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Konfessionen in der Ukraine

Fowid-Statistikbeobachter: In Vorbereitung der fowid-„Religionszugehörigkeiten 2022“ und der Tatsache, dass sich durch die Flüchtlinge des Jahres 2022 die Bevölkerung Deutschlands auf 84,3 Mio. erhöht hat, war die einfache, zu klärende Frage, welche Religionszugehörigkeiten vor allem die Mehrheit der Flüchtlinge aus der Ukraine haben. Das ließ sich jedoch nicht einwandfrei klären, da wissenschaftliche und kirchliche Interessen kollidieren.

Von Carsten Frerk.

1. Zur Datenlage
2. Datenquellen
3. Zeitreihe
4. Ansätze, Sichtweisen, Konsequenzen
5. Fazit

1. Zur Datenlage

Ausgehend von einem Übersichtartikel von Ralf Lange-Sonntag über „Religionen in der Ukraine“ lässt sich feststellen, dass die Ukraine zum einen „kein religiös homogenes Land“ ist und zum anderen, sei es „schwierig, näher zu bestimmen, wie groß die jeweiligen religiösen Gruppen sind.“

Eine erste Durchsicht verschiedener Informationsquellen in der Recherche zeigt, dass die Auffassungen zu den Anteilen der Religionsgesellschaften deutlich unterschiedlich sind. Das einzig Gemeinsame scheint zu sein, dass die Christen und davon die Orthodoxen die größte Religionsgruppe sind.

In der Encyclopedia Britannica heißt es im Text: „More than two-fifths of Ukrainians are not religious”, in der daneben stehenden Grafik (für das Jahr 2004) sind es genau 42,5 Prozent (Ohne Quellenangabe). In Wikiwand wurde im Oktober 2020 erneuert: „Ukraine religions statistic“ 65 Prozent Orthodoxe, 11 Prozent „Ukrainische Griechische Katholiken“ und 21,5 Prozent „Andere“.

Aber auch das ist nicht unbestritten. Im Jahr 2006 wurde durch das Razumkov-Zentrum eine umfangreiche Untersuchung in der gesamten Ukraine durchgeführt (mit 11.000 Befragten, was schon Richtung eines Mikrozensus geht), deren zufolge 62,5 Prozent der Bevölkerung angibt, konfessionslos zu sein.

In einer ersten Frage wurde danach gefragt, ob man einer Kirche oder einer Konfession angehöre.

Alle, die diese Frage mit „Nein“ beantworteten, wurden dann unter „nicht gläubig oder gehöre keiner Kirche an“ als „konfessionslos“ zusammengefasst. Weitere 33,5 Prozent bezeichneten sich als gläubig (und Kirchenmitglied), 4 Prozent empfanden diese Frage als „schwierig zu beantworten“.

Daraus wurde dann eine zweifach unterteilte Übersicht erstellt: zum einen die Anteile der Konfessionszugehörigkeit aller Befragten, zum anderen die Anteile innerhalb der Religiösen.

Diese Ergebnisse (für die Religiösen) werden nun von Berichterstattern übernommen und so entsteht dann beispielsweise im französischen Magazin LES CRISES zum Thema „Religion in der Ukraine“ eine Einleitung und eine große Grafik. Die Einleitung besagt:

„75% der Ukrainer glauben an Gott (Razumkov Centre, 2003). 60% geben jedoch an, ‚Atheist oder nicht in der Lage zu sein, sich mit einer bestimmten Religion zu identifizieren‘.
Unter den 40 % klar erklärten Gläubigen leben mehrere Religionen nebeneinander, die sich wie folgt verteilen: Orthodoxe: 70 %, Katholiken 15 %, Protestanten 3 %, Muslime 1 %. Es gibt nur noch 0,1 % Juden im Land, da diese Bevölkerungsgruppe von der Shoah schwer getroffen wurde und viele Juden seit dem Ende der UdSSR nach Israel ausgewandert sind.“

Dann folgt die große Grafik mit der Überschrift „Die Religionen in der Ukraine 2012“:

Dem liegt nun allerdings eine Verkürzung zugrunde, die auch durch die Unterzeile, dass in der Grafik nur die 40 Prozent Religiösen dargestellt werden, nicht kompensiert wird, da in der Grafik – analog zur Tabelle 2) Prozentwerte angegeben werden, die sich zu 100 Prozent summieren, also als Darstellung eines Ganzen betrachtet werden kann. (Als Quelle wird zudem „UkrStat“ - das staatliche Statistikamt - angegeben, was nicht korrekt ist.)

