Wohlfahrtseinrichtungen in Deutschland 1970 -2014
Unter der freien Wohlfahrtspflege wird im Allgemeinen die Bundesarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) verstanden. Mitgliedsverbände sind die Arbeiterwohlfahrt, der Deutsche Caritasverband, das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, das Deutsche Rote Kreuz, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.
Der Deutsche Caritasverband und das Diakonische Werk der EKD sind die größten Einrichtungen dieser Art. Mit jeweils ca. 617.193 (Stand 2014) bzw. 464.828 Mitarbeitern (Stand 2015) beschäftigen sie ca. 63 Prozent der Menschen, die in der Wohlfahrtspflege insgesamt (1,724 Mio. Menschen) arbeiten. Von den Ehrenamtlichen sind nur ca. 43 Prozent bei Caritas und Diakonie tätig.
Hinsichtlich der Größenordnung ist der Caritasverband mit 24.391 Einrichtungen und über 1 Millionen Plätzen/Betten (Stand 2014) der größte Wohlfahrtsverband in Deutschland. Rund 500.000 Menschen engagieren sich freiwillig bzw. ehrenamtlich.
Dazu kommen, nach Erhebungen im Jahr 2014, ca. 37.000 (42.500 im Jahr 2008) Auszubildende, Schüler und Berufspraktikanten, 4.701 Freiwillige im Sozialen Jahr (2008 - 3.771) und 5.112 Bundesfreiwilligendienstleistende (10.060 Zivildienstleistende im Jahr 2008)1.
Das Diakonische Werk der evangelischen Kirche betreibt 28.100 ambulante und stationäre Einrichtungen und Dienste mit insgesamt etwa einer Million Betreuungsplätzen, bei denen rund 465.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie etwa 700.000 freiwillig Engagierte tätig sind.
Zur Zeit leisten rund 3.400 Jugendliche ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Evangelischen Kirche. Mit dem Bundesfreiwilligendienst (BFD) gibt es seit dem 1. Juli 2011 ein neues Angebot für Freiwillige, das Menschen jeden Alters offen steht. Bisher haben 3.660 Freiwillige Verträge mit diakonischen und evangelischen Trägern abgeschlossen.
Zusammen erwirtschaften die gemeinnützigen Einrichtungen einen geschätzten Jahresumsatz von rund 55 Milliarden Euro, mehr als die Branchen der Textil- und Bekleidungsindustrie oder das gesamte Gebrauchsgütergewerbe.* Jedoch unterscheiden sich die fünf Sozialverbände von privaten Unternehmen dahin gehend, dass niemand die genauen Umsätze und die Kassenlage der Wohlfahrtsimperien kennt. Es sind keine Unternehmen, die in ihrer Gesamtheit agieren und geführt werden, sondern viele rechtlich eigenständige Kreis- und Landesverbände sowie unabhängige Trägergesellschaften, die ihre Ergebnisse nicht offen legen müssen.
Neben den beiden konfessionellen Verbänden agiert die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung des 20. Jahrhunderts hat und auch heute noch sozialdemokratisch geprägt ist. 341.000 Mitglieder und ca. 66.000 Ehrenamtliche unterstützen die sozialen Aufgaben des Verbandes. Die AWO hat sich in ihrer Geschichte zu einem modernen, gemeinnützigen Dienstleistungsunternehmen entwickelt mit 212.000 Beschäftigten in ca. 18.600 sozialen Diensten und Einrichtungen (AWO 1.7.2016 ).
Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V. (ZWST) vertritt 99.695 Mitglieder (31.12.2015) in 24 jüdischen Landesverbänden und Gemeinden sowie den jüdischen Frauenbund. Das soziale Engagement der ZWST umfasst u. a. Freizeiten und Erholungsmaßnahmen für Senioren und Jugendliche, ein professionelles Aus- und Fortbildungsangebot und unterstützt die soziale Arbeit in den jüdischen Gemeinden.
Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband arbeitet weitgehend frei von politischer oder religiöser Weltanschauung. Im Jahr 2008 erhielten Paritätische Mitgliedsorganisationen für über 2.400 Projekte rund 48,1 Millionen Euro aus den Mitteln der Aktion Mensch, der GlücksSpirale und der ARD-Fernsehlotterie. Er ist Dachverband von über 10.000 eigenständigen Organisationen, Einrichtungen und Gruppierungen im Sozial- und Gesundheitsbereich. Mit seinen 15 Landesverbänden und mehr als 280 Kreisgeschäftsstellen unterstützt der Paritätische die Arbeit seiner Mitglieder.
