Der Deutsche Ethikrat
Der Deutsche Ethikrat soll ein unabhängig tätiges Gremium sein, welches ausschließlich an den durch das Ethikratgesetz begründeten Auftrag gebunden ist. Ob die aktuelle Zusammensetzung des Ethikrates diesem Ziel gerecht werden kann, darf hinterfragt werden. Immerhin haben mindesten 17 Mitglieder (darunter der Vorsitzende) aus ihrer Tätigkeit heraus, ihrem Engagement oder Familienhintergrund eine religiöse Weltsicht. Die daraus folgenden, immer subjektiv gefärbten Meinungen und Ansichten zu bestimmten Themen sind demzufolge in der Mehrzahl von religiösen Einstellungen geprägt.
von Elke Schäfer
Gesetzlicher Auftrag
Ethikratgesetz - ausgefertigt am 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1385); in Kraft getreten am 1. August 2007
Information der Öffentlichkeit und Förderung der Diskussion in der Gesellschaft unter Einbeziehung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen;
Erarbeitung von Stellungnahmen sowie von Empfehlungen für politisches und gesetzgeberisches Handeln;
Zusammenarbeit mit nationalen Ethikräten und vergleichbaren Einrichtungen anderer Staaten und internationaler Organisationen.
Nach eigenem Verständnis, soll der Deutsche Ethikrat ein unabhängig tätiges Gremium sein, welches ausschließlich an den durch das Ethikratgesetz begründeten Auftrag gebunden ist. Die 26 Mitglieder sollen ihr Amt persönlich und unabhängig ausüben und dürfen dabei nicht aktiv im Bundestag, in der Bundesregierung, im Landtag oder einer Landesregierung tätig sein.
Die 26 Mitglieder werden hälftig von Bundesregierung und Bundestag vorgeschlagen und vom Bundestagspräsidenten berufen. Die Mitglieder werden für die Dauer von vier Jahren berufen. Sie können einmalig wiederberufen werden. Scheidet ein Mitglied vorzeitig aus, so wird von gleicher Organisation ein neues Mitglied für vier Jahre berufen.
Zu den Ratsmitgliedern gehören verschiedene Wissenschaftler, die in besonderer Weise mit ethischen Fragen der Lebenswissenschaften vertraut sind, sowie Kirchenvertreter. Sie sollen naturwissenschaftliche, medizinische, theologische, philosophische, ethische, soziale, ökonomische und rechtliche Belange in besonderer Weise repräsentieren sowie unterschiedliche ethische Ansätze und ein plurales Meinungsspektrum vertreten.
Das Ethikratgesetz spricht zwar von Pluralität, jedoch ist fraglich, ob die aktuelle Zusammensetzung des Ethikrates diesem Ziel gerecht werden kann. Immerhin sind sechs von ihnen offizielle Vertreter von Religionsgemeinschaften, zwei lehren an christlichen Schulen und bei mindestens neun weitere Mitgliedern ist aus dem Engagement oder Familienhintergrund zu entnehmen, dass sie eine christliche Weltsicht haben. Die daraus folgenden immer subjektiv gefärbten Meinungen und Ansichten zu bestimmten Themen sind demzufolge in der Mehrzahl von religiösen Einstellungen geprägt. Der Ethikrat erstellt Gutachten mit langfristigen Auswirkungen, die von der Politik in der empfohlenen Richtung umgesetzt werden. Und bei einem Mehrheitsvotum ist es nicht unerheblich, ob die Vertreter der Kirche jeweils nur einen Vertreter oder einen ganzen Flügel stellen.
Die Ethik ist eine praktische Wissenschaft, in der es um eine verantwortbare Praxis geht. Sie soll dem Menschen Hilfen für seine sittlichen Entscheidungen liefern. Die Ethik liefert dabei allgemeine Prinzipien guten Handelns und ethischen Urteilens. Die Anwendung dieser Prinzipien auf immer neue Lebenslagen und Situationen muss Aufgabe der praktischen Urteilskraft und des Gewissens sein. Dabei spielt für die richtige sittliche Entscheidung neben der Kenntnis allgemeiner Prinzipien die Schulung der Urteilskraft in praktischer Erfahrung eine wichtige Rolle.
