Homöopathie - ein Überblick
Die Homöopathie ist unter allen Gesundheitsanwendungen, die jenseits der anerkannten wissenschaftlichen Standards existieren, die mit Abstand meistgenutzte. Während die Homöopathie-Branche in den letzten Jahren ein rasantes Wachstum erlebt und die Zahl der Patienten, die vertrauensvoll zu homöopathischen Produkten greifen, steigt, äußern zahlreiche Wissenschaftler deutliche Kritik an der angeblich heilenden Wirkung der homöopathischen Präparate. Der Vorwurf, dass es sich bei den auf dem Markt erhältlichen Präparaten lediglich um Scheinmedikamente handelt, deren Heilwirkung über einen Placebo-Effekt hinaus nicht belegbar ist, hat seine Berechtigung.
Von Jan-Tobias Peterle
Verbreitung und Akzeptanz in der Gesellschaft
Wie verschiedene Befragungen des „Instituts für Demoskopie Allensbach“ belegen, erfuhr die Homöopathie in der deutschen Bevölkerung während der letzten Jahrzehnte einen deutlich steigenden Zuspruch. Auch lässt sich festhalten, dass Homöopathie inzwischen im Gegensatz zu 1970, als in der Studie 32 Prozent der Befragten angaben, dass ihnen diese unbekannt sei, heute nahezu in der gesamten Bevölkerung (94 Prozent) bekannt ist. Auch die Anwendungsbereitschaft der Deutschen ist signifikant gestiegen. Während 1970 lediglich 24 Prozent der Befragten angaben, schon einmal homöopathische Mittel angewendet zu haben, ist dieser Anteil der Studie nach bis 2014 auf 60 Prozent angestiegen. Der Anteil der Bevölkerung, der bisher noch keine homöopathischen Arzneimittel angewendet hat, sank von 44 Prozent 1970 auf etwa 34 Prozent der Befragten im Jahr 2014. Die etwa 34 Prozent ergeben sich aus der Angabe, dass in den 40 Prozent derjenigen, die angaben, Homöopathie nicht verwendet zu haben bzw. sich dessen nicht sicher sind, jene 6 Prozent, welchen Homöopathie unbekannt ist, enthalten sein müssen.
Anzumerken ist, dass irritierender Weise der Anwenderkreis von Homöopathie für die IfD-Studie von 2009 einmal mit 53 Prozent und einmal mit 57 Prozent angegeben wird. Dieser Unterschied erklärt sich damit, dass für die identische Aussage: „Es haben selbst schon homöopathische Arzneimittel genommen…“ im ersten Fall die „deutsche Bevölkerung ab 16 Jahren“ und im zweiten Fall die „westdeutsche Bevölkerung ab 16 Jahren“ als Basis herangezogen wurde. Diese weisen ein signifikant unterschiedliches Anwenderverhalten auf. Da deren Titel suggerieren, den Anteil der (Gesamt-)Bevölkerung darzustellen, ist die Darstellungsweise kritisch zu hinterfragen.
Anwender
Die Anwender in den verschiedenen befragten Teilgruppen in der „Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS)“ von 2012 weisen eine hohe Differenz auf. Besonders deutlich ist dies in Bezug auf das Geschlecht. Während mit 31 Prozent knapp ein Drittel der befragten Männer angeben, homöopathische oder ähnliche Arzneimittel angewendet zu haben, stehen Frauen mit 49 Prozent diesen deutlich aufgeschlossener gegenüber. Auch zeigt die Befragung, dass Westdeutsche mit 44 Prozent im Vergleich zu Ostdeutschen mit 32 Prozent deutlich häufiger zu solchen Präparaten greifen.
