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Weltanschauung

Weltanschaulich sind im Humanismus alle ‘bekenntnishaften‘ Äußerungen, sei es, dass seine Prinzipien als Wahrheit genommen oder in anderen subjektiven Formen in der Argumentation kommunikativ eingebracht werden zum Zweck der Meinungs­bildung, im Namen der eigenen Persön­lichkeit oder einer Gemein­schaft (Gruppe, Klasse, Nation), eintretend für Menschen­rechte/Menschen­würde oder andere humanistische Positionen. Auch der Anti­humanismus argumentiert in der Regel welt­anschaulich.

Von Horst Groschopp

Definition

Weltanschauungen sind alle kulturellen Deutungs­systeme, Religionen einge­schlossen, mit denen die Menschen gemeinschaftlich ihre Stellung in der Natur und die Formen ihres sozialen Lebens zu verstehen und zu regeln suchen, und die ihnen Orientierung geben hinsichtlich des Ganzen ihrer Lebens­umstände. Ent­sprechungen für das Wort in anderen Sprachen fehlen, oder es ist dort – im Franzö­sischen und Englischen – ein Lehn­wort.

Im engeren Verständnis und im deutschen Verfassungs­recht seit 1919 gebräuchlich ist Welt­anschauung „eine wertende Stellung­nahme zum Welt­ganzen, welche allein unter immanenten Aspekten Antwort auf die letzten Fragen nach Ursprung, Sinn und Ziel der Welt und des mensch­lichen Lebens zu geben sucht.“ (Mertesdorf 2008, S. 129). Diese eine Transzendenz verneinende Sicht ist wesentlich Produkt der Frei­denker­bewegung, der Säkulari­sierung und besonders der Revolution von 1918.

In deren Folge ist heute Humanismus, neben anderen Welt­anschauungen (etwa Freireligiöse, Unitarier, Deutsch­gläubige, Monisten) im eng führenden deutschen Staat-Kirche-Recht gedacht als eine Art Religions­ersatz für konfessions­freie Menschen. Denn eine Welt­anschauungs­gemeinschaft ist „ein Zusammen­schluss von Personen, der ein Minimum an organisatorischer Binnen­struktur aufweist, im Sinne der Gewähr der Ernst­haftigkeit auf Dauer angelegt ist“ und die ihre im Konsens erzielten Ansichten nach außen mani­festiert (Mertesdorf 2008, S. 243).

Daraus folgt, dass die Bedingung „gemein­schaftliche Pflege einer Welt­anschauung“ im Sinne einer An­wendung von Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 7 Weimarer Reichs­verfassung erfüllt sein muss, um die staatliche ‘An­erkennung als Gemein­schaft der Welt­anschauungs­pflege‘ zu erreichen, die allerdings, wegen deren ‘Kultur­hoheit‘, von den Bundes­ländern ausgesprochen werden kann, was nicht unbedingt deren Erhebung in den Status einer ‘Körper­schaft des öffent­lichen Rechts verlangt‘ (Groschopp 2010a). Sinngemäß folgt daraus für humanistische Organi­sationen, die diesen privilegierten Status bean­spruchen: ‘Humanismuspflege‘.

Weltanschauung und Humanismus

Humanismus als Weltanschauung ist wenig untersucht. ‘Welt­anschauung‘, wie sie das ‘Dritte Reich‘ kultiviert hatte, ließ diese als „Schau des Mystikers“ (Klemperer 1970, S. 178) erscheinen und beförderte nach 1945 die grund­sätzliche Abrechnung mit dieser Kategorie. Dabei griffen Philosophen in der Bundes­republik Positionen wieder auf, die schon vor 1933 versucht hatten, den Begriff zu entlarven (Eucken 1896; Scheler 1929). Das führte zu einer nach­wirkenden Abwertung des Ein­flusses vor­wissen­schaftlicher Bewusst­seins­elemente auf das Denken und Handeln von Menschen und zu einer Über­betonung von Wissen­schaft und Philosophie in Bezug auf Humanismus.

Hinzu kam der staatliche Gebrauch von ‘Humanismus‘ als Bestand­teil der Welt­anschauung in der DDR (Groschopp 2013). Hier hatte aus anderen Motiven die philosophische Ver­gangen­heits­bewältigung das gleiche Ergebnis, aber andere Anwendungen und Funktionen. Subjektive Ansätze in der Bestimmung von ‘Welt­anschauung‘ wurden zurück­gewiesen, der Nieder­gang des philosophischen Denkens beklagt – statt­dessen die angeblich richtige Wider­spiegelung des materiellen gesell­schaftlichen Seins in der ‘wissen­schaftlichen Welt­anschauung‘ des Marxismus-Leninismus als Erkenntnis- und Handlungs­lehre etabliert (Schuffenhauer 1976).

