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Akzeptanz von Homosexualität

Die Gleichberechtigung von Homosexuellen gilt u. a. als aussagekräftiger Indikator für die Umsetzung und Einhaltung der Allgemeinen Menschenrechte in einem Staat/einer Gesellschaft. Die Unterschiede zwischen einzelnen Staaten bzw. Regionen sind dabei beträchtlich. Auch wenn der Trend sich zu einer größeren Akzeptanz hinbewegt, so bestehen doch zwischen allgemeiner Toleranzhaltung und persönlichen Empfindungen immer noch große Unterschiede. Ein Überblick über den ‚Stand des Themas‘.

Von Carsten Frerk.
 

1. Vorbemerkung
2. Wie viele Menschenverstehen sich als LGBT?
3. Akzeptanz von Homosexualität weltweit
4. Gleichgeschlechtliche Ehen in den USA
5. Deutschland
6. West- und Osteuropa
7. Polen
8. Katholiken in West- und Osteuropa

1. Vorbemerkung

Zur Thematik der Homosexualität gibt es u. a. zwei unterschiedliche Zugänge. Zum einen ein sexualwissenschaftlicher Ansatz, in dessen Erkenntnisinteresse die Frage nach dem sexuellen Selbstverständnis und tatsächlichem Sexualleben der Befragten in verschiedenen Abstufungen und Mischformen zentral ist. Zum anderen geht es, im sozialwissenschaftlichen Ansatz, um die Feststellungen was die Befragten über Homosexuelle meinen und sie bewerten. Dabei wird vereinfachend von „Homosexualität“ bzw. „Homosexuellen“ gesprochen, d. h. über erkenntnisdunkle Konstrukte einer dichotomen Weltsicht, die die Realität in sich gegenseitig ausschließende Konzepte von Mann/Frau, heterosexuell/homosexuell oder ganz generell von gut/böse unterteilt. Dabei ist die persönliche Meinung maßgeblich, die sich aus der (vornehmlich religiös fundierten) Erziehung, dem Gelesenen oder Gehörten ableitet – worin sich dann die vorherrschende Meinung und Bewertung der Homosexualität in einer Gesellschaft darstellt.

2. Wie viele Menschen verstehen sich als LGBT?

Da die sexuellen Präferenzen nicht zu den offiziell erfassten ‚Personenstandsmerkmalen‘ zählen, gibt es dazu nur Daten aus empirischen Umfragen, wie viele Menschen sich als LGBT (Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transgeschlechtlich) verstehen.

Die Umfrage „Sexual identity, UK: 2018“ des „Office of National Statistics” – nennt einen Anteil von rund 2 Prozent der Bevölkerung als LGBT, wobei die Anteile von 2014 bis 2018 leicht von 1,6 auf 2,2 Prozent ansteigen, was unter anderem darauf verweist, dass die Anzahl der Bisexuellen in Großbritannien, vor allem unter den Jüngeren, deutlich gestiegen ist.

Die YouGov-Studie „1 in 2 young people say they are not 100% heterosexual” (2015) nennt 46 Prozent unter den 18-24-jährigen Briten, die auch gleichgeschlechtliche Sex-Partner haben.

Eine europaweite Dalia-Studie: „Counting the LGBT population: 6 % of Europeans identify as LGBT“ (aus dem Jahr 2016) kommt zu dem Ergebnis, dass sich rund 6 Prozent der Europäer als LGBT bezeichnen. Die Spannweite beträgt dabei von 7,4 Prozent (in Deutschland) bis 1,5 Prozent (in Ungarn).

In den USA ist, nach den Ergebnissen der Studie: „Changes in American Adults’ Reported Same-Sex Sexual Experiences and Attitudes, 1973–2014“, der Anteil gleichgeschlechtlicher Sex-Partner im Zeitraum 1972 – 2014 bei den Frauen von 3,6 auf 8,7 Prozent gestiegen, bei den Männern von 4,5 auf 8,2 Prozent.