Auch zeigt sich, dass die Hinwendung zur Homöopathie und weiteren alternativen Therapieformen stark mit dem Bildungsabschluss korreliert. So steigt der Anteil der Anwender von homöopathischen oder ähnlichen Arzneimitteln bei Befragten von 12 Prozent bei Personen „Ohne Schulabschluss“ auf 56 Prozent bei Personen mit abgeschlossener „Hochschulreife“. Auch die Weltanschauung wirkt sich auf die Erfahrung mit Homöopathie oder ähnlichem aus. Die wenigste Erfahrung mit homöopathischen und ähnlichen Therapien haben mit 36 Prozent konfessionsfreie Befragte. Römische Katholiken haben mit 46 Prozent signifikant häufiger Erfahrungen mit solchen Anwendungen.
Geschichte und Anwendung homöopathischer Präparate
Die Begründung der Homöopathie (altgriechisch: hómoios: gleich, gleichartig, ähnlich und páthos: Leid, Schmerz, Affekt, Gefühl‘; in etwa: „ähnliches Leiden“) lässt sich wesentlich auf den deutschen Arzt Christian Friedrich Samuel Hahnemann (1755-1843) zurückführen. Dieser war ein Kritiker der teils drastischen und oft kontraproduktiven Behandlungsmethoden seiner Zeit. Die in der zeitgenössischen Medizin häufig angewandten Therapien wie Aderlässe oder intensive Brech- und Abführkuren bewirkten oft eine weiteren Schwächung der Patienten, die deren Heilung hinauszögerte oder gar zu deren Tod führte.
Dieser Praxis setzte Hahnemann seine Lehre der Homöopathie entgegen. Diese sollte einerseits durch ihren individuellen Ansatz, anderseits durch ihre sanfte Behandlungsweise zur Heilung des Patienten führen. Dabei experimentierte Hahnemann mit zahlreichen Arzneistoffen an sich und anderen und formulierte schließlich das Prinzip „Ähnliches mit Ähnlichem“ zu heilen. Seine Behandlungsmethode versuchte er mit verschiedenen Experimenten und Beobachtungen zu belegen, was in der damaligen Pharmakologie keine Selbstverständlichkeit war. Da Hahnemann jedoch trotz umfangreicher Bemühungen die Wirkung seines Prinzips, „Ähnliches mit Ähnlichem“ zu heilen, experimentell nicht valide belegen konnte, verzichtete er auf eine empirische Begründung. In seinen weiteren Veröffentlichungen, wie dem bis heute für die Homöopathie grundlegenden Werk „Organon der Heilkunst“, machte er eine hypothetische „geistartige immaterielle Arznei-Kraft“ für die von ihm postulierte Heilwirkung verantwortlich.
Die Methodik der Homöopathie, Ähnliches mit Ähnlichem zu behandeln, resultiert beispielsweise in der Vergabe giftiger Stoffe wie Arsen bei Vergiftungen oder Brennnesselbestandteilen gegen Juckreiz. Der auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinende Ruf der Milde homöopathischer Behandlungen lässt sich mit einem weiteren, ebenfalls von Hahnemann entwickelten Prinzip der Homöopathie erklären: der Potenzierung. Die ursprünglich verwendete Wirksubstanz wird dabei unter gleichzeitiger „Dynamisierung“ (Verschüttelung/Verreibung) mit einem Verdünnungsmittel wiederholt sehr stark verdünnt.
Die befremdlich anmutende Theorie dabei: Je stärker die Verdünnung, sprich je weniger Wirkstoff, desto stärker die Wirkung. In der von Hahnemann favorisierten Verdünnung D60 ist der ursprüngliche Wirkstoff soweit verdünnt, dass er nicht mehr nachweisbar ist. Auch bei niedrigeren Potenzen ist die Verdünnungswirkung enorm. So entspricht die D25 Potenz der Auflösung eines einzigen Tropfens der unverdünnten Urtinktur im gesamten Atlantischen Ozean.
