Sie sind hier

Äquivalenzprinzip: Best Case für die Kirchen

Gegenwärtig wird eine Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen nach dem „Äquivalenzprinzip“ diskutiert. Eine solche Ablösung wäre der „Best Case“ für die Kirchen – sie käme einer ewigen Weiterzahlung der Staatsleistungen gleich – nur, dass der Staat dann nichts mehr daran ändern kann. Und die Vorstellung, eine Ablösung ewiger Zahlungen durch einen Einmalbetrag sei für den Staat vorteilhaft, erweist sich als Irrglaube. Eine finanzwirtschaftliche Analyse.

Von Matthias Krause

Beim Äquivalenzprinzip entspricht die Ablösung der ewigen Weiterzahlung

Beim Äquivalenzprinzip wird eine Reihe (unendlicher) Zahlungen mit ihrem „Barwert“ bewertet. Das ist der Betrag, mit dem man – bei einer bestimmten, angenommenen Rendite – die Zahlungen aus den Kapitalerträgen bestreiten kann.

Das Äquivalenzprinzip besagt, dass es – unter den gegebenen Annahmen über die zukünftigen Zahlungen und Zinsen – einerlei ist, ob sich jemand für die Zahlungen oder den Barwert entscheidet. Die eine Option ist wirtschaftlich so gut wie die andere.

Für die Ablösung der Staatsleistungen bedeutet dies: Eine Ablösung nach dem Äquivalenzprinzip käme der ewigen Weiterzahlung der Staatsleistungen gleich. Mit dem Unterschied, dass die Kirchen den Ablösebetrag bereits sicher haben und der Staat nichts mehr daran ändern kann. Dies wäre das Beste, was den Kirchen passieren könnte.

Eine Ablösung nach dem Äquivalenzprinzip entlastet den Staat nicht

Aus der Natur des Äquivalenzprinzips – dass nämlich die Einmalzahlung finanziell der ewigen Weiterzahlung entspricht – folgt, dass durch eine Ablösung nach dem Äquivalenzprinzip auch die staatlichen Haushalte nicht entlastet werden. Zwar erfolgen nach der Ablösung keine Zahlungen mehr an die Kirchen. Durch die Ablösung entstehen dem Staat aber Opportunitätskosten in Höhe der wegfallenden Zahlungen (inkl. Inflationsanpassung), d.h. er zahlt zwar nicht mehr, hat aber durch die vorherige Einmalzahlung Jahr für Jahr entsprechend weniger Mittel zur Verfügung.

Eine Ablösung nach dem Äquivalenzprinzip entlastet auch nicht zukünftige Generationen

Teilweise wird argumentiert, durch den Wegfall der zukünftigen Zahlungen würden zukünftige Generationen entlastet. Auch dies ist eine Milchmädchenrechnung: Denn durch die Einmalzahlung nach dem Äquivalenzprinzip wird zukünftigen Generationen gerade der Kapitalstock entzogen, aus dessen Erträgen die Zahlungen hätten geleistet werden können. Das heißt: Mit oder ohne Ablösung fehlt den zukünftigen Generationen jedes Jahr der Betrag für die Staatsleistungen.

Keine wirkliche Entflechtung von Staat und Kirche

Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass eine Ablösung der Staatsleistungen nach dem Äquivalenzprinzip auch nicht wirklich zu einer Entflechtung von Staat und Kirche führt. Im Gegenteil: Aus dem Äquivalenzprinzip folgt, dass den zukünftigen Generationen dabei die gleichen Lasten aufgebürdet werden wie bei einer Weiterzahlung – nun allerdings ohne die Möglichkeit, sich jemals davon befreien zu können.

Eine Einmalzahlung ist nicht günstiger als die ewige Weiterzahlung, sondern kann sogar teurer sein

Die derzeitige Diskussion scheint auf der falschen Vorstellung zu beruhen, eine Einmalzahlung an die Kirchen sei für den Staat auf jeden Fall vorteilhafter als ewig weiter zu zahlen.

So erwiderte in einer Debatte des Landtags von Sachsen-Anhalt der religionspolitische Sprecher der LINKEN, Wulf Gallert, auf den Vorwurf von Bildungsminister Marco Tullner (CDU), er habe sich „sehr großzügig bei der Höhe” der Ablösezahlung gezeigt:

„So, Herr Tullner, wir setzen uns mal zusammen. Dann nehmen wir mal einen Zettel vor: Was ist teurer – es so zu belassen, wie es jetzt ist, mit jährlich zwei Prozent Steigerung, oder mit einer Ablösesumme von 700 Millionen Euro? Dann gucken wir uns mal an, wer von uns beiden großzügig ist.“ [deutschlandfunkkultur.de]

Bei der von Herrn Gallert angenommenen Inflationsrate von jährlich 2 Prozent müsste dazu der Ablösebetrag von 700 Mio. Euro jährlich eine Rendite von 7 Prozent erwirtschaften: 5 Prozent, um die jährliche Zahlung von derzeit 35 Millionen zu leisten, und zusätzlich 2 Prozent für den Inflationsausgleich.

Eine Rendite von 7 Prozent für langfristige Kapitalanlagen ist ohne Weiteres zu erzielen (siehe unten). Die Inflationsrate lag in den letzten 20 Jahren meist unter 2 Prozent. Damit kann der Vorschlag von Herrn Gallert durchaus als „großzügig“ betrachtet werden – und „Großzügigkeit“ geht hier natürlich stets zu Lasten der Steuerzahler.

