker (58 zu 65) vertreten.
- In den 27 Jahren, die seit der Einheit Deutschlands vergangen sind, haben sich also die Ost-West-Unterschiede etwas verringert. Bekanntestes Beispiel ist der Prenzlauer Berg, ein Stadtbezirk im Ostteil Berlins, der bevorzugtes Zuzugsgebiet für jüngere Westdeutsche war.
- Andererseits wäre die Darstellung, dass die Konfessionsfreien eher „im Osten“ Berlins leben, nicht richtig. Ihr Anteil ist dort zwar etwas größer als in den Westbezirken, da aber die Westbezirke rund 60 Prozent der Berliner Bevölkerung stellen, leben von der Gesamtzahl der Berliner Konfessionsfreien auch mehr in den Westbezirken der Stadt (57 zu 43) als im Osten.
- Insofern ist die Ost-West-Verteilung bei den Konfessionsfreien weniger ausgeprägt als bei den Kirchenmitgliedern.
1.2.Geschlechtsspezifisches
Diese Unterschiede zwischen christlichen Kirchenmitgliedern und Konfessionsfreien zeigt sich auch bei dem Aspekt ob die Mehrheit der jeweiligen Gruppe Frauen oder Männer sind.
- Bei den Evangelischen sind es mehrheitlich Frauen (61 zu 39), was bei den Katholiken noch ausgeprägter ist (68 Frauen zu 32 Männern).
- Im Unterschied dazu sind es bei den Konfessionsfreien etwas mehr Männer als Frauen (53 zu 47).
- Wiederum sind die Unterschiede bei den Konfessionsfreien weniger ausgeprägt als bei den Religiösen.
1.3. Altersaufbau
Im Vergleich zu den Anteilen der Altersgruppen in der Bevölkerung sind die Altersgruppen bei den Katholiken und den Konfessionsfreien unauffällig, d. h. bis auf geringe Unterschiede in etwa parallel zur Gesamtverteilung.
Davon zu unterscheiden sind die Evangelischen, deren Anteil in der jüngsten Befragtengruppe (der 14 – 29-Jährigen) deutlich geringer ist und bei denen der Anteil der Älteren (60 Jahre und älter) deutlich größer ist. Das Stichwort dazu lautet: „Überalterung“. Nicht nur, was den Anteil der Älteren betrifft, sondern auch der vergleichsweise geringere ‚Nachwuchs’ unter den Mitgliedern.
1.4. Schulbildung
Einen ähnlichen Unterschied gibt es auch bei der Schulbildung. Während bei den Katholiken und den Konfessionsfreien 79 bzw. 82 Prozent einen Mittleren und höheren Bildungsabschluss haben, sind es bei den Evangelischen nur rund 60 Prozent.
1.5. Berufstätigkeit
Hinsichtlich der Frage der Berufstätigkeit gibt es zwischen Konfessionsfreien (61 Prozent berufstätig) und Katholiken (54 Prozent berufstätig) einen deutlichen Unterschied zu den Evangelischen, von denen nur 44 Prozent berufstätig sind.
2. „Benachteiligung“
Nur an Konfessionslose:
„Haben Sie sich schon einmal benachteiligt gefühlt, weil Sie keiner Religionsgemeinschaft angehören?“
Die Frage ist ohne zeitliche Begrenzung gestellt und es geht dabei nicht um strukturelle oder formale Benachteiligungen – wie die Kirchenmitgliedschaft als Voraussetzung einer Bewerbung bei der Caritas oder der Diakonie – sondern um die subjektive Empfindung einer Benachteiligung als Konfessionsfreier.
Fünf Prozent der befragten Konfessionsfreien, das sind 30 Personen, beantworten diese Frage mit „Ja. ich habe mich schon einmal benachteiligt gefühlt.“
Diese geringe Zahl lässt keine belastbaren Differenzierungen zu. 23 der Gruppe der sich Benachteiligt-Gefühlten leben in den westlichen Stadtbezirken, 15 sind in der jüngsten Altersgruppe der 14-29-Jährigen und 24 haben ein Abitur oder sind Akademiker.