Dass der Wirkstoff in dieser, empirisch nicht mehr nachweisbaren Menge selbst nicht wirken kann, ist auch Homöopathen bewusst. Sie weisen auf den Vorteil hin, dass hochverdünnte homöopathische Anwendungen dadurch praktisch nebenwirkungsfrei sind. Homöopathen erklären die angeblich dennoch vorhandene Wirkung der Potenzen mit einer postulierten „immateriellen Energiezufuhr durch die rituellen mechanischen Prozeduren“ und einem „Gedächtniseffekt“ des verwendeten Wassers. Dieses „merke“ sich die heilende Wirkung der Ursubstanz, auch wenn aufgrund der extremen Verdünnung kein einziges Molekül derselben im fertigen Produkt nachweisbar ist.
In Deutschland wird, bevor ein Produkt die Marktfreigabe erhält, die Korrektheit der Potenzierung aufgrund der verwendeten und teils gefährlichen Bestandteile standardmäßig geprüft. In Ländern mit weniger strikter Kontrolle kommt es leider durch unzureichende Verdünnung immer wieder zu schweren Gesundheitsschäden oder gar zu Todesfällen wie 2016 zum Tod von 10 Kleinkindern in den USA nach der „Behandlung“ mit homöopathischen Globuli-Tabletten, die Rückstände der giftigen Tollkirsche enthielten.
Erfahrungen der Anwender
Befragt man die Anwender von homöopathischen Präparaten nach ihren Erfahrungen mit diesen, sind diese überwiegend der Meinung, dass homöopathische Präparate zumindest manchmal Wirkung zeigen. Die Ergebnisse der Allensbach-Studie zeigen, dass etwa die Hälfte der Anwender von der Wirksamkeit der Homöopathie überzeugt ist. 48 Prozent der Anwender gaben an, dass ihnen die homöopathischen Mittel geholfen haben, 39 Prozent gaben an, dass diese zumindest manchmal geholfen haben und 9 Prozent gaben an, diese hätten gar nicht geholfen.
Nach den Vorteilen homöopathischer Heilmittel gefragt beschrieben die Anwender diese insbesondere als nebenwirkungsarm (65 Prozent), als besonders verträglich (51 Prozent), als geeignet für Kinder (45 Prozent) und als einfach in der Anwendung (43 Prozent). Eine Notwendigkeit der Verschreibung der Mittel durch einen Arzt oder Heilpraktiker vor der Einnahme wurde von 23 Prozent als eher unwichtig angegeben.
Die Erfahrungen der Anwender decken sich in diesem Punkt mit der wissenschaftlichen Beschreibung homöopathischer Produkte. Die hochverdünnten Mittel sind in der Anwendung – gemäß des Prinzips „keine Wirkung bedeutet eben auch keine Nebenwirkung“ – nahezu völlig risikofrei in der Einnahme. Eine Tatsache, die Homöopathie-Skeptiker 2011 in einer Aktion aufgegriffen haben, indem sie europaweit öffentlichkeitswirksam eine „Überdosis“ Globuli schluckten, um deren Wirkungslosigkeit unter Beweis zu stellen.
Die vorgegebenen Kriterien dieser Umfrage sind daher fragwürdig, da eine Nebenwirkung bei ordnungsgemäßer Anwendung und sofern die Potenzierung korrekt durchgeführt wurde, per se nicht möglich ist. Aus der Wirkungsfreiheit ergibt sich auch automatisch ein Positivbescheid für die anderen Punkte wie eine „gute Verträglichkeit“, weshalb die angegebenen Zustimmungswerte eher noch gering erscheinen.
