Sie sind hier

Muslimisches Spendenverhalten

Der fowid-Statistikbeobachter: Das Maecenata-Institut hat eine Studie „Zum muslimischen Spendenverhalten in Deutschland“ publiziert, in der sich Transparenz, fachliche Korrektheit aber auch Unklarheiten und eine von den Daten nicht ableitbare Politisierung miteinander verbinden. Da das eine ungewöhnliche Mischung ist, soll erläutert werden, warum das jeglichem fachwissenschaftlichen Kriterium der empirischen Sozialforschung widerspricht.

Von Carsten Frerk.

Im Laufe des Jahres 2020 hat das Maecenata-Institut für Philantrophie und Zivilgesellschaft zwei Publikationen veröffentlicht, die sich mit dem muslimischen Spendenverhalten in Deutschland beschäftigen und die beide auf der Auswertung einer Institutseigenen Befragung beruhen. Zum einen: Siri Hummel, Eckhard Priller, Malte Schrader, Rupert Graf Strachwitz: „Spenden zwischen Gutes tun und Pflicht“ (Opusculum 139, 10.08.2020, im Folgenden: Band 1) und zum anderen: Malte Schrader: „Muslimisches Spendenverhalten in Deutschland“ (Opusculum 143, 01.10.2020, im Folgenden: Band 2).

Mit der Online-Diskussion „Muslimische Philanthropie in Deutschland – eine Bestandsaufnahme“ (14.09.2020) wurde, so die Selbstdarstellung, der erste Teil des Maecenata Projekts „Diaspora Philanthropie in Deutschland“ zum Abschluss gebracht.

Beide Berichte sind im Social Science Open Access Repository (SSOR) verfügbar, d. h. auf einem Dokumentenserver, der wissenschaftliche Artikel verfügbar macht und von GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften betrieben wird.

Unter den Autoren des ersten Bandes befinden sich mit Dr. Rupert Graf Strachwitz und Dr. Siri Hummel auch der Direktor und die stellvertretende Direktorin des Maecenata Instituts. Bei der von Dr. Rupert Graf Strachwitz moderierten Online-Veranstaltung stellten Dr. Siri Hummel und Malte Schrader die wesentlichen Ergebnisse der Studie vor. Unter den Diskussionsteilnehmer befanden sich u. a. Tarek Abdelalem ( Geschäftsführer von Islamic Relief Deutschland), Aiman Mazyek (Vorsitzender des Zentralrat der Muslime, ZDM) und Aydan Özoğuz (MdB, 2011 bis 2017 eine der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD, 2013 bis 2018 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration). Also auf beiden Seiten eine hochrangige Beteiligung.

Zum Inhalt der Studie heißt es:

„Dr. Siri Hummel und Malte Schrader (Maecenata Stiftung) [stellten] die zentralen Ergebnisse der im August erschienen Studie Spenden zwischen Gutes tun und Pflicht vor, in der aufgezeigt werden konnte, dass die muslimischen Spenderinnen und Spender mit durchschnittlich 452 Euro im Jahr, im Vergleich mehr als der Durchschnitt der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft spenden. Dies kann u.a. auf das im Islam tief verankerte Prinzip der Wohltätigkeit zurückgeführt werden, wie Tarek Abdelalem (Islamic Relief Deutschland) in seinem Vortrag veranschaulichte und einen Einblick in das konfessionell verankerte Spendenmotiv des Islams gab.“

Hinsichtlich der Desiderate im Forschungsfeld „Der Islam in Deutschland“ schließt eine derartige empirische Studie eine Lücke im Wissensstand. Und angesichts der Tatsache, dass nach Angaben des Deutschen Spendenmonitors 2019 die durchschnittliche Spendenhöhe in Deutschland 143 Euro betrug, ist eine durchschnittliche Spende unter Muslimen von 452 pro Jahr, also das rund Dreifache dessen, was in Deutschland nach Angaben des Spendenmonitors durchschnittlich gespendet wird, eine bemerkenswerte und positive Zahlenangabe.

Auch wenn andere Untersuchungen (wie der GfK für den Deutschen Spendenrat) zu höheren allgemeinen Durchschnittswerten kommen, bleiben diese 452 Euro der Spitzenwert.

Fragen

Transparenz? Ja. Islamic Relief Deutschland (IRD) ist im Band 1 sichtbar und mit Logo als Auftraggeber genannt.

Fachliche Korrektheit? Ja / Nein.

Ja: Im Band 2 beschreibt der Autor die Forschungslage und nennt die wenigen Untersuchungen, in denen überhaupt Daten zum Thema „Spenden und Religionszugehörigkeit“ erhoben und veröffentlicht worden: der Freiwilligensurvey 2014, der den Anteil der Muslime, die spenden, mit rund die Hälfte beziffert und das Sozio-Ökonomische Panel (SOEP) 2014, aus der eine Ergebnistabelle gezeigt wird, mit knapp einem Drittel (30,2 Prozent) der befragten Muslime.