Im Online-Shop des Vertriebszentrums des PARITÄTISCHEN sind die Wohlfahrts- und Weihnachtsmarken erhältlich. 1949 begann man mit dem Vertrieb der Wohlfahrtsbriefmarken in der Bundesrepublik Deutschland. Mit dem Erlös der Zuschläge der ersten Serie „Helfer der Menschheit“ finanzierten die Wohlfahrtsverbände die ersten Projekte. Insgesamt belaufen sich die Erlöse aus den Zuschlägen der Wohlfahrtsmarken seit 1949 auf 459 Millionen Euro aus dem Verkauf von über 3,24 Milliarden Marken. Die Zuschlagserlöse kommen Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Paritätischem Wohlfahrtsverband, DRK, Diakonie und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland zugute. Schirmherr des Sozialwerks „Wohlfahrtsmarken“ ist der Bundespräsident.
Auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ist weitestgehend unparteilich. Mit rund 149.694 hauptberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, 400.000 ehrenamtlichen Mitgliedern, sowie 106.000 Jugendrotkreuz-Mitgliedern und 3,08 Millionen Fördermitglieder erfüllt es als Wohlfahrtsverband und Hilfsorganisation nationale Aufgaben. Unter anderem: Rettungsdienst und Erste Hilfe, Gesundheitsdienste inkl. Blutspendedienst, Altenhilfe inkl. Pflege und Besuchsdienst, Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, Suchdienst und Jugendrotkreuz.
Rund 11.500 junge Menschen absolvieren derzeit ihr Freiwilliges Soziales Jahr beim DRK - mehr als bei jedem anderen Anbieter in Deutschland. Hinzu kommen etwa 2.800 Plätze beim Bundesfreiwilligendienst. Zudem unterstützen 430 Engagierte das DRK in den Internationalen Freiwilligendiensten. Fast 600 zusätzliche BFD-Plätze bietet das DRK in der Flüchtlingshilfe über das Sonderprogramm des Bundesfamilienministeriums an.
Insgesamt sind in den Einrichtungen und Diensten der Freien Wohlfahrtspflege 1.723.715 Mitarbeiter (2015) hauptamtlich beschäftigt, das sind rund 5,5 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Deutschland (2015). Die Zahl der Freiwilligen, die in den Hilfswerken und Initiativen sowie in der Freien Wohlfahrtspflege selbst arbeiten, beläuft sich auf ca. 2,5 bis 3 Millionen Menschen.2
Finanzierung der Wohlfahrtspflege
Gemeinsam ist allen Wohlfahrtsverbänden ihre finanzielle Abhängigkeit vom Staat. Die Leistungen der Freien Wohlfahrtspflege werden über verschiedene Arten und Kostenträger (Krankenkassen, Pflegeversicherung, staatliche Sozialleistungen, öffentliche Zuwendungen, Spenden usw.) finanziert. Da für die verschiedenen Tätigkeitsbereiche unterschiedliche Mischfinanzierungen vereinbart und geleistet werden, sind zusammenfassende Aussagen kaum möglich. Bei den beiden größten konfessionellen Verbänden handelt es sich dabei um zweistellige Milliardenbeträge.
Der größte Teil der Finanzierung stammt aus Entgelten für Leistungen aus der gesetzlichen Kranken- und die Pflegeversicherung. Dabei werden die Zahlungen zwischen den Kostenträgern (GKV, GPV, PKV) und den Leistungserbringern verhandelt, die durch die Zuzahlungen der Versicherten (2008 waren dies ca. 5,3 Mrd. Euro) ergänzt werden. Leistungsentgelte werden z. B. in Krankenhäusern, Heimen und Kindergärten erhoben. Die Nutzer müssen diese selbst zahlen oder bekommen diese von öffentlichen Leistungsträgern erstattet.
Die öffentlichen Mittel unterteilen sich in direkte Zuwendungen und indirekte Hilfen. Bei den direkten öffentlichen Zuwendungen (2008 ca. 61 Mio. Euro3) handelt es sich oft um zweckgebundene Projektzuweisungen. Staatliche Zuschüsse gibt es bei Investitionen für den Bau von Einrichtungen und Hilfen für Betriebe. Rechtsgrundlage dafür ist die öffentliche Verpflichtung, freie Träger angemessen zu fördern und zu unterstützen, damit Menschen qualifiziert versorgt werden können. Die Zuwendungen nach den Gewinn- und Verlustrechnungen der Verbände im Jahr 2008 summieren sich auf insgesamt 153 Mio. Euro, davon sind neben den genannten 61 Mio. Euro aus öffentlichen Haushalten, eindeutig 15 Mio. Euro der Kirche und 6,2 Mio. Euro der EU zuzuordnen.3
Zu den indirekten Hilfen/Subventionen gehören:
- Zuzahlungen für Freiwilligendienstleistende (privaten Trägern stehen keine Freiwilligendienstleistenden zur Verfügung).