Im staatlichen Statistikservice der Ukraine gibt es keinerlei Daten zu Religionszugehörigkeiten. Auch im Fragenprogramm zum Zensus 2012 sind keinerlei Fragen zur Religionszugehörigkeit vorgesehen.

Diese Thematik – die Unterscheidung von Nicht-Organisierten und denen, die sich zu einer organisierten Religion zuordnen – kann man als durchaus sinnvoll betrachten: unterscheidet sie doch zwischen Gläubigen und Organisierten und beschreibt erheblich genauer den Anteil der Bevölkerung, den die Kirchen vertreten. Aus den zitierten 2006-Daten zeigt sich, dass die organisierten Religionen (mit 34 Anteil) die kleinere Gruppe unter den Gläubigen stellen, da weitere 41 Prozent sich zwar als gläubig betrachten, aber keine Kirchenmitglieder sind.

2. Datenquellen

Die Römisch-katholische Kirche in der Ukraine veröffentlicht zwar Angaben zu ihrer Struktur (Diözesen, Anzahl der Bischöfe und Priester), aber keine Angaben zur Anzahl der Gläubigen. Ebenso haben die „Statistiken der katholischen Kirche“ des vatikanischen Fidesdienstes nur Angaben zu den Strukturen auf den Kontinenten. Ebenso wenig finden sich in der Staatsstatistik der Ukraine Daten zu Religionszugehörigkeiten.

Die Anzahl der Organisationen, die selbst Religionsdaten zur Ukraine erfassen, ist überschaubar, es sind vornehmlich drei.

2.1. Das bereits angesprochene Razumkov-Zentrum ist ein von westlichen Organisationen in Kiew gegründeter ‚Think-Tank‘. Deutsche Partner sind u. a. das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Kiew. 2021 wurde – mit Unterstützung des Auslandsbüros der KAS – der Bericht „SPECIFICS OF RELIGIOUS AND CHURCH SELF-DETERMINATION OF CITIZENS OF UKRAINE: TRENDS 2000-2021” mit den umfangreichen Ergebnissen diverser Umfragen von 2000 bis 2021 publiziert.

2.2. PEW-Research-Center. „2016“ oder auch „2017“ ist das Bezugsjahr für die Ergebnisse der umfangreichen PEW-Studie „Religious Belief and National Belonging in Central and Eastern Europe“ – auf die sich auch das “United States Institutes for Peace” bezieht - und in der als Ergebnis für die Ukraine dargestellt wird: 78 Prozent Orthodoxe, 10 Prozent Katholiken, 7 Prozent Konfessionsfreie, 5 Prozent Andere.

2.3. Der dritte Akteur ist das Institut für Soziologie in Kiew (KIIS = Kyiv International Institute of Sociology). 1990 wurde es als Forschungszentrum der Soziologischen Vereinigung der Ukraine gegründet und 1992 in kommerzielle Trägerschaft überführt.

Für 2016 gibt es die repräsentative Befragung „Religious Self-Identification and Prayer in Ukraine“ (ohne Oblaste Donezk, Luhansk und Krim), in der u. a. auch die bereits dargestellte 2006-Kategorisierung des Razumkov-Zentrums angewendet wurde, kombiniert mit der Frage, ob man einer Religion angehöre. Es wurden Sammelkategorien vorgeben: Christentum, Islam, Hinduismus, Andere.

Erstaunlich ist dabei, dass nach der Filterfrage, ob man einer Religion angehöre und falls ja, diese nennen möge, auch Befragte vorkommen, die keiner Religion angehören oder die nicht gläubig sind.

Im Gesamtbericht zur Untersuchung werden die Christen genauer aufgeschlüsselt und es gibt u. a. die neue Kategorie „Ich bin einfach ein Christ“.

An alle Befragten wurde dann wiederum die Frage nach der religiösen Selbstidentifikation gestellt.

