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Ein Drittel der Ärzte für Sterbehilfe

ärztliche Hilfe bei Suizid

In Deutschland wird niemand vom Gesetz belangt, wenn er einem Menschen dabei behilflich ist, sein Leben zu beenden. Ärzte unterliegen hier aber einer Sonderregel, die im Standesrecht festgeschrieben ist. Die Vorschriften gestatten es Medizinern auch nicht, Sterbehilfe zu leisten. Die Bundesärztekammer hat im Sommer 2011 ihre Berufsordnung sogar verschärft, indem sie festlegte: "Es ist [den Ärzten] verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.”

Nach der sogenannten Garantenpflicht müssen Ärzte einen Suizidkandidaten in jedem Fall zu retten versuchen. Sie machen sich sonst der unterlassenen Hilfeleistung schuldig.
Anfang 2011 hat die Bundesärztekammer eine Überarbeitung der "Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung” vorgelegt. Notwendig war diese Anpassung geworden, weil es neue gesetzliche Regelungen gibt und den "verschiedenen und differenzierten individuellen Moralvorstellungen von Ärzten in einer pluralen Gesellschaft” Rechnung getragen werden sollte. Diese Vorschriften sollten es Medizinern auch nicht gestatten, Sterbehilfe zu leisten. Die Bundesärztekammer hatte im Sommer 2011 ihre Berufsordnung sogar versucht zu verschärfen, indem sie festlegen wollte: "Es ist [den Ärzten] verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.” Handelt ein Arzt dem zuwider, kann er seine Zulassung verlieren.
Einige Landesärztekammern haben sich der weisen Worte des ehemaligen Präsidenten der BÄK erinnert, mit denen unausgesprochen hochrangige Grundrechte in den Fokus gerückt wurden. Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe (langjähriger Präsident der Bundesärztekammer und im November 2011 verstorben), wurde auch gegensätzlichen ethischen Auffassungen der Ärzte gerecht, als er 2010 formulierte:

"Die Beihilfe zum Suizid gehört nicht zu den ärztlichen Aufgaben. Sie soll aber möglich sein, wenn der Arzt das mit seinem Gewissen vereinbaren kann.”

Die Ärztekammer Berlin, wie auch die LÄK von Westfalen-Lippe und Bayern, haben 2011 eine zeitgemäßere Regelung verabschiedet, ohne das "vorgegebene” ausdrückliche Verbot der Hilfe zur  Selbsttötung. Diese wird dazu beitragen, dass die Ärzteschaft nach ihrem Gewissen frei entscheiden kann, ohne dass ein "staatliches Obergericht” zur Entscheidung berufen wird, wie es der Präsident der BÄK einfordert. Die ÄK Berlin hat ihr Recht auf Autonomie ausgeübt und sich von ethischen Standards leiten lassen, die sich aus dem Grundgesetz und den dort festgeschriebenen Grundfreiheiten ergeben.
Der ärztliche Auftrag, "unter Achtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen” ist dabei uneingeschränkt gültig. Änderungen gibt es jedoch in der Frage der ärztlichen Beihilfe zum Suizid.
Die Debatten um die Sterbehilfe sind noch nicht abgeschlossen und es zeichnet sich bislang noch keine einheitliche Lösung ab, welche Grundsätze bei der Bewertung von Hilfeleistungen beim oder zum Sterben angewendet werden sollen. Regelungen des ärztlichen Berufsrechtes und Entscheidungen aus Prozessen wegen Sterbehilfe sollen rechtliche Orientierungspunkte sein, obwohl es seit 2009 ein Gesetz zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen gibt.
Berufsrechtlich sind es vor allem die "Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung”, die hier für viele Ärztekammern relevant sind. Die erste Fassung, aufbauend auf den "Richtlinien” von 1993, wurde 1998 verabschiedet. Die Bundesärztekammer hat diese dann 2004 und 2011 überarbeitet. Gesetzlich geregelt ist die Frage der Sterbehilfe in Deutschland dennoch nicht.