Nachfrage
Die steigende Nachfrage nach homöopathischen Arzneimitteln stützt auch eine 2017 vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI) in Auftrag gegebene Studie des Meinungsforschungsinstituts forsa. Dieser Studie nach gaben über 70 Prozent der Befragten an, es sei ihnen persönlich „wichtig“ bis „sehr wichtig“, dass ihre Krankenkassen den Versicherten auch die Kosten für ausgewählte Leistungen aus dem Bereich der homöopathischen Medizin erstatten. Für die Antwortmöglichkeiten „unwichtig“ oder „weniger wichtig“ entschieden sich lediglich ein Viertel der Befragten. Bemerkenswert an dieser Studie ist ebenfalls, dass selbst zwei Drittel der Befragten, die keinerlei Erfahrung mit Homöopathie haben, eine Erstattung dennoch „wichtig“ finden. Auch halten der forsa Umfrage gemäß 55 Prozent der Befragten es für „wichtig“ oder „sehr wichtig“, dass sich die Politik neben den schulmedizinischen Behandlungsmethoden auch aktiv für Heilmethoden wie etwa Homöopathie oder Anthroposophische Medizin engagiert. Der stellvertretender BPI-Hauptgeschäftsführer Dr. Norbert Gerbsch fasst wie folgt zusammen: „Homöopathische Arzneimittel haben für viele Patienten in Deutschland einen hohen Stellenwert. (…) Wenn Behandler und Patienten sie richtig und verantwortungsvoll einsetzen, kann sie den Therapieerfolg unterstützen. Sie sollte insofern als wichtige Ergänzung der Schulmedizin im Sinne einer Integrativen Medizin anerkannt werden – das wünschen sich die Patienten in Deutschland eindeutig.“
Zusammenfassend lässt sich daher sagen: Homöopathische Präparate haben in den letzten Jahren kontinuierlich an Bekanntheit gewonnen und werden auch von der deutschen Bevölkerung zunehmend verwendet und nachgefragt. Seit 2012 ist es den Krankenkassen im Rahmen der sogenannten Satzungsleistungen erlaubt, auch nicht verschreibungspflichtige, apothekenpflichtige Arzneimittel zu erstatten. Viele Krankenkassen bieten ihren Versicherten seitdem an, ihnen die Kosten für homöopathische Arzneimittel ganz oder teilweise zu erstatten.
Wissenschaftliche Bewertung der Wirksamkeit von Homöopathie
Die klassische empirische Medizin lehnt die Homöopathie aufgrund der angeführten Wirksamkeitsbegründungen mit dem Verweis auf die fehlende empirische Reproduzierbarkeit entsprechender Versuche ab. Weder für das Prinzip, „Ähnliches mit Ähnlichem“ zu heilen, noch für ein angebliches „Wassergedächtnis“ konnte in ihrer gesamten 200 jährigen Geschichte bis heute ein valider Nachweis erbracht werden.
Mit steigender Nachfrage regt sich auch zunehmend Widerstand gegen die Ausweitung der Erstattung homöopathischer Arzneimittel durch die Krankenkassen mit dem Verweis auf die nicht zu belegende Wirksamkeit. Wie der Überblick zur Geschichte und Anwendung der Homöopathie gezeigt hat, ist dies auch nicht weiter verwunderlich, da schon allein die „Potenzierung“ bzw. Verdünnung bis unter die Nachweisgrenze jegliche stoffliche Wirksamkeit, ob positiv oder negativ, ausschließt. Politiker wie der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordern daher, dass es den Krankenkassen zum Wohle der Patienten aufgrund des fehlenden Wirknachweises schlichtweg verboten werden sollte, für Homöopathie zu bezahlen, da in zahlreichen Studien keine Wirksamkeit über den genannten Placebo-Effekt hinaus belegt werden konnte.
Besonders aussagekräftig ist eine großangelegte Studie, die 2014 von Wissenschaftlern des Zentrums für Erforschung evidenzbasierter medizinischer Praxis der australischen Bond University im Auftrag der australische Gesundheitsbehörde National Health and Medical Research Council (NHMRC) veröffentlicht wurde. Diese bezog 176 in den vergangenen Jahren erschienene experimentelle Studien und 58 Übersichtsstudien mit ein. Die Autoren konzentrierten sich dabei auf konkrete Krankheiten und die Fragestellung, ob homöopathische Präparate jemals irgendwann einmal ihre Wirksamkeit dagegen unter Beweis gestellt hatten. Das Ergebnis dieser Studie ist eindeutig. Es bestätig die zahlreichen vorangegangenen Studien und stellt der Homöopathie ein geradezu vernichtendes Urteil aus. Zu keiner einzigen untersuchten Krankheit konnte ein eindeutiger Nutzen nachgewiesen werden. Homöopathische Mittel wirken nicht besser als Scheinmedikamente. Zudem erfüllten einige der untersuchten Studien, die eine angebliche Wirkung von homöopathischen Anwendungen belegen sollten, keine allgemeinakzeptierten wissenschaftlichen Standards: Ihre Probandenzahlen waren zu gering, sie waren nicht randomisiert oder deren Evidenz fehlt gar völlig.