Herr Gallert glaubt offenbar, sein Vorschlag einer Einmalzahlung von 700 Mio. Euro käme das Land Sachsen-Anhalt günstiger als die ewige Weiterzahlung. Die obige Rechnung zeigt, dass es eher umgekehrt sein wird: Statt 700 Mio. an die Kirchen zu zahlen, könnte die Landesverwaltung den Betrag (gedanklich) selbst anlegen und die Zahlungen an die Kirchen aus den Erträgen bestreiten. In dem – nicht unwahrscheinlichen – Fall, dass die Erträge höher sind und die Inflation niedriger sind als angenommen, käme die Differenz dem Land zugute – und nicht den Kirchen.

Das niedrige Zinsniveau ist irrelevant

Mit welchem Barwert die zukünftigen Zahlungen zu bewerten sind, hängt ganz entscheidend davon ab, mit welchem Zinssatz kalkuliert wird. Je höher der Kalkulationszinssatz, desto kleiner ist der resultierende Barwert. (Weil ja mit höheren Erträgen kalkuliert wird.) Und je niedriger der Kalkulationszins, desto höher ist der resultierende Barwert. (Weil mit niedrigeren Erträgen kalkuliert wird.)

Im obigen Beispiel wurden ewig währende Zahlungen von heute 35 Millionen Euro pro Jahr, mit 2 Prozent Inflationsanpassung pro Jahr, mit 700 Mio. Euro bewertet. Das heißt, es wurde mit einer Rendite von 7 Prozent kalkuliert. Bei einer Rendite von 6 Prozent ergäbe sich ein Ablösebetrag von 875 Mio. Euro, bei einer Rendite von 8 Prozent 583 Mio. Bereits kleine Änderungen des Kalkulationszinssatzes haben also große Änderungen bei der Ablösesumme zur Folge.

Für die Kirchen ist es vorteilhaft, mit einem möglichst niedrigen Zins zu kalkulieren. In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, dass wir uns derzeit in einer ausgeprägten Niedrigzinsphase befinden. Und es ist unklar, ob die Zinsen jemals wieder frühere Höhen erreichen werden.

Für die Berechnung der Ablösesumme sollte das offizielle Zinsniveau allerdings unerheblich sein. Für die Berechnung kommt es nicht darauf an, welche Zinsen man auf einem Bankkonto erzielen könnte, sondern mit welcher Rendite man Geld zuverlässig langfristig anlegen kann. Die adäquate Anlageform wäre hier ein Aktienportfolio (oder ein ETF), mit dem ein Aktien-Index nachgebildet wird. Aktienkurse können zwar kurzfristig stark schwanken, langfristig ließen sich damit allerdings Renditen um 10 Prozent pro Jahr erzielen (MDAX, S&P500, jeweils von 1988 bis 2019, also inklusive Internet-Blase von 2000 und Finanzkrise von 2007). Bei dieser Rendite ergäbe sich ein Ablösebetrag von 438 Mio.

Eine Einmalzahlung führt zu Ungerechtigkeit

Wie gut oder schlecht sich die ehemaligen Staatsleistungen also später tatsächlich aus der Ablösesumme finanzieren lassen, hängt davon ab, wie sich die Inflation entwickelt und welche Erträge sich bei der Anlage des Ablösebetrages erzielen lassen. Diese Entwicklungen lassen sich allenfalls grob abschätzen – sicher nicht genauer als auf einen Prozentpunkt. Wie oben gezeigt, haben allerdings bereits kleine Änderungen bei den Prozentsätzen große Auswirkungen. Im obigen Beispiel aus Sachsen-Anhalt ergab sich die Ablösesumme von 700 Mio. Euro bei einer angenommenen Rendite von 7 Prozent. Stellt sich später heraus, dass sich tatsächlich 8 Prozent Rendite erzielen lassen, hätte der Staat 117 Mio. zu viel gezahlt, denn bei dieser Rendite ergibt sich eine Ablösesumme von nur 583 Mio. Ließe sich umgekehrt nur eine Rendite von 6 Prozent erzielen, hätten die Kirchen 175 Mio. Euro zu wenig erhalten, denn bei dieser Rendite ergibt sich eine Ablösesumme von 875 Mio.

Das heißt: Im Nachhinein wird sich höchstwahrscheinlich zeigen, dass entweder

  • der Staat zu wenig gezahlt hat und die Kirchen die weggefallenen Staatsleistungen nicht aus der Ablösesumme finanzieren konnten, oder dass
  • der Staat zu viel gezahlt hat und die Kirchen durch die Ablösung noch besser gestellt wurden als zuvor.

Die Kirchen können sich auf den Standpunkt stellen, dass sie nicht das Risiko für eine ungünstige Entwicklung übertragen bekommen wollen. Um dieses Risiko zu kompensieren, müsste der Staat einen erheblichen Aufschlag auf den „fairen“ Betrag zahlen – mit dem Ergebnis, dass die Kirchen bei der Ablösung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch besser gestellt würden als bisher. Die Ablösung käme dann einer endgültigen, ewigen Erhöhung der Staatsleistungen gleich.

Da eine Ablösung nach dem Äquivalenzprinzip aber prinzipbedingt ohnehin finanziell gleichbedeutend – eben äquivalent – zu einer ewigen Weiterzahlung inklusive Inflationsausgleich ist, ergeben sich aus einer solchen Ablösung für den Staat grundsätzlich keine finanziellen Vorteile.