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Konfessionelle versus religiöse Konfliktlinie in der deutschen Wählerschaft

Das unterschiedliche Wahlverhalten deutscher Katholiken und Protestanten gehört unter der Bezeichnung ‚konfessionelle Konfliktlinie‘ zum festen Kanon der Wahlforschung. Seit Mitte der 1980er Jahre wird jedoch vermutet, die konfessionelle Konfliktlinie würde durch eine religiöse Spannungslinie ergänzt oder gar abgelöst. Diese Behauptung wird durch einen Ver­gleich der relativen Bedeutung der Konfession und der Religiosität für die Wahlabsicht Anfang der 1980er und Anfang der 1990er untersucht. Zu beiden Zeitpunkten ist die Bedeutung der Religiosität deutlich größer. Das heißt, daß die Ablösung der konfessionellen Spannungslinie früher stattgefunden hat oder aber, daß eine konfessionelle Spannungslinie im eigentlichen Sinn nie existierte. Die Wahlforschung sollte ihre Fixierung auf Katholiken und Protestanten aufgeben und statt dessen den Gegensatz zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen stärker in den Blick nehmen. Die präsentierten Analysen für Ostdeutschland weisen in dieselbe Richtung.

Von Christof Wolf*

1. Einleitung

Im Mittelpunkt dieses Aufsatzes steht der für die alte Bundesrepublik charakteristische Zusammenhang zwischen Konfessionszugehörigkeit und Parteipräferenz: Während katholische Wähler wesentlich stärker zur Wahl der Unionsparteien neigen, bevorzu­gen evangelische Wähler, je nach ihrer beruflichen Stellung, stärker die Wahl der SPD oder FDP. Dieses Phänomen, welches gemeinhin mit dem Begriff der konfessionellen Spannungslinie[1] bezeichnet wird, zeigt eine erstaunlich hohe Konstanz. Allerdings scheint diese Konfliktlinie seit Anfang der 1970er Jahre - im Zuge des allgemeinen Säkularisierungstrends (Jagodzinski 1995) - entschärft worden zu sein. Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, haben sich die Anteile der CDU und SPD wählenden Katholiken im Laufe der letzten 25 Jahre deutlich angenähert. Ob sich die Stärke oder sogar der Charakter dieser Spannungslinie tatsächlich gewandelt hat, soll im weiteren genauer untersucht werden.

Zunächst werde ich einige der vorliegenden Erklärungsversuche für die Entstehung und Überlegungen zur zukünftigen Entwicklung der konfessionellen Konfliktlinie skizzieren. Wie ein Blick in die einschlägige Literatur zeigt, gehen die Meinungen über die Zukunft dieser Spannungslinie auseinander.

Während einige Autoren letztlich mit einem vollständigen Verschwinden jeglicher konfessionell oder religiös gefärbter Konfliktlinie in der deutschen Wählerschaft rechnen, glauben andere, eine Transformation der konfessionellen in eine religiöse Spannungslinie ausmachen zu können. Diese kontroversen Standpunkte werden im dritten Teil diskutiert.

Nach einigen kurzen Bemerkungen zu den verwendeten Daten und Methoden im vierten Teil dieser Darstellung, folgen im fünften Teil die Ergebnisse verschiedener empirischer Analysen. Ausgehend von der Diskussion um den Fortbestand der konfessionellen Spannungslinie wird anhand neuerer empirischer Daten aus Westdeutschland untersucht, welche Bedeutung der Konfessionszugehörigkeit und der Religiosität bei der Wahlentscheidung zukommen. Sollte sich das Verhältnis von Konfession und Religiosität zur Parteiwahl verändert haben, so müßte sich diese Änderung in einem Vergleich der neueren mit älteren Ergebnissen zeigen. Daher werde ich den Analysen für 1992 die Ergebnisse der gleichen Analysen für das Jahr 1982 gegenüberstellen. Da die zukünftige Bedeutung einer konfessionellen oder religiösen Spannungslinie in der Bundesrepublik nicht zuletzt von den Verhältnissen in Ostdeutschland abhängt, werde ich abschließend untersuchen, welche Rolle die Konfessionszugehörigkeit und Religiosität bei der Wahlabsicht der Menschen in Ostdeutschland spielen.

2. Ursache und Entwicklung des konfessionellen Gegensatzes

In seiner klassischen Studie zu den konfessionellen Kulturen des Katholizismus und Protestantismus in der Bundesrepublik kommt Schmidtchen (1973: 212, 240) zu der Einschätzung, daß sich die Mitglieder dieser beiden Gruppen weder in bezug auf ihr allgemeines politisches Interesse noch in bezug auf ihre Bereitschaft zur Mitarbeit in einer Partei oder ihren demokratischen Grund Überzeugungen unterscheiden.[2] In bezug auf ihre Parteineigung dagegen zeichnet Schmidtchen (1973: 321-334) ein differenziertes Bild, in welchem er die Alters-, Geschlechts- und Berufsstruktur sowie die Konfession und die Kirchgangshäufigkeit berücksichtigt. Hier zeigt sich trotz aller moderierenden Faktoren die bekannte Neigung der Katholiken zur CDU/CSU und der Protestanten zur SPD und auch zur FDP. Dieser Befund wird von Schmidtchen mit dem Hinweis auf die ‚Kosmologie’ ihrer jeweiligen Anhänger, v. a. dem Unsterblichkeitsglauben, welcher eng mit der Präferenz für die Unionsparteien verknüpft ist, erklärt. Dabei sei gleichgültig, ob es sich um die Unsterblichkeit im christlichen Sinne oder um andere Formen eines Jenseitsglaubens handelt. „Auf eine rüde Formel gebracht: Die CDU ist die Partei der Unsterblichen, die SPD die Partei der Sterblichen“ (Schmidtchen 1973: 327). Die SPD ist demnach ein funktionales Äquivalent zur Religion; sie ist nach Schmidtchen eine ‚diesseitige Gesellschaftsreligion’. In einem anderen Zusammenhang erklärt Schmidtchen (1984: 17) diesen Trend folgendermaßen: „Konstruktionen mit einem politisch-eschatologischen Anspruch ersetzen den Protestanten, was die Reformation beseitigt hat: das festgefügte Gebäude der Kirche. Die deutschen Protestanten sind immer gute Erzeuger und Abnehmer verwegener politischer Entwürfe und politischer Heilsideen gewesen“ (Herv. im Original). Als extremes Beispiel führt er die überwiegend protestantische Herkunft der (links- und rechtsextremen) Terroristen der 1970er Jahre an.

Entgegen dieser, nur auf religiöse Unterschiede zurückgreifende Erklärung, stimmen die meisten Autoren darin überein, daß die konfessionelle Konfliktlinie in der westdeutschen Wählerschaft historische Ursachen hat und nur mit Hinweis auf diese erklärt werden kann. Zwei Aspekte werden dabei besonders hervorgehoben: Zum einen die im 19. Jahrhundert entstandene katholische Subgesellschaft, die maßgeblich aus dem Minderheitsstatus der Katholiken resultierte, zum anderen die aus dieser Gesellschaft hervorgegangene politische Einheitlichkeit des deutschen Katholizismus, die sich in der Zentrumspartei manifestierte. Obwohl sich die Wurzeln der konfessionellen Spannungslinie zwischen Katholiken und Protestanten in Deutschland bis zurück in die Reformation verfolgen lassen (Mielke 1991: 140; Schmitt 1989: 27), zeigt sie sich im Wahlverhalten auf Reichsebene zum ersten Mal bei der Reichstagswahl 1874, bei der das vier Jahre zuvor gegründete Zentrum mit 27,9 Prozent der Stimmen sein bestes Ergebnis erzielte (Pappi 1985: 265).

