Worthäufigkeiten „Gott“, „Allah“ et al.
Ein Wort ist „die kleinste, eine selbstständige Bedeutung tragende Einheit der Sprache“. Über die möglichen Bedeutungen lässt sich wohlfeil streiten und die Häufigkeit der Verwendung eines Wortes bleibt individuell, jeweils in Abhängigkeit davon, welche Wichtigkeit ihm subjektiv zugemessen wird. Gibt es jedoch auch eine intersubjektive, evidenzbasierte Möglichkeit, Hinweise dafür zu bekommen, wie häufig ein Wort, und damit auch ein Thema, in der Öffentlichkeit eine Bedeutung hatte? Ja, das DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache.
Von Carsten Frerk.
Um mit den Subjektiven im Bereich von Religion und Weltanschauung zu beginnen, fragt beispielsweise der Bibelkreis München nach den häufigsten Worten in der Bibel und stellt fest: „Im Alten und Neuen Testament geht es um Gott, der die mit Abstand am häufigsten erwähnte Person ist. […] Das häufigste Substantiv ist bezeichnenderweise der Gottesname „Jahwe“ („HERR“), der es mit 6.828 Erwähnungen auf Platz 7 aller alttestamentlichen Worte bringt! Auf Platz 14 erscheint das Wort für „Sohn“ (4.929 mal) und als nächstes schon wieder der zweite Gottesname „Elohim“ („Gott“) mit 2.600 Erwähnungen. An nächster Stelle steht das Wort für „König“ (Nr. 20: 2.526 mal). So wird schon an der Wortstatistik deutlich, um wen es im AT geht, da fast 10.000 mal allein schon zwei Gottesnamen erscheinen. […] Im NT geht es wie im AT um Gott und um Jesus. Im Mittelpunkt steht dabei deren Herrsein.“
Nun, das überrascht nicht.
Dass die Frage nach der Worthäufigkeit von „Gott“ jedoch nicht nur akademisch ist, darauf verweist ein Disput 2014, als das pro-medienmagazin anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft die Nationalhymnen ausgezählt hatte und zu dem Ergebnis kam: „Gott“ – das meistgesungene Wort bei der WM“. Das hat ein Leser nachgezählt und kommt zu einem anderen Ergebnis: „Stutzig wurde ich, als im Text stand, Spitzenreiter seien die Niederlande: „In den 15 Strophen kommt elf Mal das Wort ‚Gott‘ vor. “ Ganz abgesehen davon, dass das nicht stimmt (richtig ist: 12 Mal; wer aber Wikipedia und die Browser-Suchfunktion nach ‚Gott‘ nutzt, kommt dank eines Schreibfehlers tatsächlich nur auf 11) – das heißt doch, dass in einigen anderen Hymnen das Wort gar nicht vorkommt. Und, da bin ich mir sicher: Oranje singt nicht vor jedem Spiel 15 Strophen.“
Dabei geht es bisweilen nicht nur um ein einzelnes Wort, sondern um ein Wortumfeld, sozusagen eine Bedeutungswolke. Das Erzbistum Köln hatte 2011 gefragt: „Worum geht es beim christlichen Glauben? Worauf kommt es an? Welche Wörter benennen am ehesten den Kern des Christentums in Lehre und Praxis? […] Das Ergebnis der TOP TEN (von allen Wörtern, die wenigstens 10 mal genannt wurden, in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit): 1. Liebe / Nächstenliebe, 2. Jesus Christus, 3. Hoffnung, 4. Glaube, 5. Gott, 6. Gemeinschaft, 7. Vergebung / Verzeihung, 8. Auferstehung, 9. Barmherzigkeit / barmherzig / erbarmen, 10. Vertrauen.“
