Kircheneintritte und Wiederaufnahmen, 1955-2021
Fowid-Statistikbeobachter: Während zu den Gründen für einen Kirchenaustritt mittlerweile mehrere Studien durchgeführt wurden, bleiben die Kircheneintritte im Abseits. Sucht man im Internet nach Informationen zum Thema „Kircheneintritt“ wird der Nutzer (z. B. von google) gefragt: „Meintest du: kirchenaustritte“. Die Daten dazu sind jedoch bekannt, auch wenn die Darstelllungen dazu meist vage formuliert sind und die Zahlenangaben veraltet.
Empirische Studien
Die EKD hat 2009 eine Handreichung veröffentlicht „Schön, dass Sie (wieder) da sind“ (EKD-Texte 107), der u. a. eine qualitative Untersuchung zugrunde liegt, in der mit insgesamt 21 wieder Eingetretenen gesprochen wurde. Das, was als „exemplarisch“ beschrieben wird, hat aber allenfalls eine anekdotische Qualität. Zu den Daten, die von 1991 – 2007 dargestellt werden (abgerufen am 25.02.2024) heißt es, dass es sich „um mehr als 60.000“ Eintritte handele. Im Wikipedia-Artikel zum Thema „Kircheneintritt“ (abgerufen am 23.2.2024) werden ebenfalls Zahlenangaben von 2007 genannt. In einer Informationsbroschüre zum Kircheneintritt der EKBO „Treten Sie ein! Willkommen in der Evangelischen Kirche“ heißt es: „Jahr für Jahr treten wieder mehr Menschen in die Kirche ein.“ Das entspricht einem Artikel auf katholisch.de (vom September 2023) „Jedes Jahr kehren tausende Ausgetretene in die Kirchen zurück“. Bereits das unspezifische „tausende kehren zurück“ – sind das 2.000, 20.000 oder 200.000? – lässt die Annahme entstehen, dass möglicherweise kleinere Zahlen groß geredet werden sollen. Die Datenbasis ist vorhanden.
Datenbasis
Für die Jahre 1955 bis 1996 sind die Statistischen Jahrbücher der Bundesrepublik Deutschland die Datenquelle. Aufgrund der Übermittlung der Angaben der Kirchen wird dort für die Landeskirchen der EKD für die „Übertritte von Erwachsenen zu den Landeskirchen“ (ab 1980: Aufnahmen…“) nur eine Zahl angegeben und (ab 1985) in einer Fußnote erläutert: „Einschließlich Übertritten und Wiederaufnahmen“, ab 1995: „Einschließlich Übertritten, Wiederaufnahmen und Taufen von Erwachsenen“. Eine Ausnahme davon sind die Jahre 1971 bis 1977, in denen zwei Zahlen genannt werden; Zum einen die „Übertritte insgesamt“ und „darunter Wiedereintritte“. Seit 1997 gibt es für die EKD in den Veröffentlichungen zu den „Statistiken über die Äußerungen des kirchlichen Lebens“ zu dieser Thematik der „Aufnahmen“ fünf Zahlenangaben: „Aufnahme römischer Katholiken“, „Aufnahme anderer Christen“, „Wiederaufnahmen“, „Erwachsenentaufen“ sowie der „Erwachsenentaufen anlässlich der Konfirmation“. Der Unterschied liegt darin, dass bei den ersten drei „Aufnahmen“ eine christliche Taufe bereits vorhanden war, während es sich bei den Erwachsenentaufen um bisherige Nichtchristen handelt.
Die katholische Kirche nennt seit 1955 zwei Zahlen: „Übertritte zur katholischen Kirche“ und „davon Wiedereintritte (Rücktritte)“. Ab 1980 heißt es dann in den Publikationen zu „Eckdaten des kirchlichen Lebens in den Bistümern Deutschlands (Jahr)“ „Eintritte“ und „Wiederaufnahmen“ und ab 2014 wird bei den „Einritten“ in einer Fußnote die Zahl der Personen genannt, die vorher Protestanten waren.
Eintritte /Wiederaufnahmen
Für die Zeitreihe der Eintritte lassen sich drei Zeiträume unterscheiden: Bis 1966 belaufen sich die Eintritte in den evangelischen Landeskirchen in der Größenordnung von mehr als 80 Prozent der Kirchenaustritte, 1956-1962 gibt es sogar mehr Eintritte als Austritte. (Vgl. dazu auch die Tabellen 1 und 2 im Anschluss an den Text).
