Friedenspotential oder Brandbeschleuniger?
Fowid-Notiz: Anlässlich der Tagung „Den Frieden wagen“ – hochrangige Vertreter aller Religionen und Politiker sprechen über den Beitrag der Religionen zum Frieden - erscheint es angebracht, noch einmal darauf hinzuweisen, was in Politik und Theologie passiert, sowie zu referieren, was die Bevölkerung dazu meint.
Bereits im Juni 2023 meldete das domradio: „Friedenstreffen von Sant’Egidio erstmals in Berlin.“
„Erwartet werden unter anderen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der Großscheich und Imam der Kairoer Al-Azhar-Moschee, Ahmad Al-Tayyib, sowie der israelische Oberrabbiner David Lau. Während des Treffens bleiben die katholischen Schulen Berlins geschlossen, damit Schüler an der Veranstaltung teilnehmen können. Das Treffen werde mit 800.000 Euro von der Bundesregierung mitfinanziert, hieß es.“
Dieses Treffen der katholischen Organisation Sant’Egidio steht in der Tradition der Welttreffen von ranghohen Religionsführern, die seit 2019 durch die „Stiftung Friedensdialog der Weltreligionen und Zivilgesellschaft“ in Lindau stattfanden. Diese Stiftung wurde im November 2022 ‚ruhend‘ gestellt, da die Fördergelder aus dem Auswärtigen Amt nicht weiter finanziert wurden. Sie war Kooperationspartner der RfP-Organisation (“Religions for Peace Deutschland“), die 1988 in Mainz gegründet wurde.
Eine besondere Rolle spielt bei diesen Bemühungen das Auswärtige Amt: „Auswärtiges Amt will Kontakte zu Religionsvertretern ausbauen“. (2019)
„Das Referat ‚Religion und Außenpolitik‘ wurde am 1. August 2018 eingerichtet. […] Vorläufer war ein Arbeitsstab namens ‚Friedensverantwortung der Religionen‘. Derzeit unterstützen die sechs Mitarbeiter des Referats unter anderem die Vorbereitungen zur zehnten Weltversammlung der Organisation „Religions for Peace“. Zu dem Treffen vom 19. bis 23. August [2019] werden rund 900 Religionsvertreter aus etwa 100 Ländern in Lindau am Bodensee erwartet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier soll das Treffen eröffnen.“
Bundespräsident Steinmeier war vom 17.12.2013 – 27.01.2017 Außenminister und in seine Zeit fällt ein Prinzip der Religionsförderung, die sich in dem Aufsatz „Religionen als Partner für Frieden in der Welt: Potenziale für die Außenpolitik“ (2017) darstellt. Doch bereits 2010 beschreibt Hans G. Kippenberg an mehreren Beispielen in „Gewalt als Gottesdienst“, die Religion als Brandbeschleuniger.
Im August 2018 heißt es: „Projekt „Religion und Außenpolitik“ auf Eis gelegt“, nachdem es wegen der Mitarbeit einer Vertreterin des Zentralrats der Muslime aufgrund antisemitischer Äußerungen Proteste gegeben hatte. Und im Oktober 2022 meldet katholisch.de: „‘Religion und Außenpolitik‘: Außenamt verzichtet auf externe Berater“.
Nach Beginn der 2023-Tagung „Den Frieden wagen“ heißt es:
„Mit Appellen an die friedensstiftende Aufgabe der Religionen hat am Sonntag in Berlin eine Internationale Konferenz der christlichen Gemeinschaft Sant’Egidio begonnen. Als ‚Kraft der Versöhnung‘ könnten sie einen unverzichtbaren Dienst für die Menschheit leisten, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Vor ranghohen Vertretern von Juden, Christen, Muslimen und weiteren Weltreligionen verurteilte er zugleich die Unterstützung des Angriffskriegs auf die Ukraine durch die russisch-orthodoxe Kirche. ‚Religion darf niemals Rechtfertigung von Hass und Gewalt sein‘, betonte das deutsche Staatsoberhaupt.“
Zugleich heißt es zum Friedenstreffen, der Bundespräsident „verteidigt Waffenhilfe für die Ukraine“.
Dieses Dilemma ist Kernbestand von Theologie und Politik. In der Politik werden Religion und Kirchen instrumentalisiert - sind sie nützlich, werden sie gefördert, erscheinen sie nicht nützlich, werden die Priester abgestraft, wie derzeit auch auf beiden Seiten des Ukraine-Krieges. Die Theologie ist wohlfeil am Diskutieren: Zwischen Friedenspotential und Brandbeschleuniger.