Diese Ergebnisse beruhen auf der Verwendung der Kinsey-Skala.

„Die Skala reicht von den Werten 0 bis 6, wobei 0 für ausschließlich heterosexuell und 6 für ausschließlich homosexuell steht. Dazwischen liegen verschiedene Formen bisexueller Erfahrungen, wobei 3 gleiche Anteile heterosexueller und homosexueller Erfahrungen bezeichnet. Außerdem gibt es neben der Skala eine Kategorie X für Individuen, die keine sexuellen Kontakte pflegen und keine offensichtlichen sexuellen Reaktionen im sozialen Kontext zeigen.“

Wenn also im Folgenden von Homosexualität gesprochen wird, ist es insofern eine Fokussierung auf eine kleinere Teilgruppe, wobei jedoch deutlich geworden ist, dass die Thematik breiter zu betrachten ist. Die Dichotomisierung von entweder heterosexuell oder homosexuell entspricht dann einem vereinfachten Normenkorsett, wobei dann die Bewertung der Homosexualität als Gradmesser für die Akzeptanz von Menschenrechten und Menschenwürde angesehen werden kann.

3. Akzeptanz von Homosexualität weltweit

2014 hat Gallup nach der Akzeptanz von Homosexualität in 124 Staaten der Welt gefragt: „European Countries Among Top Places for Gay People to Live“. Die Frage lautete: „Ist die Stadt oder die Gegend, in der Sie leben, ein guter Ort oder kein guter Ort für schwule und lesbische Leute, um dort zu leben?“

Die Antworten haben eine Spannweite über 86 Prozentpunkte, so dass die Gallup-Autoren schreiben:

„[…] die 71% der Amerikaner im Jahr 2014, die sagen, dass ihre Gemeinden gute Orte für Schwule und Lesben sind, gehören nicht zu den höchsten Prozentsätzen der Welt, aber sie sind auch bei weitem nicht die niedrigsten. In 124 Ländern reicht diese gastfreundliche Einstellung von 87 % in Spanien und den Niederlanden bis zu 1% im Senegal. Im Durchschnitt gibt etwa jeder dritte Erwachsene (34%) an, dass ihre Stadt oder ihr Gebiet ein guter Ort zum Leben für Schwule und Lesben ist. Diese Rangliste umfasst nicht mehr als zwei Dutzend Länder, in denen die Frage nicht gestellt wurde, darunter China, Saudi-Arabien, Iran, Ägypten, Malaysia und eine Reihe anderer Nationen im Nahen Osten und Zentralasien.“

Mit anderen Worten, der Durchschnittswert von 34 Prozent ist zu freundlich, da viele der homophoben Gesellschaften bei dieser Berechnung fehlen.

Die gleiche Frage hatte Gallup auch in seiner 2013er Weltweiten Umfrage gestellt: „Nearly 3 in 10 Worldwide See Their Areas as Good for Gays“. Die Ergebnisse entsprechen den Daten aus 2014:

„Fast drei von zehn Erwachsenen (28 %) in 123 Ländern sagen im Jahr 2013, dass ihre Stadt oder ihr Gebiet ein ‚guter Ort‘ für Schwule und Lesben ist, aber die Gastfreundschaft reicht von 83 % in den Niederlanden bis zu 1 % in Pakistan und Senegal.“

Für diese Umfrage wurden auch die Daten für alle Länder publiziert. Deutschland ist auf Rangplatz 19 von 123 Ländern. Es sind es 62 Prozent der Befragten, die der Meinung sind, dass Deutschland ein guter Ort für Homosexuelle sei, um dort zu leben, 24 Prozent sagen, dass es kein guter Ort dafür sei und 14 Prozent sind unentschieden.