Zwischenresümee: Im Vergleich der Tabelle 3.1. und 3.3. fällt auf, dass der Anteil der Nichtgläubigen/Atheisten gleich bleibt (5,6 bzw. 5,4 Prozent), der Anteil der Gläubigen allerdings, die angeben, konfessionslos zu sein, von 11,6 auf 22 Prozent ansteigt, sich also verdoppelt.

Gegenüber 2006 haben sich diese beiden Anteile, die mit 22 + 41 (= 63) Prozent benannt wurden, mit nun (2016) nur noch 5,4 + 22 (= 27) Prozent mehr als halbiert.

Dieser Aspekt der (2006 mit 41 Prozent) größten Gruppe – die Gläubigen ohne Konfession - wurde auch in der Razumkov-Religionsstudie 2021 aufgenommen, indem gefragt wurde, ob es für einen Gläubigen notwendig sei, sich zu einer bestimmten Religion zu bekennen. Die Mehrheit (58 Prozent) sieht nicht die Notwendigkeit, dass man sich als Gläubiger zu den Regeln und Lehren einer bestimmten Religion bekennen müsse.


3. Zeitreihe

Man könnte diese Thematik also auf sich beruhen lassen. Aber in den Umfragen des Razumkov-Zentrums in den Jahren 2000 – 2021 wird hinsichtlich der Religionszugehörigkeit ebenfalls eine andere Fragestellung und Systematik – wie die des KIIS - angewendet: Die Frage lautet: „Welcher Religion gehören Sie an?“ und es werden (in der folgenden Tabelle 5) 12 Antwortmöglichkeiten ausgewertet.

Die Religionssoziologen des Razumkov-Zentrums erläutern selber (in der 2021-Studie, S. 6) warum die ‚Restkategorien‘ von „Ich bin schlicht orthodox“ bzw. „Ich bin schlicht Christ“ verschiedene Einstellungen sammeln und wohl eher eine „soziokulturelle oder ethische Identität“ darstellen. Dass sie deshalb (eigentlich) nicht pauschal zu den organisierten Religionen gezählt werden dürften, ist allerdings kein Thema.

„Insbesondere die Gläubigen der OCU (11 %), der UOC-MP (8 %) und der UGCC (0,6 %) betrachteten sich als Personen, die zwischen Glauben und Nichtglauben schwanken, und einige (nicht mehr als 1 %) bezeichneten sich als Nichtgläubige oder Atheisten.
Von den ‚einfach Orthodoxen‘ bezeichneten sich 72 % als gläubig, während 16,5 % zwischen Glauben und Nicht-Glauben schwankten. 2 % bezeichneten sich als Ungläubige oder Atheisten, und 5 % waren der Religion gegenüber gleichgültig. Dies deutet darauf hin, dass die Zugehörigkeit einiger Bürger zu orthodoxen Christen eher auf ihre soziokulturelle oder ethnische Identität zurückzuführen ist als auf ihre religiöse Identität. Dies gilt umso mehr für die Gruppe der ‚einfachen Christen‘, von denen sich nur 54 % als gläubig bezeichneten, während 25 % zwischen Glauben und Nichtglauben schwankten, 7 % nicht gläubig oder Atheisten waren und 10 % sich nicht um Religion kümmerten.
Gleichzeitig waren unter denjenigen, die die sich keiner Religion zugehörig fühlen, 15 % als gläubig, 16 % schwankten zwischen Glauben und Nicht-Glauben, 25 % waren Ungläubige, 17 % waren Atheisten, und 20 % waren der Religion gegenüber gleichgültig.“

Wenn diese Kategorien der „schlicht Christ“ bzw. „schlicht Orthodox“ – die 2006 nicht vorgegeben worden waren – eher die Tendenz haben, „gläubige Konfessionsfreie“ zu sein, dann stellen sich zwei Fragen: Zum einen, warum wurde die umfangreiche Kategorie der „Orthodoxen“ (60 Prozent) in der Zeitreihe 2000 – 2021, in der auch die kleineren anderen Konfessionen (mit 0,1 - 0,2 Prozent) dargestellt werden, nicht (ebenfalls) aufgeschlüsselt? Zum anderen, warum werden diese gläubigen Konfessionsfreien nur für die „Christen“ genannt?