1. Theologie
Eine der bekanntesten prophetischen Aussagen der Bibel ist die Verheißung „Schwerter zu Pflugscharen.“ So bei Micha 4, 1-3:
„Das kommende Friedensreich Gottes: 1 In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des HERRN Haus ist, feststehen, höher als alle Berge und über die Hügel erhaben. Und die Völker werden herzulaufen, 2 und viele Heiden werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. 3 Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“
Oder, häufiger zitiert, bei Jesaja 2,4:
„Und Gott wird Recht sprechen zwischen den fremden Völkern und richten zwischen vielen Völkern. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Lanzen zu Winzermessern umschmieden, kein fremdes Volk wird mehr gegen ein anderes sein Schwert erheben, und niemand wird mehr Kriegshandwerk lernen.“
Diese Vision ist, wie es der seinerzeitige EKD-Ratsvorsitzende, Nikolaus Schneider, ausführlich erläutert, eine Endzeitvision und er meinte dazu, dass allerdings bisher niemand wisse, wann diese Endzeit beginnt.
„Der Prophet spricht von der Endzeit, von den letzten Tagen. Wer kann sagen, wann die Endzeit beginnt – und ob eine Bestimmung ihres Anfangs anhand konkreter Zeichen möglich ist? Wir kennen jedenfalls nur gescheiterte Versuche, den Anbruch des Reiches Gottes auf eine bestimmte Jahreszahl zu fixieren.“
Zudem wäre die Bibel aber nicht die Bibel, wenn man nicht ein Zitat finden würden, das genau das Gegenteil bedeutet: „Pflugscharen zu Schwertern!“ (Joel 4,10). „Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße! der Schwache spreche: Ich bin stark!“
Das ist, was Krieg und Frieden betrifft, nicht der einzige Widerspruch in der Bibel. Das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ - als Ausdruck einer harten, aber gleichartigen, gleichgroßen und damit gerechten Vergeltung anzusehen („Talionsformel“) -, ist aus der Sicht eines Theologen „eine Verzerrung, ja böswillige Verdrehung seines wahren Sinnes.“ Diesem alttestamentarischen Prinzip: „Entsteht ein dauernder Schaden, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Beule um Beule, Wunde um Wunde.“ (Exodus 21,23–25) wird dann aus der Bergpredigt entgegengesetzt:
„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: ‘Auge um Auge und Zahn um Zahn‘. Ich aber sage euch, dass ihr einem bösen Menschen nicht widerstehen sollt. Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin.“ (Matthäus 5:39).
Darüber werden die Theologen auch noch die kommenden Jahrhunderte weiter diskutieren. Was sagen Befragte zu diesem Thema und der Rolle der Religionen?
2. Empirie
1998 stimmen insgesamt 60 Prozent der Befragten im ISSP-Survey der Aussage zu: „Religionen bringen mehr Konflikte als Frieden.“
(Ausführlicher erläutert in: „Religionen - Konflikt - Frieden 1998“.) Bemerkenswert ist dabei der Unterschied zwischen Deutschland (Ost) mit 75 Prozent Zustimmung und Deutschland (West) mit 64 Prozent Zustimmung. Ein Hinweis auf die unterschiedlichen religiösen Konnotationen.
Diese weltanschaulichen ‚Blasen‘ zeigen sich 2002 in der ALLBUS-Umfrage in der die Befragten um ihre Zustimmung bzw. Ablehnung der Aussage gebeten wurden: „Die Welt wäre friedlicher, wenn es keine Religion geben würde.“ Die Mehrheit (57 Prozent) stimmt dieser Aussage nicht zu. Von den „Nicht-Religiösen“ stimmen 67 Prozent der Aussage zu, von den „Religiösen“ 14 Prozent. (Ausführlich erläutert in: „Religion und Frieden auf der Welt“.)
In den seit 2002 vergangenen 20 Jahren hat sich die Religionslandschaft in Deutschland deutlich verändert und es ist müßig zu fragen, wie diese Zustimmungen aktuell aussehen würden.
2017 hat das Meinungsforschungsinstitut Ipsos-Mori die „Global views on religion“ in seiner Serie der „Global studies“ in 23 Ländern der Welt danach gefragt. Der Aussage „Religion schadet der Welt mehr, als sie gut ist“ (Englisches Original: „Religion does more harm in the world than good“) stimmen insgesamt die Hälfte der Befragten (49 Prozent) zu. In Deutschland sind es knapp zwei Drittel der Befragten (63 Prozent).
2021 wurde - in Vorbereitung der (letzten) „Weltkonferenz der Religionsführer“ in Lindau - im August eine Umfrage realisiert, die Einstellungen zur Religion, ihrer Bedeutung und Rolle als Akteur für Nachhaltigkeit und Frieden erfragte. Ergebnis: Nur eine Minderheit (12 Prozent) hält Religion für wichtig bzw. für einen wesentlichen Akteur für den Weltfrieden.
Diese „Weltkonferenz der Religionsführer“ („Conference of the World Council of Religious Leaders on Faith and Diplomacy: Generations in Dialogue”) in Lindau, die vom Auswärtigen Amt maßgeblich finanziert wurde, wird durch diese Ergebnisse nicht als wichtig für einen Beitrag für eine gerechtete Welt angesehen.
(CF)