Die Studie „The Global Divide on Homosexuality Persists” (2019) des US-amerikanischen PEW Research Centers zeigt die Entwicklung der Einstellungen zur Homosexualität von 2002 bis 2019 in verschiedenen Staaten der Welt und konstatiert, dass in den vergangenen zwanzig Jahren sich die Akzeptanz in vielen Staaten verbessert habe.

Zu den Ergebnissen der umfangreichen Studie schreiben Jacob Poushter und Nicholas Kent vom PEW Research Center:

„Trotz bedeutender Änderungen der Gesetze und Normen im Zusammenhang mit der Frage der gleichgeschlechtlichen Ehe und den Rechten von LGBT-Menschen auf der ganzen Welt ist die öffentliche Meinung über die Akzeptanz von Homosexualität in der Gesellschaft nach wie vor stark nach Land, Region und wirtschaftlicher Entwicklung gespalten. […]
In vielen der untersuchten Länder gibt es auch Unterschiede in der Akzeptanz von Homosexualität nach Alter, Bildung, Einkommen und in einigen Fällen auch nach Geschlecht - und in einigen Fällen sind diese Unterschiede erheblich. Darüber hinaus prägen die Religion und ihre Bedeutung im Leben der Menschen in vielen Ländern die Meinungen. In einigen Ländern neigen zum Beispiel diejenigen, die einer religiösen Gruppe angehören, dazu, Homosexualität weniger zu akzeptieren als diejenigen, die keiner religiösen Gruppe angehören (eine Gruppe, die manchmal als religiöse „Nicht-Religiöse“ bezeichnet wird).“

Und neben vielen anderen Aspekten, die in der Studie erfasst und dargestellt werden, stehe der sozio-ökonomische Entwicklungsstand eines Landes – der ja auch u. a. mit der ‚Modernität‘ einer Gesellschaft zusammenhängt, d. h. besserer Bildung und der Berufstätigkeit von Frauen - in Zusammenhang mit der Akzeptanz von Homosexualität:

„Die Einstellungen zu diesem Thema sind stark mit dem Reichtum eines Landes korreliert. Im Allgemeinen akzeptieren Menschen in wohlhabenderen und entwickelteren Volkswirtschaften Homosexualität stärker als Menschen in weniger wohlhabenden und entwickelten Volkswirtschaften.“


4. Gleichgeschlechtliche Ehen in den USA

Gallup hat 2020 eine Zeitreihe 1996- 2019 publiziert, in der regelmäßig nach der Akzeptanz und der Legalität der gleichgeschlechtlichen Ehen gefragt wurde: „U.S. Support for Gay Marriage Stable, at 63 %“. Seit 1996, als nur ein Viertel der US-Amerikaner (27 Prozent) für die Legalität gleichgeschlechtlicher Ehen waren, hat sich die Zustimmung zur Akzeptanz kontinuierlich vergrößert und beläuft sich in 2019 auf beinahe zwei Drittel (63 Prozent).

Diese GALLUP-Ergebnisse werden auch durch die PEW-Studie 2019 bestätigt, bei der es um die allgemeine Akzeptanz von Homosexualität in den USA geht, die sich in Umfragen von 1994 bis 2019 darstellt.

Gab es bis Ende des 20. Jahrhunderts noch eine leichte Mehrheit gegen eine Akzeptanz ist der Trend seit 2004 eindeutig und kontinuierlich für eine überwiegende Akzeptanz der Homosexualität in den USA, der 2019 knapp Dreiviertel der Befragten (72 Prozent) zustimmen.