Begriffsgeschichte

Von der Anschauung zur Ideologie

Das Wort entstand Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland zunächst in der transzen­dentalen Philosophie. Es bildete sich in der „Fach­sprache der Philosophie aus, nicht aber in der Sprache der Dichtung oder etwa in der Alltags­sprache“ (Meier 1967, S. 73). Noch wörtlich genommen wird es von Immanuel Kant 1790 in seiner ‘Kritik der Urteils­kraft‘ (Erster Teil, Zweites Buch, § 26), dann von Johann Gottlieb Fichte 1792 im ‘Versuch einer Kritik aller Offen­barung‘ übernommen, um erstmals eine Zusammen­schau der Welt auszu­drücken.

Bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel rückte das Wort nach 1818 in den Rang einer philosophischen Kategorie, bezeichnender­weise in seiner ‘Ästhetik‘, um Kunst mit Religion und Philosophie zu vergleichen. Er legte dabei eine Stufen­folge der Welt­anschauungen fest, die in der Geschichte der Völker jeweils Ver­körperungen des Zeit­geistes darstellen.

Der Bezug auf die anschauende Wahr­nehmung wurde auf dreifache Weise prägend. Erstens wurde der Begriff am Ende des Vormärz nahezu ein Ersatz­wort für Ästhetik (Hebenstreit 1843). Die Bindung von Welt­erklärungen an die Sprache der Künste und Künstler rückte das sinnen­mäßige Erfassen der Welt in eine zwar niedere, aber doch akzeptierte Form der Erkenntnis (Hegel 1965, S. 291). Später sah der Freidenker Albert Kalthoff ‘Welt­anschauung‘ als „Poeten­philosophie“ (Kalthoff 1905, S. 79).

Zweitens wurde zuerst in den ästhetischen Äußerungen die Entdeckung ausgedrückt, „dass das Individuelle des Individuums absolut gesetzt werden kann. Das vollzieht sich in der Subjekti­vierung von Meinungen, Neigungen und des eigenen Geschmacks“ (Meier 1967, S. 67). Seitdem sind Welt­anschauungen subjektive System­versuche, das Ich, Wir und die Welt zu bewältigen, die sich aufladen können zu Sphären „der zum System erhobenen Meinung“, verbunden mit dem „Versprechen, die geistige Welt und schließlich auch die reale eben doch aus dem Bewusst­sein einzurichten“ (Adorno 1989, S. 118, 125).

Drittens produzierten die Kunst­debatten eine intellektuelle Öffentlichkeit, in der sich Friedrich Wilhelm Klopstock (1795), Heinrich Heine (1837) und viele andere über ‘Weltanschauungen‘ äußerten, während der Staat mit Kultur­politik im letzten Drittel des 19. Jahr­hunderts Regeln und Grenzen der Freiheit einführte.

Die drei genannten Diskurse ebneten Wege, „auf denen das Wort der Philosophie seit etwa der Mitte des 19. Jahr­hunderts in die Sprache der ‘Laienwelt’ eindringt“ und zu einem Modewort wird, das die spätere „Verflachung des Wort­gebrauchs“ vorbereitet. (Meier 1967, S. 36) Dieses Urteil gewann die Oberhand, als Gebildete, Vereine, soziale Bewegungen und politische Parteien um 1900 den Begriff ‘Welt­anschauung‘ okkupierten, um Dogmen in Kirchen und Theologien sowie die Deutungs­macht von Berufs­philosophen in Frage zu stellen oder eigene Systeme errichteten.

‘Weltanschauung‘ geriet wegen des gleichzeitigen Bezugs auf Kultur und Religion in die Spanne zwischen Meta­physik und Wissenschaft. Hinzu kam, dass Welt­anschauungen stark „in ihrem Anderssein von anderen Welt­anschauungen“ leben. (Nebel 1947, S. 68) Die Eigenheit des Welt­anschaulichen, beliebig Grund­fragen aufzuwerfen, aber die eigenen Antworten nicht verifizieren zu müssen, weil sich die Wahrheit von selbst aus der jeweiligen Haupt­annahme ergibt (‘Die Juden sind unser Unglück‘ oder ‘Die Arbeiter­klasse hat eine historische Mission‘), machte Welt­anschauungen zu Ideologien, die im 20. Jahrhundert Massen­bewegungen leiteten.

