Freireligiöse und Feuerbestattung
Seit jeher ist es das Bestreben der Menschen, ihre Toten zu ehren und ihnen eine würdige Bestattung zu bereiten. Die Art der Bestattung veränderte sich im Lauf der Menschheitsgeschichte. Auf dem Feuer und seiner Symbolik beruht die uralte, weltumspannende Kulturidee der Feuerbestattung. Sie setzte sich in Deutschland gegen die ablehnende Haltung besonders der katholischen Kirche durch. Die evangelische Kirche entschloss sich relativ früh zu einer entgegenkommenderen Haltung. Ihren Geistlichen ist die Mitwirkung bei der Feuerbestattung erlaubt.
Von Manfred Isemeyer
In der Gegenwart ist die Feuerbestattung Normalität. 1995 stieg die Zahl der eingeäscherten Toten in der Bundesrepublik auf über 25 Prozent. Im stark von Konfessionslosigkeit geprägten Berlin gab es 1996 sogar 28.047 Einäscherungen gegenüber nur 10.090 Erdbestattungen.
Der Rekurs auf die geschichtliche Entwicklung der Feuerbestattung belegt, dass sie innerhalb der freigeistigen Bewegung immer einen hohen Stellenwert besaß. Sie wurde von ihren Anhängern mit einer spezifischen proletarischen Lebenslage und -weise begründet: „Es gibt für Proletarier keine Familiengräber mehr – die Jugend wird in alle Welt zerstreut. Der Sohn erbt nicht mehr Haus und Wirtschaft von seinem handwerkenden Vater – nur auf dem Lande und beim Kleinbürgertum ist das noch der Fall –, niemand ist mehr da, um in treuer Liebe das Grab der Angehörigen zu pflegen. Deshalb entspricht es unserer Klassenlage und der modernen Lebensweise überhaupt, die Toten zu verbrennen und ihre Asche zu zerstreuen. Eine gemeinsame Totenfeier, die die proletarische Gemeinschaft pflegt und in die Zukunft weist, ist der entsprechende Ausdruck unserer Gefühle.“[1]
Zugleich nahm die freigeistige Bewegung für sich in Anspruch, „bahnbrechend für die Idee der Feuerbestattung gewirkt zu haben“.[2] Und kämpferisch wurde die Feuerbestattung als Mittel des Kirchenkampfes hochstilisiert: „Zweck und Ziel eines proletarischen Feuerbestattungsvereins ist es, den ausbeuterischen Tendenzen entgegenzutreten, die Staat, Kirche und Kapitalismus in trauter und wirklich realer Dreieinigkeit ausüben, indem sie sich das Monopol der Beerdigung sichern, um ihrer Profitgier auch hierbei noch genügen zu können“.[3]
Die Rekonstruktion des historischen Sachverhalts entlarvt vieles an dieser Darstellung als Legendenbildung. Tatsächlich war der Feuerbestattungsgedanke zunächst ausschließlich in der bürgerlichen Reformbewegung des vorigen Jahrhunderts verankert. Von ihr gingen die politischen Impulse zur Durchsetzung der Feuerbestattung in Deutschland aus; sie lieferte die Argumente für eine Umgestaltung des Bestattungswesens. Erst mit der zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft griffen dissidentische Kreise die Idee der Feuerbestattung auf und gaben ihr eine eigene weltanschauliche und ökonomische Ausprägung. Die Freireligiöse Gemeinde Berlin markiert in diesem Zusammenhang die entscheidende Wende.
Zur Geschichte der Feuerbestattung
Feuerbestattungen sind in der europäischen Geschichte seit der mittleren Steinzeit nachweisbar. Von den Griechen und Römern liegen viele Zeugnisse vor, wonach die Leichenverbrennung bei ihnen große Verbreitung fand. Der römische Schriftsteller Tacitus berichtet von den Germanen, daß sie ihre Toten in feierlicher Form verbrannten, die Aschereste in Tonurnen sicherten und sie in Erdhügeln bestatteten. Als die aus der Völkerwanderung hervorgegangenen germanischen Reiche das Christentum annahmen, hörte die Feuerbestattung jedoch auf. Mit dem Edikt von Paderborn im Jahre 785 stellte Kaiser Karl der Große die Leichenverbrennung unter Todesstrafe. Erst mit dem Aufkommen des Humanismus entstand in vielen Kulturstaaten Europas allmählich wieder eine Diskussion um die Feuerbestattung, an der sich Philosophen und Wissenschaftler beteiligten. 1797 wurde durch den Rat der Fünfhundert der Bau eines Krematoriums in Paris geplant und Pläne dazu gefertigt. Es sollte sowohl für hervorragende Kämpfer der Revolution als auch für das einfache Volk als Begräbnisstätte dienen. Niedrige Kosten waren kalkuliert, um auch die Armen mit einer erschwinglichen Bestattung versorgen zu können.