Das homöopathischen Mitteln dennoch eine subjektive Wirkung zugesprochen wird, ist auf den Placebo-Effekt sowie die ohnehin vorhandenen Selbstheilungskräfte des Körpers zurückzuführen. Der menschliche Organismus wird mit den meisten harmloseren Erkrankungen selbst fertig. Den Heilerfolg rechnen überzeugte Homöopathen dann häufig den verwendeten, aber medizinisch wirkungslosen Präparaten an. Diese persönlichen positiven Erfahrungen genügen jedoch nicht den Kriterien eines empirischen Wirkungsbelegs. Sie entspringen keiner arzneilichen Wirkung und sind in Studien nicht reproduzierbar. Der Beleg einer medizinischen Wirksamkeit hängt nicht von der Anzahl derer ab, die dies subjektiv empfinden, sondern kann nur mithilfe empirischer Forschung belegt werden – von der generellen Wirksamkeit von Aderlässen zu Samuel Hahnemann Zeiten waren die Mehrzahl der Mediziner dieser Zeit, die an die Humoralpathologie (Lehre der vier Körpersäfte) glaubten, ebenfalls überzeugt.
Placebo und Nocebo-Effekt
Der Placebo-Effekt hingegen ist wissenschaftlich valide belegt. Bereits der Glaube des Patienten an die Wirksamkeit eines Präparates oder einer Therapie erhöht deren Wirkung. Dieser Effekt tritt jedoch nicht nur bei homöopathischen Anwendungen auf, sondern auch bei klassischen Präparaten der Schulmedizin oder auch bei genereller positiver Erwartungshaltung. Dieser Effekt wirkt auch bei ahnungslosen Anwendern wie z. B. Kindern oder Haustieren auf deren Heilverlauf sich die wahrgenommene positive Erwartungshaltung der Eltern bzw. Besitzer überträgt (placebo by proxy). Um diesen Effekt herauszurechnen, werden heute randomisierte Blindstudien durchgeführt, bei denen auch den Versuchspersonen nicht bekannt ist, ob sie ein tatsächliches- oder nur ein Scheinmedikament erhalten haben.
Der Placebo-Effekt wirkt bei homöopathischen Mitteln im Vergleich zu gängigen Arzneimitteln möglicherweise sogar stärker. Während die Nebenwirkungsfreiheit hochverdünnter homöopathischer Mittel deren Wirkungserwartung verstärkt oder zumindest nicht verschlechtert, genügt in der klassischen Medizin oft ein Blick auf die lange Liste der möglichen, teils drastischen Nebenwirkungen um die Wirkungserwartung der Patienten und damit den Heilerfolg zu schmälern (Nocebo-Effekt). Das ändert aber nichts an der Nichtwirksamkeit homöopathischer Präparate.
