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Die deutschen Gewerkschaften

Die deutschen Gewerkschaften haben ein Problem der Akzeptanz. Viele Arbeitnehmer fühlen sich nicht mehr durch die Gewerkschaften vertreten und verlassen diese. Andererseits haben die Arbeitgeber kein Interesse mehr mit Gewerkschaften zu verhandeln, wenn die Beschäftigten nicht mehr Teil der Gewerkschaft sind. Diesen Trend versuchen die Gewerkschaften mit neuen Strategien und Mitgliedergewinnung aus bisher nicht beachteten Berufszweigen aufzuhalten. Dennoch haben die Gewerkschaften das gleiche Problem der Überalterung ihrer Mitglieder, wie die Kirchen und die Parteien. Defizite bestehen vor allem bei Frauen und Jüngeren in Ostdeutschland und generell Angestellten und Hochqualifizierten.

Von Elke Schäfer

Entwicklung nach 1945

Nach dem 2. Weltkrieg konnte 1949 mit der Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) eine weltanschaulich und konfessionell neutrale Einheitsgewerkschaft realisiert werden. Die Entwicklung der Gewerkschaft erfolgte allmählich unter der Kontrolle der westlichen Besatzungsmächte. Im DGB waren anfangs 16 Gewerkschaften vereint, die in den letzten Jahren durch Zusammenschlüsse auf 8 reduziert wurden. Der DGB ist die größte Dachorganisation von Einzelgewerkschaften in Deutschland und vereint insgesamt knapp sechs Millionen Gewerkschafter/innen (2019).

Mitte der 1950 und 1960er Jahre zeigt sich eine relative Stabilität in der Mitgliederentwicklung. Gegenüber dem jeweiligen Vorjahr gibt es prozentual nur geringe Veränderungen. In den 1970er Jahren ist eine deutliche „Wachstumsphase“ zu erkennen, was auf die kompliziertere wirtschaftliche Situation und die „Ölkrise“ zurückzuführen ist. Die Arbeitslosenzahlen steigen und die Gewerkschaften bekamen Zulauf. Doch auch die Gewerkschaften konnten kaum etwas zur Überwindung der Arbeitslosigkeit seit Mitte der siebziger Jahre beitragen.

Die Mitgliederstärksten Jahre waren etwa Anfang der 1980er Jahre. Dennoch lag auch zu den Spitzenzeiten der Mitgliedergewinnung der gewerkschaftliche Organisationsgrad (d. h. der Anteil an allen abhängig Beschäftigten) in Westdeutschland unter 35 Prozent. Die DGB-Gewerkschaften sind zudem bis heute meist männerdominierte Organisationen geblieben, in denen der Frauenanteil seit den 1970er Jahren zwar kontinuierlich stieg, 1990 aber immer noch unter 25 Prozent betrug. Dies liegt vor allem in der schwachen Erwerbsquote der Frauen begründet. Der Frauenanteil unter den DGB-Mitgliedern liegt im Jahr 2019 bei circa 34 Prozent. Der Anteil von Frauen an der Gewerkschaftsmitgliedschaft ist damit auch heute noch deutlich niedriger als ihr Anteil an den Erwerbstätigen. Dieser liegt 2019 bei 48,6 Prozent.

Den niedrigsten Frauenanteil unter den DGB-Gewerkschaften ist in der IG Metall (2017: 18 Prozent). Sowohl dort als auch in anderen DGB-Gewerkschaften mit niedrigem Frauenanteil, wie der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE 2017: 21,5 Prozent), in der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) besteht eine Männerdominanz, die ein Abbild der Beschäftigtenstrukturen in diesen Branchen ist. Bei ver.di und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sind Frauen unter den Mitgliedern in der Mehrheit. der niedrige Frauenanteil in den Gewerkschaften ist in den neuen Beschäftigungsverhältnissen von Frauen begründet. Größtenteils arbeiten sie in betriebsrats- und gewerkschaftsfreien Kleinbetrieben, privaten, tariffreien Dienstleistungsfirmen und in prekären Arbeitsverhältnissen. Im Bereich der öffentlich organisierten Dienstleistungen, insbesondere in den Branchen Erziehung und Unterricht sowie Gesundheits- und Sozialwesen, ist der Frauenanteil deutlich höher als in der verarbeitenden Industrie, was sich auch in einem größeren Anteil organisierter Frauen in den jeweiligen Gewerkschaften ausdrückt.