Die Unterteilung der 60 Prozent „Orthodoxen“ zeigt, dass die konfessionsfreien Orthodoxen 2020 die größte Gruppe unter den orthodoxen Religionsgesellschaften waren und 2021 die zweitgrößte.

Addiert man nun die drei Kategorien „schlicht Orthodox“ + „schlicht Christlich“ + „Ich gehöre zu keiner Religion“ (womit die Nicht-Gläubigen/Atheisten gemeint sind) der Razumkov-Umfrage 2020 und 2021 zusammen, so ergibt sich für 2020 der Anteil von 50,9 Prozent, für 2021 ein Anteil von 48,3 Prozent.

Mit anderen Worten, auch nach diesen Umfragen sind – wie 2006 – die „Nicht-Organisierten“ bzw. die „Konfessionsfreien“, mit rund der Hälfte der Bevölkerung, die größte Religionsgruppe in der Ukraine.

In dem eingangs zitierten Artikel von Ulrich Peter-Lange zu „Religionen in der Ukraine“ gibt es abschließend ein „Fact-Sheet“, dass diese Spannweiten darstellt.

Diese Spannweiten ließen sich zudem noch erweitern. Berücksichtigt man die bereits erwähnte Umfrage des PEW-Forschungsinstituts in Washington zu „Religious Belief and National Belonging in Central and Eastern Europe“, so gibt es in der Ukraine 92 Prozent Christen (78 Prozent Orthodoxe, 10 Prozent Christen sowie 4 Prozent andere Christen) und 7 Prozent Konfessionsfreie. Allerdings braucht diese Umfrage nicht weiter berücksichtigt zu werden, da das PEW-Institut auch in anderen Zusammenhängen bereits dadurch aufgefallen ist, den Anteil der Christen zu hoch anzusetzen (wie 2015 für Deutschland mit den Anteilen der Kirchensteuerzahler sowie den Anteil der Christen (2010) in Deutschland mit 69 Prozent, anstelle von realen 61 Prozent). Es ist also sinnvoll, sich auf die Umfragen der Razumkov-Stiftung und des Instituts für Soziologie in Kiew (KIIS) zu begrenzen. Auch schon deshalb, weil ihre Umfragen im Artikel „Religion in Ukraine“ der englischsprachigen Wikipedia, der weltweit gelesen wird, maßgeblich dargestellt werden.

4. Ansätze, Sichtweisen, Konsequenzen

Schaut man sich die Ergebnisse an, so könnte man beinahe meinen, in der Ukraine gibt es zwei verschiedene Bevölkerungen. Zum einen eine Bevölkerung, die zu mehr als der Hälfte konfessionsfrei ist (62 Prozent), zum anderen eine Bevölkerung, die bis zu rund 80 Prozent aus Christen besteht.

Was sich darin darstellt, so die folgende Hypothese, sind die Ergebnisse von zwei unterschiedlichen Ansätzen und Deutungsinteressen der Religionssoziologie, die sich allerdings in der Literatur kaum so transparent deutlich artikulieren.

Beide arbeiten korrekt nach wissenschaftlich anerkannten Methoden und legen, entsprechend ihren Fragestelllungen, den Befragten Listen mit Antwortmöglichkeiten vor, um die verschiedensten Antworten übersichtlicher zu ‚kanalisieren‘.

Auf der einen Seite sind es Soziologen, die an dem Individuum und seinen Einstellungen interessiert sind (Gruppe A), zum anderen sind es Soziologen (Gruppe B), die Menschen / die Bevölkerung in ordentliche Kategorien einordnen möchten, z. B. in Merkmals-Raster von Religionsgesellschaften.

Die Gruppe A ist in Deutschland nicht vorhanden, spielt aber in den USA eine größere Rolle, da dort nach der religiösen Orientierung der Individuen und deren Bindung an Organisationen gefragt wird und die „Nicht-Verbundenen“ („Non-Affiliated“) als Konfessionsfrei betrachtet werden.