Es fehlt an Zeit für die Patienten
Gesteigert wird der Placebo-Effekt auch durch eine besonders menschliche, überzeugende und persönliche Zuwendung des behandelnden Arztes, welche die Heilerwartung erhöht. Hierbei ist dem ehemaligen Ärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe in seiner Kritik an der „klassischen“ Ärztezunft beizupflichten. Dieser monierte, dass die Anamnesezeit im normalen Arztbetrieb zu kurz sei und die ärztliche Kunst hier Nachholbedarf habe: „Bei der Homöopathie ist die vertrauensbildende Maßnahme die Anamnese … Die hat mehr Wirkung als jedes Medikament, das die Homöopathen verwenden.“
Dass Deutschland diesbezüglich im internationalen Vergleich alles andere als gut dasteht, belegt auch eine im Fachmedium BMJ publizierte Langzeit-Metastudie, die Deutschland allenfalls im Mittelfeld sieht. Der Studie zufolge dauert ein Arzt-Patientenkontakt in Deutschland im Schnitt lediglich etwa 7,5 Minuten. Der Spitzenreiter Schweden investiert hingegen mit durchschnittlich 22,5 Minuten pro Kontakt deutlich mehr Zeit. (Quelle: aerztezeitung.de)
Auch eine Studie im Bertelsmann-Gesundheitsmonitor 2014 kommt zum Schluss, dass die Aufmerksamkeit des Arztes eine große Rolle für die Zufriedenheit mit der Homöopathie spielt: „Insgesamt zeigt sich bei dieser Befragung, dass der wissenschaftliche Streit bei der Bewertung einer homöopathischen Behandlung keine ausschlaggebende Rolle spielt. Wichtig für die positive Einschätzung der Homöopathie sind den Patienten vor allem Faktoren wie die Zugewandtheit des Arztes und das ausführliche Gespräch, also die nicht arzneilichen Komponenten. […] Da die Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel bisher nicht wissenschaftlich bewiesen werden konnte, könnten sich weitere Untersuchungen intensiver der Bedeutung widmen, die die Hinwendung des Arztes und der Faktor ‚Zeit für den Patienten‘ in Bezug auf den Heilerfolg haben. Wünschenswert wäre in jedem Fall, dass das Arzt-Patienten-Gespräch auch in der medizinischen Ausbildung einen bedeutenderen Platz einnähme, als das derzeit der Fall ist.“
Kleine Zuckerkügelchen, großer Gewinn
Die Wirkung, welche Anwender homöopathischen Produkten zuschreiben, steht also in keinem Zusammenhang mit deren – bis unter die Nachweisgrenze verdünnten – Inhaltsstoffen. Der Kunde kauft somit – am Beispiel „Globuli“ – lediglich harmlose, da wirkstofffreie Zuckerkügelchen. Der empfundene Heileffekt tritt – wenn überhaupt – lediglich subjektiv und unabhängig vom Produktinhalt durch die positive Erwartungshaltung des Anwenders auf. Dass homöopathische Präparate zunehmend in die Apotheken drängen, ist daher auch einer einfachen Marktlogik geschuldet. Hersteller dieser Produkte sparen sich aufgrund deren Wirkungslosigkeit – eben auch die Nebenwirkungen betreffend – teure Zulassungsverfahren, umfangreiche Studien und aufwändige klinische Versuchsreihen. Homöopathische „Arzneien“ bestehen eben nicht aus teuren, oft patentierten Substanzen die ständig weiterentwickelt werden müssen, sondern hauptsächlich aus äußerst billigen Stoffen wie Zucker, Alkohol und Wasser und kaum bis gar nicht nachweisbaren Spuren von Chemikalien, Pflanzen- oder Tierextrakten. Dies ermöglicht den Herstellern enorme Gewinnspannen was sich auch deutlich an der bis 2016 rasant wachsenden Marktentwicklung für homöopathische Arzneimittel abzeichnet. Die Gewinne haben sich seit 1995 mehr als vervierfacht. Die aktuellen Zahlen des Marktforschungsinstituts Insight Health von 2017 verweisen jedoch mit einem leichten Rückgang der Umsätze um 0,3 Prozent auf 608 Millionen Euro auf ein mögliches Ende des Booms. Ob diese jüngste Entwicklung jedoch anhält, bleibt abzuwarten.
Der durchschnittlich Apothekenpreis eines homöopathischen Präparates lag 2014 dem Bericht des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller e.V. (B.A.H.) 2014 mit 10,86 Euro auch deutlich über dem durchschnittlichen Preis, der auf ihre Wirkung geprüften, konventionellen Arzneimittel, der mit durchschnittlich 7,75 Euro angegeben wurde.