Aber es lässt sich doch eine Hypothese formulieren: In den Westbezirken Berlins, in denen es mehr kirchliche Einrichtungen als im Osten gibt, empfinden jüngere Konfessionsfreie mit Abitur bzw. Studium eher eine Benachteilung aufgrund ihrer Konfessionslosigkeit als in den östlichen Stadtbezirken.
Diese Hypothese verweist dabei auf die Erfahrungen, die Säkulare in Berlin machten, als sie im Rahmen der „GerDiA-Kampagne“ (Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz) Info-Stände aufbauten und erlebten, dass sie überwiegend als Christen wahrgenommen wurden, die sich in einem säkularen Umfeld als Christen diskriminiert fühlten.
3. „Lebensauffassung“
An alle Befragten:
„Inwieweit trifft die folgende Lebensauffassung auf Sie persönlich zu: „Ich führe ein selbstbestimmtes Leben, das auf ethischen und moralischen Grundüberzeugungen beruht und frei ist von Religion und Glauben an einen Gott.“
Die Elemente dieser Lebensauffassung benennen die wesentlichen Prinzipien eines „säkularen Humanismus“. konkret des Humanistischen Verband Deutschlands (HVD).
Geht man davon aus, dass die wesentlichen Facetten am Schluss der Frage stehen, so sind die Befragten, die dieser selbstbestimmten Lebensauffassung zustimmen, die „Religionsfreien“ bzw. die „Gottlosen“.
Die Befragten konnten in vier Varianten antworten (1) trifft voll und ganz zu (2) trifft eher zu (3) trifft eher nicht zu (4) trifft überhaupt nicht zu.
Bei einer konfessionsfreien Mehrheit in Berlin von 61 Prozent der Bevölkerung ist die Erwartung nahe liegend, dass die Zustimmung in den beiden „Top-Two“ (trifft voll und ganz zu / trifft eher zu) auch die Mehrheit haben wird. Überraschend ist dann jedoch, dass diese Zustimmung mit 74 Prozent deutlich höher ausfällt, als es zu erwarten gewesen wäre.
Woher stammen also diese 13 Prozent mehr an Zustimmung? Wie viele der Kirchenmitglieder teilen diese säkulare Lebensauffassung bzw. sind alle Konfessionsfreie auch säkular? Die Antworten auf diese Fragen zeigen, dass diese formalen Zuordnungen differenziert werden müssen.
3.1. „Religionsfreie/Gottlose“ nach Religionszugehörigkeit 2016 in Berlin
Es zeigt sich, dass in der Umfrage 2016, wie erwartet, 85 Prozent der Konfessionsfreien dieser Lebensauffassung „voll und ganz“ bzw. „eher“ zustimmen. Allerdings befinden sich auch die Mehrheit der Katholiken (57 Prozent) und die der evangelischen Kirchenmitglieder (64 Prozent) ebenfalls in dieser Gruppe einer kompletten oder eher säkularen Lebensauffassung.
Mit anderen Worten, in allen drei „Konfessionen“ sind die vorrangig säkularen Lebensauffassungen in Berlin die Mehrheitsposition, auch bei den beiden großen christlichen Religionsgemeinschaften.
Bei den kleineren christlichen und nicht-christlichen Religionsgemeinschaften in Berlin, die aufgrund ihrer geringen Anteile nicht in die Auswertung einbezogen wurde, trifft das jedoch so nicht zu – dort gibt es keine säkularen Mehrheiten.
Grafisch dargestellt: „Ich führe ein selbstbestimmtes Leben, das auf ethischen und moralischen Grundüberzeugungen beruht und frei ist von Religion und Glauben an einen Gott.“
Fasst man die beiden „Top-Two“ nicht zusammen, sondern fragt man sich, wie breit die „Mitte“ und die „Ränder“ sind, so zeigen sich die Unterschiede noch prägnanter (in %):
Wie auch schon bei anderen Aspekten sind die Konfessionsfreien auch in dieser Frage die homogenste Gruppe.
Bei den Katholiken stehen sich zwei gleich große Gruppen ‚an den Rändern’ gegenüber und in der „Mitte“ sind es beinahe zwei Drittel der Katholiken, die sich weder als „voll säkular“ noch als „überhaupt nicht säkular“ verstehen. Eine Verteilung, die derjenigen bei den evangelischen Kirchenmitgliedern ähnelt, bei denen sich allerdings ein Viertel der Mitglieder als „voll und ganz säkular“ bzw. als „Religionsfrei“/“Gottlos“ verstehen.