Während der deutsche Katholizismus seit dieser Zeit und bis in die Weimarer Republik über eine „Volkspartei, die sich ausschließlich nach konfessionellen Kriterien quer zu Klassen und Schichten rekrutierte“ (Schmitt 1984: 30), verfügte, gab es keine Partei des Protestantismus. Vielmehr existierten verschiedene Parteien mit überwiegend protestantischer Wählerschaft, die sich in ihrer sozialen Basis und politischen Haltung stark voneinander unterschieden. Eine konfessionelle Wahlnorm „bestand für sie nur in negativer Hinsicht: die katholische Partei war nicht wählbar“ (ebenda). Nun lassen die vielfältigen Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg eine Abschwächung der konfessionellen Spannungslinie in der Bundesrepublik erwarten. Die Katholiken verlieren durch die Teilung Deutschlands im westlichen Teil ihren Status als Minderheit, das traditionell geringere Bildungsniveau der Katholiken paßt sich dem der Protestanten an und konfessionell geschlossene Gebiete werden durch Wanderungsbewegungen seltener. Dazu kommt ein massiver Rückgang der Kirchlichkeit (vgl. Jagodzinski/Dobbelaere 1993) und der Bedeutung religiöser Überzeugungen für die Lebensführung, für die die kontinuierlich abnehmende konfessionelle Homogamie ein deutliches Anzeichen ist (Hendrickx u. a. 1994). Diesen Veränderungen auf Seiten der Wählerschaft stehen zwei ebenso wichtige Veränderungen auf Seiten der Parteien gegenüber. Erstens wird nach 1945 bewußt auf die Gründung einer katholischen Partei verzichtet und statt dessen eine überkonfessionelle Christlich Demokratische (bzw. Soziale) Union ins Leben gerufen, die allen interessierten Christen offen steht. Zweitens vollzieht die SPD 1959 im Godesberger Programm eine Wende zu weltanschaulicher Offenheit und unterbreitet den Kirchen ein Angebot zu partnerschaftlicher Zusammenarbeit.[3]

Angesichts dieses Wandels stellte sich nach dem Krieg für die neue Bundesrepublik die Frage, ob die Konfessionszugehörigkeit noch eine Spannungslinie konstituiere. Schmitt (1984: 37) kommt in seiner Analyse der unmittelbaren Nachkriegszeit (1953) zu dem Ergebnis, daß das katholische Milieu, trotz der vielfältigen Veränderungen nach 1945, an Wahltraditionen aus der Zeit der Weimarer Republik anknüpfen konnte; die katholischen Bürger wählten unabhängig von ihrer beruflichen Position überwiegend CDU/CSU. Während dies auch für die kleine Gruppe der kirchlich gebundenen Protestanten gilt, wird die Wahlentscheidung der größeren Gruppe der kirchenfernen evangelischen Wähler stärker durch ihre Berufszugehörigkeit beeinflußt, als dies für die Katholiken der Fall ist (vgl. Schmitt 1989: 141-152).

Bei einer Analyse der Wahlen bis 1976 konstatieren Pappi und Terwey (1982: 181): „Katholiken zeigten in allen Wahlen seit den fünfziger Jahren eine erheblich stärkere Neigung zur Wahl der CDU als der SPD oder FDP. Wir können in den Daten keinen Trend entdecken und weisen die Hypothese von der abnehmenden Bedeutung der religiösen Spannungslinie, zumindest in bezug auf den verwendeten Indikator [Konfessionszugehörigkeit, C.W.], daher zurück“ (Übersetzung C.W.). Bei einer weiterführenden Analyse bis 1983 urteilt Schmitt (1984: 39) über die Entwicklung des Zusammenhangs von Konfession und Wahlentscheidung zwischen 1953 und 1983, „daß von einer Nivellierung der Unterschiede zwischen den Konfessionen keine Rede sein kann“.[4] Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund der gesunkenen Kirchenbindung - gerade auch im Katholizismus - erstaunlich. Schmitt versucht diesen Widerspruch mit Hinweis auf das Fortbestehen eines säkularen katholischen Milieus aufzulösen. Die Wahlentscheidung werde nun nicht mehr kirchlich vermittelt, so Schmitt, sondern komme entweder durch „verinnerlichte Wertsysteme, eine Identifikation mit dem ‚Katholizismus’ als konfessioneller Großgruppe oder schlicht auch [durch] die Gewohnheit einer Wahlentscheidung für die Unionsparteien“ zustande (Schmitt 1984: 49).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß sich in Deutschland spätestens seit 1874 eine konfessionelle Konfliktlinie zwischen Katholiken und Protestanten nachweisen läßt, die, neben der Spannungslinien zwischen den sozialen Klassen, auf die in dieser Darstellung nicht näher eingegangen wird, auch für die bisherigen Wahlen in der Bundesrepublik typisch war. Es bleibt die Frage, ob sie für das Wahlverhalten der Bundesbürger auch in Zukunft von Bedeutung sein wird. Muß auch nach den nächsten Bundestagswahlen konstatiert werden, was Pappi für die Wahlen bis 1976 festgestellt hat? „Wenn sich der Faktor Religion bei einer Bundestagswahl wieder als wichtig herausgestellt hat, tröstet sich mancher damit, daß dies demnächst ja anders werden müsse. Nur anders wird es nun schon seit 30 [bzw. dann seit 40 oder 50, C.W.] Jahren nicht“ (Pappi 1979: 472). Damit komme ich zur Frage der zukünftigen Entwicklung der konfessionellen Spannungslinie, auf die ich im folgenden Abschnitt eingehen möchte.

3. Wird die konfessionelle von einer religiösen Spannungslinie abgelöst?

Seit etwa Mitte der 1980er Jahre hat sich ein neuer Ton in die Diskussion um die konfessionelle Konfliktlinie in der Bundesrepublik gemischt. Ausgehend von den schon angeführten Säkularisierungs- und Entkirchlichungstendenzen der letzten Jahrzehnte und der in bezug auf verschiedene Werthaltungen zum größten Teil geringen Differenz zwischen Katholiken und Protestanten[5], wird auf eine, die konfessionelle Konfliktlinie ergänzende bzw. sie ersetzende, religiöse Konfliktlinie hingewiesen (vgl. v. a. Mielke 1991; Pappi 1985).