Hilfe beim Suizid

Dort wird die "gezielte Lebensverkürzung durch Maßnahmen, die den Tod herbeiführen oder das Sterben beschleunigen” als "aktive Sterbehilfe” und somit als "unzulässig und mit Strafe bedroht” abgelehnt.

Es heißt aber auch, dass bei Sterbenden die "Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen” kann, "dass eine möglicherweise dadurch bedingte unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf”. Lebensverlängernde Maßnahmen können nach den Grundsätzen der Bundesärztekammer entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten abgebrochen oder ihre Anwendung unterlassen werden, wenn sie "nur den Todeseintritt verzögern und die Krankheit in ihrem Verlauf nicht mehr aufgehalten werden kann”. Bei nichteinwilligungsfähigen Patienten hat der Arzt hierzu eine Erklärung der gesetzlichen Vertreter, die ggf. von einem Betreuungsgericht bestellt werden müssen, einzuholen.

Im Auftrag des SPIEGEL wurden im Jahr 2008 vom Meinungsforschungsinstitut TNS Healthcare einmal die Ärzte nach ihrer Auffassung zur Sterbehilfe befragt. Sie sind dabei oftmals die "Ausführenden”, die im Moment wenig Handlungsspielraum dafür sehen. 483 Mediziner, die als Hausarzt oder Internist, Onkologe, Anästhesist und Palliativmediziner im Krankenhaus Schwerstkranke behandeln, wurden zu diesem Thema anonym befragt. Viele deutsche Ärzte sprachen sich 2008 für eine legale Möglichkeit aus, Schwerstkranken auf deren Wunsch hin beim Suizid helfen zu dürfen oder dies auch selbst zu tun.

Gesetzliche Regelung

Nach dem Deutschen Ärztetag in Kiel 2011 kann von einer Einbeziehung unterschiedlicher Auffassungen der Ärzte in der Frage der Zulässigkeit des assistierten Suizids kaum die Rede sein. Immerhin steht Umfragen zufolge ein Drittel der deutschen Ärztinnen und Ärzten der Frage des assistierten Suizids offen gegenüber.
Eine große Gruppe von Ärzten, die keine Veränderungen der gesetzlichen Regelungen wollen, argumentiert damit, dass die Hilfe beim Suizid mit ärztlicher Unterstützung ein Leben absichtlich und geplant vorzeitig beenden würde und dies mit dem traditionellen ärztlichen Handeln nicht vereinbar wäre. Dagegen sei Schmerzlinderung und Begleitung im Sterbeprozess mit dem ärztlichen Handeln vereinbar. Die immer besseren medizinischen Methoden können inzwischen auch schwerstgeschädigte und sterbenskranke Menschen noch sehr lange künstlich am Leben halten. Wer das nicht will, kann eine Patientenverfügung machen, in dem er sich ausdrücklich gegen solche lebensverlängernden Maßnahmen ausspricht. Wenn sich Ärzte an diese Verfügung halten, leisten sie passive Sterbehilfe, die vom Gesetzgeber nicht bestraft wird.

Verbindlichkeit der Patientenverfügung
Tabelle aktive Sterbehilfe
Legalisierung begleiteter Suizid
ärztlich begleiteten Suizid befürworten
aktive Sterbehilfe
bedingungen für Unterstützung beim Suizid
Ausbau Palliativmedizin
Palliativmedizin

Die überwiegende Mehrheit der Ärzte ist davon überzeugt, dass es bei besserer palliativmedizinischer Versorgung weniger Suizidwünsche gäbe. Jedoch sind die wenigsten Ärzte der Meinung, dass es im Moment dafür ausreichende Möglichkeiten gibt. Nur 17 Prozent der Ärzte halten die derzeitigen Kapazitäten für Palliativmedizin für ausreichend.

