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GemeinwohlAtlas für Deutschland 2019

Eine internationale Forschergruppe hat eine Umfrage zur Bewertung der Gemeinwohlqualitäten von Institutionen und Organisationen entwickelt, in die (2019) auch die beiden großen christlichen Kirchen einbezogen sind – mit durchaus überraschend plausiblen Ergebnissen. Insofern ist es möglich, die evangelische und die katholische Kirche mit einem eher ungewöhnlichen Blick zu betrachten.

Im Focus dieses Beitrages stehen die Hinweise auf den Hintergrund zur Erstellung eines „GemeinwohlAtlas“, mit dem eine Gemeinwohlaktivität bewertet wird. Insofern ist es möglich, die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland mit einem eher ungewöhnlichen Blick zu betrachten.

Befragungszeitraum war Januar bis März 2019. (Hier die Erläuterungen zur Stichprobe).

Zum Hintergrund heißt es: „Gemeinwohl liegt im Auge des Betrachters: Gemeinwohl zielt auf die Frage, wie Bürgerinnen und Bürger ihr gesellschaftliches Umfeld wahrnehmen. Gemeinwohl wird dann geschaffen, wenn ein Individuum das soziale Kollektiv positiv erlebt. Dies basiert auf der wertphilosophischen Überlegung, dass Wert immer das Ergebnis von positiven Bewertungen eines Bewertungsobjekts durch ein bewertendes Subjekt ist. Im Falle des Gemeinwohls bewertet das Individuum das Gemeinwesen. Das Erleben des Gemeinwesens wird in einer modernen Gesellschaft wesentlich von Organisationen verschiedenster Art beeinflusst. So kann zum Beispiel ein Fußballverein zum Zusammenhalt in einer Stadt beitragen oder eine Bank zur wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes, indem sie ihre Aufgaben im Kerngeschäft erfüllt.“

Zur Methodik: Es wurden insgesamt 252 Unternehmen erfasst, die dann nach Bekanntheitskriterien untersucht wurden und von denen schließlich 137 in die engere Gemeinwohlbewertung aufgenommen wurden.

Die Messung des Gemeinwohlbeitrags erfolgte in den vier Dimensionen Aufgabenerfüllung, Zusammenhalt, Lebensqualität und Moral:

  • Aufgabenerfüllung: Die jeweilige Organisation leistet im Kerngeschäft gute Arbeit.
  • Zusammenhalt: Die jeweilige Organisation trägt zum Zusammenhalt in Deutschland bei.
  • Lebensqualität: Die jeweilige Organisation trägt zur Lebensqualität in Deutschland bei.
  • Moral: Die jeweilige Organisation verhält sich anständig.

In einer ausführlicheren Erläuterung heißt es dazu: „Woran machen Individuen fest, ob eine Organisation zum Gemeinwohl beiträgt? Das Erleben und Bewerten des Gemeinwesens sind psychologische Prozesse, in denen sowohl kognitiv-rationale als auch unterbewusst-emotionale Faktoren eine Rolle spielen. Bei jeder Bewertung greifen wir auf eine Struktur aus Grundbedürfnissen zurück, die uns gewissermaßen als Zollstock dienen. Werden diese erfüllt, so fällt unsere Bewertung positiv aus; werden diese nicht erfüllt, so bewerten wir negativ.“

Alle vier Dimensionen fließen zu gleichen Teilen in den Gemeinwohl-Punktzahl (Scores) ein, aus denen sich dann ‚Rangplätze‘ ergeben.

Gemeinwohl-Punktzahl (Scores)

Die besten zusammengefassten Bewertungen hinsichtlich des Gemeinwohls erhalten die Feuerwehr, das Technische Hilfswerk, das Deutsche Rote Kreuz, u.a.m.

Die evangelischen Kirchen (EKD) finden sich im oberen Fünftel auf Rangplatz 19 (von 137) im Umfeld von Naturschutzbund, ARD, UNICEF und ZDF.

Die Bewertungen für die römische-katholische Kirche bringen eine Gesamt-Platzierung auf Rangplatz 102, im Umfeld des BAMF, Vodafone, dem Deutschen Fußball-Bund und Youtube.

Die ‚Schlusslichter‘ in der Gesamt-Bewertung des Gemeinwohls bilden die UEFA, die Deutsche Bank, die BILD, die FIFA und Marlboro-Zigaretten.


Bewertung der „Moral“

In diesen Gesamtbewertungen sind die bereits genannten vier Dimensionen enthalten, die wie folgt erläutert werden:

  • Aufgabenerfüllung – Grundbedürfnis nach Orientierung und Kontrolle

„Als Individuen streben wir danach, unsere Umwelt zu verstehen und Ursache-Wirkungs-Beziehungen voraussagen zu können. Damit einher geht das Bedürfnis, sich in der Umwelt orientieren zu können, diese in ihren Zusammenhängen zu verstehen und den eigenen Handlungsspielraum zu erhalten bzw. zu erweitern. Eine Handlung unter diesem Gesichtspunkt zu bewerten, bedeutet dann, ihre Nützlichkeit für die Erreichung eines Zieles einzuschätzen. Gegenstand der Wertung ist eine Zweck-Mittel-Relation. Im Mittelpunkt steht also ein instrumentell-utilitaristischer Wertaspekt. (…) So trägt eine Organisation in diesem Bereich zum Gemeinwohl bei, wenn sie im Auge des Betrachters in ihrem Kerngeschäft gute Arbeit leistet. Die Organisation erfüllt ihre Aufgabe, indem sie mit ihren Produkten und Dienstleistungen einen wahrnehmbaren Nutzen stiftet.