Dafür sind zu wenige Menschen aus Bereichen, die alltäglich ethische Entscheidungen treffen müssen vertreten, z. B. Menschen, die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr oder Katastropheneinsätzen waren, Mitarbeiter aus dem Strafvollzug, Sozialarbeiter, Palliativmediziner, Menschen aus Pflegeeinrichtungen und Kinderheimen. Menschen aus Berufsgruppen die sich im Alltag mit der menschlichen Existenz, mit Moral und Gerechtigkeit auseinandersetzen müssen sind unterrepräsentiert.
Mitglieder des Ethikrates ab 2016
Im April 2016 standen die Mitglieder des 26-köpfigen Gremiums der Bundesregierung und des Bundestages für das neue Intervall fest.
Während der vorigen Amtszeit waren der hessische evangelische Bischof Martin Hein (inzwischen Amtszeit beendet und Ende 2018 durch die Theologin Elisabeth Gräb-Schmidt ersetzt) und der Siegener Philosoph Carl Friedrich Gethmann nachgerückt und wurden von der Bundesregierung bestätigt, ebenso der Frankfurter Humanmediziner Leo Latasch, Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden, und der türkischstämmige Mediziner Ilhan Ilkilic als Vertreter der Muslime.
Wiederberufen wurden der Strafrechtler Reinhard Merkel (Hamburg) und die Neurobiologin Katrin Amunts (Düsseldorf). Für die katholische Kirche rückte Franz-Josef Bormann (Tübingen) nach.
Die Medizinethikerin Alena Buyx (Kiel) wurde neu berufen, sie war vorher mehrere Jahre Vize-Direktorin des britischen Bioethikkomitees.
Die 2016 neu berufene Pflegewissenschaftlerin Gabriele Meyer aus Halle schied Mitte 2018 auf eigenen Wunsch aus und wurde durch Prof. Dr. Judith Simon ersetzt. Neu hinzu kamen der Medizinrechtler Volker Lipp aus Göttingen, die Systembiologin am Deutschen Krebsforschungszentrum Ursula Klingmüller (Heidelberg) und der Humangenetiker Wolfram Henn (Homburg).
Als Vertreter der Patienten und Behindertenverbände wurde der Würzburger Physiker und Bundesvorsitzende des gemeinnützigen Vereins Mukoviszidose Stephan Kruip berufen.
Nach der Zusammensetzung des Bundestages konnten sieben Vorschläge der CDU/CSU, vier der SPD und je einer von den Linken und den Grünen berücksichtigt werden. Die Grünen beriefen Sigrid Graumann, Ethikerin an der evangelischen Fachhochschule in Bochum, und die Linken bestätigten die Humanmedizinerin Christiane Fischer.
Die Unionsfraktion bestätigte als Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) den Theologen Peter Dabrock (Erlangen). Die Bischofskonferenz hatte den Ethiker Andreas Lob-Hüdepohl vorgeschlagen. Als weitere Unionsvorschläge wurden die ehemalige Präsidentin des Landgerichts München Constanze Angerer, der Staatsrechtler Wolfram Höfling (Köln) und die Geriatern Elisabeth Steinhagen-Thiessen aus Berlin bestätigt. Neu benannte sie den Rechtswissenschaftler Steffen Augsberg aus Gießen und Adelheid Kuhlmey, Medizin-Soziologin aus Berlin.
Die SPD-Fraktion bestätigte Claudia Wiesemann (Medizinerin) und benannte Dagmar Coester-Waltjen (Rechtswissenschaftlerin), beide aus Göttingen, den Psychologen Andreas Kruse (Heidelberg) und die Familientherapeutin Petra Thorn aus Mörfelden-Walldorf neu für das Gremium. Damit wurden zwölf für eine zweite Amtszeit und 14 neue Mitglieder ins Gremium berufen.
