Straftaten nach §§ 166-168 StGB – 1956-2021

Die folgende Untersuchung ist eine chronologische Darstellung der Aburteilungen und Verurteilungen sowie der verhängten Strafmaße nach den §§ 166, 167, 167a sowie 168 Strafgesetzbuch (StGB). Ziel ist, möglichst viele der vom bundesdeutschen Justizministerium über Jahrzehnte produzierten Daten zu kompilieren und in einen einfach weiterzuverarbeitenden Datensatz zu übersetzen.
Von Adrian Beck
1. Überblick
2. Datengrundlage/Begriffe
3. Ergebnisse
3.1. §§ 166 – 168 StGB
3.2. §§ 166, 167 StGB
3.3. §§ 167a, 168 StGB
3.4. Verurteilte nach Strafmaß
Seit Gründung des Deutschen Kaiserreichs anno 1871 kennt das Strafgesetzbuch einen Paragrafen, der die Beschimpfung von Religionen mit Gefängnis bedroht: Nummer 166. Die Geschichte dieses Paragrafen ist lang und seine Instrumentalisierung als Zensurmechanismus erstaunlich.[1]
Es mag daher überraschen, dass §166 noch immer existiert. In seinem Umfeld tummeln sich darüber hinaus noch drei weitere Delikte, die in der Strafverfolgung gerne unter dem Begriff „Straftaten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen“ subsummiert werden.
1. Überblick
Einleitend soll ein kurzer Überblick über die Straftatbestände gegeben werden:
§ 166[2]: Stellt die Beschimpfung von Gottheiten sowie Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter Strafe, sofern dies in einer Weise geschieht, die „geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“.
§ 167[3]: Stellt unter Strafe, einen Gottesdienst oder eine weltanschauliche Feier „in grober Weise“ zu stören sowie am Ort solcher Ereignisse „beschimpfenden Unfug“ zu verüben.
§ 167a[4]: Stellt die absichtliche oder wissentliche Störung eines Bestattungsfeier unter Strafe.
§ 168[5]: Stellt die Störung der Totenruhe und das Verunglimpfen oder Beschädigen von Grabstätten unter Strafe.
Jeder dieser Delikte wird nach heutigem StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe geahndet. Bei allen Paragrafen handelt es sich um Offizialdelikte. Polizei und Staatsanwaltschaft müssen selbstständig Ermittlungen einleiten, ohne, dass es des Strafantrags eines Geschädigten bedarf.
2. Datengrundlage/Definitionen
Datengrundlage dieser Untersuchung ist die vom Bundesjustizministerium herausgegebene Fachserie Strafverfolgung. Die §§ 166 und 167 StGB und die §§ 167a und 168 werden hierin erst ab 1975 unter separaten Straftatbestandschlüsseln geführt. Die §§ 166 und 167 werden als „Religions- und Weltanschauungsdelikte“ bezeichnet, die §§ 167a und 168 als „Störung einer Bestattungsfeier; Störung der Totenruhe“.
Für die Jahre 1967 bis 1974 liegen keine Daten vor. Soweit möglich ist der Datensatz sowohl nach Alter der Angeklagten als auch nach Strafrechtsart (Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht) aufgeschlüsselt. Zwischen 1975 und 1986 gibt die Fachserie Strafverfolgung keine Auskunft darüber, ob eine Person nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angeklagt wurde (lediglich, nach welcher Strafrechtsart sie verurteilt wurde). Die mittlere Verurteilungsquote, die sich bei den beiden Paragraphenpaaren jeweils im Jugend- und Erwachsenenstrafrecht ergibt, bezieht sich daher nur auf den Zeitraum 1987 bis 2021.
Personen zwischen 14 und 18 Jahren werden als „Minderjährige“ bezeichnet, Personen zwischen 18 und 21 Jahren als „junge Erwachsene“ und Personen über 21 Jahren als „Erwachsene“.
Als abgeurteilt gilt jede Person, deren Fall vor einem Gericht verhandelt wird, als verurteilt gilt jede Person, die von einem Gericht schuldig gesprochen wird.
Abschließend bleibt anzumerken, dass diese Untersuchung primär einen Anspruch auf Übersichtlichkeit erhebt und gewisse Lücken in der Datengrundlage in Kauf nimmt.
3. Ergebnisse
3.1. §§ 166 -168 StGB
Betrachten wir zunächst die Zahl der Ab- und Verurteilungen sowie die Verurteilungsquoten für alle religions- und weltanschauungsbezogenen Straftaten zwischen 1956 und 2021 (siehe Tabellen 1 und 2 im Anschluss dieses Textes).
Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 4.191 Personen abgeurteilt, davon
- 1.527 Minderjährige,
- 647 junge Erwachsene sowie
- 2.017 Erwachsene
Es wurden 3.054 Personen schuldig gesprochen. 1.452 Personen wurden nach Jugendstrafrecht verurteilt, 1.602 Personen nach Erwachsenenstrafrecht.
Auffällig ist zunächst die Tatsache, dass die Zahl abgeurteilter Personen seit Beginn der Datenerfassung relativ hohen Schwankungen unterworfen ist, aber dennoch einem makroskopischen Abwärtstrend folgt. In keiner Periode wurden so wenige Menschen wegen religions- und weltanschauungsbezogener Straftaten angeklagt wie in den 2010-er Jahren.
Die mittlere Verurteilungsquote über den Gesamtzeitraum liegt bei 72,48 Prozent. Die Verurteilungsquote bei nach Jugendstrafrecht Abgeurteilten liegt bei 70,39 Prozent, bei nach Erwachsenenstrafrecht Abgeurteilten bei 75,4 Prozent.
Die gesamte Verurteilungsquote präsentiert sich verhältnismäßig konstant und sinkt zu keinem Zeitpunkt unter 50 Prozent. Im Jugendstrafrecht unterliegt die Verurteilungsquote dabei deutlich größeren Schwankungen als im Erwachsenenstrafrecht.
3.2. §§ 166, 167a StGB
Die Unterscheidung nach Straftatbestandschlüsseln, also die Separierung der §§ 166 und 167 von den §§ 167a und 168 ist ab dem Jahr 1975 möglich. Dies ist sinnvoll, da die beiden Paragraphenpaare sehr unterschiedliche Rechtsgüter zu schützen beabsichtigen. Im Folgenden werden die Ab- und Verurteilungen sowie die Verurteilungsquoten nach den §§ 166, 167 und §§ 167a, 168 separat abgebildet (s. Tabellen 3 und 4)
Insgesamt wurden zwischen 1975 und 2021 1056 Personen nach den §§ 166 und 167 abgeurteilt, davon
- 211 Minderjährige,
- 134 junge Erwachsene und
- 711 Erwachsene
Es wurden 718 Schuldsprüche gefällt. 190 Personen wurden nach Jugendstrafrecht verurteilt, 528 nach Erwachsenenstrafrecht.
Es ergibt sich eine mittlere Verurteilungsquote von 70,56 Prozent. Im Jugendstrafrecht beträgt diese 67,89 Prozent, im Erwachsenenstrafrecht 76,48 Prozent.
Ein Blick auf die Verurteilungsquote zeigt, dass diese vom Beginn der Zeitreihe an extremen Schwankungen unterworfen ist. Im Jugendstrafrecht pendelt sie permanent zwischen den Extremen, während sie im Erwachsenenstrafrecht zwar konstanter ist, doch trotzdem nicht gänzlich ohne große Sprünge von mehr als 20 Prozentpunkten auskommt. Eine Verurteilungsquote von 100 Prozent zeigt sich im Jugendstrafrecht mehrfach, im Erwachsenenstrafrecht nur einmal.
3.3. §§ 167a, 168 StGB
Nach den §§ 167a und 168 wurden zwischen 1975 und 2021 in Summe 2182 Personen abgeurteilt (s. Tabellen 5 und 6).
Von den Abgeurteilten waren:
- 1.138 Personen minderjährig,
- 342 junge Erwachsene und
- 702 Erwachsene
Insgesamt wurden 1554 Personen verurteilt. 1027 Personen wurden nach Jugendstrafrecht verurteilt, 527 nach Erwachsenenstrafrecht.
Daraus folgt eine mittlere Verurteilungsquote von 70,36 Prozent. Im Jugendstrafrecht liegt diese bei 62,60 Prozent, im Erwachsenenstrafrecht bei 71,17 Prozent.
Bei den Straftatbeständen „Störung einer Bestattungsfeier“ und „Störung der Totenruhe“ zeigt die gesamte Verurteilungsquote etwas mehr Stabilität als bei den Religions- und Weltanschauungsdelikten. Im Erwachsenenstrafrecht präsentiert sich eine den Religions- und Weltanschauungsdelikten nicht unähnliche Kurve, im Jugendstrafrecht lassen sich weniger Schwankungen beobachten. Bemerkenswert ist, dass eine Verurteilungsquote von 100 Prozent hier lediglich ein einziges Mal im Jugendstrafrecht erreicht wird.