Von diesen Einschätzungen abgesehen, weiß es der Theologe Wolfgang Beinert (im Jahr 2014) genau. In: „Was Christen glauben: 20 Antworten für kritische Zeitgenossen“ schreibt er: „Ohne Gott, wenigstens ohne das Wort Gott, scheint man gar nicht sprechen zu können. Es gibt in der Tat wenig Worte, die alle Leute so oft in den Mund nehmen wie dieses - interessanterweise vollkommen unabhängig von der Frage, wie es um ihre persönlichen Überzeugungen bestellt ist. „Einzigartig ist die Kraft, mit der sein begriffliches Gewicht sich in der Sprache niederschlägt. Spürbar wird die Kraft dieses Wortes nicht nur in der fast unvergleichlichen Häufigkeit seiner Anwendung, der auch ein Rückgang in jüngerer Zeit keinen fühlbaren Eintrag zu tun vermag, sondern eindrücklicher noch in der fast unübersehbaren Fülle seiner sprachlichen Bindungen, Verknüpfungen und Beziehungen, sowie in der Gewalt, mit der es den ganzen Raum der Sprache auf allen Stufen und in allen Schichten jederzeit durchdringt“. In den letzten rund 170 Jahren, die seit diesen Sätzen aus dem Grimmschen Wörterbuch ins Land gegangen sind, hat sich zwar sehr viel an der Gottgläubigkeit der Deutschen, sehr wenig aber nur an der Häufigkeit geändert, mit der sie das Wort Gott gebrauchen. Die Feststellung der Gebrüder Grimm stimmt noch immer!“
Diese Darstellung ist eine Tatsachenbehauptung und lässt sich überprüfen.
Basis dafür ist das „Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache. Das Wortauskunftssystem zur deutschen Sprache in Geschichte und Gegenwart, hrsg. v. d. Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften“ (DWDS).
Worthäufigkeiten
Im Rahmen dieses Projektes werden unterschiedlichste Texte und Textsammlungen elektronisch erfasst und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Eine Einführung dazu findet sich u. a. bei Wolfgang Klein: „Reichtum und Armut der deutschen Sprache“. Neben dem Deutschen Textarchiv (für den Zeitraum 1600 bis 1900) sind ein wesentlicher Textkorpus die Zeitungsartikel deutscher Zeitungen seit 1946, mit denen die Anzahl der Worthäufigkeiten in ausgewählten Zeitungen analysiert werden kann. Das Besondere dabei ist nicht nur der Aspekt, dass es einen Nachweis der Öffentlichkeit eines Begriffs/eines Themas im Zeitverlauf ermöglicht, sondern dass man gleichsam jeden Begriff in seiner öffentlichen Verwendung in Zeitungen darstellen lassen kann. Als Beispiel des Wort, der Begriff, der Name „Konrad Adenauer“.
Die Zeit der öffentlichen Diskussionen um die Politik Konrad Adenauers wird sichtbar.
Ebenso lässt die Worthäufigkeit von „Gott“ erkunden und das sowohl in den Phasen 1600-1999 wie für das Zeitungsarchiv 1945-2018:
Deutlich wird, dass die Nennung „Gott“ sich von 1600 bis 1780 deutlich verringert und danach auf dem niedrigen Niveau verbleibt. Die „Gott“-Verlaufskurve im Zeitungskorpus 1945 bis 2018 hat einen ersten Gipfel 1945 und einen zweiten Gipfel in 2003. (Zu beachten ist dabei, dass die Häufigkeit (Frequency) sich in den beiden Grafiken deutlich unterscheidet. Während die Darstellung seit 1600 sich jeweils im 1.000-Bereich bewegt, sind es in der zweiten Darstellung jeweils Häufigkeiten im 100-Bereich. Die Häufigkeiten sind relativ, d.h. die absoluten Nennungen beziehen sich auf die Gesamtzahl aller im betreffenden Zeitraum/Jahr erfassten Wörter.)
Auf den ersten Blick überraschend ist die geringere Frequenz Mitte der 1970er Jahre, als das Thema Religion und Staat subjektiv wichtig erschien.
Aber die Darstellung der Worthäufigkeit der öffentlichen, d. h. medialen Nennungen von „Kirche“ zeigt dazu eine Parallelität.