Die Einzelgewerkschaften

Die IG Metall ist die größte Gewerkschaft im DGB, gemessen an der Anzahl der Mitglieder von ca. 2,27 Millionen im Jahr 2018. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) ist die Zweitgrößte mit rund 1,97 Millionen Mitgliedern und Drittgrößte ist die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mit 83.220 Arbeitern und Angestellten. Zum DGB gehören außerdem:

  • IG Bauen-Agrar-Umwelt
  • IG Bergbau, Chemie, Energie
  • GEW Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
  • Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten
  • Gewerkschaft der Polizei

Später entstanden noch eine Angestelltengewerkschaft (DAG 1949-1990), der Christliche Gewerkschaftsbund - CGB- (1959), die Beamtengewerkschaften (dbb) und ca. 60 kleinere, vorwiegend berufsorientierte Organisationen (Deutscher Hebammenverband, Marburger Bund, Berufsverband Feuerwehr, Gewerkschaft der Taxifahrer, Deutsche Orchestervereinigung, Vereinigung Cockpit usw.).

Die 1949 gegründete deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) konnte wegen konkurrierender Ansichten nicht Mitglied im DGB werden. Ähnliches galt für den deutschen Beamtenbund (DBB).

Die Idee der Einheitsgewerkschaft wurde von der Neugründung Christlicher Gewerkschaften unterwandert. Christliche Gewerkschaften wurden bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf die bereits bestehenden freien Gewerkschaften gegründet, nachdem die Versuche weltanschaulich und parteipolitisch neutrale Einheitsgewerkschaften zu schaffen, gescheitert waren. 1901 schlossen sich christliche Einzelgewerkschaften zum Gesamtverband der Christlichen Gewerkschaften Deutschlands (GCG) zusammen. Diese bekannten sich bewusst zu den Prinzipien der Christlichen Gesellschaftslehre wie Personalität, Subsidiarität, Solidarität und Gemeinwohl und erklärten diese für unvereinbar mit den sozialistischen Grundsätzen der Freien Gewerkschaften. Meistens waren diese Gewerkschaften im katholischen Milieu verankert (Rheinland,  Westfalen, Emsland,  Süddeutschland, Pfalz, Saarland und Oberschlesien). 1933 wurden diese Vereinigungen aufgelöst und 1959 als Christlicher Gewerkschaftsbund Deutschland wieder neu gegründet. Die CGB-Gewerkschaften sind in keiner Branche wirklich streikfähig. Ihre Attraktivität für die Unternehmen gewannen sie in der Vergangenheit vor allem dadurch, dass sie Tarifverträge vereinbarten, mit denen die von den DGB-Gewerkschaften ausgehandelten Lohn- und Arbeitsbedingungen unterboten wurden. Inzwischen versuchen die CGB-Gewerkschaften sich etwas vom Image der Unterbietungsgewerkschaft zu lösen.

Der Organisationsgrad

Vom Beginn der Bundesrepublik bis zum Ende der 1980er Jahre verringert sich der Organisationsgrad der Gewerkschaften beständig. Dieser bezeichnet den Anteil der abhängig beschäftigten Erwerbspersonen, die gewerkschaftlich organisiert sind. Im Organisationsgrad stellt sich die Relativität der Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder zu der Gesamtzahl der im Prinzip organisierbaren Erwerbstätigen dar. Die Zahl der Erwerbstätigen steigt ab mitte der 1950er Jahre stärker als die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder. Die 1970er Jahre sind dann die einzige Phase, während der sich auch der Anteil der DGB-Mitglieder vergrößert. Der Deutsche Beamtenbund hatte von seiner Gründung an bis Anfang der 1960er Jahre einen erhöhten Zulauf. Doch auch da trat Stagnation und ab den 1980er Jahren ein stetes Sinken des Organisationsgrades ein. Durch die Wiedervereinigung Deutschlands wurde dies kurzfristig auf ein höheres Niveau verschoben.

Hierbei ist der Organisationsgrad bei DGB und CGB auf alle Arbeitnehmer, für DAG auf alle Angestellten und für den dbb auf alle Beamten berechnet. Der Bruttoorganisationsgrad bezieht  alle auch Arbeitslosen und Rentner mit ein. Netto sind es dann zwischen 12 und 25 Prozent weniger bezogen auf alle Beschäftigten.