In der 2006-Umfrage sind beide Gruppen mit jeweils einer Frage vorhanden. Gruppe A, deren Interesse auf dem inhaltlichen Unterschied zwischen Individuen und Korporationen liegt, stellte die 1. Frage, mit dem Ziel drei Gruppen zu identifizieren: 1. Nicht-Religiöse, 2. Religiöse, die sich aber nicht den theologisch-dogmatischen Rastern einer Religionsgesellschaft zuordnen wollen oder können, und 3. Gläubige, die sich in den normativen Religionsrastern von Klerikern wiedererkennen und sich ihren Organisationen angliedern. Der B-Ansatz stellt an die 3. Gruppe daraufhin die Ordnungsfrage, um die Kategorisierung in Religionsgesellschaft/Kirchen erfassen zu können. (Die Ergebnisse sind für den Ansatz A in der linken Ergebnisspalte der Tabelle 2, der Ansatz B in der rechten Spalte dargestellt.)

Die Ergebnisse sind für die Gruppe B frustrierend, da nur ein gutes Drittel der Befragten (34,6 Prozent) bereit ist, sich den ordnenden Kategorien zuzuordnen. Eine klare Minderheit.

Dabei befinden sich die Vertreter des Ansatz B mit ihren Vorstellungen in direkter Nähe / in Übereinstimmung zum Klerus, sozusagen den Berufschristen. Die Kleriker, die sich ja durchaus auch als „Hirte“ ihrer Gläubigen (= „Schäfchen“) verstehen, sind ohne diese Schäfchen nichts: Gibt es keine oder nur einige Schäfchen, braucht es auch keine Hirten - sie sind überflüssig. Ihre Interessenlage ist entsprechend ein hoher Anteil von „Gläubigen“, die sie vertreten (wollen).

Der Ansatz B (und die Kleriker) haben sich offensichtlich durchgesetzt: Zum einen wird die Umfrage 2006 auf der Internetseite der Razumkov-Stiftung nicht mehr unter den Publikationen erwähnt und ist nur noch – aber immerhin – im automatisiert generierten ‚Gedächtnis‘ des Internet-Welt-Archivs für Kundige zu finden. Zum anderen gibt es zu denken, dass z. B. die 2016-Razumkov-Studie ausdrücklich in Zusammenarbeit mit dem „Allukrainischen Rat der Kirchen und religiösen Organisationen“ (UCCRO) entstanden ist. Zu den Interessen äußerst sich die Razumkov-Stiftung unmissverständlich: Schaffung einer Partnerschaft zwischen Staat und Kirchen. (Wie in Deutschland?)

„Der Runde Tisch ‚Religion und Macht in der Ukraine: Probleme der Beziehung‘, organisiert vom Razumkov-Zentrum in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine, ist seit 1996 tätig; ständige Mitglieder sind die Leiter der und Vertreter der größten christlichen Kirchen und religiösen Organisationen in der Ukraine. Zur Teilnahme an den Sitzungen sind folgende Personen eingeladen: Vertreter der staatlichen Behörden, der Öffentlichkeit, der Medien und der Fachwelt.
Die wichtigsten Themen, die bei den Rundtischgesprächen erörtert werden, sind die Probleme der Verbesserung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat und die Einführung von Beziehungen zwischen Kirche und Staat und die Einführung eines Modells der Partnerschaft zwischen Staat und Kirche in der Ukraine.
Insbesondere haben die Teilnehmer des Runden Tisches 2004 das folgende Projekt entwickelt und dem Staat und der Öffentlichkeit vorgestellt: Konzept für die Beziehungen zwischen Kirche und Staat in der Ukraine, das vom Allukrainischen Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften unterstützt wurde.“

Aber: Bleibt der Ansatz A noch irgendwo sichtbar? Ansatzweise ja, denn für die Antwortgruppe 2 der 2006-Umfrage (die nicht-organisierten Gläubigen) werden in den Umfragen der Zeitreihe 2020 – 2021 die Antwortmöglichketen „Ich bin einfach Christ“ bzw. „Ich bin einfach Orthodox“ vorgesehen – nach der Regel der methodischen Willkür „Was nicht passt, wird passend gemacht“ – und den Religionsgesellschaften zugeordnet. Damit kann man die kategoriale Zuordnung zu einer Glaubensgesellschaft / Kirche darstellen, die nun, statt 2006 nur 31 Prozent der Bevölkerung zu repräsentieren, bis zu 80 Prozent der Bevölkerung beträgt. Damit hat sich in der Religionssoziologie der Ukraine die Interessenlage des Klerus und christlicher Parteien durchgesetzt.