Deutschland gehört zu jenen Ländern, in denen der Gedanke der Feuerbestattung schon Anfang des 19. Jahrhunderts Wurzeln schlug. 1829 gab Johann Gottfried Dingler im Polytechnischen Journal erste Anregungen zur Wiedereinführung der Feuerbestattung. Jacob Grimm, der 1849 in der Königlichen Akademie der Wissenschaft Ueber das verbrennen der leichen referierte, sympathisierte mit der Feuerbestattung. 1852 befürwortete Jakob Moleschott die Feuerbestattung aus nationalökonomischen Gründen. Die Argumente der Vorkämpfer der Feuerbestattung waren weitgehend identisch: sie sei aus hygienischen, wirtschaftlichen und ästhetischen Gesichtspunkten der Erdbestattung vorzuziehen. Als antireligiöse Demonstration wurde die Feuerbestattung nicht begriffen. Dies gilt auch für den preußischen Arzt Johann Peter Trusen, der 1855 eine Schrift Die Leichenverbrennung als die geeignetste Art der Todtenverbrennung veröffentlichte und sie als Petition an das Preußische Abgeordnetenhaus richtete. Nach diesem ersten erfolglosen Versuch, die Feuerbestattung gesetzlich zu verankern, unterstützten immer mehr Persönlichkeiten von Rang und Namen die Totenverbrennung, unter ihnen Rudolf Virchow, Gottlob Friedrich Küchenmeister, Heinrich Wilhelm Reclam, Fürst Hermann Pückler-Muskau, die Dichter Gottfried Keller, Detlev von Liliencron und andere. 1874 wurden auf Anregung von Reclam die ersten Feuerbestattungs-Vereine in Berlin und Dresden gegründet.
Doch theoretische Debatten nutzten wenig, solange nicht die technischen Voraussetzungen für die Feuerbestattung geschaffen waren. Es blieb dem Forschergeist von Friedrich Siemens vorbehalten, eine Ofenkonstruktion zu erfinden, um mit geringen Kosten atmosphärische Luft so weit zu erhitzen, um mit dieser Hitze Leichen einäschern zu können. Im Oktober 1874 wurde der erste Versuch einer solchen Einäscherung in einem provisorischen Ofen der Siemens‘schen Glasfabrik in Dresden gemacht. Mit dieser neuartigen Verbrennungsanlage, dem sogenannten Regenerationsofen, wurde der Weg für konkrete Projekte und ihre politische Durchsetzung frei. Der 1876 nach Dresden einberufene internationale Allgemeine Kongreß für Feuerbestattung, den Küchenmeister leitete, beeinflusste die öffentliche Meinung in Deutschland positiv. Herzog Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha war der erste Monarch, der dem Druck der Gegner der Feuerbestattung widerstand und 1878 die Genehmigung zum Bau eines Krematoriums gab. Mit finanzieller Unterstützung der deutschen Feuerbestattungsvereine konnte am 10. Dezember 1878 das erste Krematorium Deutschlands in Gotha eröffnet werden. Es blieb für dreizehn Jahre die einzige Feuerbestattungsstätte Deutschlands. 1891 wurde das zweite deutsche Krematorium in Heidelberg in Betrieb genommen. Es folgten ein Jahr später Hamburg, 1892 Jena, 1899 Offenbach und 1900 Mannheim, Eisenach und Mainz. Gesetzlich zugelassen war die fakultative Feuerbestattung zur Jahrtausendwende in den deutschen Staaten Hamburg, Bremen, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Weimar-Eisenach, Baden und Hessen.
In dem Maße, in dem die Zahl der Krematorien anstieg, wuchs auch die Anhängerschaft der Feuerbestattung in Deutschland auf schätzungsweise 20.000 Personen. Sie organisierten sich in zahlreichen Feuerbestattungsvereinen, die sich 1896 im Verband der Feuerbestattungsvereine Deutscher Sprache zusammenschlossen. Als Verbandsorgan diente die Zeitschrift Phoenix.
Die Zahl der vorgenommenen Einäscherungen war wegen des immensen bürokratischen Aufwandes und der finanziellen Kosten zunächst bescheiden. Zwischen 1878 und 1898 starben im deutschen Reich 24,4 Millionen Menschen, von denen lediglich 3.110 feuerbestattet wurden. Das bekannte statistische Material macht zudem deutlich, dass die Feuerbestattung damals ausschließlich eine Angelegenheit der Gebildeten und Reichen war. So befanden sich unter den feuerbestatteten Personen Kaufleute und Industrielle, Offiziere und Beamte, freie Berufe und Pensionäre, aber nur wenige Arbeiter und Angestellte. Deutlich unterrepräsentiert waren auch die Dissidenten: Von 2.927 Feuerbestatteten mit Konfessionsangabe bezeichnet die Statistik 2,5 Prozent als freireligiös.
Die Bestrebungen der Freireligiösen um die Feuerbestattung bis 1900
Auf dem Begräbnisplatz der Freireligiösen Gemeinde Berlin in der Pappelallee wurde am 22. Juni 1889 die erste von Gotha überführte Aschenurne beigesetzt.[4] Nicht überliefert ist, wer die eingeäscherte Person war. Es ist aber zu vermuten, dass es sich um ein wohlhabendes Mitglied der Gemeinde handelte, denn die Feuerbestattung war mit hohem finanziellen Aufwand verbunden. 1887 kostete eine Einäscherung im Krematorium Gotha für eine aus Berlin überführte Leiche insgesamt 430,20 Mark. Die Kosten setzten sich u. a. aus 50,- Mark für fünfzig Zentner Braunkohle und 125,20 Mark für den Transport nach Gotha und 80,- Mark für einen Spezialsarg sowie aus Auslösungskosten für die betreffende Kirche zusammen. Die eigentliche Verbrennung kostete 30,- Mark.[5] Für Arbeiter und Handwerker waren solche Summen nicht aufzubringen.