Aus den eigenen Angaben der Mitglieder, ihrer beruflichen Stellung oder des Umfeldes haben mindestens 17 Mitglieder ein christliches bzw. religiöses Weltbild. Damit sind Fragen, wie zum Beispiel zum Thema Präimplantationsdiagnostik, Sterbehilfe oder auch Beschneidung von kleinen Jungen zum überwiegenden Teil aus religiöser Sicht beurteilt worden. Die anderen 9 Mitglieder sind nicht automatisch Konfessionslose. Diese sind nach wie vor im Ethikrat unterrepräsentiert.
Das starke Übergewicht von Kirchenvertretern im Ethikrat ist nicht mehr zeitgemäß, da auch in der Bevölkerung der Anteil Nichtreligiöser wächst. Philosophen und Ethiker, die sich mit Fragen der Ethik im säkularen Staat beschäftigen sollten Vorrang vor Theologen haben, die ihre Weltanschauung oft nicht mit Abstand betrachten und neutral urteilen können.
Der Ethikrat gibt zwar lediglich Empfehlungen, versucht aber der Politik und Öffentlichkeit Richtlinien zu geben, wie aktuelle Thema, die noch nicht rechtlich abgesichert sind, ethisch reflektiert, diskutiert und weiter behandelt werden könnten.
Ein christliches Weltbild ruft da sicher einen Interessenskonflikt z. B. bei der Frage des Suizidbeschlusses oder bei Fragen der PID oder Stammzellenforschung hervor. Die Unterwerfung unter und die Anerkennung eines allmächtigen Gottes, welches Schlüsselbereiche der Religionen (Judentum, Christentum, Islam) sind, sind nicht kompatibel mit dem Konzept des freien Willens. Dies ist aber Voraussetzung für die Selbstbestimmung, welches ein grundlegendes Verfassungsrecht darstellt. Theologen müssen über Themen streiten, welche die Grundfesten der eigenen Religion betrifft. Bei Interessenskonflikten gibt es laut Geschäftsordnung §1 (2) die Möglichkeit, den Konflikt zu benennen.
„Tritt bei einer bestimmten Frage die Besorgnis eines Interessenkonflikts auf, hat das betreffende Mitglied dies der/dem Vorsitzenden bzw. den stellvertretenden Vorsitzenden anzuzeigen und mit ihr/ihm bzw. ihnen darüber ein Gespräch zu führen. Ergibt sich dabei keine Übereinstimmung darüber, ob ein Interessenkonflikt vorliegt, so entscheidet der Rat in Abwesenheit der/des Betreffenden über deren/dessen Teilnahme an der entsprechenden Beratung und Beschlussfassung.“
Interessenskonflikte einzelner Mitglieder werden bei Empfehlungen des Ethikrats durch Mehrheitsentscheidungen jedoch verhindert. Wenn zum Beispiel bereits 17 der 26 Mitglieder bei bestimmten Themen einen religiös motivierten Interessenskonflikt haben, dann ist ein Mehrheitsvotum im Sinne der Kirche bereits programmiert.
Religiöse Standpunkte sollten unbedingt bei ethischen Diskussionen beigesteuert werden, jedoch sollten religiös bedingte Interessenskonflikten angegeben und entsprechende Konsequenzen daraus gezogen werden.
Themen
Die Themen verantwortet der Ethikrat selbst, es können aber auch Themen von der Bundesregierung oder dem Deutschen Bundestag beauftragt werden. Bisher gab die Bundesregierung drei Aufträge zur Stellungnahme.
Für die Erarbeitung von Stellungnahmen werden Arbeitsgruppen eingerichtet, die Textentwürfe erstellen und dem Plenum zur Diskussion und zur Verabschiedung vorlegen. Die Stellungnahmen des Ethikrates werden jeweils veröffentlicht. Mitglieder mit abweichenden Auffassungen können dies in Form von einem Sondervotum zum Ausdruck bringen.