  • Zusammenhalt – Grundbedürfnis nach positiven Beziehungen

Individuen streben nach Anerkennung und Zusammenhalt in einem sozialen Kollektiv. Sie suchen nach einem Zugehörigkeitsgefühl und nach Gruppenidentität, gleichzeitig aber auch nach einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Nähe und Distanz. Das Bedürfnis nach positiven zwischenmenschlichen Bindungen zielt auf die „soziale Natur“ des Menschen. (…) Der dominante Bewertungsgesichtspunkt ist in dieser Sicht ein politisch-sozialer; er thematisiert Werte wie Solidarität, Kooperation aber auch Macht, Statusgefühl und Gruppenidentität. Zu dieser politisch-sozialen Wertdimension tragen Organisationen bei, wenn durch ihr Handeln und Auftreten im Auge des Betrachters der Zusammenhalt in einem Gemeinwesen gefördert wird.

  • Lebensqualität – Grundbedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung

Wir streben nach positiven emotionalen Erfahrungen und nach der Vermeidung von Schmerz. (…) Damit zielt dieser grundlegende Wertungsgesichtspunkt auf hedonistisch-ästhetische Werte, z. B. Sicherheit, Schönheit, Spaß, Freude oder ganz allgemein auf Wohlbefinden und Glückserfahrungen, welche auch auf kollektiver Ebene mannigfaltigen Ausdruck finden. Organisationen tragen zu dieser Wertdimension bei, indem sie im Auge des Betrachters zur Lebensqualität beitragen und uns als Individuen damit positive Erfahrungen ermöglichen.

  • Moral – Grundbedürfnis nach Selbstwerterhalt und –steigerung

Individuen streben nach einem positiven Selbstbild und einem ausgeprägten Selbstwertgefühl. Sie wollen als Individuum geschätzt und fair behandelt werden. Das Bedürfnis fokussiert auf die Wahrnehmung als Person und damit als Individuum. Als moralisch-ethische Wertung wird diese bezeichnet, weil sie im sozialen Umfeld den Bewertungsaspekt thematisiert, inwiefern eine Handlung oder Entscheidung zu mehr Gleichheit oder Ungleichheit führt bzw. ob etwas für alle Menschen (in einem selbst definierten Rahmen) gilt oder nicht. Moralisch wertvoll („anständig“) ist eine Handlung immer dann, wenn das eigene Gerechtigkeitsempfinden nicht verletzt, bestätigt oder gar gestärkt wird. (…) Auf gesellschaftlich-kollektiver Ebene angesiedelte Werte wie Menschenrechte, Menschenwürde oder die Autonomie des Einzelnen sind demnach ganz wesentlich moralisch-ethische Werte. Sie versuchen zu bestimmen, was eine Person als Mensch ausmachen sollte, wenn deren Individualität und Selbstverständnis angesprochen ist. Organisationen schaffen in dieser auf das Individuum fokussierten Dimension Wert, wenn sie sich im Auge des Betrachters moralisch wertvoll und damit anständig verhalten und so dem Individuum ein positives Selbstwertgefühl ermöglichen. Dies ist Grundlage der Moraldimension.“

Für die beiden großen Religionsgemeinschaften in Deutschland zeigen sich deutliche Unterschiede:

Hinter den Gesamt-Bewertungen zeigt sich, dass die Evangelische Kirche – ausgehend von ihrer positiveren Gesamt-Einstufung - eine ebenso große ‚Schwankungsbreite‘ hat, wie die weniger positiv bewertete römisch-katholische Kirche, was durch die unterschiedlichen Rangplätze auf den ersten Blick verdeckt wird.

Beide Kirchen haben – im Vergleich zum Gesamt-Rangplatz - eine schlechtere Bewertung für ihre „Aufgabenerfüllung“ und eine bessere Bewertung für den „Zusammenhalt“ von positiven Beziehungen. Für die Bewertung der „Lebensqualität“ hat die römisch-katholische Kirche relativ bessere ‚Scors‘ als für die Gesamtbewertung. In der „Moral“, d. h. hinsichtlich des Aspektes, ob „das eigene Gerechtigkeitsempfinden verletzt, bestätigt oder gestärkt wird“, wird die römisch-katholische Kirche allerdings in die Nähe des unteren Endes der Rangplätze gestellt (118 von 137) und befindet sich dort im Umfeld von McDonalds, Google, Apple und Axel Springer Verlag.

(CF)