Unter Rekurs auf diese Wandlungsprozesse differenziert Schmitt (1985) in einer weiteren Arbeit die unabhängigen Variablen seiner Analyse nach der Kirchenbindung, der organisatorischen Bindung, der politischen Autorität, die den Kirchen zugebilligt wird, nach dem Konfessionalismus sowie schließlich nach der konfessionellen Homogenität des sozialen Umfeldes. Zusammenfassend kommt er zu dem Ergebnis, daß die Kirchenbindung, die Organisationsbindung und die den Kirchen zugebilligte politische Autorität die Wahlentscheidung der Katholiken zugunsten der CDU/CSU maßgeblich beeinflußt, ihre Bindung an die eigene Konfession dagegen von untergeordneter Bedeutung ist. Bei Protestanten wirkt sich die Bindung an die Kirche ebenfalls in Richtung auf die Unionsparteien aus, die Stärke ihrer konfessionellen Identität dagegen zugunsten der SPD oder FDP. Die Verwendung von Indikatoren verschiedener Aspekte der Religiosität zeigt, daß die Kirchenbindung alleine, meist operationalisiert durch die Kirchgangshäufigkeit, kein ausreichender Prädiktor für die Wahlentscheidung ist und daß verschiedene Dimensionen der Religiosität die Wahlentscheidung von Katholiken und Protestanten auf unterschiedliche Weise beeinflussen können.[6] Diese Schlußfolgerung wird auch durch die Ergebnisse einer Untersuchung von Pappi (1985) bestätigt, in welcher er versucht, die relative Bedeutung der Konfessionszuge­hörigkeit, der Kirchenbindung, der religiösen Überzeugungen, der konfessionellen Homogamie und des regionalen Kontextes für die Wahlentscheidung zu bestimmen. Nach seinen Ergebnissen spielt zur Erklärung der Parteineigung im Fall der Katholiken die Kirchenbindung (gemessen durch die Kirchgangshäufigkeit) die zentrale Rolle. Außerdem haben ihre religiösen Überzeugungen und die konfessionelle Homogenität der Ehen einen gewissen Einfluß (Pappi 1985: 281). Ein regionaler Effekt läßt sich bei den Katholiken hingegen nicht nachweisen. Bei den Protestanten haben die Kirchen­bindung und die religiösen Überzeugungen etwa den gleichen Einfluß auf die Partei­identifikation. Allerdings ist der Effekt der Kirchenbindung bei den Protestanten ge­ringer als bei den Katholiken (Pappi 1985: 278). Ein Einfluß der konfessionellen Homogamie kann im Fall der evangelischen Wähler nicht nachgewiesen werden, dafür spielt hier die konfessionelle Zusammensetzung des regionalen Kontextes eine Rolle. In überwiegend protestantischen Regionen, in denen also auch die CDU wesentlich stärker protestantisch geprägt sein dürfte, verhalten „sich die Kernmitglieder der evangelischen Kirche … sehr ‚katholisch’ “ (Pappi 1985: 285) und wählen mehrheitlich die CDU. Dieses Ergebnis, zusammen mit dem Einfluß, den die kirchliche Bindung und die Glaubensüberzeugungen auch bei Protestanten haben, lassen Pappi (1985: 287) zu dem Schluß kommen, daß die konfessionelle Spannungslinie derzeit von einer religiösen überlagert wird.[7]

Daß der religiöse Faktor nicht mehr (alleine) auf die Konfessionszugehörigkeit verkürzt werden kann, sondern zumindest die Bindung der Wähler an ihre Kirchen berücksichtigt werden muß, zeigen auch Falters (1994: 79ff.) neueste Analysen zum Problem der Rechtswähler. Bei einer Überprüfung der ,Immunisierungsthese‘, derzufolge Katholiken durch ihre Einbindung in das katholische Milieu weniger anfällig für die Wahl extremistischer Parteien sind als Protestanten, zeigen seine Analysen, daß dies nur für Katholiken mit einer hohen Bindung an ihre Kirche gilt, nicht jedoch für bloß formelle Mitglieder. Im Gegenteil: „Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, daß bei Katholiken ohne Kirchenbindung, also den reinen Taufscheinkatholiken, die Neigung rechts zu wählen, stets höher liegt als bei Protestanten ohne Kirchenbindung. Wenn die Dämme erst einmal gebrochen sind, scheint bei dieser Gruppe die durch die Kirche geförderte Widerstandskraft besonders schnell zu schwinden“ (Falter 1994: 87).

Damit komme ich zu dem letzten Punkt, den ich hier anschneiden möchte: der zukünftigen Entwicklung der konfessionellen bzw. religiösen Spannungslinie. Schmitt (1989: 298-305) erwartet, daß der Entkirchlichungsprozeß in der Bundesrepublik sich mit einer Phasenverzögerung auf die politischen Einstellungen der Wähler auswirken wird. Obwohl er nicht über die zur Prüfung dieser Hypothese notwendigen Längsschnittdaten verfügt, deutet Schmitt das geringere Ausmaß der religiösen Sozialisation und kirchlichen Bindung in den jüngeren Generationen dahingehend, daß sich die konfessionell-religiöse Konfliktlinie abschwächen und innerhalb der nächsten Generation verschwinden wird.[8] Auch Pappi (1985: 287-290) rechnet aufgrund der fortschreitenden Entkirchlichung mit dem Verblassen der konfessionellen Konfliktlinie. Ungewiß scheint ihm jedoch das Schicksal der religiösen Spannungslinie, deren Fortbestand er davon abhängig macht, inwieweit es auch in Zukunft möglich ist, mit politischen Streitfragen an diese Konfliktlinie anzuknüpfen (Pappi 1985: 290). Wie gerade die jüngeren Auseinandersetzungen um das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der Streit um das Fach LER[9] in Brandenburg zeigen, ist mit derartigen Streitfragen jederzeit zu rechnen.

Zusammenfassend können wir festhalten: Die Wahlentscheidung scheint heute weniger als früher von der Konfessionszugehörigkeit abzuhängen. Außerdem wird von vielen mit einem langfristigen Verschwinden der konfessionellen Spannungslinie gerechnet.

Verantwortlich für diese Entwicklung ist vor allem die Auflösung des traditionellen katholischen Milieus (Kühr 1985: 255-257). Dieser Prozeß kann allgemeiner als Teil der Individualisierung verstanden werden, in deren Verlauf die Bedeutung sozio-demographischer Quasi-Gruppen zur Erklärung sozialen Handels abgenommen hat (Esser 1979). Aus der Auflösung sozial-struktureller Großgruppen im allgemeinen und konfessioneller Milieus im besonderen kann jedoch nicht auf das Verschwinden von Religiosität geschlossen werden. Es läßt sich im Gegenteil vermuten, daß die konfessionelle Spannungslinie von einer religiösen Spannungslinie abgelöst wird, entlang derer sich nicht mehr Katholiken und Protestanten, sondern gläubige Christen und Nichtgläubige gegen-überstehen. Bei abnehmender Bedeutung der Konfessionszugehörigkeit müßten also andere Merkmale, die beispielsweise auf die soziale Integration in kirchliche Einrichtungen oder aber auf das Ausmaß des Glaubens zielen, an Bedeutung gewinnen. Der empirische Gehalt dieser Aussage, die ich verkürzt als Ablösungshypothese bezeichnen möchte, soll im folgenden Abschnitt untersucht werden.

4. Material und Methode

Eine empirische Analyse der Ablösungshypothese - also der Vorstellung vom schwindenden Einfluß der Konfessionszugehörigkeit bei gleichzeitig steigendem Einfluß der Religiosität auf das Wahlverhalten - kann nur in einer Längsschnittperspektive erfolgen. Wünschenswert wäre dabei die Möglichkeit, auf eine lange Reihe von Datensätzen zurückgreifen zu können, wie sie verschiedenen Analysen zum Wandel des Wählerverhaltens zugrunde liegen (Metje 1994; Schmitt 1989; Schnell/Kohler 1995). Eine der Voraussetzungen für die Untersuchung von Veränderungen im Zeitablauf ist das Vorhandensein vergleichbaren Datenmaterials. Bedauerlicherweise stehen mir zur Beantwortung der hier gestellten Frage nur zwei Untersuchungen zur Verfügung, die die benötigten Indikatoren in gleicher Weise enthalten.

4.1 Datensätze und Operationalisierungen

Bei den verwendeten Datensätzen handelt es sich um die Allbus Erhebungen aus den Jahren 1982 und 1992 (ZA und ZUMA 1984, 1993).[10] Im Allbus 1992 wurden 2400 Personen in Westdeutschland befragt, von denen 2315 die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen und damit wahlberechtigt waren. In derselben Untersuchung wurden auch 1148 Personen in den neuen Bundesländern befragt, unter ihnen 1141 mit deutscher Staatsangehörigkeit. An der Vergleichs­untersuchung 1982 nahmen 2991 Personen teil, die aufgrund der eingeschränkten Definition der Grundgesamtheit sämtlich die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen.

Die abhängige Variable

In beiden Untersuchungen wurde die ‚Sonntagsfrage‘ gestellt, also danach gefragt, welcher Partei man seine Zweitstimme geben würde, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre.