Das wäre eine Parallele zu Deutschland, wo nur die formalen Zugehörigkeiten gezählt werden und niemand für das Melderegister nach seinem Glauben gefragt wird. Das Phänomen des „Belonging without believing“ (Mitglied ohne gläubig zu sein) und z. B. der stetig sinkende Gottesdienstbesuch  sind hinlänglich bekannt. Insofern wäre es für Deutschland angemessen, nicht von „Christen“ zu sprechen“ – mit den entsprechenden Glaubensbekenntnissen – sondern schlicht von Kirchenmitgliedern, deren Konfession nicht automatisch etwas über ihren Glauben / ihre Religion aussagt.

5. Fazit

Die Ausgangsfrage, welche Religionszugehörigkeiten es in der Ukraine gibt, lässt sich insgesamt nicht belastbar beantworten. Generell könnte man sagen: Die Bevölkerung in der Ukraine ist überwiegend gläubig und gleichzeitig mehrheitlich konfessionsfrei – was nur für orthodoxe Kleriker einen Widerspruch darstellen mag.

Für die engere Fragestellung, wie viele der zugewanderten Ukrainer sich den in Deutschland bestehenden Religionsgesellschaften zuordnen werden, kann das aber annähernd für die Evangelischen wie für die römischen Katholiken beantwortet werden.

Für die griechisch-katholische Kirche der Ukraine heißt es in einem Glossar, dass die Gläubigen sich in Deutschland der römisch-katholischen Kirche zuordnen sollen.

„Die ukrainische griechisch-katholische Kirche ist eine katholische Ostkirche, die den byzantinischen Ritus praktiziert. In Deutschland gibt es laut Schätzungen etwa 80.000 Gläubige, die von einem eigenen Bischof, der beratend der Deutschen Bischofskonferenz angehört, betreut werden. […] Im Hinblick auf die Kirchensteuer sollen die unierten Gläubigen in der Bundesrepublik bei der Lohnsteuerkarte oder der Steuererklärung ‚römisch-katholisch‘ angeben. Im Gegenzug erhalten die unierten Geistlichen in Deutschland ihr Gehalt vom jeweiligen römisch-katholischen Bistum.“

Falls die Gläubigen es so handhaben und die Zugewanderten auch in etwa den Religionsverteilungen in der Ukraine entsprechen, so sind es – zusammen mit den Römischen Katholiken der Ukraine – bis zu zehn Prozent. Die Evangelischen in der Ukraine (etwa 1 Prozent) gelten als vielfältig wie zerstritten und werden sich nicht den EKD-Landeskirchen zuordnen.

Die Orthodoxen spielen für das Staat-Kirche-Verhältnis in Deutschland keine wesentliche Rolle. Sie befinden sich zudem in der Ukraine seit 1992 (nach dem Ende der Sowjetunion) in einem noch nicht abgeschlossenen, mehrdimensionalen politisch-religiös-ethnisch-kulturellen Klärungsprozess zwischen den Patriarchen in Kiew und Moskau.

Diese Thematik der Klärungen innerhalb der ukrainischen Orthodoxen verlässt das Thema der Frage nach den Daten der Religionszugehörigkeit und deshalb kann, neben der eigenen Recherche – zum ‚Einstieg‘ – aus einer Vielzahl von Texten auf folgende Artikel verwiesen werden:

- Thomas Bremer: „Zur kirchlichen Situation in der Ukraine“ (2008)

- Oleg Friesen: „Religion im Ukraine Konflikt“ (2014)

- Andriy Mykhaleyko: „Die ukrainischen Kirchen nach dem Majdan“ (2016)

- Religion.ORF: „Ukrainisch-orthodoxe Kirche vor Unabhängigkeit“ (2018)

- Juri Konkewitsch: „Ein Krieg und zwei Kirchen“ (2022).