Die Feuerbestattung wurde im Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende zu einem wichtigen Thema der Freireligiösen. Am 22. September 1890 diskutierte die Berliner Gemeinde diese Thematik ausführlich auf einer Mitgliederversammlung und beschloss, den Vorstand zu beauftragen, geeignete Schritte zum Bau und Betrieb eines eigenen Feuerbestattungssystems in Berlin oder dessen Umgebung einzuleiten.[6] Auf die Eingaben des Vorstandes vom 20. Oktober antworteten die Minister des Innern und des Cultus abschlägig: „Nach den das Leichenwesen betreffenden gesetzlichen Vorschriften … sollen die Leichen auf den öffentlichen oder mit besonderer Genehmigung angelegten privaten Begräbnisplätzen beerdigt werden. Von dieser Voraussetzung ausgehend sind durch Gesetz und Erlasse der Verwaltungsbehörden diejenigen Anordnungen getroffen, welche mit Rücksicht auf die staatlichen, religiösen und sanitären Interessen zu einer angemessenen Regelung des Leichenwesens erforderlich sind. Diese Anordnungen lassen sich weder ohne weiteres dem Modus der Leichenverbrennung anpassen … Die Verbrennung der Leichen würde, wenn sie eingeführt werden sollte, vielmehr eine Reihe von Verordnungen erforderlich machen, welche dem bestehenden Rechtszustande gegenüber, wie die Einführung selbst, nur im Wege der Gesetzgebung getroffen werden können. Eine genügende Veranlassung, diesen Weg zu betreten, liegt bisher nicht vor, da der Vorschlag der Leichenverbrennung innerhalb des preußischen Staates zur Zeit nur eine verhältnismäßig geringe Zustimmung gefunden hat. Berlin, den 13. Januar 1891.“[7]
Die Gemeinde ließ sich von dieser Ablehnung aber nicht entmutigen. Schon am 3. März desselben Jahres stand die Feuerbestattung erneut auf der Tagesordnung einer Versammlung. Als Referentin hatten die Freireligiösen Hedwig Wilhelmi gewonnen, die sich als Expertin und Wanderrednerin einen Namen gemacht hatte.[8] In der Folge ließ der Vorstand der Gemeinde Petitionslisten zugunsten der Feuerbestattung drucken und in Umlauf bringen, um möglichst viele Unterschriften, auch von Nichtmitgliedern, zu sammeln. 14.911 Unterschriften kamen zusammen, ein Mehrfaches der Mitgliederzahl der Gemeinde. Die daraufhin vom Vorsitzenden der Gemeinde, Otto Friederici, an das Preußische Abgeordnetenhaus gerichtete Eingabe beeindruckte die Parlamentarier allerdings nicht. Der Petitionsausschuss empfahl dem Hause „Übergang zur Tagesordnung“.[9]
Moderater fiel die Antwort des Magistrats der Stadtgemeinde Berlin aus: „Auf das gefällige Gesuch vom 8. Juni d. J. betreffend die Einführung der Feuerbestattung erwidern Namens des Magistrats wir ergebenst, daß die großen zur Zeit kaum überwindlichen Schwierigkeiten, die einer Erlaubniß zur Feuerbestattung in Preußen entgegenstehen, aus den Verhandlungen, welche der bezügliche Verein zu Frankfurt a. M. erst kürzlich gepflogen, deutlich hervorgehen! … Der Magistrat von Berlin hat wiederholentlich, zuletzt durch Verstattung des Baues einer Urnenhalle auf städtischem Terrain, zu erkennen gegeben, wie er der fakultativen Feuerbestattung durchaus nicht feindlich gegenüber steht. Zunächst wird er sich mit der Feststellung zu beschäftigen haben, ob für die städtische Verwaltung die Feuerbestattung überhaupt verwerthbar, ob sie rathsam, und wie sie auszuführen sei. Der erhebliche Kostenpunkt spielt hierbei eine bedeutendere Rolle als gewöhnlich vermuthet wird. Das Beispiel von Mailand, dessen Bestattungswesen im April d. J. unsererseits untersucht worden ist, paßt für Berlin sehr wenig. Magistrat. Kommission für das Bestattungswesen. Friedel.“[10] Die Stadt hatte gute Gründe, sich des Problems der Feuerbestattung anzunehmen. Infolge der rasant gewachsenen Bevölkerungszahl Berlins waren die Begräbnisplätze auf den städtischen Friedhöfen knapp geworden. In erheblichem Umfang stiegen auch die Kosten für Armenbegräbnisse, die zu Lasten der Stadtkasse gingen. „Man kann auf dem städtischen Friedhofe einstweilen an Armenleichen jährlich durchschnittlich rechnen: 1.600 Erwachsene, 1.100 Kinder, zusammen 2.700 Personen, darunter, einschließlich 100 unbekannten Leichen, etwa 1.000 Anatomie-Leichen. Werden auch vor der Hand uns diese 1.000 Leichen feuerbestattet, so ergibt sich daraus schon eine höchst erhebliche Entlastung für die städtische Verwaltung“.[11]
Um der Forderung nach Einführung der fakultativen Feuerbestattung politisch Nachdruck zu verleihen, wurden über einen längeren Zeitraum Befragungen von Angehörigen Verstorbener angestellt mit dem Ergebnis, „daß die große Menge der Leidtragenden und Friedhofsbesitzer gegen eine auf Kosten der Stadt vorzunehmende Feuerbestattung nicht das Geringste einwendet.“[12] Auch die liberale Presse ergriff Partei für die Feuerbestattung. Dabei wurde nicht auf den Hinweis verzichtet, dass die Kirche alles tun werde, um die Feuerbestattung zu verhindern, um sich das Friedhofsgeschäft für die eigenen Kirchenkassen nicht entgehen zu lassen.[13]
