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Mythen der Alltagspsychologie, 2012

Die Diplom-Psychologen und Autoren Uwe Peter Kanning, Fred Rist, Stefan Schmukle und Meinald T. Thielsch haben sich 2012 in einer Studie mit dem „Wissen” der Bevölkerung zu psychologischen Forschungsergebnissen befasst. Ziel der Studie war es, zu sehen inwieweit Themen der Psychologie und deren Forschungsergebnisse durch Medien vermittelt werden und wie sie bei der Bevölkerung ankommen.

Da Ergebnisse der Forschung aus dem Bereich Psychologie auch das alltägliche Leben der Menschen betreffen, erfreuen sie sich besonderer Aufmerksamkeit. Die Medien tun ihr Übriges, um diese Ergebnisse zu verbreiten. Doch ist alles, was dort vermittelt wird richtig? Können die Menschen die echten Ergebnisse von den Scharlatanerien, die sich immer wieder drunter mischen, unterscheiden.

In manchen Medien wird den Graphologen, Wahrsagern, „Motivationsexperten” eine riesige Plattform für ihre Pseudowissenschaft geboten. Inwieweit kann die nicht fachlich ausgebildete Bevölkerung dies erkennen?

Für den Laien ist es mitunter schwer, aus der Vielzahl der Veröffentlichungen die qualitativ hochwertigen und wissenschaftlich fundierten herauszufinden. Es werden oftmals die Aussagen akzeptiert, die den eigenen Mutmaßungen entsprechen, oft verbreitet und gekonnt vermarktet werden.

So werden manche Erkenntnisse als wissenschaftlich erwiesen angesehen, die aber in Wirklichkeit falsch oder zumindest fragwürdig sind. Diese Studie befasst sich mit Aussagen, die in vielen alltagspsychologischen Darstellungen anzutreffen sind und untersucht, ob sie von den Laien (und Experten) als falsch oder richtig erkannt werden.

Methodik:

Im Jahr 2012 wurden für diese Studie in Deutschland 1688 Personen mittels Online-Fragebogen über das Panel PsyWeb (www.uni-muenster.de/PsyWeb) befragt, wobei ca. 55 Prozent weibliche und 45 Prozent männliche Teilnehmer zwischen 16 und 82 Jahren waren. Diese Personen sind zwar Laien, was ihre Ausbildung bezüglich Psychologie angeht, aber dennoch an den Themen der Psychologie interessiert (alle sind auf der Forschungsplattform registriert und nehmen hin und wieder an psychologischen Studien teil.) Insofern spiegelt das Ergebnis nicht ganz den Durchschnitt der Bevölkerung wider, sondern eher den oberen („vorgebildeten”) Teil. Eine zweite Vergleichsgruppe von 142 Personen umfasste Psychologen bzw. Studenten der Psychologie, also Experten auf diesem Gebiet.

Ergebnis:

Das Ergebnis dieser Studie zeigt, dass es wahrscheinlich kein Mythos mehr ist, dass übersinnliche Wahrnehmung wissenschaftlich begründet werden kann, dass sich aus Tintenklecksen irgendwelche Persönlichkeitsmerkmale ableiten lassen und dass gleiche Kindererziehung gleiche Persönlichkeiten hervorbringt. In diesen drei letzten Fragen sind sich Laien wie Experten einig. Größtenteils einig ist man sich auch bei den ersten drei Fragen, die richtige Aussagen enthalten.

Die Studie zeigt außerdem, dass Laien mit einer höheren Bildung (mit Abitur) weniger anfällig sind, auf pseudowissenschaftliche Aussagen hereinzufallen. Erstaunlich ist aber auch, dass von den Experten 58 Prozent immer noch der Meinung sind, dass Frauen mehr reden als Männer und 49 Prozent wissen nicht, dass Pubertät nicht zwangsläufig eine Krisenphase ist. Aber auch die Mythen, dass Hochbegabte mangelnde soziale Kompetenz haben, Autisten oft hochbegabt seien, Stress Ursache für Magengeschwüre ist und aus der Handschrift auf die Persönlichkeit geschlossen werden kann, halten sich in der Öffentlichkeit.

Diese Studie stellt dar, dass mangelndes Wissen auf vorgefertigte Stereotype zurückgreifen lässt und zu eklatanten Fehleinschätzungen führen kann - so zum Beispiel bei Personalentscheidungen auf ein graphologisches Gutachten zu vertrauen, Kommunikationstrainer, die meinen anhand der Links- oder Rechtshändigkeit des Gegenüber den Denktypus zu erkennen oder Kommunalpolitiker, die das rüpelhafte Verhalten Jugendlicher mit biologischer Entwicklung entschuldigen.

Unabhängig von den falsch abgeleiteten Konsequenzen bleibt Aufklärung und Bildung wichtigstes gesellschaftliches Ziel. Menschliches Denken sollte nicht von Meinungen, Glaubenssätzen und Ideologien abhängen. 

Die exakten Fragestellungen der Studie:

„zutreffende Aussagen:

1. Menschen lernen durch Belohnung und Bestrafung

2. Die grundlegenden Emotionen, wie Angst oder Freude bewirken bei Menschen aus unterschiedlichen Kulturen denselben Gesichtsausdruck

3. Erwachsene Schimpansen sind Kleinkindern (im Alter von etwa zwei bis zweieinhalb Jahren) bei bestimmtem Problemlöseaufgaben intellektuell überlegen.

nichtzutreffende Aussagen:

4. Im Durchschnitt reden Frauen pro Tag mehr als Männer

5. Die Pubertät ist immer eine Phase der Rebellion, der Konflikte mit Erwachsenen und erhöhter Risikobereitschaft

6. Intellektuell Hochbegabte haben mehr Probleme im alltäglichen Umgang mit anderen Menschen als normal begabte Menschen

7. In der Handschrift eines Menschen spiegelt sich seine Persönlichkeit.

8. Einige Menschen denken überwiegend mit der linken Hirnhälfte, andere überwiegend mit der rechten.

9. Die meisten Autisten verfügen über besondere intellektuelle Fähigkeiten (z. B. Hochbegabung).

10. Stress ist die Ursache von Magengeschwüren.

11. Spielt man Kleinkindern regelmäßig Musik von Mozart vor, steigt hierdurch ihre Intelligenz (s. a. Skeptiker 4/2011, S. 176-180)

12. Bei Vollmond werden mehr Gewalttaten begangen als sonst.

13. Menschen, die einen Selbstmord versuchen oder begehen, leiden immer unter einer schweren Depression.

14. Übersinnliche Wahrnehmung (z. B. Telepathie, Hellsehen, Wahrsagen) ist ein wissenschaftlich nachgewiesenes Phänomen.

15. Beim Deuten von Tintenklecksen kommt die wahre Persönlichkeit eines Menschen zum Vorschein

16. Kinder, die in gleicher Weise erzogen werden entwickeln später auch dieselbe Persönlichkeit.“

Quelle:

Kanning, U. P., Rist, F., Schmukle, S. & Thielsch, M. T. (2013). Mythen der Alltagspsychologie – Was wissen Laien über (vermeintliche) Forschungsergebnisse? Skeptiker: Zeitschrift für Wissenschaft und kritisches Denken, 26 (1), 10-15.