Die Spendenquote unter den Muslimen ist am geringsten, sogar niedriger als bei den Konfessionsfreien, aber die Spendenhöhe ist höher als bei den Evangelischen und liegt dicht bei den Katholiken. Das wird im Text zwar benannt, aber nicht weiter hinterfragt.

Nein: Stattdessen wird eine britische Studie zitiert („A Survey of Charitable Giving in the British Muslim Community“, 2013), die es sogar in die Washington Post ‚schafft‘, bei der in einer Online-Umfrage 272 Muslime aus Großbritannien befragt wurden. Sie wird von Zia Salik, dem „Head of Fundraising“ von Islamic Relief United Kingdom, in einem Vortrag „British Muslims and Charitable Giving“ im Rahmen der Universität Cardiff vorgestellt. Kern: Britische Muslime spenden mehr pro Kopf als die Mehrheitsgesellschaft.

Während es auf S. 41 des Maecenata-Berichts Nr. 2 zu den 513 befragten Muslimen im deutschen Freiwilligensurvey 2014 heißt: „Aufgrund der geringen Fallzahlen lassen sich daher keine signifikanten Aussagen über Alters-, Geschlechtsverteilungen und Spendenhöhe machen“, werden die 272 britischen online befragten Muslime für ‚bare Münze‘ genommen.

Auch neuere Studien, wie die Überblicksdarstellung empirischer Studien zu Muslimen in der Ipsos-Studie “A review of survey research on muslims in great britain” (2018) werden nicht berücksichtigt. In dieser Studie wird vor Mittelwertbildungen gewarnt:

„Eine ICM-Umfrage für die Website JustGiving aus dem Jahr 2012 ergab außerdem, dass Muslime mehr für wohltätige Zwecke spendeten als andere Briten: Sie gaben im Durchschnitt 371 Pfund pro Jahr, verglichen mit einem Durchschnitt aller Spender von 165 Pfund. Protestantische Christen spendeten £202, römische Katholiken £178, Hindus £171 und Atheisten £116. (Diese Ergebnisse sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, da die Mittelwertbildung von geschätzten Ausgaben in Umfragen manchmal sehr irreführende Zahlen ergeben kann).“

Zufallsstichprobe? Ja. Dazu schreibt das Maecenata-Institut das normale Vorgehen beim Ziehen eines Samples:

„Aus einer zufällig gezogenen Stichprobe der Spender*innen der letzten 12 Monate schrieb Islamic Relief im Zeitraum 13. Januar bis zum 25. Januar 2020, 30.000 aktive Spender*innen an. Die Spender*innen erhielten eine Einladungs-E-Mail inkl. dem Online-Link zur Umfrage mit dem Titel ‚Spenden zwischen Gutes tun und Pflicht‘. Die Ergebnisdaten wurden von USUMA auf Plausibilität und formale Integrität geprüft, bereinigt und anschließend als SPSS-Datensatz dem Maecenata Institut bereitgestellt. Insgesamt reagierten 1.933 Personen auf die Einladung, wovon jedoch nur 1.032 Personen die Umfrage beendeten. Dies entspricht einem sehr geringen Rücklauf von 3,44 %. Die hohe Drop-Out-Rate von 35 % könnte u.a. durch Sprachprobleme oder eine Ablehnung der geschilderten Befragungsinhalte verursacht worden sein.“

Die sehr geringe Rücklaufquote ist dabei nicht das eigentliche Problem.

Zur Erinnerung: Repräsentative empirische Studien haben immer das Merkmal, dass es vergleichsweise wenige Befragte (das Sample) sind, die stellvertretend (repräsentativ) für eine größere Grundgesamtheit stehen. Um diese Stellvertretung zu erreichen muss theoretisch jedes Mitglied der Grundgesamtheit die gleiche Chance haben zufällig für das Sample ausgewählt zu werden. Da das aber in der Realität nicht möglich ist, wird eine geänderte Auswahl vorgenommen, bei der dann aber – aufgrund der genauen Kenntnis von demografischen Merkmalen der Grundgesamtheit – geprüft werden kann/muss, ob die Auswahl hinsichtlich der Verteilung dieser Merkmale repräsentativ für die Grundgesamtheit ist. Bei (normalen) Abweichungen davon kann man sich durch Gewichtungen an die Repräsentativität des Samples annähern.

Repräsentativität? Nein. Wenn also die demografischen Merkmale der ersten Grundgesamtheit - hier: die gesamten (muslimischen) Spenderinnen und Spender für die Organisation Islamic Relief – nicht bekannt sind, kann man für die Antworten, die man erhält, auch keine Gewichtung vornehmen. Es bleibt also unklar, wieweit Rückschlüsse auf die erste Grundgesamtheit überhaupt zulässig sind. (Weitere Rückschlüsse auf die zweite Grundgesamtheit – alle Muslime – verbieten sich von vornherein als unzulässig.)