Es handelt sich somit um eine fiktive Wahlentscheidung zum Zeitpunkt des Interviews und nicht um das tatsächliche Abstimmungsverhalten. Die Antworten auf diese Frage wurden in vier Gruppen zusammengefaßt: CDU bzw. CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen.[11] Neben dieser Variablen, deren Verteilung im folgenden mit Hilfe der multinomialen logistischen Regression analysiert wird, wurden vier Dummys gebildet. Diese dichotomen Variablen werden im folgenden mit einfachen binären logistischen Regressionsanalysen untersucht.

Die zentralen unabhängigen Variablen: Konfession und Religiosität

Mit Bezug auf die Konfessionszugehörigkeit werden drei Gruppen unterschieden: Katholiken, Protestanten, die Mitglied einer EKD-GIiedkirche sind, und Konfessionslose. Mitglieder der evangelischen Freikirchen oder sonstiger Glaubensgemeinschaften werden nicht berücksichtigt.

Als Indikatoren der Religiosität dienen drei Variablen: die Kirchgangshäufigkeit, die subjektive Einschätzung der eigenen Religiosität und die Beurteilung der individuellen Wichtigkeit von Religion und Kirche als einem Lebensbereich unter anderen. Die Kirchgangshäufigkeit ist in sechs Stufen (re)kodiert, die von ,nie‘ (1) bis ,mehr als einmal in der Woche‘ (6) reichten.[12] Die religiöse Selbsteinstufung erfolgte auf einer zehnstufigen Antwortskala, deren Endpunkte mit ‚nicht religiös‘ (1) und ‚religiös’ (10) markiert waren und die Beurteilung der Wichtigkeit von Religion und Kirche erfolgte auf einer siebenstufigen Antwortskala, die von .unwichtig‘ (1) bis ‚sehr wichtig‘ (7) reichte.

Die anderen unabhängigen Merkmale

Neben der konfessionellen Spannungslinie unterscheidet die Wahlforschung für die deutsche Wählerschaft bekanntlich eine Konfliktlinie entlang der Klassenzugehörigkeit und in neuerer Zeit eine „wertorientierte Spannungslinie“ (Kühnel/Terwey 1990: 74), insbesondere zwischen ,materialistischen‘ und ,postmaterialistischen‘ Werten; diese neue Spannungslinie wird teilweise auch in verschiedenen Generationszusammenhängen interpretiert (vgl. Metje 1994: 141-144). Darüber hinaus spielen sozio-demographische Merkmale eine gewisse Rolle.

Um den Einfluß der Konfession und Religiosität in einem „vollständigen Standardwahlmodell“ (Schnell/Kohler 1995: 638) zu überprüfen, werden in den hier präsentierten Analysen der Wahlabsicht weitere Merkmale kontrolliert. In Anlehnung an die Studie von Kühnel und Terwey (1990) handelt es sich im einzelnen um die folgenden Variablen:

  • Die Klassenlage, die - neben der Konfession - die zweite wichtige Spannungslinie im Wahlverhalten der Bundesbürger bildet. In den hier vorgelegten Analysen wird die Klassenlage dabei analog zu Kühnel und Terwey unter Heranziehung des sogenannten »Einordnungsberufs‘ nach Terwey (vgl. Codebuch Allbus 1992: 434f.) gebildet.[13] Es wurden vier Klassenlage unterschieden: Arbeiter, einschließlich angestellte Meister; einfache Angestellte und Beamte; höhere Angestellte und Beamte; Freiberufler und Selbständige sowie Landwirte und Mithelfende Familienangehörige.[14]
  • Der höchste Schulabschluß, in vier Gruppen zusammengefaßt: höchstens Hauptschule, mittlere Reife, (Fach-)Abitur und (Fach-)Hochschulabschluß.[15]
  • Des weiteren zeigen Analysen immer wieder die Bedeutung, die eine Gewerkschaftsmitgliedschaft hat; daher wird zwischen Mitgliedern einer DGB-Gewerkschaft und Nichtmitgliedern unterschieden.
  • Als Einstellungsvariablen werden - auch hier Kühnel und Terwey (1990) folgend - die Selbsteinstufung auf der zehnstufigen links-rechts Skala, das politische Interesse[16] sowie der Inglehart-Index herangezogen. Bei letzterem wurde nur zwischen ‚Postmaterialisten‘, .Materialisten‘ und ‚Mischtypen‘ unterschieden.
  • Schließlich werden in allen Analyse das Alter und Geschlecht der Befragten als sozio-demographische Hintergrundvariablen kontrolliert.[17]

Ziel der folgenden Analysen ist es zu klären, ob der Konfessionszugehörigkeit und/oder der Religiosität über diese anderen Merkmale hinaus eine Bedeutung zur Erklä­rung der Wahlabsicht zukommt und ob sich der relative Einfluß der Konfession und Religiosität zwischen 1982 und 1992 im Sinne der Ablösungshypothese verändert hat.

4.2 Zur gewählten statistischen Vorgehensweise

Die hier vorgelegte Untersuchung zum relativen Einfluß der Konfessionszugehörigkeit und der Religiosität auf die Wahlentscheidung orientiert sich an einem Vorschlag von Jagodzinski und Kühnel (1990). Zum einen wird die Wahlentscheidung mit Hilfe der binären und multinomialen logistischen Regression analysiert. Des weiteren greife ich ihren Vorschlag auf, den Effekt einer interessierenden Eigenschaft einerseits durch eine optimistische, andererseits durch eine konservative Strategie abzuschätzen (Jagodzinski/Kühnel 1990:  42). Unter einer optimistischen Strategie verstehen Jagodzinski und Kühnel die Verwendung solcher Modelle, bei denen der Effekt der untersuchten Eigenschaft möglichst groß ist. Eine konservative Schätzung dagegen wird ein Modell ergeben, in welchem es der interessierenden Eigenschaft besonders schwer gemacht wird, einen eigenständigen Effekt beizusteuern.

Nun mag das optimistischste Modell, wie die Autoren vermuten, in der Regel dasjenige sein, in welchem allein der Effekt der untersuchten Eigenschaft auf die abhängige Variable geschätzt wird. Dagegen ist es unmöglich, das konservativste Modell empirisch zu identifizieren. Statt dessen müssen hier theoretische Überlegungen und bekannte empirische Resultate zur Identifizierung anderer bedeutsamer Merkmale herangezo­gen werden. Dann wird zu prüfen sein, ob die untersuchte Eigenschaft über diese anderen Merkmale hinaus einen Beitrag zur Erklärung der abhängigen Variable leisten kann. Die Verwendung verschiedener Modelle, die zwischen dem optimistischen und konservativen Pol möglicher Modelle angesiedelt sind, wird eine bessere Beurteilung der relativen Bedeutung von Konfession und Religiosität auf das Abstimmungsver­halten erlauben, als dies mit einem einzigen Modell möglich wäre.

Im Rahmen der hier vorgelegten Untersuchung werden deshalb mehrere Modelle, die sich auf einem Kontinuum zwischen eher optimistischen und eher konservativen Schätzungen der Effekte bewegen, herangezogen. Am optimistischen Pol dieses Kontinuums stehen die Modelle, die jeweils lediglich die Konfession bzw. die Indikatoren der Religiosität auf die Wahlabsicht berücksichtigen (Modelle 1 und 2, vgl. Abbildung 2). Sodann wird geprüft, welchen Beitrag eine dieser Eigenschaft über die andere hinaus zur Erklärung der Wahlabsicht leistet (Modelle 3 und 4).

In einem zweiten Anlauf wird der Effekt der Konfession und der Religiosität in Mo­dellen, die sich eher am konservativen Pol der möglichen Modelle befinden, untersucht. Dazu werden zunächst andere wichtige Determinanten der Wahlentscheidung kon­stant gehalten (Modell 5), und es wird geprüft, ob die hier im Mittelpunkt stehenden Eigenschaften über diese anderen Merkmale hinaus noch einen Beitrag zur Erklärung der Wahlentscheidung leisten (Modelle 6 und 7). Schließlich wird geprüft, ob sich ein Einfluß der Konfession (bzw. der Religiosität) nachweisen läßt, wenn nicht nur die anderen Merkmale, sondern auch die Religiosität (bzw. die Konfession) kontrolliert wird (Modelle 8 und 9). Diese Modelle ergeben unter allen hier betrachteten Modellen wahrscheinlich die konservativste Schätzung der Effekte von Konfession und Religiosität.