Kapazität der Palliativmedizin
tabelle kapazität Palliativmedizin

Zwar stimmen 58 Prozent der befragten Ärzte dem Argument zu, dass "ein Arzt besonders gut geeignet sei, Patienten beim Suizid zu unterstützen, weil er weiß, wie man Medikamente richtig dosiert”. Doch nur 30 Prozent befürworten eine Legalisierung eines ärztlich begleiteten Suizids (8 Prozent sind unentschieden und 62 Prozent lehnen es ab). Nach der Allensbach-Studie glauben 63 Prozent der  befragten Ärzte, dass eine gesetzliche Regelung, die den ärztlich begleiteten Suizid grundsätzlich erlaubt, Auswirkungen auf das ärztliche Selbstverständnis habe. Das "Grundverständnis des Berufs”, welches im "Heilen und Bewahren des Lebens” besteht, würde sich grundlegend ändern. Insbesondere werden "negative Auswirkungen auf das Ansehen der Ärzte” befürchtet (57 Prozent). Bemerkenswert ist dennoch, dass für mehr als jeden dritten Arzt ein begleiteter Suizid unter bestimmten Bedingungen in Frage käme (37 Prozent). Doch die Legalisierung von aktiver Sterbehilfe wird nur von 17 Prozent der Befragten befürwortet.

Tabelle Selbstverständnis
Selbstverständnis

Die beiden großen Volkskirchen hatten bereits 1989 das Problem aus ihrer Sicht klargestellt. Damals hieß es:

"Käme ein Arzt dem Verlangen nach ärztlicher Beihilfe zur Selbsttötung nach, so zöge er sich einen zerreißenden Konflikt zu zwischen seiner ärztlichen Berufspflicht, Anwalt des Lebens zu sein, und der ganz anderen Rolle, einen Menschen zu töten. ... Das wäre das Ende jedes Vertrauensverhältnisses  zwischen Arzt und Patient!”

Auf dem einzelnen Arzt lastet nach wie vor Eigenverantwortung. Es gibt keine Rechtssicherheit. Wer als Mediziner bei der Selbsttötung hilft, aber diese Handlung nicht als Geschäft betreibt, bleibt straffrei. Sterbehilfe bleibt ein Grenzfall. Der Arzt kann sich auf seinen Eid berufen oder nicht, ohne einem stärkeren öffentlichen ethischen Druck ausgesetzt zu sein.

Es kommt also auf den Arzt an, wie er ethisch auf die Konflikte vorbereitet ist oder nur seinem persönlichen Gewissen folgt. Für den Patienten, der aus dem Leben scheiden möchte, bleibt es ungewiss, ob er ein offenes Ohr bei seinem Arzt findet oder der nahestehende Hausarzt Christ ist, der jede Suizidbeihilfe ablehnt. Heute ist es wichtig, dass sich die angehenden Ärzte in ihrer Ausbildung nicht nur von der Apparatemedizin vereinnahmen lassen, sondern Maßstäbe ethischen Handels gelehrt bekommen, die ihnen im Konflikt der Sterbehilfe Handlungserleichterung bieten.

Quellen:

  • http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/sterbehilfe_begleitung/...
  • http://www.aerzteblatt.de/archiv/131621/Pro-Kontra-Beihilfe-zum-Suizid
  • SPIEGEL -Umfrage; 22.11. 2008 - vom Meinungsforschungsinstituts TNS Healthcare
  • Richtlinien der Bundesärztekammer für die ärztliche Sterbe- begleitung, in: Deutsches Ärzteblatt (90)37, A1 2404-2406 (B 1791-1792) (17.09.1993);
  • Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, in: Deutsches Ärzteblatt (95) 39, A2366-2367 (25.09.1998);
  • Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, in: Deutsches Ärzteblatt (101)19, A1298-1299 (07.05.2004);
  • Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, in: Deutsches Ärzteblatt 108 (7), A346-A348 (18.03.2011).
  • Vgl. Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 5265, August 2009: http://www.bundesaerztekammer.-de/downloads/Sterbehilfe1.pdf [24.02.2011].
  • Sterbehilfe und ärztliche Beihilfe zum Suizid - Positionswechsel in der Ärzteschaft?-Dirk Lanzerath- Konrad-Adenauer-Stiftung, Publikationen 21.03.2011