Das Gremium mit Experten verschiedener Disziplinen erarbeitet Empfehlungen für ethisch heikle Fragen: vom Recht auf Suizid bis zur Gentechnik.
Der bis 2016 tätige Rat veröffentlichte zuletzt eine Stellungnahme zur Embryospende. Embryospende, Embryoadoption und elterliche Verantwortung
In der Empfehlung heißt es: „Der Deutsche Ethikrat sieht es als erforderlich an, die Rahmenbedingungen für die Embryospende/Embryoadoption gesetzlich festzulegen, da es um grundlegende Fragen der familiären Struktur geht, um die Zuteilung von Lebens- und Entwicklungschancen von Kindern sowie die Möglichkeit, elterliche Verantwortung zu übernehmen.“
Dazu hat der Ethikrat eine ganze Reihe von Eckpunkten für eine Regelung vorgeschlagen.
In einem Sondervotum warnen drei aus dem Bereich der katholischen Kirche stammende Ethikratsmitglieder vor einer Ausweitung der Embryonenspende. Sie könne eine schwere Hypothek für die Identität des Kindes bedeuten, Weihbischof Anton Losinger, der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff und der Ethiker Thomas Heinemann sind der Meinung, dass es für das Kind zu großen Identitätsproblemen kommen könne.
Zusammen mit elf weiteren Ethikratsmitgliedern appellieren sie an den Gesetzgeber, eine striktere Interpretation des Embryonenschutzgesetzes durchzusetzen. Embryonenadoption sei nur als „Notmaßnahme“ gerechtfertigt, da sie Embryonen vor der Vernichtung bewahre. Es müsse aber zuerst alles getan werden, um das Entstehen überzähliger Embryonen zu verhindern. Das Sondervotum drängt zudem darauf, eine Embryonenadoption nur Ehepaaren oder in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Personen zu erlauben. Zwölf andere Mitglieder des Gremiums lehnen die strikte Interpretation ab.
Seit 2008 widmet sich der Deutsche Ethikrat den ethischen Problemfeldern der Anonymen Kindesabgabe (siehe Babyklappe), Biobanken, Chimären- und Hybridforschung sowie der Mittelverteilung im Gesundheitswesen. Für 2011 setzte er zudem die Themen Demenz, Synthetische Biologie, Mensch-Tier-Mischwesen und Reproduktionsmedizin sowie die Frage einer Äußerungspflicht zur Organspende auf die Agenda.
2012 beraumte der Deutsche Ethikrat eine öffentliche Plenarsitzung zur Frage der Beschneidung aus religiösen Gründen an.
Der Anlass für die Entscheidung des Ethikrates, sich im Rahmen einer öffentlichen Sitzung mit dem Thema religiös begründeter Beschneidungen bei minderjährigen Jungen zu befassen, war das Urteil des Landgerichtes Köln vom 7. Mai 2012, sowie die sich daran anschließende Diskussion. In dem Urteil stellt das Landgericht fest, dass die Beschneidung eines nichteinwilligungsfähigen Jungen aus religiösen Gründen zwar keine gefährliche, aber eine einfache Körperverletzung sei, die durch die Einwilligung der Eltern nicht gerechtfertigt werden könne.
Der Deutsche Bundestag nahm einen Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP an, in dem er die Bundesregierung dazu auffordert, kurzfristig einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist. Einige Stimmen, darunter auch Abgeordnete, forderten stattdessen eine intensive Auseinandersetzung ohne Zeitdruck und zum Beispiel die Einrichtung eines runden Tisches. Die Deutsche Kinderhilfe und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte starteten gemeinsam mit weiteren Organisationen und zahlreichen Einzelpersonen eine Bundestagspetition unter anderem mit dem Ziel, die Politik für eine größere Berücksichtigung der Kinderinteressen zu gewinnen und die Debatte zu versachlichen.