Für die erste Grundgesamtheit ‒ alle Spender für Islamic Relief (IRD) ‒ kann man dabei eine Schätzung vornehmen. Legt man die (vermutlich deutlich zu hohe) durchschnittliche Spende von 452 Euro pro Spender an, so sind es (2019/2020) insgesamt rund 285.000 Spender. (Spendenaufkommen von IRD im Jahr 2019: 128.914.173 Euro geteilt durch 452 Euro ergibt 285.208 Spender.) Geht man von dem durchschnittlichen Betrag des Sozio-Ökonomischen Panels (2014) für Muslime aus (258 Euro), so sind es rund 500.000 Spenderinnen und Spender.

Für den Auftraggeber braucht aber die Frage der Repräsentativität nicht so von Bedeutung sein, hat er doch Antworten von seiner ‚Klientel‘ zu Demographie und Motivation, Altersgruppen und Spendenhöhen, etc. die zumindest den aktivsten Teil seiner Spenderinnen und Spender – dass sind  vorhandenen Spenderpotentials und der Gewinnung zukünftiger Spender.

Derartige professionelle Analysen sind für jede Organisation – auch in der Wohlfahrtsbranche – eine normale Notwendigkeit für eine rationale Konzeption des Fundraisings und für eine Strategie zur Sicherung des Spendenaufkommens. Das macht z. B. auch die Caritas.

Solche Studien sind entsprechend nicht von öffentlichem Interesse und bleiben normalerweise intern unter Verschluss.

Politisierung?: Ja. Wenn empirische Studien nicht unter Verschluss beim Auftraggeber bleiben – die egal wie schief die Repräsentativität der Daten ist, dennoch einen Wert für die Organisation haben ‒, an die Öffentlichkeit kommen oder bewusst öffentlich platziert werden, ist das eine vorsätzliche Politisierung. Es wird versucht, mit den Ergebnissen – egal ob richtig oder falsch – die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

Im Bericht 1 des Maecenata-Instituts heißt es in der Zusammenfassung (S. 4) unter einer auffallenden Grafik: „452 Euro im Jahr war die durchschnittliche Spendenhöhe der befragten Muslime“ und damit würden die „explorativen Ergebnisse einer britischen Studie“ bestätigt.

In der Darstellung der Online Konferenz (vom 14.09.2020) heißt es dann, dass „aufgezeigt werden konnte, dass die muslimischen Spenderinnen und Spender mit durchschnittlich 452 Euro im Jahr, im Vergleich mehr als der Durchschnitt der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft spenden.“

Der Bezug auf die „befragten Muslime“ wird nicht mehr erwähnt – wobei jeder Gutmeinende angenommen hätte, dass es eine repräsentative Befragung gewesen sei ‒ und es wird nur noch Bezug genommen auf „die muslimischen Spenderinnen und Spender“, d. h. ausdrücklich alle Muslime in Deutschland.

Diese Darstellungen machen ihre Runde und so heißt es bereits am 1. September 2020 auf der Internetseite der evangelischen Frankfurter Fundraising-Akademie: „Muslime spenden mehr“.

„Dass Christen gute Spenderinnen und Spender sind ist allgemein bekannt. Eine aktuelle Studie macht nun deutlich, dass Muslime spenden und dazu bereiter sind als die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft. Dabei gibt es aber auch einige Besonderheiten zu beachten.
In einer Online-Befragung untersuchte die Nichtregierungsorganisation ‚Islamic Relief‘ die Spendenbereitschaft von muslimischen Spenderinnen und Spendern im Vergleich. Das Ergebnis wurde vom Maecenata-Institut unter dem Titel ‚Spenden zwischen Gutes tun und Pflicht‘ [publiziert].“

Das Bemerkenswertste dabei ist, dass nicht der Auftraggeber der Studie (Islamic Relief Deutschland) selbst damit an die Öffentlichkeit geht und – soweit ersichtlich – noch nicht einmal eine Pressemitteilung zur Studie publiziert hat, sondern das Maecenata-Institut, dass sich (in seiner Selbstdarstellung) als wissenschaftlichen „think-tank“ bezeichnet.

Besonders im Band 1 der Veröffentlichung werden in Auswertung der 1.012 Fragebögen 3 Tabellen und 24 Abbildungen mit ausführlichen Interpretationen publiziert. Natürlich kann man 1.012 Fragebögen auswerten, das hat aber – aufgrund der völlig unklaren Datenlage der Repräsentativität – noch nicht einmal anekdotischen Wert.

Allerdings darf man auch davon ausgehen, dass der Auftraggeber von der Veröffentlichung, d. h. der Politisierung von dazu nicht geeigneten Daten, informiert war. Das wird schon darin deutlich, dass der Geschäftsführer von Islamic Relief an der Online-Diskussion über diese Studie beteiligt war und die ungewöhnliche Höhe des durchschnittlichen Spendenbetrags erläuterte: „Dies kann u. a. auf das im Islam tief verankerte Prinzip der Wohltätigkeit zurückgeführt werden.“