Damit bestätigen sich auch für Berlin die nationalen Befunde, dass die formalen Nicht – bzw. Kirchenmitgliedschaften nicht mit einer inhaltlichen Weltanschauung bzw. einer Glaubensüberzeugung parallel gehen:
Bezogen auf die einzelnen Gruppen der Zustimmung bzw. Ablehnung einer säkularen Lebensauffassung sind die Anteile der Kirchenmitglieder entsprechend geringer, das die Konfessionslosen alle Gruppen dominieren, auch die Gruppe, die einer säkularen Lebensauffassung überhaupt nicht zustimmt:
3.2. „Religionsfreie/Gottlose“ nach Religionszugehörigkeit 2004 und 2014 (national)
Bereits in seinen Akzeptanz-Studien 2004 und 2014 hatte der HVD nach der Zustimmung für seine säkulare Lebensauffassung gefragt.
2004, bei der schriftlichen Allensbach-Befragung, wurde den Befragten dabei die folgende Karte vorgelegt – sie enthält noch ein weiteres Kriterium:
Das war insofern eine abgemildertere Form der Lebensauffassung, da die „Religionsfreiheit“/“Gottlosigkeit“ noch auf der ausdrücklichen Basis eines Respekts und Toleranz vor anderen Lebensauffassungen erfolgte. Was der Auffassung des HVD damals wie heute entspricht. jedoch in dem nachfolgenden Umfragen nicht mehr formuliert wurde.
Die Zustimmung war 2004 bereits hoch.
Die Zustimmung der „Top Two“ liegt 2004 in Gesamtdeutschland bei 49 Prozent, davon 46 der Westdeutschen und 60 Prozent der Ostdeutschen. Berlin weicht dabei in doppelter Hinsicht ab: Zum einen ist der Anteil der „Top Two“ in Berlin 57 Prozent und mit 58 Prozent in den westlichen Statteilen höher als in den östlichen Stadtteilen (mit 55 Prozent).
Das kann jetzt aber nicht weiter vertieft werden, da die Anzahl der Berliner in einer nationalen Umfrage (mit 111 Befragten) zu gering ist, um belastbare Verteilungen zu erhalten.
Diese Säkularisierung in der Bevölkerung schreitet Jahr um Jahr weiter voran.
2007, in einer nationalen Forsa-Umfrage, stimmen bereits 56 Prozent einem „selbstbestimmten Leben, frei von Religion und einem Glauben an Gott“ zu:
2014, in einer nationalen EMNID-Umfrage, sind es bereits 64 Prozent der Bevölkerung, wobei auffällt, dass die „volle und ganze“ Zustimmung von 21 Prozent auf 29 Prozent steigt :
2016, in Berlin, sind es dann 74 Prozent komplette bzw. überwiegende Zustimmung - gegenüber den 57 Prozent aus der Allensbach-Umfrage von 2004.
3.3. Glauben an Gott und Religionszugehörigkeit
Diese Ergebnisse zeigen ein konstantes Phänomen, dass die formale Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft kein Indiz für einen persönlichen Glauben an „Gott“ darstellt.
Dabei wird zugrunde gelegt, dass die „Gottesfrage“, ein wesentliches Trennkriterium darstellt, auch bei der bisher dargestellten „Lebensauffassung“.
Dieser Sachverhalt lässt sich schon 2002 belegen.
Für die ALLBUS-Studie 2002 wurde national repräsentativ gefragt: „Ich möchte noch einmal zum Glauben an Gott zurückkommen. Welche der folgenden Aussagen kommt Ihren Überzeugungen am nächsten?“ (Vorlage einer Liste mit vier Aussagen.)