- Die Abzugsfähigkeit von Zuwendungen an gemeinnützige Organisationen sowie politische Parteien.
- Befreiungen von Gewerbe-, Körperschafts- und Umsatzsteuern.
Zudem gibt es traditionelle Einnahmequellen, wie Spenden aus der Bevölkerung, Straßensammlungen, Beiträge aus Freundes- und Förderkreisen, Schenkungen und Stiftungen. Allerdings ist die Spendenquelle sehr veränderlich und größtenteils von besonderen Ereignissen (Überschwemmungen, Wirbelstürme usw.) bestimmt. Im Jahr 2008 betrug das Spendenvolumen der Organisationen der Wohlfahrtspflege innerhalb des (Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen) DZI-Spendenindizes etwas mehr als 100 Mio. Euro, die größtenteils zweckgebunden sind.3
Ein weiteres Finanzierungsmittel kommt aus Lotterien, z. B. „GlücksSpirale“, Aktion Mensch e. V. und Deutsche Fernsehlotterie sowie aus Zuschlagserlösen vom Verkauf von „Wohlfahrtsmarken“.
Die konfessionellen Verbände erhalten darüber hinaus von ihren Kirchen Geld aus Kirchensteuermitteln. In „Caritas und Diakonie in Deutschland“ (Dr. Carsten Frerk, 2012) stellt der Autor fest, dass die Kirchen lediglich 1,8 Prozent zur Finanzierung von Caritas und Diakonie beitragen (sogenannte „Kirchenquote“). Bei einem geschätzten Jahresumsatz bei Caritas und Diakonie von rund 45 Mrd. sind das etwa 830 Mill. Euro. Diese fließen vor allem in „missionsnahe“ Bereiche, wie die Finanzierung von Kindergärten, Palliativ-Pflegeheime und in den Bereich Hilfe für behinderte Menschen.
Die Katholische Kirche gibt an, etwa 8-10 Prozent der Kirchensteuermittel an das katholische Hilfswerk zu zahlen. Im Geschäftsbericht 2015 der Caritas werden 11,84 Mio. Euro als kirchliche Zuschüsse deklariert. Im Geschäftsbericht 2015 der Diakonie liest man dagegen nur: „… Die Zuwendungen stammen im Wesentlichen aus dem öffentlichen und kirchlichen Bereich. Im Vergleich zum Vorjahr konnten sich die Zuwendungen in 2014 um 0,97 Mio. EUR erhöhen…“. Leider keine Zahlenangaben. Auch bei den Erträgen tauchen keine kirchlichen Zuschüsse auf. Die EKD nennt zumindest bei ihren Ausgaben eine Größenordnung: „… gefolgt von der gemeindediakonischen Arbeit, zu der auch die evangelischen Kindertagesstätten zählen, mit 2,5 Milliarden Euro…“, eine Summe, in der allerdings auch die staatlichen Zuschüsse enthalten sind.
Somit stellt sich das Finanzierungsgefüge der Wohlfahrtsverbände in etwa so dar: ca. 70 Prozent Leistungsentgelte, 15-18 Prozent öffentliche Zuwendungen, etwa 8-12 Prozent aus eigenen Erträgen, 2 Prozent Spenden und die beiden kirchlichen Verbände erhalten ca. 2 Prozent aus den jeweiligen Kirchensteuern.
Das so genannte Subsidiaritätsprinzip ist in der deutschen Sozialgesetzgebung verankert, welches kurz gefasst beinhaltet, dass Leistungen, die die freien Wohlfahrtsverbände anbieten, nicht vom Staat zur Verfügung gestellt werden dürfen. Damit waren jedoch bis in die neunziger Jahre ausschließlich freigemeinnützige Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände gemeint, denen damit ein Monopol eingeräumt wurde. In der Mitte der 1990er Jahre erst wurde begonnen, diese einseitige Bevorzugung der Freien Wohlfahrtspflege abzubauen. Das Pflegeversicherungsgesetz von 1994 stellte erstmals freigemeinnützige und private Einrichtungsträger gleich, das Bundessozialhilfegesetz wurde ebenfalls dahingehend angepasst. Dort wurde festgelegt, dass möglichst das preisgünstigste Leistungsangebot den Vorrang hat. Damit öffnete sich der Markt der Konkurrenz und vor allem bei der mobilen Altenpflege gibt es mittlerweile eine ganze Reihe erfolgreicher Privatunternehmen.
1Quelle: Zentralstatistik des Deutschen Caritasverbandes e. V. Stichtag 31.12.2014
2Quelle: Gesamtstatistik der Wohlfahrtspflege, 2012
3Quelle: Deutsche Bank Research, Wirtschaftsfaktor Wohlfahrtsverbände, 2010