Die Beurteilung der Güte eines Modells erfolgt im Fall logistischer Regressionen anhand einer Maßzahl, die dem Determinationskoeffizient der einfachen OLS Regression ähnlich ist und als P2 oder Pseudo-R2 bezeichnet wird (Jagodzinski/Kühnel 1990: 41). In Modellen, in denen nur ein Merkmal als Prädiktor der abhängigen Variablen verwendet wird, läßt sich seine Effektstärke direkt an der Höhe von P2 ablesen. In den Modellen, in denen das interessierende Merkmal erst nach anderen Merkmalen eingeführt wird, ergibt sich der gesuchte Effekt aus der Veränderung von P2, die hier mit ΔP2 bezeichnet wird. Der Einfluß der Konfessionszugehörigkeit bzw. der Religiosität wird im folgen­den also durch die Güte der Modellanpassung (P2) bzw. die Verbesserung der Modellanpassung (ΔP2) bestimmt. Anzumerken bleibt, daß hier nur die direkten Effekte der beiden interessierenden Faktoren auf das Wahlverhalten untersucht werden. Eine Analyse der indirekten Effekte, die einen komplexeren pfadanalytischen Ansatz mit mehreren endogenen Variablen erfordert, wäre erst der nächste Schritt.

5. Die empirischen Analysen

Die empirische Analyse gliedert sich in drei Teile: Zunächst werden die neueren Daten aus dem Jahr 1992 untersucht. Um die Vergleichbarkeit mit der früheren Studie zu gewährleisten, werden dabei lediglich die Angaben für Westdeutschland herangezo­gen. Im zweiten Teil werden dieselben Analysen mit den Daten aus dem Jahr 1982 repliziert. Bei einem Vergleich der Ergebnisse von 1982 und 1992 wird sich erweisen, ob der vermutete Wandel von einer konfessionellen zu einer religiösen Spannungslinie nachgewiesen werden kann. Im dritten und letzten Teil der Analysen wird untersucht, welchen Einfluß die Konfession und Religiosität auf das Wahlverhalten der Ostdeut­schen haben. Eine gesonderte Analyse der ostdeutschen Daten bietet sich aus minde­stens zwei Gründen an. Zum einen wissen wir noch relativ wenig über die in Ost­deutschland vorhandenen Spannungslinien. Vor allem vor dem Hintergrund des recht geringen Anteils von Kirchenmitgliedern stellt sich die Frage, ob überhaupt mit einer konfessionellen oder religiösen Spannungslinie in der ostdeutschen Wählerschaft zu rechnen ist.[18] Zum anderen können die Ergebnisse für die neuen Bundesländer aufschlußreiche Hinweise für Veränderungen des Wählerverhaltens im gesamten Bun­desgebiet geben.

5.1 Die Lage in Westdeutschland 1992

Die Ergebnisse der durchgeführten Analysen für die Situation im Jahr 1992 sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Die erste Spalte dieser Tabelle gibt Auskunft über das jeweils verwendete Modell. In den nächsten beiden Spalten sind die Ergebnisse mehrerer multinomialer logistischer Regressionsanalysen zusammengestellt.[19] Die abhängige Variable dieser Analysen ist das Wahlverhalten mit den Ausprägungen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Neben diesen Analysen enthält Tabelle 1 auch die Ergebnisse einfacher binärer logistischer Regressionen, bei denen jeweils die Entscheidung für eine Partei vs. die Entscheidung gegen diese Partei modelliert wird. Obwohl vom Standpunkt des puristischen Statistikers beim hier untersuchten Problem nur die multinomiale Analyse zuverlässige Ergebnisse liefert, wurde dennoch entschieden, nicht auf die einfachen binären Analysen zu verzichten. Einerseits läßt sich auf diese Weise für die einzelnen Parteien ein differenzierteres Bild gewinnen, andererseits können diese einfacheren Analysen besser mit bereits vorliegenden Ergebnissen verglichen werden, bei denen in der Regel die Wahl der CDU vs. Nicht-CDU analysiert wurde (Schmitt 1985: 318).

Ein erster Vergleich der Ergebnisse von Modell 1 und 2 gibt Auskunft über die Erklärungsleistung der Konfessionszugehörigkeit bzw. der Indikatoren der Religiosität, wenn diese jeweils die einzigen unabhängigen Variablen sind. In diesen einfachen, optimistischen Modellen erklären die Indikatoren der Religiosität etwa viermal mehr Varianz als die Konfessionszugehörigkeit. Vergleichen wir die Ergebnisse in der dritten und vierten Zeile miteinander, bestätigt sich der größere Einfluß der Religiosität. In der mit  ΔP2  überschriebenen Spalte findet sich die jeweils erzielte Verbesserung der Modelle, die allein auf die Konfession bzw. Religiosität zurückzuführen ist, wenn gleichzeitig andere Merkmale konstant gehalten werden. Der (Netto-)Einfluß der Kon­fession bei Kontrolle der Religiosität kann also in der Zeile für Modell 3 mit der Bezeichnung KIR [20] abgelesen werden. Für 1992 zeigen die Analysen, daß das P2 durch die Hinzunahme der Konfession um weniger als ein Fünftel eines Prozentpunktes steigt; eine Zunahme, die, auch nach statistischen Kriterien beurteilt, nicht signifikant ist. Im Gegensatz dazu haben die Indikatoren der Religiosität auch nach Kontrolle der Konfession einen deutlichen Einfluß auf das Wahlverhalten.

Die Ergebnisse für die Wahlentscheidung insgesamt werden durch die Ergebnisse der Einzelanalysen bestätigt und näher charakterisiert. Einerlei, ob die Wahl der CDU/ CSU, der SPD oder von Bündnis 90/Die Grünen betrachtet wird, in jedem Einzelfall zeigt sich ein starker Einfluß der Religiosität und ein schwacher bzw. nach Kontrolle der Religiosität ein praktisch nicht vorhandener Einfluß der Konfessionszugehörigkeit. Im Fall der CDU-Wahl beispielsweise führt die Berücksichtigung der Konfession bei Konstanthaltung der Religiosität praktisch zu keinem Zuwachs der erklärten Varianz.

Dagegen führt die zusätzlich zur Konfession einbezogene Religiosität zu einer signifikanten Erhöhung von P2 um 8,09 Prozentpunkte. Lediglich im Fall einer Wahlabsicht für die FDP läßt sich weder ein Effekt der Konfession noch der Religiosität nachweisen. Kommen wir zu den eher konservativen Modellen und untersuchen, ob die Konfession oder die Religiosität über andere bedeutsame Merkmale hinaus einen Einfluß auf das Wahlverhalten haben: In der fünften Zeile in Tabelle 1 findet sich zunächst die Erklärungskraft eines Modells, in dem nur diese anderen acht Prädiktoren enthalten sind.[21] Diese erklären das Wahlverhalten insgesamt zu 21 Prozent. Auffällig ist allerdings das sehr unterschiedliche Abschneiden dieses Modells in den verschiedenen einfachen Analysen. Während sich sowohl die Entscheidung zugunsten von CDU/CSU als auch etwas weniger ausgeprägt von Bündnis 90/Die Grünen relativ gut mit diesen klassi­schen Variablen vorhersagen läßt, gelingt dies im Fall der SPD und vor allem der FDP zu einem weitaus geringeren Maße. Der Frage nach den Ursachen für dieses Phänomen soll hier jedoch nicht nachgegangen werden. Statt dessen möchte ich zu der Frage nach den Einflüssen von Konfession und Religiosität zurückkehren. Ein Vergleich der sechsten und siebten Zeile gibt Auskunft darüber, welchen Effekt die Konfession bzw. die Religiosität über die anderen Merkmale hinaus haben. In Übereinstimmung mit den Ergebnissen der optimistischen Modelle zeigt sich beim Hinzufügen der Religiositätsmerkmale wiederum ein deutliches Ansteigen der erklär­ten Devianz (AP2). Dagegen führt die Hinzunahme der Konfessionszugehörigkeit nur zu einem sehr geringen Anstieg der Modellanpassung, der in allen Analysen unter einem Prozentpunkt bleibt.