Es ist anzunehmen, dass diese steigende Akzeptanz sich fortsetzen wird, da es insbesondere die jüngeren Altersgruppen sind, die überdurchschnittliche Akzeptanzanteile haben. Während die Akzeptanz bei den 55-Jahre und Älteren nur knapp mehrheitlich ist (51 Prozent) sind es bei den 18-34 Jährigen vier Fünftel (81 Prozent)

In dieser Hinsicht ist bemerkenswert, dass ein deutlicher Unterschied zwischen der eigenen Auffassung zur gleichgeschlechtlichen Ehe besteht (Gallup 2019: 63 Prozent dafür) und der Meinung der Befragten, ob die US-Amerikaner mehrheitlich für eine Akzeptanz seien. In der Gallup-Studie „Americans Still Unclear on Public Support for Gay Marriage” (Juni 2020) wurde die Frage gestellt: „Welchen Eindruck haben Sie davon, wie die meisten Amerikaner über die gleichgeschlechtliche Ehe denken - denken Sie, die meisten Amerikaner für die gleichgeschlechtliche Ehe sind oder sind sie gegen die gleichgeschlechtliche Ehe?“ Es sind nur 48 Prozent der Befragten, die annehmen, dass die gleichgeschlechtliche Ehe in den USA mehrheitlich (63 Prozent) von der Bevölkerung akzeptiert werde. Das ist zwar wiederum mehr als 2012/2013, als nur 30 Prozent der Befragten eine Mehrheit sahen, aber es bleibt die gleiche Diskrepanz, dass die tatsächliche Akzeptanz der gleichgeschlechtlichen Ehe in den USA höher ist, als es angenommen wird.

Diesen Unterschied: „Wenn sich die Mehrheit für die Minderheit hält“ stellte das IfD-Allensbach (2015) auch für Deutschland fest, mit Mutmaßungen über die Gründe:

„ […] auf die Frage „Was meinen Sie, wie die meisten Leute bei uns in Deutschland darüber denken? Sind die meisten wohl eher für oder eher gegen eine Ehe von gleichgeschlechtlichen Paaren?“ Hier antworteten 46 Prozent, sie glaubten, die meisten Menschen seien dagegen, lediglich 20 Prozent vermuteten, dass die Mehrheit dafür sei. Und auch dieses Muster ist mit Abstufungen in allen gesellschaftlichen Gruppen zu beobachten: Ob bei den Jungen, den Anhängern der Grünen oder den ausdrücklichen Befürwortern der gleichgeschlechtlichen Ehe – bei allen diesen Gruppen meint eine – wenn auch teilweise knappe - relative Mehrheit, die Gegner der Homo-Ehe seien in der Überzahl.
Vielleicht ist es der Geschwindigkeit des Meinungswechsels geschuldet, dass die Vertreter der Homo-Ehe noch gar nicht gemerkt haben, dass sie inzwischen in der Mehrheit sind, so dass sie immer noch gegen eine vermeintliche Mauer des Widerstandes anrennen, die tatsächlich gar nicht mehr vorhanden ist. Vielleicht benötigen sie auch die Vorstellung von der vermeintlich übermächtigen Gegenseite, um den Schwung ihrer eigenen politischen Aktivitäten zu erhalten.“

5. Deutschland

Wie weit der Weg zu einer Akzeptanz auch in Deutschland war, zeigt die lange Zeit der Strafbarkeit der Homosexualität.