Trotz erheblicher Differenzen in grundlegenden Fragen empfiehlt der Ethikrat einmütig, rechtliche Standards für eine Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen zu etablieren und dabei folgende Mindestanforderungen umzusetzen:
- umfassende Aufklärung und Einwilligung der Sorgeberechtigten
- qualifizierte Schmerzbehandlung
- fachgerechte Durchführung des Eingriffs sowie
- Anerkennung eines entwicklungsabhängigen Vetorechts des betroffenen Jungen.
Darüber hinaus fordert der Ethikrat die Entwicklung und Evaluation von fachlichen Standards für die Durchführung der Beschneidung unter Mitwirkung der Betroffenen und der beteiligten Gruppen.
Doch unter erheblichem Zeitdruck und mit großer Eile wurde ein Gesetz verabschiedet (BGB §1631d vom 28.12.2012), welches keinerlei Empfehlungen des Ethikrates berücksichtigte.
Reinhard Merkel, Mitglied des Ethikrates, kritisierte das Gesetz:
„Zum ersten wird die Frage der Anästhesie nicht geregelt. Sie wird allein den Regeln der ärztlichen Kunst unterstellt. Nach Absatz 2 darf in den ersten sechs Monaten auch ein Nicht-Arzt die Beschneidung vornehmen, also ein jüdischer Mohel. Bekannt ist, dass eine Mehrheit der Mohalim Beschneidungen ohne wirksame Betäubung durchführt.
Zudem dürfen Eltern aus jedem Motiv heraus ihre kleinen Jungen beschneiden lassen. Religiöse Gründe werden dafür nicht verlangt, sonst wäre der Charakter der Regelung als religiöses Sonderrecht offensichtlich. Es ist eine abstrakt-generelle Regelung formuliert worden, die jedes Motiv einschließt und legitimiert, auch rein ästhetische oder sexualerzieherische Gründe. Dies rechtlich zuzulassen, bedeutet eine klare Verletzung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit.
Es fehlt die vom Ethikrat ausdrücklich empfohlene Einschränkung, dass ein natürliches Vetorecht des Kindes anerkannt werden müsse. Es bezeichnet eine erkennbare, reflexhafte, sozusagen kreatürliche Abwehrreaktion. Wenn etwa der sechsjährige muslimische Junge vor dem Eingriff plötzlich begreift, was passiert, und anfängt zu schreien und um sich zu schlagen, dann müsste man nach dem Gesetzentwurf eine Kindeswohlgefährdung annehmen, dürfte also die weitere Prozedur nicht erzwingen.“
In der Diskussion hatte der Hamburger Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel betont, dass kein Grundrecht einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit erlaube, auch nicht das in Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz garantierte Elternrecht. Wegen der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber den Juden führe dies zu einem „rechtspolitischen Notstand“. So genannte Notrechte müssten daher ausnahmsweise den Eingriff gestatten. Eine gesetzliche Erlaubnis der Beschneidung stelle dann notwendig jüdisch-muslimisches „Sonderrecht“ dar.
Die Diskussion um dieses Gesetz ist seitdem nicht verstummt. Viele Menschen engagieren sich inzwischen im Kampf für das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit für alle Kinder und Jugendlichen. Auch 5 Jahre nach dem Beschluss des Gesetzes laufen viele Ärztevertreter und Kinderschutzverbände dagegen Sturm und fordern eine Überarbeitung des Gesetzes.