Weltanschauung versus Religion

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Begriff verengt und zur Sammel­bezeichnung nicht­religiöser Welt­anschauungen. Dabei wurden frühe Entwürfe neu bewertet. So hatte Friedrich Schleier­macher bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Rede von der ‘Weltanschauung‘ aufgegriffen und als individuelle Weltsicht des gläubigen Menschen akzeptiert und definiert. Bei ihm erhielt das Wort die Funktion eines Gegen­begriffs zu den verschiedenen Formen, die Gottes­idee zu erfassen (Krause/Müller 2003, S. 550 ff.).

In diesem Verständnis als „Gesamtsicht von Gott, Welt und Menschen“, so 1907 in ‘F. Kirchner’s Wörterbuch der philo­sophischen Grund­begriffe‘ (1911, S. 1093) und als seelisch-geistige Grund­haltung und Einstellung fand das Wort Eingang in ‘Meyer’s Konver­sations­lexikon‘ von 1909 (Bd. 20). Auch andere Wörter­bücher bezeugen, dass Welt­anschauungen ‘Gesinnung‘ und zunehmend die Neigung ausdrücken, aus subjektiver Perspektive Welt­sichten auszubilden (Schmidt 1916, Eisler 1904). Martin Heidegger, als Philosoph ein Welt­anschauungs­produzent, formulierte schließlich, „daß überhaupt die Welt zum Bild wird, zeichnet das Wesen der Neuzeit aus.“ (Heidegger 1977, S. 88)

Um die allgemeine Erlaubnis individueller Welt­sichten und um das Recht, diese gemein­schaftlich zu organisieren, auszudrücken, kam das Wort ‘welt­anschaulich‘ 1919 in die Weimarer Verfassung und 1949 ins Grundgesetz der Bundes­republik Deutschland. Seitdem ist „jede Lehre, welche das Weltganze universell zu begreifen und die Stellung des Menschen in der Welt zu erkennen und zu bewerten sucht“, ganz formal eine Welt­anschauung. (Anschütz 1960, S. 649) Dabei handele es sich per Definition um „irreligiöse oder doch religionsfreie Welt­anschauungen“ (Anschütz 1960, S. 650). Im Grund­gesetz Artikel 4, Absatz 1 ist diese Bestimmung übernommen, ähnlich Artikel 33, Absatz 3.

Begriffskritik

Seit sich um 1900 Welt­anschauungen in diversen Kultur­bewegungen ausdrückten, gerieten sie in den General­verdacht der Kultur­losigkeit, der Begriff sei eine Bezeichnung „der dümmsten Lebens- und Geschichts­philosophie“. (Stern 1915, S. 45). So hielt Fritz Mauthner 1924 fest: „Der müsste schon ein ganz armseliger Tropf sein, wer heutzutage nicht seine eigene Weltanschauung hätte.“ (Mauthner 1924, S. 430) Humanistische Welt­anschauungs­gemeinschaften haben es angesichts dieser Verdikte schwer, ihre Anliegen angemessen vorzutragen.

Innerhalb des Humanismus prägte Victor Klemperer den Ausdruck ‘Klüngelwort‘. Er arbeitete heraus, dass der Begriff, wie er besonders im National­sozialismus verstanden wurde, den genauen „Gegensatz zur Tätigkeit des Philosophierens“ ausdrückte und in Tradition einer Opposition „gegen Dekadenz, Impressionismus, Skepsis und Zersetzung der Idee eines kontinuierlichen und damit verantwortlichen Ichs“ stand (Klemperer 1970, S. 177 f.).

In der Gegenwart ist der Begriff ‘Weltanschauung‘ wegen seiner Geschichte kompromittiert (Dornseiff 1946). ‘Wirkungs­zusammenhänge‘, wie sie Wilhelm Dilthey herstellte (Dilthey 1931), oder Fragen nach den ‘Existenzweisen‘ der Vernunft, wie sie Karl Jaspers stellte (Jaspers 1994), werden aktuell in den empirischen Kultur­wissenschaften wieder aufgegriffen und wären auf Humanismus zu projizieren. Für Welt­anschauungs­gemein­schaften bestehen wegen der deutschen Rechtslage kaum Chancen, auf den Begriff zu verzichten, wenn sie sich innerhalb des Religions­verfassungs­rechts sozial und politisch bewegen und öffentliche Mittel wie die Kirchen bekommen wollen (Groschopp 2010b) – es sei denn, das Religions­verfassungs­recht wandelt sich zu einem ‘Kultur­verfassungs­recht‘, wohin es in der Tat bereits tendiert (Fritsche 2015) und sich in neue Widersprüche verwickelt.

