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Konfessionsfreie in Norwegen

Zählt man die organisierten Säkularen, so sind es rund drei Prozent der Bevölkerung. Religiös-weltanschaulich nicht organisiert („Konfessionsfrei“) sind 24 Prozent der Bevölkerung. Demnach sind 73 Prozent der Bevölkerung religiös organisiert. Allerdings ist für 65 Prozent der Bevölkerung die Bedeutung der Religion im Leben nicht sehr oder überhaupt nicht wichtig und der Anteil der ev. Kirchenmitglieder ist von 83 Prozent (2006) auf 63 Prozent (2024) gesunken. Religiöse Traditionen in einem säkularen Land.

1. Konfessionszugehörigkeiten
2. Datenbasis
3. Innerkirchliche Entwicklungen
4. Religion in der Gesellschaft
5. Humanisten und Konfessionsfreie
6. Finanzierungen

1. Konfessionszugehörigkeiten

Die Religionslandschaft in Norwegen verändert sich wie in anderen Ländern Westeuropas: Die traditionell dominierende Ev.-Luth. Kirche (“Volkskirche“) verliert an Mitgliedern und Anteilen (2006: 83,4 Prozent, 2024: 62,6 Prozent), die zugwanderten kleineren Religionsgemeinschaften werden größer (6,6 auf 11,1 Prozent), die organisierten Säkularen werden ebenso zahlreicher (von 1,7 auf 2,5 Prozent) wie die Konfessionsfreien (von 8,3 auf 23,7 Prozent). Den größten Zuwachs haben die konfessionsfreien, d. h. nicht-religiös-weltanschaulich Organisierten. (Vgl. Tabellen 1)


2. Datenbasis

Das „Statistische Zentralbüro Norwegen“ erhebt selber keinerlei Daten zu den Religionszugehörigkeiten. Die Daten zu den Mitgliedern der evangelischen „Kirche von Norwegen“ (bis 2012 Staatskirche) werden von den kirchlichen Zählungen übernommen, so z.B. für 2022. Weitere Daten zu religiös/weltanschaulichen Organisationen (neben der Kirche) werden vom Community-Büro (Gouverneur für die Gemeinden) der Regierung übernommen. Hinsichtlich der Frage: „Wie viele Menschen gehören anderen religiösen und lebensbezogenen Gemeinschaften als der Kirche von Norwegen an?“ gibt es keine Angaben zu den Konfessionsfreien. Genannt wird nur eine „Philosophische Gemeinschaft“ außerhalb der Staatskirche, womit die Humanisten des „Human-Etisk Forbund“ gemeint sind. Die Anzahl der Konfessionsfreien („Non Affiliated“ = Nicht Verbundenen) ist damit eine Berechnung aus den Angaben zur Bevölkerung in Norwegen minus die Mitglieder in der Kirche von Norwegen (z. B. 2015 – 2023), minus die Mitglieder in Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften – außerhalb der Kirche von Norwegen (2006 – 2024) - ergibt die Anzahl / Anteil der Nicht-Organisierten („not affiliated“) in Norwegen.

Die weiteren Daten für die Themen der innerkirchlichen Fragen und „Religion in der Gesellschaft“ stammen aus den Daten der European / World Values Studies (2017-2021).

3. Innerkirchliche Entwicklungen

Obwohl die Mehrheit der Einwohner formal immer noch der norwegischen ‚Volkskirche‘ angehört, gehen die wenigsten regelmäßig zum Gottesdienst und die Zahlen des kirchlichen Lebens verringern sich kontinuierlich. (Tabelle 2)

Der regelmäßige Gottesdienstbesuch (= mindestens einmal im Monat), als Indikator für die Wichtigkeit des kirchlichen Gemeindelebens für die Gesellschaft, beläuft sich in Norwegen auf 11 Prozent der Bevölkerung. Das ist im Vergleich zu Deutschland (20 Prozent) nur die Hälfte, bzw. ein Drittel des Durchschnitts in 79 Staaten mit 34 Prozent. (Tabelle 3)

Die Kirchenaustritte belaufen sich auf einen durchschnittlichen Anteil von 0,4 Prozent der Kirchenmitglieder. (Tabelle 4) Der höhere Anteil im Jahr 2016 beruht darauf, dass die Möglichkeit einer elektronischen Abmeldung im Internet installiert worden war.


