ARD - Themenwoche "Land ohne Glauben"
Die Darstellung „Land ohne Glauben“ in der ARD-Themenwoche „Woran glaubst du?“ ist aus der Sicht des Statistik-Beobachters eine unqualifizierte Polemik und der vorsätzliche und unwissenschaftliche, d. h. unseriöse Einsatz von Statistiken im Versuch, Konfessionsfreie in den östlichen Bundesländern und damit in ganz Deutschland zu diffamieren. Das ist selten aber wahr.
Ein Kommentar von Carsten Frerk.
Die ARD hat zur Vorbereitung und Begleitung der Themenwoche „Woran glaubst du?“ (vom 11.-17. Juni 2017) auf ihrer Internetpräsenz unter der Überschrift Datenprojekt „Land ohne Glauben?“ - eine Bestandsaufnahme / Bindung an Kirche Vergleiche dargestellt, in denen ostdeutsche Städte und Kreise mit westdeutschen Städten und Kreisen hinsichtlich einer Reihe von ökonomischen und sozialen Merkmalsverteilungen verglichen werden.
Diese Darstellungen sind in mehrfacher Hinsicht inakzeptabel.
1. Es wird weder die verantwortliche Redaktion genannt, noch die Namen der Redakteure. Die zugrundeliegende Dokumentation sei in Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig entstanden - keine Fakultät, kein Lehrstuhl, es bleibt anonym. Damit zeichnen der MDR und die ARD die Verantwortung.
2. In einer ersten Übersicht zu den Anteilen der Konfessionsfreien wird die grafische Darstellung ‚auf den Kopf gestellt‘, da die mehrheitlichen Anteile blass dargestellt werden, die geringeren Anteile kräftiger in den Farben je kleiner sie werden.
Das widerspricht jeglicher Form der grafischen Darstellung von unterschiedlichen Anteilen.
Das ist insofern bemerkenswert, da die entsprechenden Grafiken zu den Anteilen der evangelischen sowie katholischen Kirchenmitglieder genau umgekehrt und korrekt erfolgt: Je höher der Anteil, desto dunkler ist die Einfärbung.
3. Die weitere Darstellung folgt einer Hypothese, die lautet: „Die Vergleiche zwischen einzelnen Städten und Kreisen bieten deutliche Hinweise auf die gefragten Zusammenhänge. Exemplarisch werden im Folgenden jeweils zwei Regionen verglichen, die in ihrer Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur sowie, abgesehen von der deutschen Teilung, auch in ihrer Geschichte viele Gemeinsamkeiten teilen. Doch im Anteil der Konfessionslosen liegen sie jeweils weit auseinander - und damit auch in vielen anderen vergleichbaren Aspekten des sozialen Verhaltens.“
Damit wird allerdings behauptet, dass die formalen Kirchenmitgliedschaften oder Nicht-Kirchenmitgliedschaften auch inhaltlich etwas über die Religiosität eines Menschen aussagen - was hinlänglich als zu vereinfachend widerlegt ist.
4. Um diese Hypothese zu belegen, werden fünf Ost-West-Vergleiche dargestellt, bei der die Auswahl der Städte und Regionen hinsichtlich der Vergleichbarkeit nicht nachvollziehbar ist. Der Vogtlandkreis (Ost) und Hof (West) werden verglichen, da sie benachbart sind. Es wird übergangen, dass Hof zu Oberfranken in Bayern gehört, der Vogtlandkreis zu Sachsen, mit jeweils unterschiedlichen Traditionen und Rahmenbedingungen -, Hof bekam u. a. eine ökonomische Zonenrandförderung, der Vogtlandkreis nicht, der Vogtlandkreis lebt vom Bäderwesen, Musikinstrumentebau und Tourismus, der Landkreis Hof hat eine überdurchschnittliche Industriedichte (Textil und Maschinenbau), etc. etc.
Nebeneinander gestellt werden dann „Konfessionslose in Prozent / SGB-II-Quote / Schwangere Teenager (je 1.000 Frauen im Teenageralter) / Uneheliche Geburten / Frauen-Beschäftigungsquote in Prozent / Schulabgänger ohne Schulabschluss / Freiwilliges Engagement / Lebenserwartung Frauen / Lebenserwartung Männer / Suizidrate (Bundesland, je 100.000 Einwohner)“.