Das Thema „Big Data“, Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung (2017) und Big Data und Gesundheit (2018) über den Persönlichkeitsschutz bei der Auswertung großer Datenmengen beschäftigte das Gremium bereits seit mehreren Jahren. Dies war dann auch eines der vorrangigsten Themen des neuen Gremiums. In der Stellungnahme vom November 2017 wird dann auch auf einige Besonderheiten hingewiesen:
„Wie in der medizinischen Ethik, sollte der Nutzen für den Menschen im Mittelpunkt stehen und Schadensabwehr oberstes Gebot sein. Im Umgang mit den Chancen und Risiken großer Datenmengen sollte gleiches gelten und die Rechte und die Selbstbestimmung des Menschen Maßstab des Handelns sein. Für die Gesundheitsvorsorge und die Medizin sollte es erst dann nutzbringend sein, wenn der Einzelne über seine personenbezogenen Daten jederzeit entscheiden kann, wem er diese in welchem Umfang auch im Falle der Sekundärnutzung offenlegen will.
Der Datenschutz bedarf daher einer gesetzlichen Regelung und das Bundesdatenschutzgesetz einer Präzisierung mit geeigneten Strategien, die Datensparsamkeit und Zweckbindung beinhalten. Der Ausbau des Persönlichkeitsschutzes und der Datenschutz muss einen höheren Stellenwert auch gegenüber Forschungsinteressen behalten. Die technische Realisierung muss rechtlich eingeschränkt werden, sodass trotz Anwendung personenbezogener Missbrauch verhindert wird. Die Speicherung und Analyse personenbezogener Daten sollte nur im eng definierten Rahmen erlaubt sein. Missbräuchliche Datenzugriffe auch bei Sekundärnutzung müssen strafrechtlich sanktioniert werden.
Fazit: Sollte ein umfassender Datenschutz, die Umsetzung effektiver Anonymisierungs- und Pseudoanonymisierungsstandards und das Recht auf Vergessen nicht gewährleistet werden können, wäre ein Verzicht auf die Nutzung von Big Data zu Forschungszwecken oder anderen Anwendungen die notwendige Folge.“
Themen im Auftrag der Bundesregierung
Der Deutsche Ethikrat hat 2012 seine im Auftrag der Bundesregierung erarbeitete Stellungnahme zur Situation intersexueller Menschen in Deutschland veröffentlicht. Er ist der Auffassung, dass intersexuelle Menschen als Teil gesellschaftlicher Vielfalt Respekt und Unterstützung der Gesellschaft erfahren müssen. Zudem müssen sie vor medizinischen Fehlentwicklungen und Diskriminierung in der Gesellschaft geschützt werden.
Ein zweites Thema im Auftrag der Bundesregierung war 2013 eine Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik – von der Forschung in die klinische Anwendung, die die vielfältigen Anwendungskontexte in den Blick nimmt. Ausgehend vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung der von einem Gentest betroffenen Personen formuliert der Ethikrat 23 Empfehlungen zur verbesserten Information, Aufklärung und Beratung sowie zur Regelung pränataler Gendiagnostik, des Schutzes von Nichteinwilligungsfähigen und der Qualität von Gentests und ihrer Finanzierung im Gesundheitswesen.
2014 hat der Ethikrat im Auftrag der Bundesregierung erörtert, ob die in Deutschland geltenden rechtlichen Regelungen und die Verhaltenskodizes von Wissenschaft und Wirtschaft ausreichen, um das Missbrauchspotenzial von besorgniserregender biosicherheitsrelevanter Forschung (engl. Dual Use Research of Concern, kurz DURC) zu minimieren. In der Stellungnahme Biosicherheit – Freiheit und Verantwortung in der Wissenschaft kommt er dabei zu dem Ergebnis, dass zwar viele Regelungen existieren, aber weitere bewusstseinsbildende und verantwortungsfördernde Maßnahmen sowie rechtliche Regelungen für eine angemessene Risikovorsorgestrategie notwendig sind.
Weitere Themen und Stellungnahmen des Ethikrates (Auswahl)
Aktuell wurde zum Thema: Hilfe durch Zwang? Professionelle Sorgebeziehungen im Spannungsfeld von Wohl und Selbstbestimmung eine Stellungnahme veröffentlicht. (Sondervotum Franz-Josef Bormann)
2017 in seiner einstimmig verabschiedeten Ad-hoc-Empfehlung Keimbahneingriffe am menschlichen Embryo einige der zahlreichen noch offenen Fragen und möglichen Konsequenzen systematischer Genomveränderungen beim Menschen benannt und im Dezember 2017 mit der Erarbeitung einer Stellungnahme zum Thema begonnen.
