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Straßen und Plätze als Weltanschauung

Zeit.de hat eine Datenbank ins Internet gestellt, die ‚Namen‘ von rund 450.000 Straßen und Plätze umfasst. Eine reichhaltige ‚Fundgrube‘, um auch weltanschauliche Aspekte der Straßennamen zu erfassen, die über Geschichte, Politik und herrschende Weltanschauung berichten. Es zeigen sich dabei deutsch-deutsche Gemeinsamkeiten aber auch radikale West-Ost-Unterschiede, die auch ohne innerdeutsche Staatsgrenze weiterhin bestehen geblieben sind.

Von Carsten Frerk

Dazu schreibt zeit.de selber: Es hat „der Karlsruher Dienstleister Geofabrik für uns eine Datei aller deutschen Straßen und Plätze erstellt (Stand: 10. Oktober 2017). Sie enthält den jeweiligen Straßennamen, die Postleitzahlenbereiche und Gemeinden, durch die diese Straße führt, und die genaue Geometrie des Straßenverlaufs. Dazu mussten die Datenpunkte aus OpenStreetMap zu einem zusammenhängenden Straßenobjekt verbunden werden.

ZEIT ONLINE hat aus dieser Datei eine nach den Straßennamen durchsuchbare Datenbank programmiert. Damit haben wir spannende Muster in der Verteilung der 450.000 Straßennamen entdeckt. Sie erzählen von fast vergessenen Künstlern und historischen Ereignissen, von alten Wirtschaftsstrukturen und Handelswegen, von prägenden Dialekten und eingewanderten Redewendungen. Die häufigsten Straßennamen in Deutschland: Hauptstraße, Schulstraße, Dorfstraße, Gartenstraße und Bahnhofstraße.“

Es ist amüsant, dass hier der weltanschauliche Bias schon eine Rolle spielt, denn für die kompletten Straßennamen ist das wohl richtig, aber man kann auch Begriffe suchen, die in den Straßennamen als Teil enthalten sind. Alle Straßen-/Platznamen mit den Bestandsteilen „Haupt…“ gibt es 9.675 , mit „Schul…“ sind es 11.329, mit „Dorf…“ 20.000, mit „Garten…“ 16.820 und mit „Bahnhof…“ 8.928. Da fehlen ganz eindeutig die „Kirch…“ (Kirchenweg, Kirchengasse, Kirchhof, Kirchplatz, etc.) mit 16.940 Nennungen.

Und in der Häufigkeit der Nennung von Gebäuden und ihrem Zweck haben die „Kloster…“Straßen und -Plätze (2.329) auch einen oberen Platz.

Nachfolgend einige Beispiele, die vielleicht dazu anregen, selber zu recherchieren.

Bei allen folgenden Karten mit den Nennungshäufigkeiten ist zu berücksichtigen, dass sich darin erst einmal auch die Siedlungs- und Verkehrsdichte darstellt, die in Deutschland sehr unterschiedlich ist. Siedlungsschwerpunkte - mit einem entsprechenden höheren Anteil von Straßen und Plätzen – sind das Ruhrgebiet und der Raum Köln und Umgebung, Frankfurt am Main sowie Stuttgart und Umgebung. Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt sind geringer besiedelt, ebenso wie Teile Thüringens und der Norden Bayerns. Hier kann die Anzahl der Nennungen deshalb schon nur weniger sein, als in den dichtbesiedelten Gebieten.

Vor eiligen Schlüssen, dass die Häufigkeiten mehr aussagen, sei also gewarnt. Das gehört insgesamt zur Situation, dass die Ergebnisse der Verteilungen von einzelnen Namensnennungen nur vordergründig bereits Antworten gibt, sondern eher Anlass für weitere Recherchen sein sollten.

Deutsche Gemeinsamkeiten

In Musik und Literatur besteht offensichtlich ein gemeinsames Erbe. Mozart (1.671 Nennungen) ist zwar etwas beliebter als Beethoven (1.453) aber beide sind - entsprechend den Siedlungsdichten - relativ gleichmäßig verteilt.