Ein weiterer Vergleich der beiden Straftatbestandschlüssel zeigt, dass die Störung von Bestattungsfeiern und Totenruhen eine Zeit lang eine Art „Adoleszensvergehen“ gewesen zu sein scheint, während Religions- und Weltanschauungsdelikte bis heute überproportional von Erwachsenen begangen werden.
Eine chronologische Darstellung der Strafmaße gelingt auf Basis der Fachserie Strafverfolgung nur mit Unterbrechungen. Auch hier können die §§ 166 und 167 sowie 167a und 168 erst ab 1975 entflochten werden. Für die Zeiträume 1967 bis 1974 sowie 1986 bis 2001 gibt die Fachserie Strafverfolgung keinen Aufschluss über die verhängten Strafmaße. Zwischen 1956 und 1959 unterscheidet die Quelle im Erwachsenenstrafrecht nicht zwischen Geld- und Freiheitsstrafe. Für den Zeitraum zwischen 1960 und 1966 wurden außerdem die Strafen „Zuchthaus“, „Gefängnis“ und „Einschließung“ im Sinne einer konsistenten Darstellung in die Spalte „Freiheitsstrafe“ summiert.
3.4. Verurteilte nach Strafmaß
Aufgrund der fehlenden Jahrgänge sind die hier dargestellten Zahlen also allesamt als ein Minimum zu betrachten.
Zunächst betrachten wir die verhängten Strafmaße für alle Straftaten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen, wobei die Zeitreihe im Jahr 1956 beginnt. (s. Tabellen 7, 8, 9)
Von den 58 in diesem Zeitraum verhängten Jugendstrafen wurden 27 ausgesetzt. 709 Personen wurden zu Zuchtmitteln verurteilt, 68 zu einer Erziehungsmaßregel.
Im Erwachsenenstrafrecht wurden insgesamt 249 Freiheitsstrafen verhängt, von denen 80 zur Bewährung ausgesetzt wurden. 745 Personen wurden zu einer Geldstrafe verurteilt.
Nach den §§ 166 und 167 wurden zwischen 1975 und 2021 7 Jugendstrafen verhängt, wovon 3 zur Bewährung ausgesetzt wurden. 94 Mal wurden Zuchtmittel verhängt, 23 Mal Erziehungsmaßregeln.
Von den 45 nach Erwachsenenstrafrecht ausgesprochenen Freiheitsstrafen wurden 30 zur Bewährung ausgesetzt. 280 Personen wurden zu einer Geldstrafe verurteilt.
Wegen der Störung einer Bestattungsfeier oder der Totenruhe wurden zwischen 1975 und 2021 insgesamt 31 Jugendstrafen verhängt, wovon 22 ausgesetzt wurden. 401 Personen wurden zu Zuchtmitteln verurteilt, 41 Personen zu Erziehungsmaßregeln.
Die Zahl der verhängten Freiheitsstrafen im Erwachsenenstrafrecht liegt bei 71, wovon 50 zur Bewährung ausgesetzt wurden. 288 Personen wurden außerdem zu einer Geldstrafe verurteilt.
Es lässt sich herausarbeiten, dass seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland mindestens 249 Freiheitsstrafen wegen Straftaten gegen Religion und Weltanschauung verhängt wurden, von denen etwa ein Drittel zur Bewährung ausgesetzt wurden. Dazu kommen mindestens 58 Jugendstrafen, von denen etwa die Hälfte ausgesetzt wurden.
Subtrahiert man die zur Bewährung ausgesetzten Jugend- und Freiheitsstrafen, bleiben zwischen 1975 und 2021 mindestens 19 Inhaftierungen aufgrund von Verstößen gegen § 166 und 167. Für die §§ 167a und 168 ergibt sich eine Zahl von mindestens 30 Inhaftierungen.
Trotz einiger Leerstellen in der Datengrundlage lässt sich feststellen, dass die Gerichte heutzutage deutlich seltener zur Freiheitsstrafe greifen als in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik. Für diese Entwicklung gibt es zwei mögliche Erklärungsansätze: Entweder sind die Vergehen, die sich auf Religion und Weltanschauung beziehen, weniger schwerwiegend als noch vor einigen Jahrzehnten, oder aber die Justiz rückt davon ab, solche Straftaten als alleinige Begründung für den Freiheitsentzug anzuerkennen.
Anmerkungen
[1 https://weltanschauungsrecht.de/Religionsbeschimpfung
[2] https://dejure.org/gesetze/StGB/166.html
[3] https://dejure.org/gesetze/StGB/167.html
[4] https://dejure.org/gesetze/StGB/167a.html
[5] https://dejure.org/gesetze/StGB/168.html
Tabellen
(Im Anhang befindet sich eine Excel Datei mit den auslesbaren Daten für die Grafiken und Tabellen)