In den Zeilen acht und neun schließlich finden sich die konservativsten Modelle, die hier betrachtet werden. In diesen Modellen sind nicht nur die Effekte aller anderen Merkmale konstant gehalten, sondern auch der Effekt der jeweils anderen Eigenschaft (also der Religiosität, wenn es um die Konfession geht - Kl S,R - bzw. der Konfession, wenn der Einfluß der Religiosität untersucht wird - RI S,K). In keinem dieser Modelle führt die Einbeziehung der Konfession zu einem Zuwachs der Modellanpassung um einen Prozentpunkt oder mehr. Die Indikatoren der Religiosität dagegen behaupten sich auch in diesen Modellen, wiederum mit Ausnahme einer Vorhersage der FDP-Wahl, deutlich. Selbst nach Kontrolle der Bildung, der Klassenzugehörigkeit, der Links-Rechts-Selbsteinstufung und der Konfession steigt die Erklärungsleistung des Modells insgesamt durch die Hinzunahme der Religiosität um knapp zwei Prozentpunkte. Die Modellanpassung bei der Vorhersage einer Entscheidung für oder gegen die CDU/CSU steigt durch die Berücksichtigung der Religiosität sogar um drei Prozentpunkte.[22] Zusammenfassend kann für das Wahlverhalten der Westdeutschen im Jahr 1992 fest­gehalten werden: Ein nennenswerter Einfluß der Konfessionszugehörigkeit läßt sich nach Kontrolle der Religiosität nicht nachweisen. Umgekehrt führt eine Berücksichtigung der Religiosität zu einer deutlichen Erhöhung der Modellanpassung. Diese Ergebnisse scheinen, im Licht des für frühere Zeiten verbürgten Einflusses der Konfession, für die These von der Ablösung der konfessionellen durch eine religiöse Spannungslinie zu sprechen.

5.2 Die Situation in der Bundesrepublik 1982

Eine Überprüfung der Ablösungshypothese kann jedoch nur anhand eines Vergleichs der Situation am Anfang der 1990er Jahre mit mindestens einem früheren Zeitpunkt erfolgen. Daher werden die soeben durchgeführten Analysen mit Daten aus dem Jahr 1982 repliziert und mit den Ergebnissen für 1992 kontrastiert.[23] Bei Gültigkeit der Ablösungshypothese kann zumindest erwartet werden, daß die Effekte der Konfes­sionszugehörigkeit auf die Wahlabsicht zehn Jahre früher stärker ausgeprägt waren. Des weiteren sollten die Effekte der Religiosität schwächer sein als 1992. Sollte darüber hinaus der Einfluß der Religiosität 1982 geringer sein als derjenige der Konfession, wäre dieses Ergebnis eine klare Bestätigung für die Ablösungshypothese.

Vergleichen wir die in Tabelle 2 zusammengestellten Ergebnisse für das Jahr 1982 mit denjenigen aus dem Jahr 1992, fällt der erstaunlich hohe Grad an Ähnlichkeit auf. Daher kann auf eine erneute detaillierte Kommentierung der einzelnen Analysen verzichtet und die Ergebnisse in Form einer kurzen Zusammenfassung präsentiert werden. Für die Hypothese von der Ablösung der konfessionellen durch eine religiöse Spannungslinie spricht:

  • Zwischen 1982 und 1992 halbiert sich der einfache Effekt der Konfessionszugehörigkeit (Modell 1).
  • Der einfache Effekt der Religiosität ist 1982 etwas schwächer als 1992 (Modell 2).

Gegen die Ablösungshypothese sprechen jedoch folgende Befunde:

  • Genau wie 1992 ist der Einfluß der Religiosität auch 1982 in allen Modellen, einerlei ob optimistisch oder konservativ, immer größer als derjenige der Konfession.
  • Der Einfluß der Konfession im konservativsten Modell 8 führt 1982 zwar zu einer statistisch signifikanten Verbesserung der Modellanpassung, diese ist jedoch mit lediglich einem halben Prozentpunkt substantiell kaum von Bedeutung und liegt etwa bei dem Wert, der auch 1992 noch erreicht wird. Im Vergleich dazu führt die zusätzliche Berücksichtigung der Religiosität (Modell 9) zu einer Erhöhung der Modellgüte um mehr als einen Prozentpunkt. Der Nettoeffekt der Religiosität, der etwa dieselbe Größenordnung aufweist wie 10 Jahre später, ist also auch 1982 deutlich größer als derjenige der Konfession.

Aufgrund der gemischten Ergebnisse lassen sich für die Ablösungshypothese zwei gegensätzliche Schlußfolgerungen ziehen, über deren Gültigkeit aufgrund fehlenden empirischen Materials hier nicht abschließend entschieden werden kann. Die erste Schlußfolgerung wäre, daß die Ablösung der konfessionellen Spannungslinie durch eine religiöse schon vor 1982 stattgefunden hat. Wir würden also zugestehen, daß früher eine konfessionelle Spannungslinie identifiziert werden konnte, die sich zu einem noch nicht näher bekannten Zeitpunkt vor 1982 in eine religiöse Spannungslinie verwandelt hat. Die zweite Schlußfolgerung, die mit den hier präsentierten Ergebnissen vereinbar ist, lautet: Eine konfessionelle Konfliktlinie existierte in der westdeutschen Wählerschaft nie; folglich kann es auch keine Ablösung derselben durch eine religiöse Spannungslinie gegeben haben. Der Eindruck, man könne eine solche Spannungslinie identifizieren, konnte nur entstehen, weil die Konfessionszugehörigkeit der einzige Indikator war, der zur Erfassung der individuellen Religiosität verwendet wurde. Betrachten wir noch einmal die Ergebnisse des Modells, in dem neben den anderen Determinanten der Wahlabsicht lediglich die Konfessionszugehörigkeit berücksichtigt wird (Modell 6). In diesem Modell, welches weitgehend dem in der Wahlforschung verwendeten Standardmodell entspricht, zeigt sich sowohl 1982 als auch 1992 ein deutlicher konfessioneller Effekt - vor allem im Fall der CDU-Wahl. Dieser verschwin­det jedoch, sobald die Religiosität im engeren Sinne kontrolliert wird. Im Gegensatz zur traditionellen Interpretation der Konfessionszugehörigkeit als ein Indikator der Eingebundenheit in konfessionelle Milieus per se (hier natürlich vor allem in das katholische Milieu), ergibt sich in dieser Sichtweise eine Interpretation der Konfession als Proxivariable für religiöse Überzeugungen und/oder Verhaltensweisen. Dabei hat die Gültigkeit der Meßhypothese, die hinter der Verwendung der Konfession als Proxivariable steht, im Laufe der Zeit abgenommen (vgl. dazu den zwischen 1982 und 1992 zurückgegangenen einfachen (Brutto-) Einfluß der Konfessionszugehörigkeit). Der Eindruck, die konfessionelle Spannungslinie würde durch eine religiöse abgelöst, konn­te gemäß dieser Interpretation nur deshalb entstehen, weil die Konfession als Proxi heute schlechter funktioniert‘ als früher.[24]

5.3 Zur Bedeutung von Konfession und Religiosität in den neuen Bundesländern

Abschließend möchte ich noch einen kurzen Blick auf die Analysen der ostdeutschen Daten aus dem Jahr 1992 werfen. Bei einem ersten Vergleich der Ergebnisse für Ostdeutschland (Tabelle 3) und Westdeutschland (Tabelle 1) fällt zunächst auf, daß die hier verwendeten Modelle das Wahlverhalten der neuen Bundesbürger nur unzureichend erfassen. Während die Erklärungskraft der verwendeten Variablen im Westen 21 Prozent bzw. zusammen mit der Konfession und Religiosität sogar 23 Prozent beträgt, liegen die entsprechenden Werte im Osten bei 10 bzw. 14 Prozent. Im Einklang mit anderen Studien (Metje 1994: 149, 151f.; Pappi 1991) zeigt sich, daß das Wahlver­halten der Ostdeutschen (noch) von anderen Determinanten beeinflußt wird als im Westen.