Zunehmende Ablehnung der Schulmedizin kann Patienten in Lebensgefahr bringen
Das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH), das dem Gremium der „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V.“ (GWUP) angegliedert ist, beschäftigt sich umfassend mit dem Thema Homöopathie. Es sieht einen besorgniserregenden Zusammenhang zwischen der Hinwendung zu dieser und einer Abwendung von der klassischen empirischen Schulmedizin:
„Oft führt der Glaube an die Homöopathie dazu, der Medizin insgesamt den Rücken zuzukehren. Medikamente werden als Gift, als Chemie oder als reine Geldbringer bezeichnet und meist nur nach ihren Nebenwirkungen abgeurteilt. Ärzte werden als Hörige der Pharmaindustrie verunglimpft, Impfungen als in erster und einziger Linie schädlich angesehen. So führt der Weg weiter und weiter weg von den Errungenschaften, die die Wissenschaft uns innerhalb der Medizin in den letzten 200 Jahren beschert hat. Das beunruhigt uns sehr. Wir sehen die Homöopathie als eine Art Einstieg zum Ausstieg aus der Medizin. Dass die Medizin auch Fehler und Schwächen hat, ist uns bewusst, nur macht das die Homöopathie nicht automatisch zu einem wirkungsvollen Verfahren.“
Besonders bedenklich ist es daher, dass reichweitenstarke Homöopathie-Portale wie „homöopathie-tv“ diese nicht nur für leichte Erkrankungen empfehlen, sondern sogar über deren angebliche Wirkung bei schwersten Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Krebs und metastasierten Tumoren berichten.
Quellenlage
Eine mögliche heilsame Wirksamkeit von homöopathischen Produkten über den Placebo-Effekt hinaus ist wie dargestellt vielfach wissenschaftlich untersucht worden. Die überwältigende Mehrheit der Studien kommt dabei eindeutig zum Schluss: Homöopathie ist unwirksam.
Problematischer ist die Sachlage bezüglich der Umfragen zum Nutzungsverhalten- und Empfinden der Patienten. Auffallend sind hierbei die teils großen Unterschiede in den Befragungsergebnissen. So gibt beispielsweise die genannte Studie des Instituts für Demoskopie-Allensbach den Anteil der Bundesbürger die bereits homöopathische Produkte angewendet haben für 2009 mit 60 Prozent an. Eine im Jahr 2010 durchgeführte Forsa-Umfrage kommt hingegen auf einen Anteil von 45 Prozent. Die Zahlen sind daher schon aufgrund der starken Abweichungen mit Vorsicht zu betrachten. Auch ist die Berichterstattung kritisch zu hinterfragen. So titelte der „Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte“ die Forsa-Umfrage mit: „Repräsentative Studie: Homöopathie hilft mehr als 80 Prozent der Patienten“ Dass es sich bei den Befragten ausschließlich um Anwender von Homöopathie handelt und von diesen 80 Prozent diese subjektiv als „hilfreich“ bezeichneten, ohne dass dies auf irgendeine Weise empirisch überprüft wurde, wird erst im Verlaufe des Textes deutlich.
Auch gibt die grafische Aufarbeitung der Studien zum Teil ein verzerrendes Bild von deren Ergebnisse wieder. So wird die steigende Anzahl der Anwender von Homöopathie zwischen 2009 und 2014 in einer die Ergebnisse der IfD-Allensbacher Studie aufbereitenden Grafik auf „lifeline.de – Das Gesundheitsportal“ von 53 Prozent auf 60 Prozent mithilfe eines fast vollen und eines vollen Globuli-Fläschchen illustriert, was nicht zu den angegebenen Prozentangaben passt und dem Betrachter zunächst eine viel umfassendere Verbreitung suggeriert als tatsächlich vorhanden.