Entwicklung in der DDR

In der sowjetischen Besatzungszone wurde sofort nach dem Kriegsende der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) gegründet. Dieser war eine Massenorganisation der SED. Ab 1971 übernahm der FDGB die Leitung und Kontrolle der Sozialversicherung.

Somit war fast die gesamte erwerbstätige Bevölkerung im FDGB, auch über das Berufsleben hinaus. In der DDR bestand mit dem FDGB eine parteipolitisch geprägte Staatsgewerkschaft. Sie war in sehr vielfältiger Weise in die kulturelle und private Reproduktion der Kombinate und Betriebe eingebunden. Zu den Aufgaben des FDGB gehörte neben der Kantinenversorgung in den Betrieben auch die Vergabe von Ferienplätzen, Verleihung von Auszeichnungen und Prämien,  Vergabe von Kuren sowie Krankenbesuche.

Der FDGB war Dachverband von 15 Einzelgewerkschaften. Die IG Metall mit 1,8 Millionen Mitgliedern (1986) war die größte Einzelgewerkschaft, daneben waren die Gewerkschaft Handel, Nahrung und Genuss (1,1 Millionen), die IG Bau-Holz (950.000) und die Gewerkschaft der Mitarbeiter der Staatsorgane und Kommunalwirtschaft (840.000) ebenfalls große Einzelgewerkschaften. Um alle Erwerbstätigen zu erreichen, wurden zahlreiche, auf Wirtschaftszweige ausgerichtete Einzelgewerkschaften gegründet.

  • Industriegewerkschaft Bau-Holz, entstand 1950 aus Industriegewerkschaft Bau und Industriegewerkschaft Holz
  • Industriegewerkschaft Bergbau-Energie
  • Industriegewerkschaft Metallurgie, war zwischen 1951 und 1958 ausgelagert
  • Industriegewerkschaft Chemie, Glas und Keramik
  • Industriegewerkschaft Druck und Papier
  • Gewerkschaft Gesundheitswesen
  • Gewerkschaft Handel, Nahrung und Genuss
  • Gewerkschaft Kunst
  • Gewerkschaft Land, Nahrungsgüter und Forst
  • Industriegewerkschaft Metall
  • Gewerkschaft der Mitarbeiter der Staatsorgane und der Kommunalwirtschaft
  • Industriegewerkschaft Textil-Bekleidung-Leder, entstand 1950 aus Industriegewerkschaft Textil und Industriegewerkschaft Bekleidung und Industriegewerkschaft Leder
  • Industriegewerkschaft Transport und Nachrichtenwesen
  • Gewerkschaft Unterricht und Erziehung
  • Industriegewerkschaft Wismut
  • Gewerkschaft Wissenschaft
  • Gewerkschaft der Zivilbeschäftigten der NVA

Dem FDGB gehörten ca. 9,5 Millionen Mitglieder an, von denen etwa die Hälfte Frauen waren.

Im Einigungsjahr 1990 löste sich der FDGB auf und die DGB-Gewerkschaften weiteten ihre Organisationen, dem Prinzip des Institutionentransfers folgend, in die fünf neuen Länder aus.

Gewerkschaften nach 1990

Mit der Wiedervereinigung stieg die Mitgliederzahl der DGB-Gewerkschaften sprunghaft um fast vier Millionen von acht auf 12 Millionen Mitglieder an. Die Ausbreitung der Gewerkschaften nach Ostdeutschland ist aber auch gleichzeitig eine Erklärung für den anschließenden extremen Mitgliederrückgang des DGB. Denn der Organisationsgrad des FDGB war bei der Wiedervereinigung mit 51,1 Prozent deutlich höher als im Westen mit 27,2 Prozent. Mit dem Wegbrechen vor allem ostdeutscher Mitglieder glich sich der Organisationsgrad in Ost- und Westdeutschland dann in den folgenden Jahren rasch an. Bereits zehn Jahre nach der Wiedervereinigung war die Mitgliederbasis des DGB wieder auf acht Millionen zurückgegangen.