Auch wenn in den folgenden Jahren von den Berliner Freireligiösen keine politischen Initiativen mehr ausgingen, so gewann die Idee der Feuerbestattung doch an Breite und Tiefe. In der freireligiösen Bewegung war die Aufklärungsarbeit über die Vorteile der Feuerbestattung verbreitet. „Die freireligiösen Prediger stehen der Feuerbestattung durchaus freundlich gegenüber. Zwei der bedeutendsten unter ihnen, der im Jahr 1908 verstorbene Karl Scholl aus Nürnberg und der 1909 entschlafene Dr. Aug. Specht, sind sogar schon vor mehreren Jahrzehnten schriftstellerisch und rednerisch für die Feuerbestattung eingetreten.“[14] Auf dem Hintergrund der sich immer stärker abzeichnenden atheistischen Ausprägung der Gemeinde trug die Feuerbestattungsfrage so zu einer Identitätsbildung der Dissidenten bei. Insbesondere in Abgrenzung zur katholischen Kirche, die 1886 ein Verbot der Feuerbestattung für ihre Mitglieder ausgesprochen hatte, wurde die Feuerbestattung allmählich zu einer Quelle antikirchlicher Demonstration. Insbesondere in der sozialdemokratischen Arbeiterschaft in Berlin stieß diese Position vermehrt auf Zustimmung.[15]
Erst 1902 nahm sich die Freireligiöse Gemeinde Berlin der Thematik wieder an. Eine Kommission wurde eingesetzt, die Mittel und Wege suchen sollte, um auch ärmeren Berlinern eine Feuerbestattung zu ermöglichen. Der zweite Vorsitzende der Gemeinde, Adolph Hoffmann, erstattete auf einer Mitgliederversammlung im Februar 1903 Bericht: „Die Kommission habe sich mit der Frage befasst, ob es möglich wäre, die Kosten für die Feuerbestattung in Berlin Verstorbener so herunterzudrücken, dass es auch Unbemittelten möglich wäre, die Leichen ihrer Verstorbenen nach einem außerpreußischen Ort mit Verbrennungsofen überzuführen und einäschern zu lassen. Die jetzt ca. 400 Mk betragenden Kosten ließen sich dadurch, dass die Freireligiöse Gemeinde mit ihren ca. 12.000 Mitgliedern die Sache in die Hand nähme, auf 280 Mk pro Leiche herabdrücken, wobei der Ofen in Jena wegen der geringsten Transportkosten in Frage käme.“[16] Durch die Errichtung einer Bestattungskasse mit Umlagesystem sollte die Finanzierung gesichert werden. Durch eine Umfrage wurde die Meinung der Gemeindemitglieder ermittelt. 505 Personen bekundeten ihre Absicht, einer solchen Kasse beizutreten.
Wegen der Absicht der Gemeinde, auch weite Kreise der Berliner Bevölkerung zur Teilnahme aufzufordern, kam es nun zum Streit mit dem 1874 gegründeten Verein für Feuerbestattung in Berlin. Dieser Verein, der zu den wichtigsten Wegbereitern der Feuerbestattung in Deutschland gehörte und sich in religiösen Dingen neutral verhielt, fürchtete wohl die Konkurrenz. Ein klärendes Gespräch zwischen den beiden Vorständen kam nicht mehr zustande, weil die Freireligiösen ein Flugblatt zur Feuerbestattung in Umlauf gebracht hatten.[17] Parallel mit den Bemühungen um Gründung einer Bestattungskasse wurde die Gemeinde 1904 bei der preußischen Regierung vorstellig. Es wurde beantragt, den seit 1898 betriebenen städtischen Verbrennungsofen in der Diestelmeyerstraße, der allerdings nur für die Einäscherung von Leichenteilen zugelassen war, zur Verbrennung der Leichen von Mitgliedern der Freireligiösen freizugeben.[18] Die politischen Verhältnisse in Preußen ließen eine Zustimmung noch nicht zu. Auch von der Gründung der Bestattungskasse musste die Gemeinde im selben Jahr Abstand nehmen. Das Reichsversicherungsamt wollte der geplanten Versicherungskasse mit Umlageverfahren nur unter der Voraussetzung zustimmen, dass jede Vorstandswahl und Satzungsänderung der Gemeinde durch sie genehmigt werde. Die Freireligiösen sahen in dieser Forderung einen Angriff auf ihre weltanschauliche und politische Unabhängigkeit und lehnten ab.[19]
Die Gründung der Feuerbestattungskasse
Um die Sache nicht völlig fallen zu lassen, traten am 10. Februar 1904 einige Gemeindemitglieder zusammen und gründeten den Sparverein für Freidenker zur Ausführung der Feuerbestattung. In einem Statut wurden die Ziele des Vereins fixiert. „Gegenstand des Unternehmens ist, das zu einer Bestattung Erforderliche nach Wunsch, jedoch möglichst billig, zu beschaffen, zur Ersparung der zu einer Bestattung erforderlichen Mittel behilflich zu sein, und die Erdbestattung in den Fällen auszuführen, in denen die Feuerbestattung wegen des Mangels der erforderlichen Mittel oder wegen sonstiger Verhältnisse nicht ausgeführt werden kann.“[20] In Paragraph 3 der Satzung regelte der Verein, dass nur Freidenker und Freidenkerinnen Mitglied werden konnten. Damit brachte er nicht nur seine Nähe zur freireligiösen Bewegung zum Ausdruck, sondern erhoffte sich zudem, „alle Differenzen mit Kirchenbehörden zu vermeiden, die Sammlung derjenigen Freidenker zu bewirken, welche sich noch nicht ihren Gesinnungsgenossen angeschlossen hatten, und auch somit der freidenkerischen Sache zu nützen.“[21] Der Mitgliedsbeitrag wurde mit 1,- Mark pro Kalenderjahr festgelegt.