Im Zeitraum 1967 bis 2005 - in dem es zu Beginn der 1970er- und der 1990er-Jahre viele Kirchenaustritte gab -, sind die Eintritte von diesen ‚Turbulenzen‘ relativ unberührt: zwar sinken die Eintritte 1970-1975 in einer ‚Delle‘ auf unter 20.000, dann steigen sie jedoch wieder auf erst 30.000, ab 1987 auf rund 40.000 Eintritte pro Jahr und bewegen sich dann 1992-1996 auf rund 60.000 Eintritte pro Jahr, was rund 20 Prozent der Kirchenaustritte ausgleicht. Der dritte Zeitraum, seit 2005 bis 2021, hat das Charakteristikum, dass sich eine Art ‚Schere‘ öffnet: Die Anzahl der Kirchenaustritte steigt und gleichzeitig sinken die Kircheneintritte.
Für die katholische Kirche ist die Entwicklung ähnlich, wenngleich auf einem deutlich niedrigen Niveau als die Eintritte in die EKD-Landeskirchen: Bis 1962 sind es bis 20.000 Eintritte, dann verringern sie sich bis 1977 auf rund 6.000 Eintritte und steigen von 1996 bis 2007 wieder auf 10.00 Eintritte. Ab 2008 sinken die Zahlen kontinuierlich.
Zudem gibt es eine größer werden Differenz: Betrug die Relation zwischen den Eintritten in die EKD-Landeskirchen zu den katholischen Bistümern in den 1950er-Jahren noch etwa 2:1, so sind es in den 1970er-Jahren rund 4:1, so sind es seit den 1990er-Jahren rund 6:1.
Im direkten Vergleich der Eintritte wird deutlich, wie stark sich die Anzahl der Eintritte zwischen den beiden Großkirchen unterscheidet, wenn auch die ‚Wellenbewegung‘ der Zeitreihe – auf unterschiedlichen Niveaus – Ähnlichkeiten hat.
Mit den aufgegliederten Daten, die für die EKD seit 1997 vorliegen, lässt sich zumindest für die Evangelische Kirche weiteres Genaueres feststellen. Deutlich zeigt sich der Rückgang der Kircheneintritte seit 2005.
Nach Merkmalen aufgeschlüsselt zeigt sich für die EKD-Landeskirchen, dass die Wiederaufnahmen die jeweils größte Anzahl ausmachen, dicht gefolgt von den Erwachsenentaufen.
Bei den Erwachsenentaufen handelt es sich (Vgl. Tabelle 2) zum größten Teil (rund 71 Prozent) um Taufen anlässlich einer bevorstehenden Konfirmation – für die das Geldkuvert mit dem Geldgeschenk noch immer der No.1-Tipp ist.
Bei den katholischen Eintritten handelt es sich bei den neuen Eintritten weitestgehend (86 Prozent) um vormalige Protestanten, während die Wiederaufnahmen vormals ausgetretener Katholiken zwei Drittel (69 Prozent) der gesamten Eintritte ausmachen. (Vgl. Tabelle 3) Beides wiederum auf niedrigerem Niveau als bei den Protestanten.
Wechselwanderung
In den Jahren 2014 bis 2021, für die von beiden Kirchen die Zahlen der „Übertritte“ vorliegen, sind 58.793 römische Katholiken Protestanten geworden und 15.867 vormalige Protestanten Mitglied der römisch-katholischen Kirche. Das ist eine Wechselrelation von 79 Katholiken zu 21 Evangelischen, die ‚gewandert‘ sind. Zudem zeigt sich, dass die Anzahl der Übertritte sich im Verlauf der Jahre verringert.
Fazit
Für die katholische Kirche sind die Eintritte, Übertritte und vor allem die ‚Rückkehrer‘ von geringerer Bedeutung als für die EKD-Landeskirchen. Es ist eine Quote von etwa 30 zu 70, in Zahlen: In den acht Jahren von 2014 bis 2021 sind 46.050 römische Katholiken wieder als ‚Rückkehrer‘ Kirchenmitglied geworden (Jahresdurchschnitt: 5.756), bei den EKD-Evangelischen waren es 115.038 ‚Rückkehrer‘ (Jahresdurchschnitt: 14.380). Damit sind die anfangs zitierten „Tausende“ benannt.
Als Kompensation für die Kirchenaustritte haben sich die Eintritte, Übertritte und ‚Rückkehrer‘ zunehmend marginalisiert. 2021 waren es insgesamt für die EKD-Landeskirchen 12,2 Prozent der Kirchenaustritte, bei den römischen Katholiken 1,6 Prozent.
Berechnet man die ‚Rückkehrwahrscheinlichkeit‘ von ausgetretenen Kirchenmitgliedern, so beläuft sich diese Quote (wie viele Austritte stehen einer Wideraufnahme entgegen) in der EKD auf etwa 1:26 und bei den römischen Katholiken auf 1:87.
Carsten Frerk
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Tabellen
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Im Anhang befinden sich die auslesbaren Daten der Tabellen als Excel-Datei.