Die Gewerkschaften reagierten auf den Mitgliederschwund vor allem mit organisationspolitischen Veränderungen: Durch Zusammenschlüsse reduzierte sich die Zahl der DGB-Gewerkschaften seit 1995 von 16 auf 8. Diese acht Gewerkschaften decken alle Branchen und Wirtschaftsbereiche in Deutschland ab und organisieren alle Beschäftigten einer Branche, unabhängig von deren beruflicher Tätigkeit oder Stellung im Beruf. Zum anderen wurden betriebswirtschaftliche Instrumente zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung genutzt, wie Personalabbau und der Aufbau von kostengünstigen Dienstleistungen.

Die Gewerkschaften selbst haben zum Teil zu ihrem Bedeutungsverlust mit beigetragen. Die Anpassung an die neuen Rahmenbedingungen hat zu lange gedauert und die neuen gesellschaftspolitischen Ziele und Erarbeitung von Visionen für das geeinte Deutschland wurden außer Acht gelassen. Zu lange orientierte man sich auf Tarifverhandlungen und vertraute den alten Strukturen der Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen. Man hatte angenommen, dass die alten Arrangements zwischen Staat, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften weiterhin funktionieren und ausreichen würden, um für gute Arbeitsverhältnisse und faire Löhne zu sorgen.

Es ist „durchaus denkbar, dass die Gewerkschaften durch den gegenwärtigen sozioökonomischen Umbruch zum Verschwinden gebracht oder in eine randständige Existenz gedrängt werden“ . Mit dieser in einem Arbeitspapier der Hans-Böckler-Stiftung geäußerten These ist die Problematik aufgezeigt, dass Gewerkschaften in Deutschland sich den strukturellen Problemen stellen und diese genau reflektieren müssen, wenn sie ihre Bedeutung nicht verlieren wollen.

In den letzten 25 Jahren hat die Globalisierung der Weltwirtschaft zugenommen, es wird immer mehr in Billiglohnländern produziert und im Inland werden billige Arbeitskräfte eingestellt, die den Preise der Arbeitskraft drücken.

„Durch diese Prozesse der Auslagerung, Rationalisierung und radikalen Ausrichtung von wirtschaftlichem Handeln am so genannten ’Shareholder Value’ sind die Machtquellen von Gewerkschaften erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen dem Bedeutungsverlust der Gewerkschaften und der weitreichenden Durchsetzung einer neoliberalen Wirtschaftsideologie und damit verbundener Politik…” (Friedrich-Ebert-Stiftung: Wirtschafts- und Sozialpolitik)

Gewerkschaften werden wegen ihres Festhaltens an Flächentarifverträgen als unflexibel, unbelehrbar und „Ewig-Gestrige“ gescholten. Das Abweichen von Flächentarifverträgen zugunsten ’günstigerer’ Lohntarife vor Ort, heißt aber für viele Arbeitnehmer Lohneinbußen und Einschränkungen des Einflusses der Gewerkschaften. Infolgedessen fühlen sich viele Beschäftigte nicht mehr durch die Gewerkschaften vertreten und treten aus. Andererseits ist mit dem Verlust der Flächentarifverträge auch die Akzeptanz der Gewerkschaften bei den Arbeitgebern gesunken.

Ein weiteres Problem für die Gewerkschaften ist die Verschiedenartigkeit der Arbeitsverhältnisse. Das „normale“ Arbeitsverhältnis, für welches man eindeutige Forderungen definieren konnte, kommt kaum noch vor. Heutzutage sind Löhne, Arbeits- und Urlaubszeiten von Leiharbeitnehmern, Honorarkräften, Teilzeit- und befristet Beschäftigten kaum mit einheitlichen Standards zu definieren. Dies schwächt die Verhandlungsposition gegenüber den Arbeitgebern. Arbeitgeber treiben im Interesse des Standorts und der Geschäfte die Flexibilisierung und Deregulierung immer weiter, spalten die Interessen der Beschäftigten, so dass die Gewerkschaften mit den Begriffen wie Solidarität und Kampf auf verlorenem Posten stehen.