Zum Vorsitzenden wurde der Rentier W. Lehmann, Berlin, Gleimstr. 16, gewählt, der den Verein gerichtlich und außergerichtlich vertrat. Zum Vorstand gehörten unter anderem der Buchhalter G. Franc, der Werkzeugmacher P. Berger, der Former H. Siegel als stellvertretender Vorsitzender sowie der bekannte sozialdemokratische Stadtverordnete Waldeck Manasse. Lehmann führte den Verein zehn Jahre lang. Seine Biographie ist bisher wenig bekannt. Als überzeugtes Mitglied der freireligiösen Gemeinde setzte er sich für die Erteilung von Moralunterricht für die Kinder dissidentischer Eltern ein. 1844 erhielt er eine Konzession als Vorsteher einer Erziehungsanstalt für jüngere blinde Kinder und erteilte diesen Unterricht. Nach einer Denunziation wegen seiner weltanschaulichen Einstellung wurde ihm schon ein Jahr später diese Erlaubnis entzogen. Mit Eingaben und Beschwerden bei Schulbürokratie und Ministerien kämpfte er fortan um das Recht konfessionsloser Eltern auf eigenständigen humanistischen Unterricht.
Ebenso stark engagierte sich Lehmann für die Idee der Feuerbestattung. Als Mitglied im Berliner Verein für Feuerbestattung sorgte er für viel produktive Unruhe.[22] So berichtete Die Flamme über eine Vorstandssitzung des Vereins am 6. November 1901: „Zum letzten Punkt der Tagesordnung, allgemeine Vereinsangelegenheiten, machte das Vereinsmitglied, Herr Rentner Lehmann, Vorschläge, die eine wesentliche Verbilligung der Feuerbestattungskosten bezwecken und hauptsächlich dahin gehen, dass nicht die Leichen einzeln sondern in grösserer Anzahl zum Crematorien befördert werden sollen, weil die Eisenbahnfahrt dieselbe sei, ob der Wagen 1 oder 12 Särge, so viel und mehr könne er fassen (?), befördere; auch die Gebühren der Crematorien würden eine bedeutende Ermässigung erfahren können, wenn anstatt einzelner Leichen eine Anzahl unmittelbar hintereinander eingeäschert werden. Die Vorschläge … riefen eine lebhafte Diskussion hervor, in welcher sie bei aller Anerkennung für den guten Willen und die vielfache Mühewaltung des Herrn Lehmann als unausführbar und zum Theil das ästhetische Gefühl gröblich verletzend bezeichnet wurden; werde, wie Herr L. andeutete, eine andere Vereinigung seine Pläne auszuführen versuchen.“[23] Auch mit anderen Vorschlägen blieb Lehmann im Verein für Feuerbestattung ohne Unterstützung. So machte er seine Ankündigung wahr und betrieb sein Projekt innerhalb der Freireligiösen Gemeinde.
Nach seiner Gründung entwickelte der Sparverein für Freidenker zur Ausführung der Feuerbestattung eine rege Öffentlichkeitsarbeit. Als Vereinslokal wählte man das Restaurant Ostrowski, Schillingstraße 24. Vorträge wurden gehalten und zweitausend Plakate aufgehängt. Die Verhandlungen mit dem Amtsgericht wegen der Eintragung des Vereins in das Genossenschaftsregister verliefen zwar positiv, doch hielten es die Gründungsmitglieder für sinnvoll, vor der Registrierung erst noch eine größere Anzahl von Mitgliedern zu werben, um den Verein leistungsfähig zu machen. Auch die Freireligiöse Gemeinde forderte ihre Mitglieder auf, dem Verein beizutreten.[24]
Auf der Generalversammlung am 7. Januar 1907 konnte Lehmann berichten, dass der Verein konkurrenzfähig sei. Der Sparverein könne aufgrund seiner Verträge eine Bestattung bei gleicher Leistung billiger ausführen als ähnliche Institute und Vereine in Berlin. Um die Einführung von Totenautomobilen werde man sich bemühen. Und auch die Sammlung freidenkerischer Bestattungslieder, so Lehmann stolz, umfasse schon 51 Lieder, noch fehlende Melodien seien schon und würden noch von Tonmeistern komponiert.[25] Die Lieder waren zuvor durch die Sprecher der freireligiösen Gemeinde, Prof. A. Gehrke und A. Stern, auf Inhalt und Form geprüft worden.