-Suizidprävention statt Suizidunterstützung (2017)
-Regelung der Suizidbeihilfe in einer offenen Gesellschaft (2014)
-Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus (2016)
-Stammzellforschung – Neue Herausforderungen für das Klonverbot und den Umgang mit artifiziell erzeugten Keimzellen? (2014)
-Inzestverbot (2014)
Bei der Beantwortung dieser Frage ist der Deutsche Ethikrat zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen. Während eine Mehrheit (Katrin Amunts, Frank Emmrich, Christiane Fischer, Carl Friedrich Gethmann, Leo Latasch, Reinhard Merkel, Herbert Mertin, Peter Radtke, Ulrike Riedel, Elisabeth Steinhagen-Thiessen, Jochen Taupitz, Claudia Wiesemann, Christiane Woopen, Michael Wunder) dem grundlegenden Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ein höheres Gewicht einräumen würden, spricht sich eine Minderheit (Constanze Angerer, Wolf-Michael Catenhusen, Thomas Heinemann, Wolfram Höfling, Ilhan Ilkilic, Anton Losinger, Eckhard Nagel, Edzard Schmidt-Jortzig, Eberhard Schockenhoff) für die Priorisierung des Familienschutzes und somit für eine Aufrechterhaltung des derzeitigen Verbots aus.
-Demenz und Selbstbestimmung (2012) - das ethische Problem des selbstbestimmten Lebensende bei Demenz
-Präimplantationsdiagnostik (2011)
Für eine Gruppe von 13 Mitgliedern des Deutschen Ethikrates ist die PID unter bestimmten Einschränkungen ethisch rechtfertigbar, weil die PID einen Weg eröffnet, einen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik gemäß medizinischer Indikation zu vermeiden, und auch Paaren eine Chance auf Hilfe bietet, die aus genetischen Gründen wiederholte Fehl- oder Totgeburten erlebt haben. Die Befürworter einer begrenzten Zulassung der PID empfehlen, dass der Gesetzgeber diese Kriterien festlegt, jedoch keinen Katalog einzelner Krankheiten oder Behinderungen aufstellt, bei denen eine PID infrage kommt. Sie schlagen außerdem bundeseinheitlich festzulegende Verfahrensregeln für die Durchführung der PID vor.
Eine Gruppe von elf Mitgliedern des Ethikrates vertritt dagegen die Auffassung, dass die Durchführung der Präimplantationsdiagnostik ethisch nicht gerechtfertigt ist und verboten werden sollte. Nach ihrer Auffassung müssen die Sorgen und Wünsche von genetisch belasteten Paaren ernst genommen werden. Eine Einführung der PID rechtfertigen sie aber nicht. Vielmehr ist eine bessere Beratung und Unterstützung betroffener Paare oder Familien sicherzustellen; ebenso ist zu prüfen, ob ihre Belastung durch den Einsatz anderer Verfahren gemildert werden kann. (alle Mitglieder sind nicht mehr im Gremium des Ethikrates)
-Stellungnahme Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normativen Funktion ihrer Bewertung (2011)
-Zur Frage einer Änderung des Stammzellgesetzes 2007
-Pillen fürs Glück? Über den Umgang mit Depression und Hyperaktivität (2007)
-Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende (2006)
-Patientenverfügung - ein Instrument der Selbstbestimmung (2005)
-Zur Patentierung biotechnologischer Erfindungen unter Verwendung biologischen Materials menschlichen Ursprungs (2004)
-Klonen zu Fortpflanzungszwecken und Klonen zu biomedizinischen Forschungszwecken (2004)
-Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft (2003)
-Zum Import menschlicher embryonaler Stammzellen (2001)
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