Um ihre Funktionen als streitbare Tarifpartner und als gesellschaftspolitische Kraft wieder erfüllen zu können, müssen die Gewerkschaften klare Positionen in der sozial- und verteilungspolitischen Debatte beziehen. Es kommt darauf an, wieder Mitglieder zu gewinnen und um Beschäftigte aus Branchen zu erweitern, die bislang nicht zu den klassischen Mitgliedsgruppen gehörten. Die Gründung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di war z. B. eine Konsequenz, um Arbeitnehmer aus schwierigen Branchen wie Gebäudereinigung, Callcentern, Internet und Kommunikation usw. anzusprechen und zu organisieren. In einer Expertise im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung werden von Serge Embacher die neuen Strategien für Parteien und Gewerkschaften erläutert:

„Partizipation und Mitgliederorientierung sind wichtige Kriterien, um zu Mitbestimmung und Mitgestaltung gewerkschaftlicher Positionen zu motivieren. Die Frage, wie sich gewerkschaftliche Macht heute erfolgreich gegen Kapitalverwertungsinteressen in Stellung bringen lässt, hängt eng mit der demokratischen Verfasstheit gewerkschaftlicher Organisation zusammen.”

Der Vorteil des höheren Organisationsgrades der Erwerbstätigen in den Neuen Bundesländern verliert sich 1992 innerhalb eines Jahres. Allerdings wird der Negativtrend seit 1992 Jahr für Jahr langsam schwächer - im Negativen ein Trend hin zum Positiven. In Westdeutschland ging der Organisationsgrad zwischen 1991 und 2004 von 43 auf 24 Prozent zurück. Im Osten ist der Rückgang (von 56 auf 7 Prozent) wesentlich höher. Auch der Beschäftigtenorganisationsgrad ist seit Jahren rückläufig, insbesondere in Ostdeutschland. Dieser Prozess wird nur dadurch etwas ausgeglichen, dass viele größere Betriebe Verbandsmitglieder geblieben sind. Es traten mehrheitlich kleine und mittelgroße Unternehmen aus, was angesichts der vielen klein- und mittelständigen Unternehmen in Ostdeutschland schwer wiegt. In der Folge lag der Beschäftigtenorganisationsgrad trotz eines Rückgangs um fast 20 Prozentpunkte bei immerhin noch 53,5 Prozent.

Der sich seit 2010 deutlich abschwächende Mitgliederrückgang im DGB ist auf eine neue Mitgliederorientierung zurückzuführen. Dabei zeigen sich bei den Einzelgewerkschaften erhebliche Unterschiede in der Mitgliederentwicklung. Seit 2010 konnten nur die GdP (Gewerkschaft der Polizei), die GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) und die IG Metall ihre Mitgliederzahlen steigern. Grundlage dieser Erfolge sind konkrete Aktivitäten mit eigenen Strukturen, Ressourcen, Personen und Zielen.

Teilt man die Arbeitnehmer in Altersgruppen ein, ist ein linearer Zusammenhang zwischen Altersgruppen und Organisationsgrad erkennbar: Die Gruppe der 18- bis 30-Jährigen ist im Durchschnitt zu 12,1 Prozent organisiert, die 31- bis 40-Jährigen zu 14,4 Prozent, die der 41- bis 50-Jährigen zu 18,3 Prozent und die der über 50-Jährigen zu 22,2 Prozent. Damit weisen die älteren Arbeitnehmer einen fast doppelt so hohen Organisationsgrad auf wie die Jüngeren. Berechnungen zur Altersstruktur der Gewerkschaftsmitglieder im Vergleich zur gesamten Arbeitnehmerschaft zeigen, dass die Gewerkschaftsmitglieder überaltert sind. Die beiden älteren Gruppen stellen 70 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder, aber nur gut 60 Prozent aller Arbeitnehmer. Umgekehrt stellen die beiden jüngeren Gruppen (Arbeitnehmer bis 40 Jahre) nur knapp 30 Prozent der Mitglieder, aber 40 Prozent aller Arbeitnehmer.

Bei einem Vergleich über die verschiedenen Jahre ist zu erkennen, dass gerade die jüngere Generation (18-40 Jahre) immer weniger Anteile in den Gewerkschaften haben, die 41 bis 50 Jährigen einen etwa gleichbleibenden Anteil von etwa einem Drittel haben, jedoch der Anteil der über 50-Jährigen seit dem Jahr 2000 sprunghaft gestiegen ist. Insgesamt ist der Mitgliederanteil der Gewerkschaften seit 1980 von 31 Prozent auf ca 19 Prozent im Jahr 2014 gesunken.

SFE