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Die religionslose Tschechische Republik

Die Tschechische Republik gilt als das religionsfreieste Land Europas. Das ist einerseits richtig, aber andererseits wiederum nicht so, wie es dargestellt wird. Eine etwas genauere Betrachtung erläutert, warum das so ist und warum man sich in der Verwendung statistischer Daten genauestens darüber informieren sollte, woher sie stammen und was sie tatsächlich aussagen.

Die Politikwissenschaftler Antonius Liedhegener und Anastas Odermatt (Universität Luzern) bemerken in einer Durchsicht der Angaben zu den Religionszugehörigkeiten in Europa – im Rahmen ihres Projektes „Religionszugehörigkeit in Europa – empirisch. Die “Swiss Metadatabase of Religious Affiliation in Europe (SMRE)“,  dass es erhebliche Spannbreiten in den Ergebnissen aus verschiedenen Zählungen gibt. Es gibt beispielsweise Länder – wie Frankreich und Österreich – in denen es keine offiziellen Volkszählungen mit der Angabe der Religionszugehörigkeit gibt. Man ist also auf empirische Umfragen angewiesen. Die weitere Frage ist dann, was wird gezählt? Die formale Zugehörigkeit/Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft - nach den Regeln der jeweiligen Religionsgemeinschaft - oder die subjektive Erklärung, ob man sich einer bestimmten Kirche/Religion zugehörig fühle. In der Tschechischen Republik ist man den zweiten Weg gegangen und fragt in den Volkszählungen, ob man sich als gläubig versteht, und welcher Kirche/Religionsgemeinschaft man sich zugehörig fühle.

Die Angaben aufgrund der Volkszählungen (die vom Tschechischen Statistikbüro auf das Staatsgebiet der heutigen Tschechischen Republik berechnet wurden) geben eindeutige Ergebnisse, die dann jedoch bemerkenswert berichtet werden.

So schreibt das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland in seiner aktuellen Länderinformation (Mai 2017) zur Tschechischen Republik: „Religion: 79,2 % ohne Bekenntnis, 6,7 % gläubig, ohne Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, 10,4 % römisch-katholisch, 0,5 % evangelisch, 0,4% tschechisch-hussitisch, 0,2 % orthodox, 0,1 % Zeugen Jehovas, ca. 0,2 % Juden, ca. 0,1 % Muslime, Sonstige: 2,2 %.“

Das bezieht sich, wie auf Nachfrage auch bestätigt wurde, auf die Ergebnisse der Volkszählung von 2011, die den wesentlichen Teil „ohne Bekenntnis“ in dieser Weise aber nicht als Ergebnis hat.

Ebenso sind Angaben ohne Jahresangaben mit großer Vorsicht zu sehen. In den „Länderdaten“,  die auf den Angaben im CIA World Factbook beruhen, steht zur Tschechischen Republik: „Atheisten 39.8 %, Katholiken (römisch-katholisch) 39.2 %, Protestanten 4.6 %, Orthodoxe 3 %, Andere 13.4 %.“

Diese Zahlen sind zwar nicht verkehrt, aber sie beruhen, was dort nicht genannt wird, auf der Volkszählung von 1991.

Zensus-Ergebnisse 1921 - 2011

Die Zensus-Ergebnisse von 1921 bis 2011 zeigen Verschiedenes. Zum einen , wie in dem jeweiligen Zensus die Erfassungs-/Darstellungsweisen verändert wurden, vor allem, wie sich in den fortschreitenden Jahren die Möglichkeit, auch kleineste Gemeinschaften zu erfassen, ausdifferenziert hat.

In einer Zusammenfassung der ausdifferenzierten Darstellung auf die Hauptkategorien zeigt sich, dass 1991 rund 43 Prozent der Bevölkerung Gläubige sind, die einer Kirche / Religionsgemeinschaft zugehören und rund 41 Prozent ohne einen religiösen Glauben sind. Zehn Jahre später sind es 32 Prozent Gläubige und im Jahr 2011 sind es 21 Prozent, davon allerdings 7 Prozent Gläubige, die sich keiner Kirche oder Religionsgemeinschaft zuordnen.

Der Großteil der Gläubigen ordnen sich der römisch-katholischen Kirche zu, deren Anteil seit 1930 kontinuierlich sinkt.