Das Ganze macht nur einen Sinn, wenn man den ausgewählten Merkmalen die gemeinten Bezüge unterlegt - wofür der verwendete Begriff der „unehelichen Geburten“ spricht, was heute sachlich korrekt „nicht-eheliche Geburten“ heißt. Die gemeinten Bezüge lauten wohl eher: Konfessionslose sind fauler / unsittlicher / unmoralischer / lassen die Frauen mehr arbeiten / fördern ihre Kinder nicht / etc.“
Eine Sichtweise christlicher Theologen, die im 19. Jahrhundert das Massenelend der Frühindustrialisierung auf den Glaubensabfall der Werktätigen zurückführten und mit der „Inneren Mission“ (heute Diakonisches Werk) die Menschen zum Glauben und damit zu besseren Lebensverhältnissen zurückführen wollten.
Die genannten Merkmale sind eine willkürliche und eigenwillige Auswahl, denen anscheinend eine „gut - schlecht“ Sichtweise unterlegt ist und die den gleichen Sinn macht, als hätte man auch noch die Haarfarben oder die Schuhgrößen erfasst, bei denen dann die Konfessionsfreien auf ‚kleineren Füßen‘ leben.
So heißt es zum Vergleich Vogtlandkreis / Hof: „Der Vogtlandkreis in Sachsen und der benachbarte Kreis Hof in Bayern bilden zu großen Teilen die historisch gewachsene Region Vogtland ab, die von 1945 bis 1990 politisch geteilt war. Nirgendwo sonst in Deutschland werden die Unterschiede zwischen einer eher konfessionslosen Bevölkerung auf der einen und einer eher kirchennahen auf der anderen Seite so deutlich wir hier.“
Die Statistiken sollen (so im ARD-Text) „Korrelationen“ darstellen, Unterschiede zwischen Konfessionsfreien sowie Nicht-Christen und christlichen Kirchenmitgliedern.
Korrekt bedeutet Korrelation die Messung der „Stärke einer statistischen Beziehung von zwei Variablen zueinander. Bei einer positiven Korrelation gilt ‚je mehr Variable A… desto mehr Variable B‘ bzw. umgekehrt, bei einer negativen Korrelation ‚je mehr Variable A… desto weniger Variable B‘ bzw. umgekehrt.“ Das wird normalerweise mit einem Korrelationskoeffezienten ausgedrückt. Das geschieht jedoch in den ARD-Vergleichen nicht, dort werden schlicht jeweilige Gesamtdaten nebeneinander gestellt und explizit behauptet, dass zwischen dem Anteil der Konfessionslosen und dem einzelnen Merkmal ein Wirkungszusammenhang besteht.
Das ist von der ARD in keinem einzigen Merkmal empirisch genauer belegt - und lässt sich so auch nicht belegen. Eine der ursprünglichen Faktoren dürfte die frühe Ost-West-Trennung sein, die sowohl auf soziale Einstellungen und auf Religiosität gewirkt hat. Insofern ist der Grad der Religiosität keine Ursache, sondern ebenfalls eine abhängige Variable und ein behaupteter Ursache-Wirkung-Zusammenhang ein schlichter ökologischer Fehlschluss, da falsche Rückschlüsse aus Aggregatdaten gezogen werden.
Löst man die Gegenüberstellung von jeweils zwei Ost-West-Städten bzw. Kreisen auf und ordnet alle zehn Gebiete in der Reihenfolge des Anteils der Konfessionsfreien und Andersgläubigen an (von links nach rechts ansteigend), so zeigt sich bereits auf den ersten Blick, dass bereits auf dieser deskriptiven Ebene keine parallelen Anteile der Merkmale bestehen.
Keine einzige der dargestellten Merkmalsreihen folgt dem Anteil der Konfessionsfreien. Nur in einer einzigen Merkmalsreihe, den „nicht-ehelichen Geburten“, gibt es einen Ost-West-Unterschied, da in den östlichen Bundesländern die gemeinsame Kindererziehung nicht mehr automatisch mit dem christlichen Familienbild von Heirat verbunden ist. Ein Trend, der bei den Kirchenmitgliedern im Westen - zwar auf flacherem Nievau - aber ebenfalls feststellbar ist. Alle anderen Merkmale haben kein durchgehendes Ost-West-Muster. So ist, als Beispiel, im Vogtlandkreis (Ost) nicht nur die Frauen-Beschäftigungsquote am höchsten, sondern ebenfalls die Lebenserwartung der Frauen.