Mit Bezug auf den hier interessierenden Zusammenhang von Konfession, Religiosität und Wahlverhalten stimmen die Ergebnisse für Ost- und Westdeutschland jedoch erstaunlich gut überein. So ist der Effekt der Konfessionszugehörigkeit auch in Ost­deutschland durchweg geringer als der Einfluß der Religiosität. In den vollständigen Modellen (Modelle 8 und 9) zeigt sich wiederum in keinem einzigen Fall ein bemerkenswerter Effekt der Konfession, dagegen - wie in Westdeutschland - ein signifikanter Einfluß der Religiosität auf die Wahlentscheidung. Somit findet sich auch für die deutsche Wählerschaft insgesamt kein Anzeichen für das Vorhandensein bzw. das neuerliche Auftauchen einer konfessionellen Spannungslinie. Allerdings zeigt das ostdeutsche Beispiel, wo die Religiosität auch nach 40 Jahren sozialistischer, zeitweise religions- und kirchenfeindlicher Herrschaft (Pollack 1994) noch einen Einfluß hat, daß mit einem schnellen Verschwinden der religiösen Spannungslinie in der deutschen Wählerschaft nicht zu rechnen ist.

Überschrift

6. Schluß

Im Mittelpunkt der hier vorgelegten Analysen steht die Ablösungshypothese, der zufolge die konfessionelle Spannungslinie in der deutschen Wählerschaft durch eine religiöse Spannungslinie ersetzt wurde. In diesem Zusammenhang rückt auch die Frage nach der vergangenen und zukünftigen Bedeutung dieser Spannungslinien in den Blick. Obwohl eine abschließende Beurteilung dieser Fragen verfrüht wäre, zeigt sich deutlich, daß das Wahlverhalten der Bundesbürger heute durch eine religiöse Spannungslinie bestimmt wird. Ob diese Spannungslinie aus einer genuin konfessionellen Konfliktlinie hervorgegangen ist, kann hier nicht eindeutig entschieden werden. Sollte dies der Fall gewesen sein, so muß diese Ablösung jedenfalls vor 1982 erfolgt sein - wahrscheinlich jedoch sehr viel früher. Verlief die konfessionelle Konfliktlinie zwischen den Anhängern der CDU/CSU und den anderen Wählern, polarisiert die religiöse Spannungslinie Anhänger der Unionsparteien und Anhänger von Bündnis 90/Die Grünen. Erwartungsgemäß tendieren die religiösen Personen zur Wahl der christlichen, die. nichtreligiösen Personen dagegen zur Wahl der grünen Partei. Beide Gruppen differieren bezogen auf die hier verwendeten Indikatoren der Religiosität auch deutlich von den Anhängern der SPD und FDP. Ob sich der Gegensatz zwischen CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen verfestigt, muß hier offen bleiben; eine Koalition beider Parteien - über die vor einiger Zeit so viel spekuliert wurde - scheint mir vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse mindestens auf Bundesebene in naher Zukunft sehr unwahrscheinlich.

Dessen ungeachtet bleibt die Frage, ob die Wahlentscheidung angesichts der abnehmenden Bedeutung von Kirche und Religion auch in Zukunft von religiösen Bindungen und Überzeugungen beeinflußt wird. Aufgrund von drei, eng miteinander verbundenen- Prozessen, wird dies meines Erachtens auch weiterhin der Fall sein. Der erste dieser Prozesse ist die schon erwähnte Angleichung der Einstellungen und Verhaltensweisen von gläubigen Protestanten und Katholiken und deren deutliche Abgrenzung gegenüber der bislang zu wenig beachteten Gruppe der Konfessionslosen bzw. genauer: der Gruppe der Nichtgläubigen. Dieser Prozeß läßt erwarten, daß sich gläubige Christen in Zukunft in ihrem Wahlverhalten noch ähnlicher werden und damit auch die letzten empirischen Spuren einer konfessionellen Spannungslinie verschwinden.[25] Statt dessen ist mit einem noch deutlicheren Hervortreten der Konfliktlinie zwischen überzeugten Christen auf der einen und nicht überzeugten Christen bzw. Nichtchristen auf der anderen Seite zu rechnen. Daher sollten in der empirischen Wahlforschung verstärkt differenzierte Meßinstrumente zur Erfassung christlicher Religiosität herangezogen werden.[26]

Das ‚Zusammenrücken’ der gläubigen Christen kann auch vor dem Hintergrund des zweiten wichtigen Trends gesehen werden. Dieser Trend besteht in der, als Folge der geschwundenen Kirchenbindung zu beobachtenden, gestiegenen und sich voraussichtlich auf einem hohen Niveau einpendelnden Zahl von Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind bzw. austreten werden. Dieser Prozeß vergrößert die Gruppe der Konfessionslosen und stärkt gleichzeitig die in den Kirchen verbleibende Gemeinschaft, indem der Anteil der lediglich formellen Mitglieder innerhalb der Kirchen sinkt. Zusammen mit der oben beschriebenen Annäherung von Katholiken und Protestanten, birgt dieser Trend das Risiko einer Polarisierung zwischen ‚Gläubigen‘ und ‚Ungläubigen‘ in sich und sollte deshalb in Zukunft genau beobachtet werden.[27] Insbesondere dem Wahlverhalten der nichtreligiösen Wähler sollte daher in Zukunft mehr Beachtung geschenkt werden.

Drittens schließlich wird diese Polarisierung durch das in Folge der Wiedervereinigung veränderte zahlenmäßige Verhältnis der konfessionell gebundenen und nicht gebundenen Wähler verstärkt. Die religiöse Spannungslinie steht damit in Zukunft in einem engen Zusammenhang mit dem bedeutsamsten regionalen Gegensatz in der Bundesrepublik. Sollte dieser Gegensatz stärker als bisher im Wahlverhalten der Bürger zum Ausdruck kommen, könnte dies auch zu einer Stärkung der religiösen Konfliktlinie führen (und vice versa).

Ein baldiges Verschwinden der religiösen Spannungslinie innerhalb der Wählerschaft der Bundesrepublik ist demnach nicht in Sicht. Auch wenn der religiöse Cleavage zwischenzeitlich an Bedeutung verlieren sollte, verweisen die angeführten Trends auf eine jederzeit mögliche Aktualisierung und Verstärkung einer Spannungslinie, die zwischen Christen und Nichtchristen verläuft.