„Der § 175 des deutschen Strafgesetzbuches (§ 175 StGB) existierte vom 1. Januar 1872 (Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches) bis zum 11. Juni 1994. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Bis 1935 verbot er auch die „widernatürliche Unzucht mit Tieren“ (von 1935 bis 1969 war dies nach § 175b strafbar). Insgesamt wurden etwa 140.000 Männer nach den verschiedenen Fassungen des § 175 verurteilt. Am 1. September 1935 verschärften die Nationalsozialisten den § 175, unter anderem durch Anhebung der Höchststrafe von sechs Monaten auf fünf Jahre Gefängnis. Darüber hinaus wurde der Tatbestand von beischlafähnlichen auf sämtliche „unzüchtigen“ Handlungen ausgeweitet. Der neu eingefügte § 175a bestimmte für „erschwerte Fälle“ zwischen einem und zehn Jahren Zuchthaus.
Die DDR kehrte 1950 zur alten Fassung des § 175 zurück; der § 175a wurde weiterhin angewendet. Ab Ende der 1950er Jahre wurden homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen nicht mehr geahndet. 1968 setzte die DDR ein komplett neues Strafgesetzbuch in Kraft, das in § 151 gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen mit Jugendlichen sowohl für Frauen als auch für Männer unter Strafe stellte. Mit Wirkung vom 1. Juli 1989 wurde dieser Paragraph ersatzlos gestrichen. Die Bundesrepublik Deutschland hielt zwei Jahrzehnte lang an den Fassungen der §§ 175 und 175a aus der Zeit des Nationalsozialismus fest. 1969 kam es zu einer ersten, 1973 zu einer zweiten Reform. Seitdem waren nur noch sexuelle Handlungen mit männlichen Jugendlichen unter 18 Jahren strafbar, wogegen das Schutzalter bei lesbischen und heterosexuellen Handlungen bei 14 Jahren lag. Erst nach der Wiedervereinigung wurde 1994 der § 175 auch für das Gebiet der alten Bundesrepublik ersatzlos aufgehoben.“

Für die Zeit der ‚alten‘ Bundesrepublik gibt es dazu eine Zusammenstellung von ausgewählten Ergebnissen der Meinungsforschung: „Einstellungen zu Homosexualität und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften in der Bundesrepublik Deutschland 1949-2016“ durch den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages.

1949 bezeichneten 53 Prozent der befragten verheirateten Männer in Westdeutschland Homosexualität als „Laster“, 31 Prozent als „Krankheit“. 1976 wurde die Meinung des „Lasters“ zwar nur noch von 25 Prozent der Männer (und 20 Prozent der Frauen) vertreten, aber 49 Prozent der Männer (und 46 Prozent der Frauen) bezeichneten Homosexualität (in der Auswahlmöglichkeiten: Laster / Krankheit / Angewohnheit / Natürliche Sache / Keine Angabe) als „Krankheit“.

Dann beginnen jedoch die Einstellungsänderungen und 2013 ist eine Mehrheit (von 70 Prozent) für „Ausweitung des Ehegattensplittings auf gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften“. 2015 antworten auf die Frage: „Soll man homosexuelle Partnerschaften rechtlich in allen Punkten mit der Ehe gleichstellen?“ 64 Prozent mit „Ja“.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat 2016 die Studie „Einstellungen gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen in Deutschland“ veranlasst. „Demnach stimmen 83 Prozent der Befragten der Aussage zu, Ehen zwischen zwei Frauen bzw. zwei Männern sollten erlaubt sein. Rund 95 Prozent bezeichneten es außerdem als gut, dass homosexuelle Menschen gesetzlich vor Diskriminierung geschützt sind. Dazu sagte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle (12. Januar 2017):

„‘Die Zustimmung zur Gleichstellung bei der Ehe war noch nie höher – das zeigt, dass die Gesellschaft hier viel weiter ist als die Politik‘, sagte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, am Donnerstag in Berlin. Lüders nannte es ‚ein trauriges Zeichen‘, dass es in Deutschland anders als in 14 Staaten Europas noch immer keine ‚Ehe für alle‘ gebe. ‚Der Gesetzgeber darf nicht länger hinauszögern, was eine Mehrheit längst für selbstverständlich hält. Wir brauchen eine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und die vollständige rechtliche Gleichstellung, auch bei der Adoption.‘ Sonderregelungen wie die in Deutschland geltende, oft ‚Homo-Ehe‘ genannte eingetragene Lebenspartnerschaft, würden von den meisten Menschen zu Recht als benachteiligend empfunden.“

Im Juni 2017 stimmte der Deutsche Bundestag für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare.

Eine liberale allgemeine Meinung muss jedoch nicht mit einer sichtbaren Akzeptanz übereinstimmen. Toleranz gegenüber Minderheiten ist heute zunehmend normativ verbreitet, so dass sich Personen, die negative Einstellungen haben, möglicherweise an diese Normen anpassen und sich lediglich tolerant geben. So fragte Civey 2018 nach den Einstellungen gegenüber einer öffentlich sichtbaren Homosexualität (Küssen) und kam zu dem Ergebnis: „Homosexuelle haben in Deutschland nach wie vor mit Vorurteilen zu kämpfen“. Der öffentliche Austausch von Zärtlichkeiten („Küssen“) wird für zwei Frauen von 24 Prozent der Befragten missbilligt, für zwei Männer wird es von 43 Prozent missbilligt.


„Insgesamt glauben 48,9 Prozent der Bundesbürger, dass Homosexuelle in Deutschland oft mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Interessant ist, dass der Anteil derjenigen, die es stört, wenn sich zwei Männer küssen, ausgerechnet bei denjenigen Befragten besonders hoch ausfällt, die der Ansicht sind, Homosexuelle stießen kaum auf Vorurteile.: 59 Prozent derjenigen, die denken, homosexuelle Menschen werden in Deutschland ‚eher selten‘ wegen ihrer sexuellen Orientierung angefeindet, haben selbst ein Problem damit, wenn sich ein schwules Paar in der Öffentlichkeit küsst.“

6. West- und Osteuropa

Nach den Ergebnissen des ESS 2010 (European Social Survey) besteht ein großer Unterschied zwischen den Meinungen der Bevölkerung in Ost- und Westeuropa.

Während in allen Ländern Westeuropas eine Mehrheit für die Freiheit der Lebensführung von schwulen Männern und lesbischen Frauen sind (mit einer Spannweite von 63 bis 93 Prozent), sind es in Süd- und Osteuropa (inkl. Russland) nur drei Länder (Tschechien, Griechenland und Slowenien). Die geringste Toleranz besteht in Russland (mit 25 Prozent) für die Freiheit der Lebensführung.

Die PEW-Studie: “Eastern and Western Europe divided over gay marriage, homosexuality” (2013) widmet sich ebenfalls dieser Frage. Dazu schreibt der Autor Peter Lipka, dass sich die Kluft zwischen Ost- und Westeuropa vergrößert.

„Die jüngsten Entwicklungen in Kroatien und Schottland verdeutlichen eine krasse Kluft zwischen Ost- und Westeuropa in der Frage der gleichgeschlechtlichen Ehe. Während mehrere Nationen in Westeuropa die Eheschließung für schwule und lesbische Paare mit breiter öffentlicher Unterstützung legalisiert haben, lehnen andere Länder des Kontinents solche Gesetze mit überwältigender Mehrheit ab. […]
Die Kluft zwischen den Kontinenten hat dazu geführt, dass darüber diskutiert wird, ob die Niederlande schwulen und lesbischen Russen, die versuchen, dem anti-homosexuellen ‚Propaganda‘-Gesetz des Landes zu entkommen, Asyl gewähren könnten - eine Maßnahme, die im vergangenen Juni mit 436 zu 0 Stimmen im russischen Parlament verabschiedet wurde.
Die Europäische Sozialstudie hat nicht nach gleichgeschlechtlichen Ehen gefragt, aber 2010 enthielt sie eine Frage zur Einstellung gegenüber Homosexuellen. In mehreren westeuropäischen Ländern, darunter Frankreich, Deutschland, Spanien und Großbritannien, stimmen mehr als 80% der Befragten darin überein, dass ‚schwule Männer und Lesben die Freiheit haben sollten, ihr eigenes Leben so zu leben, wie sie wollen‘. In Kroatien, Litauen, der Ukraine und Russland hingegen stimmen weniger als
40% dieser Aussage zu.“

In weiteren Befragungen (2015 – 2017) werden diese Einstellungsunterschiede bestätigt. Das wird in einer Darstellung „Ost- und Westeuropäer unterscheiden sich in ihren Ansichten zur Bedeutung von Religion, Einstellungen gegenüber Minderheiten und ihren Meinungen zu wichtigen sozialen Fragen“ noch einmal betont:

„Der Eiserne Vorhang, der einst Europa teilte, mag längst der Vergangenheit angehören, doch der Kontinent ist heutzutage entzweit durch große Unterschiede in den Einstellungen der Öffentlichkeit zu Religion, Minderheiten und sozialen Themen wie gleichgeschlechtliche Ehe und legale Abtreibung. […]
Die Umfrageergebnisse deuten darauf hin, dass die regionale Spaltung Europas in Bezug auf gleichgeschlechtliche Ehe auch in Zukunft anhalten könnte: In den meisten Ländern Mittel- und Osteuropas nehmen junge Erwachsene nur eine geringfügig weniger ablehnende Haltung zur Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe ein als ältere Menschen.
Zum Beispiel sind 61% der jüngeren Esten (18 bis 34 Jahre alt) gegen die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe in ihrem Land, verglichen mit 75% der über 35-Jährigen. In dieser Hinsicht lehnen junge estnische Erwachsene mit einer sechsmal höheren Wahrscheinlichkeit die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen ab als ältere Erwachsene in Dänemark (10%). Dieses Muster gilt für die gesamte Region; junge Erwachsene in fast jedem mittel- und osteuropäischen Land sind in dieser Frage viel konservativer als jüngere und ältere Westeuropäer.“

Diese relative Teilung Europas wird (2019) von PEW auch durch eine Übersichtskarte ergänzt, in der zwischen gleichgeschlechtlichen Ehen / zivilen Partnerschaften / keinerlei legale Partnerschaften unterschieden wird.

Die Organisation ILGA EUROPE (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) hat eine sogenannte ‚Regenbogen-Karte‘ Europas entwickelt, in der für 49 Länder Europa verschiedene Indices berücksichtigt sind, die sich auf die nationale Gesetzgebung und Politik gegenüber LGBT-Rechten bezieht und bei der die Abstufungen noch einmal deutlich werden.


7. Polen

Für die Situation in Polen berichtet die CBOS-Umfrage (2017) „Attitude to people of homosexual orientation“, dass sich seit 2005 die Anzahl der Menschen, die persönlich eine Person mit homosexueller Orientierung kennen, von 16 Prozent (bis 2017) auf 32 Prozent erweitert habe. Insbesondere unter den Jüngeren (18-24 Jahre), die in Großstädten leben und gut ausgebildet sind.

In der CBOS-Umfrage (2019) „Attitude towards homosexuality” zeigt sich die Veränderung von 2001 bis 2019. Während 2001 noch 41 Prozent meinten, dass Homosexualität nicht normal und nicht toleriert werden sollte, so sind es 2019 noch 24 Prozent. Seit 2005 ist dagegen gleichbleibend eine Mehrheit (zwischen 52 bis 63 Prozent) der Meinung, dass Homosexualität zwar eine Abweichung von der Norm sei, aber toleriert werden solle.

2019 sind es also insgesamt 78 Prozent der Befragten, die Homosexualität als Abweichung von der natürlichen Norm sehen.

Das ist als Basis für das Phänomen der „LGBT-freie Zonen“ („Aus Hass auf die Gleichheit“), die in einem Drittel Polens, vor allem im Südosten deklariert wurden.

Es geht um einen „Kulturkampf: Der Feind ist lesbisch“, der vor allem vom Klerus der katholischen Kirche unterstützt wird. In einem Bericht zur Haltung des Klerus in Polen: “Brussels ‘imposing neo-Marxism’ and ‘so-called rule of law’ on Poland, warns archbishop”, wird vor einer neomarxistischen Vision einer neuen Ordnung gewarnt, die das Königreich Gottes leugne:

„Brüssel, Berlin und New York versuchen, Polen ‚eine neomarxistische Vision einer neuen Ordnung“ aufzuzwingen, einschließlich der „so genannten Rechtsstaatlichkeit“ und der „LGBT-Ideologie“, warnt einer der ranghöchsten Bischöfe des Landes. […]
Sie zielt darauf ab, ‚Gott durch…materielle Wünsche zu ersetzen‘, sagte der Erzbischof. Ihre Vision ‚verkündet undefinierte europäische Werte und den sogenannten ‚Rechtsstaat‘, hinter dem die Abtreibung als Recht der Frau steht‘.
Sie will auch ‚mit Gewalt Geschlecht und LGBT-Ideologie in Vorschulen einführen, die so genannte ‚Homo-Ehe‘ und die Adoption von Kindern durch [solche Paare]‘, fuhr Jędraszewski fort.
Der Erzbischof von Krakau ist eine lautstarke Figur in der Kirche, auch in Fragen, die mit der konservativen Agenda der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zusammenhängen.
Im vergangenen Jahr verurteilte Jędraszewski, wie auch die Regierung, das, was sie ‚LGBT-Ideologie‘ nennt. Er beschrieb sie als eine ‚Regenbogenplage‘ und verglich sie mit Bolschewismus und Nazismus.“

Dagegen hat sich eine Kampagne gebildet: „Ich unterstütze Liebe. In Polen und Europa.“

Allerdings ist es unangebracht, die Haltung der Mehrheit des polnischen Klerus, mit der katholischen Kirche und den Werthaltungen ihren Gläubigen gleichzusetzen.

8. Katholiken und Homosexualität in West- und Osteuropa

Wie unterschiedlich die Werthaltungen unter Katholiken in Europa und der Welt sind, darauf verweist die PEW-Studie (2020) „How Catholics around the world see same-sex marriage, homosexuality.“ Von Jeff Diamant

Die Einstellungen zur legalen gleichgeschlechtlichen Ehe sind dabei in guter Indikator für die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Sexualität.

„Laut Umfragen des Pew Research Center, die in den letzten Jahren durchgeführt wurden, unterstützen Katholiken auf der ganzen Welt unterschiedlich stark die gleichgeschlechtliche Ehe und akzeptieren Homosexualität im Allgemeinen.
In Westeuropa gab 2017 eine große Mehrheit der Katholiken an, dass sie eine legale gleichge-schlechtliche Ehe befürworten. Dies war der Fall in den Niederlanden (92%), im Vereinigten Königreich (78%), in Frankreich (74%) und in Deutschland (70%).
Die gleichgeschlechtliche Ehe ist in den meisten der untersuchten westeuropäischen Länder legal. In der Schweiz und in Italien - die zwar zivile Eheschließungen, nicht aber die Eheschließung für homosexuelle Paare zulassen - sagten im Jahr 2017 76% bzw. 57% der Katholiken, dass sie die Homo-Ehe unterstützen.
Auf der anderen Seite lehnen die meisten Katholiken in fast allen mittel- und osteuropäischen Ländern, die das Zentrum in den Jahren 2015 und 2016 befragt hat, die gleichgeschlechtliche Ehe ab. Neun von zehn Katholiken in der Ukraine sagten, dass gleichgeschlechtliche Ehen illegal sein sollten, ebenso 66% der Katholiken in Ungarn und 62% der Katholiken in Polen.“

Diese Daten mit den unterschiedlichen Einstellungen von Katholiken belegen auch die Analyse des Beitrags in der Deutschen Welle: „Homosexualität, eine katholische Krux.“ „Der Papst setzt sich für die Rechte Homosexueller ein und führt gleichzeitig die Diskriminierung innerhalb der Kirche fort. Warum Homosexualität für die katholische Kirche weiterhin ein Tabu bleibt.“

(CF)