Politisch suchte der Verein in dieser Zeit die Zusammenarbeit mit anderen Feuerbestattungsvereinen. Auf der Versammlung der preußischen Feuerbestattungsvereine am 6. Oktober 1907 im Reichstagsgebäude war der Verein mit Lehmann, Meyer und Waldeck Manasse vertreten. Letzterer betonte in einem Redebeitrag, dass die Feuerbestattung eine Kulturforderung sei, bei deren Durchsetzung man sich auch vor angedrohten Strafen nicht abschrecken lassen dürfe.[26] Als sozialdemokratischer Stadtverordneter unterstützte Manasse in der Berliner Stadtverordnetenversammlung am 24. März 1908 einen Antrag, mit dem König und Abgeordnetenhaus aufgefordert wurden, zur Einführung der fakultativen Feuerbestattung in Preußen endlich gesetzgeberische Maßnahmen zu treffen. Die Gegnerschaft theologischer Kreise gegen die Feuerbestattung stütze sich auf mittelalterliche Vorurteile, argumentierte er. Berlin solle sich in dieser Frage nicht durch kleinere Städte beschämen lassen.[27]
Auch die Initiative der Freireligiösen Gemeinde, den Einäscherungsofen in der Diestelmeyerstraße freizugeben, wurde wieder aufgegriffen. Privatim sei ihm zugesichert worden, so berichtete Lehmann, dass der Berliner Magistrat diesen Plan gerne fördern und zu seiner Verwirklichung beitragen wolle, einen amtlichen Bescheid habe er allerdings noch nicht erhalten.[28] Schließlich vertröstete die Stadtverwaltung am 22. Juni 1908 den Verein mit der Feststellung, dass die zuständige Behörde zunächst Probeeinäscherungen zur Feststellung der Kosten vornehmen werde.
Die Mitgliederzahl des Vereins wuchs in dieser Zeit nur sehr langsam. 1910 hatte er gerade erst 39 Mitglieder.[29] Die freigeistigen Tendenzen des Vereins und das bestehende Verbot der Feuerbestattung in Preußen schreckten noch beitrittswillige neue Mitglieder, insbesondere aus der Arbeiterschaft, ab. Erst die Verabschiedung des Gesetzes betreffend die Feuerbestattung vom 14. September 1911 durch Abgeordnetenhaus und Herrenhaus in Preußen eröffnete dem Verein die Möglichkeit, über die bloße Propagierung hinaus seine Ziele in der Praxis zu realisieren. Mit der Eröffnung des ersten Berliner Krematoriums in der Gerichtstraße im Wedding 1912 konnten dann die Kosten für die Feuerbestattung günstiger kalkuliert werden. Bei einem monatlichen Beitrag von 50 Pfennig wurden Mitgliedern im Sterbefall die ganzen Kosten der Einäscherung erstattet. Der Anspruch auf Vereinsleistungen setzte eine vierjährige Karenzzeit voraus.
Auf der öffentlichen Mitgliederversammlung am 10. November 1914 konnte der Kassierer den Mitgliederbestand von 770 Personen bekannt geben. Zur Aufnahme meldeten sich am selben Abend weitere elf Personen.[30] Der Rechenschaftsbericht für 1914 wies Einnahmen in Höhe von 6.767,76 Mark aus, denen Ausgaben von 725,01 Mark gegenüberstanden.
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges unterband die positive Weiterentwicklung des Vereins. Erst in den Jahren 1918/19 setzte ein stürmischer Aufschwung zu einer mitgliederstarken Kulturorganisation der Freidenker ein. Dieser Trend wurde durch die Tatsache begünstigt, daß die Einäscherungskosten durch höhere Nutzungsfrequenzen der Krematorien – in Berlin war 1913 das zweite Krematorium in Treptow eröffnet worden – erheblich gesenkt werden konnten. Mit einem eigenen Wagenpark für Leichentransporte, einer Sargfabrik, Näherei für Sterbewäsche sowie Druckerei wurde eine leistungsfähige Feuerbestattungsabteilung aufgebaut, die den Mitgliedern geringe Beiträge unter Verzicht auf Gewinn garantierte.[31]
Der Kampf um die Feuerbestattung in Preußen
Nach langwierigen politischen Auseinandersetzungen war die Feuerbestattung auch in Preußen per Gesetz geregelt worden. Zu diesem Gesetz erließ der Minister des Innern, von Dallwitz, am 29. September 1911 Ausführungsbestimmungen, die bei den Freireligiösen auf Ablehnung stoßen mussten. Insbesondere die Vorschriften zur ärztlichen Leichenbeschau zwecks Feuerbestattung am gleichen Tag, die einschränkende Bestimmung, wer zum Betrieb von Krematorien befugt sei, sowie die Anordnungen, dass die Aschereste nur in einem Kirchengrab oder einer Kirchenhalle oder in einer anderen behördlich genehmigten Bestattungsanlage beigesetzt werden dürfen, wurden kritisiert. Die Möglichkeit, die Urne wie bislang auch in der Wohnung der Hinterbliebenen aufzubewahren, war damit verwehrt. Öffentlich Sturm lief die Freireligiöse Gemeinde ebenfalls gegen die Bestimmung, wonach eine Feuerbestattung nur bei Vorliegen einer letztwilligen Verfügung des Verstorbenen ausgeführt werden durfte. Eine solche Forderung schaffte ungleiches Recht für Erd- und Feuerbestattung, denn umgekehrt, ohne schriftliche Verfügung, wurde jeder Verstorbene ohne weiteres erdbestattet. Die Angehörigen sollten, so die Auffassung der Freireligiösen, das Recht haben, die dem Toten angemessene Bestattungsform zu treffen.[32] Gemeinsam mit den preußischen Feuerbestattungsvereinen wurden daher Eingaben und Abänderungsvorschläge eingereicht, die jedoch von der Politik nicht aufgegriffen wurden.