Literatur

  • Adorno, Theodor W. (1989): Philosophische Terminologie. Zur Einleitung (1973). Frankfurt am Main.
  • Anschütz, Gerhard (1960): Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919 (1921). Bad Homburg.
  • Dilthey, Wilhelm (1931): Weltanschauungslehre. Abhandlungen zur Philosophie der Philosophie. Leipzig.
  • Dornseiff, Franz (1946): Weltanschauung. Kurzgefasste Wortgeschichte. In: Die Wandlung. Eine Monatsschrift. Heidelberg. 1. Jahrgang. Heft 12, S. 1086-1066.
  • Eisler, Rudolf (1904): Rudolf Eislers Wörterbuch der Philosophischen Begriffe, historisch-quellenmäßig bearbeitet. 2., völlig neu bearbeitete Auflage. Berlin.
  • Eucken, Rudolf (1896): Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt. Neue Grundlegung einer Weltanschauung. Leipzig.
  • Fritsche, Thomas (2015): Der Kulturbegriff im Religionsverfassungsrecht. Berlin.
  • Groschopp, Horst (2010a): Konfessionsfreie und Weltanschauungspflege. In: Horst Groschopp (Hrsg.): Konfessionsfreie und Grundgesetz. Aschaffenburg, S. 143-168.
  • Groschopp, Horst (2010b): „Von den Dissidenten zu den Religionsfreien. Zur Konzeption einer Konfessionsfreienpolitik in Deutschland“. In: Yvonne Boenke (Hrsg.): „Lieber einen Knick in der Biographie als einen im Rückgrat“. Festschrift zum 70. Geburtstag von Horst Herrmann. Münster, S. 395-412.
  • Groschopp, Horst (2013): Der ganze Mensch. Die DDR und der Humanismus. Ein Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte. Marburg.
  • Hebenstreit, Wilhelm (1843): Wissenschaftlich-literarische Encyklopädie der Aesthetik. Ein etymologisch-kritisches Wörterbuch der ästhetischen Kunstsprache. Wien.
  • Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1965): Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen … (1802). In: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Sämtliche Werke. Hermann Glockner (Hrsg.). Jubiläumsausgabe. Bd. 1, Stuttgart.
  • Heidegger, Martin (1977): Die Zeit des Weltbildes (1938). In: Martin Heidegger: Holzwege. Gesamtausgabe. Bd. 5. Frankfurt am Main.
  • Jaspers, Karl (1994): Psychologie der Weltanschauungen (1919). Frankfurt am Main.
  • Kalthoff, Albert (1905): Die Religion der Modernen. Jena, Leipzig.
  • F. Kirchner’s Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe (1911). 6. Auflage. Leipzig.
  • Klemperer, Victor (1970): LTI. Notizbuch eines Philologen (1947). Leipzig.
  • Krause, Gerhard/Müller, Gerhard (Hrsg.) (2003): Theologische Realenzyklopädie. Band 35. Berlin.
  • Mauthner, Fritz (1924): Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache. Bd. 3. 2., vermehrte Auflage. Leipzig.
  • Meier, Helmut Günter (1967): „Weltanschauung“. Studien zu einer Geschichte und Theorie des Begriffs. Inaugural-Dissertation. Münster.
  • Mertesdorf, Christine (2008): Weltanschauungsgemeinschaften. Eine verfassungsrechtliche Betrachtung mit Darstellung einzelner Gemeinschaften. Frankfurt am Main.
  • Nebel, Gerhard (1947): Tyrannis und Freiheit. Düsseldorf.
  • Scheler, Max (1929): Philosophische Weltanschauung. Gesammelte Aufsätze. Bonn.
  • Schmidt, Heinrich (1916): Philosophisches Wörterbuch. 2., umgearbeitete und vermehrte Auflage. Leipzig.
  • Schuffenhauer, Werner (1976): „Weltanschauung“. In: Georg Klaus/Manfred Buhr (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. Bd. 2. Leipzig, S. 1287-1289.
  • Stern, William (1915): Vorgedanken zur Weltanschauung. Leipzig.
Quelle:
Horst Groschopp: Weltanschauung/Weltanschauungsgemeinschaften. In: Hubert Cancik/Horst Groschopp/Frieder Otto Wolf: Humanismus: Grundbegriffe. Berlin/Boston 2016, S. 409-416.