Das führt zu der Hypothese, dass die intensiven Diskussionen um die Religion (am Beispiel der ersten Spitzenwerte für Kirchenaustritte in 1970 und 1974) sich nicht religiös artikulierten, sondern sich politisch fokussierten.
Diese Beispiele sollen vorerst hinreichend sein. Im zweiten Teil dieser Darstellung soll noch dargestellt werden, dass es ebenfalls möglich ist, „Wortumfelder“ zu analysieren.
„Wortwolken“
Was verbindet sich mit einem Wort, in welchem Kontext wird es genannt? Dazu dient im DWDS die „DiaCollo – Kollokationsanalyse in diachroner Perspektive“. Dazu heißt es: „DiaCollo ist ein Werkzeug für das Auffinden von typischen Wortverbindungen (Kollokationen) zu einem Stichwort in einem bestimmten Zeitraum und die visuell aufbereitete Darstellung der Ergebnisse. Die Basis für diese Anwendung sind große und gut erschlossene Textkorpora. DiaCollo unterstützt die Inhaltsanalyse großer Mengen von Texten und ist deshalb besonders für Geschichts- und Politikwissenschaftler von großem Interesse.
Anhand der Wörter, mit denen zusammen ein Stichwort in einem bestimmten Zeitraum häufig auftaucht, lässt sich der Wandel in der Bedeutung dieses Stichworts nachzeichnen. Wenn es sich bei dem Stichwort um ein Schlüsselwort in politischen oder gesellschaftlichen Diskursen handelt, dann können die Veränderungen in der Verwendung des Wortes auch als Zeichen für politische, kulturelle etc. Veränderungen gedeutet werden.“
Die Darstellungen im Folgenden verdeutlichen die Aussagefähigkeit dieser Darstellungen. Basis ist der Textkorpus der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Gibt es eine „Rückkehr der Religion?“. Ja, aber in einer spezifischen Form der Veränderungen des Wortumfeldes und damit auch des Inhalts.
Bis 1980 ist Religion das zentrale Wort, eher mit „Christlich“, „Philosophie“ und „Opium“ (des Volkes) umgeben. 1980 zeigt sich dann erstmals der „Islam“ im Wortumfeld, der dann wichtiger wird und ab 2000, schließlich 2010 das Wortumfeld „Religion“ dominiert.
Diese Entwicklung zeigt sich auch bei den Wortumfeldern zu „Gott“ und „Allah“. Durch die Jahrzehnte bewegt sich der „Gott“ gleichbleibend im Wortumfeld von „lieb“, „Dank“, „Jesus“, „Gnade“ und „glauben“. (Man vergleiche die weiter oben genannte Wortwolke des Erzbistums Köln.)
Für die Nennung von „Allah“ gibt es eine andere Dynamik. Vor 1980 im Textkorpus der „Zeit“ noch gar nicht erwähnenswert, ist dann 1990 „hizb“ der dominierende Begriff. hizb steht „Hizb ut Tahrir“, eine internationale islamistische Bewegung, die 2003 in Deutschland verboten wurde.
Im Jahr 2000 ist Allah dann bereits mit „schwören“, „Eroberer“ und „Diener“ verbunden, in 2010 dann von „rächen“, „Akbar“, „Bataclan“ und Schlachterbeil“ umgeben. („Akbar“ ist Teil des „Allahu akbar“, ein arabischer Ausruf, der auf Deutsch wortwörtlich bedeutet „Gott ist der Größte“ und „Bataclan“ nennt den Konzertsaal in Paris, auf den 2015 ein Terroranschlag verübt wurde, der allerdings bereits 2007 und 2008 bedroht worden sein soll.
Fazit
Diese wenigen Beispiele verdeutlichen, welche Fundgrube das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache bereit stellt, wobei sowohl durch die Wortverlaufskurven wie durch die Kollokationen evidenzbasierte Feststellungen zur Öffentlichkeit von Wörtern und damit Themen dargestellt werden können. Diese Feststellungen sind eine Ausgangsbasis, um Hypothesen zu formulieren und zu versuchen, Erklärungen für die Veränderungen zu finden.