Noch kostete die Feuerbestattung erheblich mehr als ein Erdgrab und war daher ein Privileg der Begüterten. Zur Popularisierung der Feuerbestattung bedurfte es auch finanzieller Anreize. „Um es nun auch ärmeren Mitgliedern möglich zu machen, diese Bestattungsart zu wählen, zahlt die Gemeinde seit 1912 eine Sterbeunterstützung von 50 Mk bei einjähriger und 25 Mk bei halbjähriger Mitgliedschaft.”[33] Garantieren konnte die Gemeinde diese Unterstützung allerdings nicht; satzungsgemäß handelte es sich nur um eine Kann-Bestimmung.[34] Die Kassenberichte der Gemeinde wiesen in den folgenden Jahren eine kontinuierliche Steigerung bei den Ausgaben für die Sterbeunterstützung aus. Im Jahr 1926 gaben die Freireligiösen zu diesem Zweck 2.450,- Mark aus, was etwa acht Prozent des Haushaltsvolumens entsprach.[35]
Der an die Hinterbliebenen gezahlte Unterstützungsbeitrag reichte aber keinesfalls aus, um die Kosten einer Feuerbestattung zu decken. Sie lagen in Berlin im Jahre 1913 bei etwa 165,- Mark. Nur durch den Beitritt zu einer Feuerbestattungskasse konnten auch Freireligiöse gegen monatliche Pfennigbeträge eine kostenlose Feuerbestattung erlangen. Der Feuerbestattungsgedanke wurde daher durch Vorträge, die die Feuerbestattung in ihrer geschichtlichen Entwicklung vorstellten, unter den Gemeindemitgliedern gefördert.[36] Besichtigungen des Krematoriums in Treptow waren eine weitere Werbemaßnahme.
Politische Aktivitäten entfaltete Adolph Hoffmann. Auf der Stadtverordnetenversammlung am 12. März 1914 kritisierte er, dass das Berliner Krematorium nur 700 Verbrennungen angenommen habe. Die Zeitschrift Phoenix zitierte weiter aus seiner Rede: „In einer Großstadt wie Berlin haben wir alle Ursache, dafür zu sorgen, dass eine solche Einrichtung mehr als bisher benützt wird. Das Gesetz schreibt die schriftliche Einwilligung des Gestorbenen zur Einäscherung vor. Vielfach wird dieses Schriftstück nicht rechtzeitig gefunden und die Einäscherung muss dann unterbleiben. Zur Abhilfe haben manche Kommunen ein Urkundenbuch angelegt, das die Bürger benützen können. Auch Berlin sollte ein solches Urkundenbuch anlegen und auslegen; damit würde dem Publikum ein großer Gefallen erwiesen. Die Bezirksvorsteher sollten stets ausreichend gedruckte Formulare zur Hand haben; auch dafür sollte vom Rathause aus gesorgt werden.”[37] Stadtrat Runge versprach, diesen Vorschlag bei den zuständigen Gremien des Magistrats zur Sprache zu bringen.
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges unterband weitgehend die öffentliche Agitation für die Feuerbestattung, wie der Vorsitzende des Vereins der Freidenker für Feuerbestattung auf der Generalversammlung am 24. Januar 1916 bedauernd feststellte.[38] Der Trend zur Feuerbestattung war aber nicht mehr umkehrbar. 1915 fanden im Krematorium Gerichtstraße bereits 1.159 Einäscherungen statt. 585 Leichen wurden aus Berlin, 487 aus den übrigen Gemeinden Groß-Berlins und 87 von anderswo zugeführt. Die Statistik wies aus, dass 912 der Verstorbenen evangelisch, 48 katholisch, 108 mosaisch, 59 Dissidenten und 32 andersgläubig waren.[39] Im selben Jahr wurde auch die Leiche des Dissidenten Heinrich Roller, dem Begründer des Roller’schen Kurzschriftsystems, den Flammen übergeben. Roller war zu Lebzeiten Mitglied der Berliner Freireligiösen als auch des Freidenker-Vereins für Feuerbestattung gewesen.
Sehr rasch ging es mit der Feuerbestattung nach dem Krieg voran. Im Jahresbericht 1919/20 der Freireligiösen Gemeinde wurde dazu ausführlich Stellung genommen: „Wie zu erwarten war, hat die Feuerbestattung einen gewaltigen Aufschwung genommen. Das Krematorium in der Gerichtstr. ist längst mit seiner Einäscherungsziffer an die erste Stelle aller deutschen Krematorien gerückt. Es arbeitet im Hochbetrieb. Vormittags von 9 Uhr bis abends 6 Uhr, ja oft bis 7 Uhr, werden Trauerfeiern abgehalten. Auch die Geistlichkeit hat sich mit der Einäscherung abgefunden und wirkt bei Trauerfeiern mit. Das Wort Goethes, dass die Kirche einen großen Magen hat, hat sich wieder mal bewahrheitet.
Für Berlin kommt für diese günstige Entwicklung der Krematorien zweifellos die Kirchhofsmisere hinzu. Der städtische Friedhof in Friedrichsfelde ist schon seit einigen Jahren geschlossen. Es werden dort nur noch auf Reservestellen Beerdigungen vorgenommen. Der neue städtische Friedhof, welcher zwischen Carow und Buch angelegt ist, wird und wird nicht fertig. Angeblich soll das Grundwasser auf diesem tiefgelegenen Terrain solche Schwierigkeiten machen. Wenn eine Gruft angelegt wird, steht diese sofort unter Wasser. Der Friedhof in Buch, auf welchem jetzt schon seit Jahren die Beerdigungen der Konfessionslosen aus Berlin mit den Armenleichen zusammen erfolgen und welcher nur als Anstaltsfriedhof für die verschiedenen Anstalten, welche die Stadt in Buch hat, gedacht war, ist ziemlich primitiv; namentlich die Halle. Dazu kommt die große Entfernung. Es wäre wirklich Zeit, dass die Stadt in etwas beschleunigter Weise für eine würdige Begräbnisstätte ihrer Bürger sorgen würde.