Der Aussage, an einen „persönlichen Gott“ zu glauben, stimmen 25 Prozent der Befragten zu („Gottgläubige“) - ebenso viele Befragte (26 Prozent) bekennen das Gegenteil „Ich glaube nicht, dass es einen persönlichen Gott, irgendein höheres Wesen oder eine geistige Macht gibt.“ („Atheisten“)
Die größte Gruppe (34 Prozent der Befragten) stimmt der Auffassung zu, dass es „irgendein höheres Wesen oder eine geistige Macht“ gibt („Transzendenzgläubige“) und 15 Prozent sagen: „Ich weiß nicht richtig, was ich glauben soll.“ („Unentschiedene“).
Eine derartige Unterscheidung würde die Mentalität religiöser Orientierung vermutlich besser beschreiben, als die formale Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft.
Grafisch dargestellt verdeutlicht es, dass die verschiedenen Gottesvorstellungen sich quer durch alle formalen Glaubens-Gruppen ziehen:
Setzt man diese Verteilungen in eine Übersichtsgrafik um, so zeigt sich, dass die Angabe einer Kirchenmitgliedschaft bzw. einer Konfessionslosigkeit, noch am ehesten bei den Konfessionslosen Rückschlüsse zulässt, aber auch dort nur bedingt:
Wiederum ist die größere Homogenität bei den Konfessionslosen deutlicher – abgesehen von den kleineren Religionsgemeinschaften, die mehrheitlich einen Gottesbezug vertreten.
Diese Darstellung lässt sich nun auch die Berliner Situation 2016 übertragen, in dem man die Anteile in den verschiedensten Gruppen der Zustimmung bzw. der Ablehnung eines „selbstbestimmten Lebens auf ethischen Grundlagen ohne Religion und Gott“ nach Konfessionen organisiert:
Es mag an meiner Unkenntnis der Literatur liegen, aber mir sind bisher keine Studien bekannt, die diese Aspekte der Unterschiede zwischen formalen Mitgliedschaften bzw. formalen Nicht-Zugehörigkeiten und inhaltlichen, subjektiven Überzeugungen thematisiert hätte.
Eine Religionspolitik, die diesen Namen verdient, sollte m. E. über die formalen Mitgliedschaften hinaus, die Menschen und ihre Glaubensvorstellungen in den Blick bekommen.
4. Politische Vertretung / Berichterstattung?
Die beiden Fragen Nr.4 und Nr. 6 stehen m. E. in einem Zusammenhang:
4. „Es gibt für die Vertretung nicht-religiöser Interessen eigene Organisationen, wie z. B. den Humanistischen Verband Deutschlands HVD. Fühlen Sie sich durch solche Organisationen politisch vertreten?“
6. „In Berlin gibt es ca. 60 Prozent konfessionsfreie Menschen – Haben Sie das Gefühl, dass über diese große Gruppe weltanschaulich Andersdenkender in den Medien und in der Politik hier in Berlin angemessen berichtet wird?“
Auffallend ist auf den ersten Blick, dass bei diesen beiden Fragen der Anteil der Befragten, die mit einem „Weiß nicht / Keine Angabe“ antworten von ‚üblichen’ 3 Prozent auf 14 bzw. 16 Prozent ansteigt.
Hinsichtlich der Frage 4 („Politische Vertretung“) beantworten nur 6 Prozent der Befragten mit „Ja“, das sind 60 Personen – wozu sich jede weitere Differenzierung aufgrund der kleinen Fallzahlen verbietet. Zudem gib es keine gravierenden Unterschiede in den demografischen Merkmalen.
Insofern der Humanistische Verband, als der mit Abstand größte säkulare Verband in Berlin, wünscht, dass seine politikbezogene Arbeit eine größere Öffentlichkeit erreichen soll, ist da noch ‚viel Luft nach oben’.
Frage 6 spricht an, ob über Konfessionsfreie in Medien und in der Politik angemessen berichtet wird. 30 Prozent der Befragte antworten mit „Ja“, 54 Prozent mit „Nein“.
Da diese Frage auch direkt mit der individuellen Mediennutzung verbunden ist – welche(r) der Befragten sieht, liest, nutzt welches Medium – wären Hinweise, um die höheren „Ja“-Antworten bei Befragten mit höherem Bildungsabschluss als eine Tür zu weiteren Untersuchungen zu verwenden.