Bei den Bewohnern der Tschechischen Republik, die angeben, ohne religiösen Glauben zu sein, sind die Veränderungen nicht so eindeutig. Sind es (1921) 7,2 Prozent verändert sich dieser Anteil bis 1930 kaum (7,8 Prozent, inklusive derjenigen, die keine Antwort gaben) und ist so auch 1950 (6,6 Prozent).

Aber es ist methodisch unsauber, diejenigen, die „nicht identifizierbar“ sind, weil sie schlicht nicht geantwortet haben, den Nicht-Religiösen zuzurechnen, wie es das Statistikbüro es 1930 selber getan hatte und wie es das Auswärtige Amt aktuell macht.

Natürlich ist es verlockend, diejenigen „ohne religiösen Glauben“ und die „Nicht identifizierbaren“ zusammen zurechnen, da das eine plausible Tendenz gibt: 55,1 Prozent (1991), 67,9 (2001) und 79,2 (2011). Korrekter ist es, sich auf die „Gläubigen“ zu beziehen, deren geringer Anteil zumindest ausdrückt, dass die institutionelle Organisierung des Glaubens sich verringert hat.

Einflussgrößen?

Im Vergleich der Volkszählungen 1921 – 1991 – 2011, mit dem gravierenden Rückgang der organisierten Gläubigen wird manches Mal auf den Einfluss der Zeit des Sozialismus für die Säkularisierung in Tschechien verwiesen.

Eine derartige pauschale Einflussgröße erklärt jedoch wenig, da 1991 noch 43 Prozent der Bevölkerung gläubig organisiert waren. Die Beispiele Polen, Ungarn und Slowakei verweisen auch auf das Gegenteil, da dort die Bevölkerung immer noch mehrheitlich katholisch ist. Nach 1991 – wobei zu beachten ist, dass die formelle Trennung von Tschechien und der Slowakei zum Jahresbeginn 1993 erfolgte -, findet der Rückgang der gläubigen Organisierten von 43 auf 14 Prozent innerhalb von 20 Jahren statt.

Das betrifft jedoch nicht nur die römisch-katholische Kirche – die den Tschechen durch die Herrschaft der österreichischen Habsburger aufgezwungen worden war – sondern auch die tschechoslowakischen Hussiten, die sich als religiöse Nationalbewegung auf den Reformator Jan Hus beziehen, der im Juli 1415 hingerichtet wurde. Auch diese Hussiten verlieren, parallel zu den römischen Katholiken, von 1991 bis 2011, rund drei Viertel ihrer gläubigen Mitglieder.

Glaube an Gott / Diskriminierung

Die Befunde, dass die Tschechische Republik zu den Staaten Europas gehört, die sich am stärksten individualisiert und religiös emanzipiert haben, lassen sich durch andere Daten bestätigen.

Im “Special EUROBAROMETER 225 ‘Social values, Science & Technology’” aus dem Jahr 2005, glauben 19 Prozent der Bewohner der Tschechischen Republik (CZ), dass es einen Gott gibt. Nur Estland (EE) hat mit 16 Prozent Gottgläubigen (im Jahr 2005) einen  niedrigeren Anteil. Ebenso rangieren die Tschechen, von denen 30 Prozent bekunden, dass es für sie „keinerlei Art von Geist Gott oder Lebenskraft“ gibt, auf Rang 2 hinter den Franzosen, die das mit einem Anteil von 33 Prozent bekunden.

Und wie entspannt das Religionsthema 2012 in der Tschechischen Republik wahrgenommen wurde, das verdeutlich die Umfrage des Special Eurobarometer 393 (DISCRIMINATION IN THE EU IN 2012) in der, ebenso wie in Lettland (LV), nur 10 Prozent sagen, dass eine Diskriminierung wegen der Religion weit verbreitet sei und 80 Prozent, sagen, dass dies in Tschechien (CZ) sehr selten sei.

Dass sich diese Situation mittlerweile, auch in Tschechien, verändert hat, darauf verweisen die Diskussionen in der Tschechischen Republik nach dem islamistischen Attentat in Paris und der Zuwanderung von muslimischen Flüchtlingen nach Europa.

 (CF)