Erschwerend wirkt andererseits auf die Feuerbestattung die oft sehr weit abgelegene Stätte, an der die Einäscherungen erfolgen können. Groß-Berlin hat bisher nur 2 Krematorien. In der Gerichtstr. und in Baumschulenweg. Neubauten sind an verschiedenen Orten geplant, so in Wilmersdorf und Velten, werden aber unter den heutigen Verhältnissen mit ihrer Fertigstellung noch auf sich warten lassen. Hier zu kommen die verschiedenen Bestimmungen, welche 1911 in das Feuerbestattungsgesetz aufgenommen worden sind und eigentlich nur den Zweck haben, den Leuten die Einäscherung zu verekeln. Unsere preußischen Abgeordneten sollten sich um diese Fragen etwas kümmern und dafür sorgen, dass mit diesen verschiedenen schikanösen Bestimmungen aufgeräumt wird.”[40]
Die Beisetzung von Urnen machte sich auch auf dem freireligiösen Friedhof immer stärker bemerkbar. „Während früher nur 3-4 Urnen jährlich beigesetzt wurden, waren es im letzten Jahr schon 19. Dazu kamen 39 Beerdigungen.”[41] Von dem Wachstum der Feuerbestattungsbewegung in den Jahren der Weimarer Republik profitierten auch die Freidenkerverbände, unter ihnen in erster Linie der von den Berliner Freireligiösen gegründete Sparverein. Bis zum Jahr 1930 konnte er 600.000 Mitglieder gewinnen. Die Freireligiöse Gemeinde beschränkte sich darauf, die konfessionslose Feuerbestattung als Vereinsziel in die Satzung aufzunehmen und die Sterbeunterstützung für die Mitglieder den tatsächlichen Bestattungskosten anzupassen. Ab Januar 1927 übernahm die Gemeinde die vollständige Erd- oder Feuerbestattung einschließlich der Stelle auf ihrem Friedhof, oder wenn das Mitglied bereits einem Feuerbestattungsverein angehörte, zahlte anstelle der Bestattung eine finanzielle Unterstützung von 150,- Mark.[42]
Auf dem Bundestag des Volksbundes für Geistesfreiheit 1929, dem die Freireligiöse Gemeinde Berlin als Mitglied angehörte, wurde die Frage nach einer eigenen Bestattungskasse für die Freireligiösen erörtert. Wegen des Fehlens einer solchen Einrichtung beabsichtigten freireligiöse Gemeinden, den Volksbund zu verlassen. Die Versammlung beschloss, dass die Freireligiöse Gemeinde Leipzig ihre Bestattungskasse auf das ganze Reich ausdehnen und die Ortsgruppen des Volksbundes ihr beitreten sollten.[43] Die Berliner Delegierten beteiligten sich nicht an dieser Diskussion. Sie sahen vermutlich keinen Bedarf an einer neuen Bestattungskasse, hatte sich doch die von ihnen initiierte Kasse zu einer finanzkräftigen Freidenkerorganisation mit 400.000 Mitgliedern in Berlin entwickelt.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 beendete auch die organisatorische und finanzielle Unabhängigkeit der Feuerbestattungsbewegung. Der Deutsche Freidenker-Verband – so hieß der Sparverein seit 1930 – wurde verboten, seine Feuerbestattungskasse von den Nationalsozialisten weitergeführt. „Gleichgeschaltet” wurden auch alle anderen deutschen Feuerbestattungsvereine. Mit dem 26. Januar 1934 bestimmte der Reichsminister des Innern den Großdeutschen Verband als alleinige Organisation der Feuerbestattungsbewegung in Deutschland. Im Mai desselben Jahres setzten die Nationalsozialisten das noch heute gültige Reichsgesetz über die Feuerbestattung in Kraft. Es brachte gegenüber den früheren Landesgesetzen einige Erleichterungen; so wurde u.a. in rechtlicher Beziehung die Feuerbestattung der Erdbestattung gleichgestellt.
Der Versuch der Freireligiösen Gemeinde, ihr Überleben im Faschismus durch die Umstellung auf das „Führerprinzip” zu sichern, musste zum Scheitern verurteilt sein. Die letzte Delegiertenversammlung der Gemeinde am 11. September 1933 beschloss zwar wiederum eine Satzungsbestimmung, wonach eine Sterbeunterstützung für Mitglieder gezahlt werden sollte, eine Eintragung in das Vereinsregister erfolgte aber schon nicht mehr.[44]
Beim Wiederaufbau der Freireligiösen Gemeinde nach 1945 spielte die Feuerbestattung keine Rolle mehr. Im gesellschaftlichen Bewusstsein war die Feuerbestattung mittlerweile eine anerkannte Form der Totenbestattung. Selbst die beiden christlichen Kirchen hatten ihren Widerstand weitgehend aufgegeben. Da auch ökonomische Interessen an einer klassischen Sterbegeldversicherung nicht mehr in Frage kamen, war es nur folgerichtig, dass die Freireligiösen in Berlin auch auf die Propagierung der Feuerbestattung als Satzungsziel verzichteten.
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Veröffentlicht im Ausstellungsbegleitband “Kein Jenseits ist, kein Aufersteh’n” Freireligiöse in der Berliner Kulturgeschichte. Hrsg. vom Kulturamt Prenzlauer Berg/Prenzlauer Berg Museum. Berlin 1998, Seite 72-90.
© bei Manfred Isemeyer
Anmerkungen: