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Bertelsmann-Stiftung und Muslime in Deutschland

Im Rahmen ihres „Religionsmonitors“ hat die Bertelsmann-Stiftung eine „Sonderauswertung Islam 2015“ publiziert, der die „wichtigsten Ergebnisse im Überblick“ referiert. Die Schlussfolgerungen verlassen jedoch den analytischen Bereich und formulieren die politischen Auffassungen der Bertelsmann-Stiftung und der Kirchenleitungen.

Datenbasis sind zum einen Daten aus dem Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung, für die von Oktober bis Dezember 2012 in 13 Ländern 14.000 Personen zu ihrer persönlichen Religiosität, ihren Werthaltungen und dem Verhältnis von Religion, Politik und Gesellschaft befragt wurden. Zum anderen Zum anderen wurde in einer Emnid-Umfrage im November 2014 „zentrale Fragen zur Islamwahrnehmung der deutschen Bevölkerung , die bereits im Religionsmonitor enthalten waren, neu erhoben.

Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick

1. Muslime in Deutschland sind mit Staat und Gesellschaft eng verbunden - unabhängig von der Intensität muslimischen Glaubens.

„Der Aussage, dass die Demokratie eine gute Regierungsform ist, stimmen 90 % der hochreligiösen sunnitischen Muslime zu. Dies entspricht auch dem Zustimmungsgrad der mittel- und weniger religiösen Sunniten. Die Zustimmung zu dem Satz, man sollte allen Religionen gegenüber offen sein, stimmen 93 % der hochreligiösen sunnitischen Muslime.

Mit 85 % sind nahezu ebenso viele der Meinung, jede Religion habe einen wahren Kern.

Die zunehmende religiöse Vielfalt in unserer Gesellschaft empfinden 68 % der hochreligiösen, 71 % der mittel- und 75 % der wenig religiösen Sunniten in Deutschland als Bereicherung.“

2. Das Leben als religiöse Minderheit prägt religiöse Orientierungen und Werthaltungen der Muslime in Deutschland. Diese denken häufiger über Glaubensfragen nach und sind insgesamt liberaler als Muslime in der Türkei.

„Die Frage, wie oft sie einzelne Punkte ihrer persönlichen religiösen Einstellung überdenken, beant­worten insgesamt 47 % der befragten Muslime mit „oft“ bzw. „sehr oft“; unter hochreligiösen Sunniten beträgt dieser Anteil sogar 63 %. In der Türkei reflektieren lediglich 36 % der hochreligiösen Sunniten über ihre religiösen Einstellungen.

Der Aussage, ein homosexuelles Paar sollte die Möglichkeit haben zu heiraten, stimmen insgesamt 40 % der hochreligiösen Sunniten in Deutschland zu. Dieser Anteil beträgt unter reflektierten, hoch­religiösen Sunniten 58 %. In der Türkei stimmen nur 12 % einer Heirat homosexueller Paare zu.“

3. Der offenen Haltung vieler Muslime in Deutschland steht aber eine zunehmend ablehnende Hal­tung der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber. Die 4 Millionen in Deutschland lebenden Muslime leiden unter einem negativen Image, das vermutlich durch die kleine Minderheit der radikalen Islamisten (weniger als 1 % aller Muslime) geprägt wird.

„Im Jahr 2012 wurde das Islambild anhand von zwei Fragen im Rahmen des Religionsmonitors erfasst: ‚Als wie bedrohlich bzw. wie bereichernd nehmen Sie den Islam wahr?‘ und Zustimmung zu oder Ablehnung der Aussage ‚Der Islam passt durchaus in die westliche Welt‘. Im November 2014 wurde zusätzlich nach dem Zustimmungsgrad zu den beiden folgenden Aussagen gefragt: ‚Durch die vielen Muslime fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land‘ und ‚Muslimen sollte die Einwanderung nach Deutschland untersagt werden‘.

Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse beider Umfragezeitpunkte. Während im Jahr 2012 bereits 53 % der nichtmuslimischen Mehrheitsbevölkerung der Meinung war, der Islam sei ‚sehr‘ oder ‚eher‘ bedrohlich, sind es heute 57 %, die so denken. Noch deutlicher zugenommen hat die Ansicht, der Islam passe nicht in die westliche Welt - von 52 % auf 61 %.

In Westdeutschland beträgt der Anteil, der den Islam bedrohlich findet, 55 % - in Ostdeutschland 66 %. In Sachsen ist dieser Anteil mit 78 % am höchsten und in NRW mit 46 % am niedrigsten.

40 % der nichtmuslimischen Bürger fühlen sich durch die „vielen Muslime“ wie Fremde im eigenen Land. Ost- und Westdeutschland unterscheiden sich bei dieser Frage nicht.

Der Aussage, Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden, stimmen bun­desweit 24 % „voll und ganz“ oder „eher“ zu. In Westdeutschland beträgt dieser Anteil 22 % und in Ostdeutschland 29 %.“

4. Islamfeindlichkeit ist keine gesellschaftliche Randerscheinung, sondern findet sich in der Mitte der Gesellschaft. Islamfeindlichkeit als salonfähiger Trend kann zur Legitimation diskriminierender und ausgrenzender Verhaltensweisen gegenüber einer Minderheit genutzt werden.