Das gleiche gilt für Straßennamen mit Goethe (2.427) und Schiller (2.604), und auf niedrigerer Häufigkeit ebenso für Heinrich Heine (736), aber nicht mehr für Bert/Bertold Brecht, der in beiden Varianten nur auf 57 Schildern an Straßen und Plätzen zu finden ist – und das - trotz „Stalinpreis“ - eher im Westen als im Osten.

Kaiser Wilhelm-Straßen bzw. Plätze sind nur noch 59 zu finden (alle im Westen), aber sein Nachfolger und erstes demokratisches Staatsoberhaupt in Deutschland, Friedrich Ebert (1919 – 1925 Reichspräsident) ist mit 779 Straßen und Plätzen bedacht worden.

Ost-West-Unterschiede

Manche Unterschiede sind so ausgeprägt, dass man die innerdeutsche Grenze daran nachzeichnen könnte.

Straßen mit „Hindenburg“ (439) bzw. mit „Ernst Thälmann“ (416) finden sich, bis auf wenige Ausnahmen, ausschließlich entweder im Westen oder im Osten. Man kann sich auch kaum größere weltanschauliche Unterschiede vorstellen. Hindenburg - kaiserlicher Generalfeldmarschall, ostelbischer Junker, Reichspräsident, der am „Tag von Potsdam“ (21. März 1933) Adolf Hitler und die Nationalsozialisten salonfähig machte – und Ernst Thälmann – aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen, Führer der KPD, verhaftet und im August 1944 auf Hitlers Befehl im KZ Buchenwald ermordet.

Aber Vorsicht vor voreiligen Behauptungen. So gibt es einmal eine „Ulbrichtstraße“ (in Chemnitz). Damit ist jedoch nicht Walter Ulbricht gemeint (1950 bis 1971 Erster Sekretär des ZK der SED, 1972 aus dem öffentlichen Leben ‚verbannt‘), da es diese Bezeichnung bereits seit 1908 gibt und wohl einen Fabrikanten meint.

Ebenso gibt es 29 mal noch Straßen und Plätze mit Lenin, davon ist  eine Straßenbezeichnung mit „Lenin“ im Westen (Groß- und Kleinschreibung ist bei der Suche egal), aber das ist – weil ja auch Teile eines Namens angezeigt werden – die „Mühleninsel“ in Grevenbroich und in „Mühleninsel“ gibt es in der Wortmitte eben den Lenin.

Und der Ernst-Thälmann-Platz im Hamburger Stadtteil Eppendorf, über den sich manch einer als „Fossil“ mokiert, ist ein kleines Flecken am Bürgersteig vor der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte der DKP, der erst im Februar 1985 so benannt wurde. Und der Ernst-Thälmann-Weg in Wedel bei Hamburg? Befindet sich in einem Viertel mit Straßennamen wie Kurt-Schumacher, Martin Niemöller, Julius-Leber-Weg.

Politisch plausibel sind auch die unterschiedlichen Nennungen der jeweiligen Staatsoberhäupter. Wilhelm Pieck (1949 – 1960 Präsident der DDR) ist mit 70 Nennungen nur im Osten vertreten und Theodor Heuss (1949 – 1959 Bundespräsident der BRD) wird 487 mal im Westen genannt. Andere Bundespräsidenten sind weit weniger beliebt: Gustav Heinemann (82), Heinrich Lübke (49), Walter Scheel (4), Roman Herzog (1) und Karl Carstensen (0).

Einen ähnlichen Unterschied gibt es für die Reformatoren. „Martin Luther“, den gibt es 610 mal (weitestgehend im Westen) und Thomas Müntzer 320 mal (mit zwei Ausnahmen) im Osten. Calvin wird 48 mal genannt und Zwingli 23 mal. Insofern war das geringe Interesse an Veranstaltungen zum Lutherjahr in den östlichen Bundesländer nicht überraschend.

Unterschiedliche Wertschätzungen in der Häufigkeit von Namensverwendungen finden sich auch für Personen im NS-Widerstand. Im Unterschied zu Claus Graf Stauffenberg (330) finden die Geschwister Scholl (604 Nennungen) in ganz Deutschland Anerkennung.

Der Redaktion und Arbeitsgruppe von ZEIT ONLINE ist zu danken, diese Datenbank erarbeitet und bereit gestellt zu haben.