Auch ist erwähnenswert, dass die großen Allensbach-Studien im Auftrag des genannten „Bundesverbands der Arzneimittelhersteller e.V.“ erstellt wurden, der sich nach eigenen Angaben auch im Bereich homöopathischer und anthroposophischer Arzneimittel engagiert und sogar eine eigene Onlineplattform mit dem Titel „Homöopathie entdecken“ betreibt, in der diese beworben wird. Der Auftraggeber der forsa Studie, der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) tritt ebenfalls für die Homöopathie und deren Erstattung durch die Krankenkassen ein und schreibt: „Homöopathie ist kein wirkungsloser Hokuspokus, sondern anerkannte und bewährte Therapieform“.
Aufgrund der augenscheinlichen Interessenslage der Auftraggeber, beides Vertreter der Pharmazeutischen Industrie, die mit homöopathischen Produkten Gewinne machen, und der stark abweichenden Ergebnisse der Studien sollten diese daher nur mit Vorsicht herangezogen werden. Die „Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS)“ hingegen hat keinen einschlägigen industriellen Auftraggeber und deren Neutralität dem Thema gegenüber darf angenommen werden. Insbesondere zum Nutzungsverhalten- und Empfinden der Homöopathieanwender besteht zweifelsohne Forschungsbedarf insbesondere von unabhängiger Seite.
Fazit
Es erscheint tatsächlich absurd. Krankenkassen wenden aus dem Solidarsystem für homöopathische Präparate ohne jeden Nutzungsnachweis hohe Beträge auf, während sie an anderen Stellen, beispielsweise bei der Zuzahlung von Sehhilfen, die Millionen von Bundesbürgern oft überhaupt ein normales Leben erst möglich machen, sparen und die anfallenden Kosten allein den Patienten überlassen. Diese wiederum wünschen sich vor allem Ärzte, die sich genügend Zeit für sie nehmen und finden diese — bei Homöopathen.
Die behandelnden Ärzte müssen in die Lage versetzt werden, den Patienten die individuell angemessene Behandlungszeit bieten zu können. Dies muss ihnen durch die Krankenkassen auch besser vergütet werden. Dass Deutschland hier im internationalen Vergleich hinter finanziell viel schlechter ausgestatteten Ländern wie Simbabwe steht ist nicht akzeptabel. Wichtig ist für die Patienten auch eine flächendeckende Ärzteversorgung, die momentan leider insbesondere im ländlichen Raum nicht ausreichend gewährleistet ist.
Dieser Zustand widerspricht der Aufgabe der Krankenkassen im Rahmen ihrer finanziellen Mittel eine bestmögliche Gesundheitsversorgung für ihre Versicherten sicherzustellen. In Anbetracht der eindeutigen Forschungslage ist den Forderungen nach einem Verbot der generellen Kostenübernahme für homöopathische Präparate unbedingt beizupflichten. Neben den moralisch fragwürdigen Gewinnspannen der Homöopathie-Hersteller für deren wirkungslose Präparate, die u. a. an genannten Stellen fehlen, besteht zudem die Gefahr einer zunehmenden Ablehnung der evidenzbasierten Schulmedizin. Diese führt dazu, dass verunsicherte Patienten das Vertrauen in bewährte Behandlungsmethoden verlieren und im Zweifel dringend notwendige Therapien verweigern und damit ein unnötiges gesundheitliches Risiko eingehen.
Auch wäre es wünschenswert, wenn sich einige der hiesigen Medien und Nachrichtenmagazine ihrer Verantwortung gegenüber ihren Lesern und der Gesellschaft stärker bewusst werden und diese, anstatt regelmäßig ihre Namen und ihre Reichweite gegen Sponsoring für obskure, als „Nachrichten“ präsentierte Werbeinitiativen der Homöopathie-Branche zur Verfügung zu stellen ( siehe zum Beispiel im FOCUS), über die problematischen Hintergründe der Homöopathie aufklären.
Es besteht Handlungsbedarf.