5. Unterstützung nicht-religiöser Organisationen und Verbände
„Nicht-religiöse Organisationen und Verbände bieten z.B. mit Kindertagesstätten, Beratungsstellen und lebensbegleitenden Feierangeboten eine breite Palette an kulturellen und sozialen Dienstleistungen an. Könnten Sie sich vorstellen, solche Organisationen als Mitglied, durch Spenden oder ehrenamtliche Tätigkeit zu unterstützen?
41 Prozent der Berliner erklären sich zu einer Unterstützung nicht-religiöser Verbände bereit.
Kirchenmitglieder zeigen dabei eine höhere Bereitschaft, sich gesellschaftlich einzubringen bzw. einzumischen, auch für nicht-religiöse Organisationen, wenn es um kulturelle und soziale Dienstleistungen geht.
Allerdings wissen wir mittlerweile auch etwas über die Säkularen unter den Kirchenmitgliedern und eine Betrachtung, wie viele der Unterstützer den Konfessionen zugeordnete sind, verweist auf den dominierenden Anteil Konfessionslosen:
Unterstützung nicht-religiöser Organisationen und Verbände? Ja.
Konfession
kathol. evgl. keine Total
13 24 63 100 %
In der aufwendigen Akzeptanz-Studie des HVD vom Institut für Demoskopie Allensbach (2004) war festgestellt worden, dass eine Unterstützung überhaupt die Kenntnis dessen voraussetzt, wofür diese nicht-religiösen Organisationen stehen.
Das Ifd Allensbach schreibt dazu:
Inwieweit die Befragten in Berlin durch die ebenfalls der Frage 5 vorangestellten Fragen nach der Lebensauffassung einen „ähnlichen Informationsgrad“ bekommen hatten wie in dieser Studie, das sei dahingestellt.
Geht man jedoch von diesen 41 Prozent bereitwilligen Unterstützern aus, so sind das - bezogen auf die 2,98 Millionen der Bevölkerung Berlins der über 14-jährigen – rund 1,2 Millionen Berliner, die ein zu aktivierendes Potential vor allem für den Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg darstellen.
Dabei sind es überdurchschnittlich die Jüngeren (14 bis 29 Jahre = 51 Prozent, 30 bis 39 Jahre = 50 Prozent) und die Personen mit höheren Bildungsabschlüssen Abitur bzw. Universität (51 Prozent).
Und es sind, was allerdings nur auf den ersten Blick überraschend erscheint, auch Kirchenmitglieder, die zu dieser Unterstützung eher bereit sind.
49 Prozent der Katholiken, 42 Prozent der Evangelischen und 38 Prozent der Konfessionslosen sind bereit nicht-religiöse Verbände bei kulturellen und sozialen Dienstleistungen zu unterstützen.
Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zum Einen, wie bereits geschildert, hinreichend Säkulare unter den Kirchenmitgliedern gibt, und, zum Anderen, die Konfessionslosen die Mehrheit bilden, auch bei den UnterstützerInnen des HVD. in dieser Unterstützungs-Gruppe befinden sich 13 Prozent Katholiken, 24 Prozent evangelische Kirchenmitglieder und 63 Prozent Konfessionslose.
Ich werde mich nun jetzt nicht in verbandsinterne Diskussionen einmischen, ob, wie, wozu und mit welchem Aufwand dieses Potential zu aktivieren sein könnte.
Ich sehe es eher als Information für die Parteien und die Politik, dass es in Berlin mehr als eine Million Bürger als Wahlberechtigte gibt, die für Themen der Selbstbestimmtheit auf ethischen Grundlagen sowie ein Leben ohne Religion und ohne Gott aktivierend ansprechbar sind.
Fazit:
1. Auch dieser Befund verdeutlicht, dass die religiöse Landschaft Berlins anders beschrieben werden müsste, als mit formalen Zugehörigkeiten.
2. Die Umfrage zeigt, dass sich die Berliner Bevölkerung in ihrer Lebensauffassung aus drei Gruppen zusammensetzt: 1,3 Mio. „Religionsfreien/Gottlosen“, 1,3 Mio. „Zweiflern“ und 360.000 „Religiösen/Gottgläubigen“.
3. Betrachtet man die Berliner Religionspolitik, so findet das dort, meines Erachtens, bisher keine entsprechende, sichtbare Resonanz.