„Es zeigt sich kein eindeutiger Zusammenhang zwischen politischer Orientierung und Islamwahrnehmung. So fühlen sich Befragte, die sich politisch links oder (mitte)-rechts einordnen, am stärksten bedroht durch den Islam. Unter ihnen ist der Anteil mit einer Bedrohungswahrnehmung etwa doppelt so hoch wie der Anteil derjenigen, die den Islam bereichernd finden. Bei Befragten, die sich politisch eindeutig rechts einordnen, sind es sogar vier Mal so viele, die den Islam bedrohlich finden, im Vergleich zu denen, die in ihm eine Bereicherung sehen. Bei denjenigen, die sich selbst politisch mitte-links sehen, ist das Verhältnis ausgeglichen - etwa gleich viele nehmen den Islam als Bereicherung wie als Bedrohung wahr.

Die Unterschiede zwischen niedrig und hoch Gebildeten fallen bei der Bedrohungswahrnehmung gering aus. Etwas größer sind die Bildungsunterschiede bei der Beurteilung, ob der Islam in die westliche Welt passt. So gaben 58 % der Befragten mit einem Hauptschulabschluss an, der Islam passe nicht in die westliche Welt. Unter Befragten mit mittlerer Reife beträgt dieser Anteil 52 %, bei Personen mit Abitur 45 % und bei Personen mit einem Hochschulabschluss 40 %.

Bei Befragten, die mit ihrem Leben eher unzufrieden sind, steigt der Anteil mit einer Bedrohungs­wahrnehmung auf drei Viertel.

Deutlich positiver ist die Wahrnehmung von Menschen, die religiösen Menschen voll und ganz vertrauen. Der Anteil, der den Islam als bedrohlich empfindet, beträgt 40 %, und der ihn bereichernd findet 45 %.

5. Regelmäßige persönliche Kontakte helfen Vorurteile gegenüber Muslimen abzubauen. Häufig aber fehlen die Gelegenheiten.

„66 % der Personen ohne Kontakt zu Muslimen empfinden den Islam als bedrohlich; bei Personen mit solchen Freizeitkontakten beträgt dieser Anteil 43 %.

Unter Befragten ohne Kontakte zu Muslimen sagen 71 %, dass der Islam nicht in die westliche Welt passt, wenn regelmäßige Freizeitkontakte zu Muslimen bestehen, sinkt dieser Wert auf 42 %.

Ohne Freizeitkontakte zu Muslimen fühlen sich 45 % durch die vielen Muslime wie ein Fremder im eigenen Land; mit Kontakten zu Muslimen sind 34 % dieser Meinung.

Bei Personen ohne Freizeitkontakte zu Muslimen beträgt der Anteil, der der Ansicht ist, Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden, 29 %. Bei Personen mit solchen Kon­takten liegt dieser Anteil bei 15 %.“

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Am Schluss der Auswertung wechselt die Bertelsmann-Stiftung von der Analyse und Beschreibung in politische und gesellschaftliche Empfehlungen, die durch die Daten nicht unbedingt gestützt werden und eher die integrationspolitischen Positionen der Bertelsmann-Stiftung artikulieren, die mit den Auffassungen der Kirchenleitungen in Deutschland übereinstimmen.

Schlussfolgerungen für ein gelingendes Miteinander

Der Islam ist ein Teil Deutschlands und sollte mit den christlichen Konfessionen und dem Judentum in Deutschland gleichgestellt werden. Diskriminierung von religiösen Minderheiten muss in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft präventiv verhindert und konsequent bekämpft werden. […]

Deutschland muss für seine Zukunftsfähigkeit eine Kultur der Anerkennung und der Offenheit entwickeln, die religiöse wie kulturelle Vielfalt zulässt und den Zusammenhalt in der Gesellschaft festigt. […]

Wir benötigen mehr Wissen über die religiöse Vielfalt in der Gesellschaft. Muslime als größte religiöse Minderheit in Deutschland stellen eine sehr heterogene Gruppe mit Wurzeln in vielen verschiedenen Ländern sowie mit unterschiedlichen religiösen Ausrich­tungen und Sichtweisen dar. Vielfältige Gesellschaften benötigen ein umfangreiches Wissen über die Vielfalt im eigenen Land. […]

Deutschland braucht ein inklusives Wir-Gefühl, das unterschiedliche Religionen und Kulturen umfasst.

Viele gehen davon aus, dass Muslime keine Deutschen sein können und Deutsche keine Muslime, als ob es sich hierbei um zwei sich gegenseitig ausschließende Gruppen handeln würde. Mittlerweile ist der Großteil der Muslime in Deutschland geboren und aufgewachsen. Deutschland ist für sie Heimat. Diese Zugehörigkeit der Muslime sollte nicht infrage gestellt, sondern auch in öffentlichen Debatten deutlich werden. […]

Gesellschaftlichen Dialog und Begegnung fördern. Nur wer sich freiwillig und gleichberechtigt im Alltag begegnet, entwickelt auch Vertrauen. Wir müssen als Gesellschaft Gelegenheiten für Begegnung und Dialog zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen bieten, die nicht im theologischen Diskurs verhaftet bleiben, sondern Menschen in ihren Nachbarschaften und im Alltag zusammenführen. Gerade die gemeinsame Lösung alltäglicher Herausforderungen schafft Vertrauen und stiftet Freundschaften.“