Literaturverzeichnis

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Aus: Politische Vierteljahresschrift, 37. Jg. (1996), Heft 4, S. 713-734

© Westdeutscher Verlag

Anmerkungen

*  Für Anregungen und Kommentare danke ich Michael Terwey und einem anonymen Gutachter. Ein Teil dieser Arbeit geht zurück auf meinen Beitrag: »Konfessionelle oder religiöse Spannungslinie?‘ für die Tagung: Religiöse Prägungen der Politik, Zürich, 5. Oktober 1994.
1  Unter Spannungs- oder Konfliktlinien - diese Begriffe werden im folgenden synonym verwendet - seien „dauerhafte Konfliktpotentiale…, die in sozialstrukturellen Gruppierungen einet Gesellschaft verankert sind und wegen ihrer Politisierung bei Wahlen und Ab­stimmungen ihren Ausdruck finden“ (Pappi 1983: 185), verstanden.
2 Für neuere Studien, die zu einem ähnlichen Schluß kommen, vergleiche Lukatis und Lukatis (1985,1989).
3  Für diese hier nur kurz skizzierten Entwicklungen siehe ausführlich Schmitt (1989: 71-92).
4  Eine neuere Analyse der Wahlergebnisse bis 1990 kommt zum selben Ergebnis (Metje 1994: 136).
5  Nach einer detaillierten Analyse verschiedener Einstellungsbereiche, in der allerdings die Parteineigung nicht untersucht wurde, kommen Lukatis und Lukatis (1989: 67) zu dem Schluß: „Von trennscharf abgrenzbaren konfessionellen Subkulturen kann … jedenfalls im Blick auf die hier erfaßten Wertmuster nicht gesprochen werden.“
6  Auf eine weitere interessante Differenzierung, die Schmitt einführt, indem er auf Seiten der Protestanten zwischen Lutheranern einerseits und Unierten bzw. Reformierten andererseits unterscheidet, kann hier nur verwiesen werden (vgl. Schmitt 1985: 301f.)
7  Ähnlich auch Mielke (1991: 145): „Die Öffnung der Union zum protestantischen Bereich ergänzte den traditionellen Konfessionsgegensatz in der Wählerschaft durch den eher als religiösen Konflikt zu begreifenden Gegensatz zwischen den gläubigen und kirchlich gebundenen Christen beider Konfessionen einerseits und eher säkularisierten und kirchenfernen Wählern andererseits. Die Kirchenbindung wurde als zusätzlich wirksamer Bestimmungsfaktor des Wahlverhaltens auf den Konfessionsgegensatz aufmoduliert.“
8  Die Längsschnittanalysen von Jagodzinski und Dobbelaere (1993) bestätigen Schmitts Vermutung, daß es sich hier im wesentlichen um einen Generationeneffekt handelt.
9  LER: Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde. Vgl. zu diesem Thema die Dokumentation der Auseinandersetzung zwischen dem Bischof der evangelischen Landeskirche von Brandenburg Wolfgang Huber und der Bildungsministerin Angelika Peter (SPD) in der Frankfurter Rundschau vom 26.01.96 und 15.02.96. Eine erste fachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Kruzifix-Urteil findet sich bei Massing (1995).
10 Eine ausführliche Beschreibung des empirischen Materials erfolgt weiter unten. Für die Bereitstellung des Allbus sei dem Zentralarchiv für empirische Sozialforschung in Köln gedankt (Allbus 1982 = ZA-Nr. 1160; Allbus 1992 = ZA-Nr. 2140). Weder das Zentralarchiv noch die Antragsteller der Allbus-Untersuchungen sind für die hier berichteten Analysen verantwortlich.
11 Alle anderen Befragten wurden nicht in die Analysen einbezogen.
12 Im Allbus 1982 wurden lediglich die Angehörigen christlicher Religionsgemeinschaften nach ihrer Kirchgangshäufigkeit gefragt, nicht jedoch Konfessionslose. Für diese Gruppe wurde hier eine Ersetzung des fehlenden Wertes durch den Wert ,nie‘ (1) vorgenommen, da es sich 1992 um die modale Kategorie dieser Gruppe handelt.
13 Für 1982 muß allerdings auf den ,männerzentrierten‘ Einordnungsberuf nach Pappi zurückgegriffen werden, da der nach Terwey gebildete Einordnungsberuf, bei dem Frauen, wo es möglich ist, die eigene berufliche Stellung zugeordnet wird, in dieser Studie nicht vorliegt.
14 In der ostdeutschen Stichprobe besteht die Kategorie der Landwirte nahezu ausschließlich aus Genossenschaftsbauern.
15  Für Ostdeutschland wurde der höchste Schulabschluß entsprechend zusammengefaßt in: höchstens 8. und 9. Klasse Polytechnische Oberschule (POS), 10. Klasse POS, Fachabitur bzw. 12. Klasse Erweitere Oberschule sowie (Fach-)Hochschulabschluß.
16 Das politische Interesse wurde 1982 bei einem Teil der Befragten auf einer fünfstufigen Antwortskala, bei einem anderen Teil auf einer zehnstufigen Antwortskala erhoben;   beide Skalen waren darüber hinaus unterschiedlich gepolt. Für die hier vorgelegten Analysen wurden die Antworten auf der zehnstufigen Antwortskala zu fünf Gruppen rekodiert und mit den anderen Angaben zusammengefaßt. 1992 wurde die Stärke des politischen Interesses lediglich mit Hilfe der fünfstufigen Antwortskala erhoben.
17 Für die Gemeindegrößenklasse läßt sich in den hier durchgeführten Analysen kein Einfluß auf die Wahlabsicht nachweisen. Dieses Merkmal bleibt daher im folgenden - wie schon bei Kühnel und Terwey - unberücksichtigt.
18 
19 Die Berechnungen dieser Modelle erfolgten mit dem von Kühnel (1995) geschriebenen SPSS-Makro MLOGIT, für dessen Bereitstellung Steffen Kühnel herzlich gedankt sei
20 Lies A I B als: Der Einfluß von A bei Kontrolle von B.
21 Bei diesen Merkmalen handelt es sich um: Alter, Geschlecht, Klasse, Bildung, DGB-Mitgliedschaft, Links-Rechts-Selbsteinstufung, Inglehart-Index, politisches Interesse. Zur Operationalisierung dieser Merkmale vgl. weiter oben Abschnitt 4.1.
22 Auf Anregung eines anonymen Gutachters wurde geprüft, ob sich ein Interaktionseffekt zwischen Konfession und Religiosität auf die Wahlentscheidung nachweisen läßt. Ein derartiger Effekt scheint nach den bisher durchgeführten Analysen ausgeschlossen. Katholiken und Protestanten mit derselben Kirchgangshäufigkeit, derselben religiösen Selbsteinschätzung usw. unterscheiden sich nicht in ihrem Wahlverhalten. Auch dieses Resultat verweist auf die Bedeutung der Religiosität.
23 Dieser Zeitpunkt wird herangezogen, weil der Allbus 1982 in vielen Punkten mit dem von 1992 vergleichbar ist. So findet sich beispielsweise die Einschätzung der subjektiven Religiosität in den Allbus-Studien der 1980er Jahre nur hier.
24 Dies gilt wohl auch für andere ‚sozio-demographische’ Hintergrundmerkmale (vgl. nur Schnell/Kohler 1995; theoretisch schon Esser 1979).
25 Dieser Angleichung auf der Ebene der einzelnen Gläubigen entsprechen die ökumenischen Bemühungen auf der institutionellen Ebene der Kirchen. Ein Beispiel ist die Diskussion um die Intensivierung und Institutionalisierung der Zusammenarbeit von evangelischer und katholischer Kirche im schulischen Religionsunterricht (vgl. entsprechenden Bericht im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt vom 9. September 1994, S. 16; vgl. auch EKD 1994b).
26 Neuere Instrumente zur Messung christlicher Religiosität finden sich z.B. in Grabner und Pollack (1992), Kecskes und Wolf (1995) sowie in Moosbrugger u.a. (1996).
27 Einige Anzeichen für eine entsprechende Polarisierung finden sich beispielsweise im Bereich der religiösen Sozialisation und der Verkehrskreise (Wolf 1995).