4. Religion in der Gesellschaft

Die Anteile der kirchlich Getauften an den Lebendgeborenen verringert sich von 76 Prozent (2005) auf 45 Prozent (2020). Das heißt, die Anzahl der Geborenen geht um 7 Prozent zurück, die der Täuflinge um 45 Prozent. (Tabelle 5)

Der Rückgang der Zugehörigkeiten zu einer Religionsgemeinschaft zeigt sich ebenfalls - in allen Altersgruppen. Von 2011 – 2020 reduziert sich der Anteil der Religionszugehörigen bei den 16-24-Jährigen von 47 auf 40 Prozent, bei den 67-Jahre und-älteren von 72 auf 59 Prozent. (Tabelle 6)

Dem entspricht, dass (2018) zwei Drittel (65 Prozent) der Norwegerinnen und Norweger bekunden, dass Religion „nicht sehr wichtig“ (46 Prozent) bzw. (19 Prozent) „überhaupt nicht wichtig“ sei. (Tabelle 7)

Wenn Religion nicht mehr wichtig ist, dann braucht es auch keine kirchlichen Trauungen. 2004 sinkt der Anteil der kirchlichen Heiraten an den Eheschließungen unter 50 Prozent und 2018 übersteigt der Anteil der zivilen Trauungen den Anteil der kirchlichen Trauungen. (Tabelle 8)

Und auf die Frage, wie wichtig Gott in ihrem Leben sei, antworten 38 Prozent der Norwegerinnen und Norweger „Überhaupt nicht wichtig“ und Dreiviertel (73 Prozent) antworten in Abstufungen „nicht wichtig“.  (Tabelle 9)

Betrachtet man die Wichtigkeit einer Gottesidee als Indikator für die Religiosität einer Gesellschaft, so verdeutlicht der Vergleich von Norwegen mit Deutschland und dem Gesamtergebnis in den 79 Staaten der European-/World Value Studies, in denen diese Frage gestellt wurde, dass die Norweger deutlich weniger religiös sind, als die Menschen in Deutschland, und beide Länder in starken Kontrast zu den Verteilungen in den 79 Staaten stehen. (Tabelle 9)

Diese Daten fasst der Reiseführer Evanos zusammen: „Eines ist sicher: Sie werden sicher keine Reise nach Norwegen machen, wenn Sie eine Pilgerreise machen wollen. Das Land wird als eines der am wenigsten religiösen Länder der Welt betrachtet.“

In der Traditionspflege hat der Humanist-Etisk Forbund keinerlei Probleme damit, seine ‚Jugenweihe/Jugendfeier‘ traditionell „Konfirmation“ zu nennen. Dabei wird u. a. (auf Deutsch) gesungen: „Die Gedanken sind frei“.

5. Humanisten und Konfessionsfreie

In den unterschiedlichen Anteilen der Konfessionsfreien zeigt sich, dass die Organisierten (Humanisten) und die individuellen, nicht-Verbundenen (Konfessionsfreien), häufig in einer Gruppe zusammengefasst werden.

Das zeigt sich auch für die Periode 2006-2015 in den Arbeiten von Antonius Liedhegener, Anastas Odermatt: Religious Affiliation in Europe. The „Swiss Metadatabase of Religious Affiliation in Europe (SMRE) für Norwegen. Dort werden 17,6 Prozent mit „keine Religionszugehörigkeit“ genannt.

In diesem Zeitraum (Mitte 2010) befindet sich Norwegen unter 15 Staaten unterdurchschnittlich am Ende der Auflistung.

Dann folgte das Land einem breiteren westeuropäischen Trend, bei dem die Zahl der Menschen ohne religiöse Zugehörigkeit zunimmt: 2019 ist Norwegen Spitzenreiter der Top 4 der Länder mit dem größten Zuwachs an Konfessionsfreien seit 1990, zusammen mit Spanien, Schweden und Frankreich. (Tabelle 10)

Dabei zeigt sich wieder der Unterschied, dass die Zahl / die Anteile der Konfessionsfreien schneller ansteigen als die Zahl der sich Organisierenden.

Die Zahl der individuellen Konfessionsfreien steigt von 386.000 (im Jahr 2006) auf 1.320.000 (im Jahr 2024), das ist das 3,4 fache.

Statista hat aufgrund der Daten von 2010 eine Projektion bis 2050 publiziert und nennt für 2050 die Zahl von 850.000 „religiös ungebundenen“. Laut Auszählung sind es 2024 bereits 1,3 Millionen.

Ebenfalls ansteigend, um das 2,2 fache im gleichen Zeitraum, ist die Mitgliederzahl der Humanisten, die von 70.000 auf 150.000 steigt. (Tabelle 11)

Bemerkenswert ist der Anstieg in den Jahren 2022-2024 um rund 50 Prozent. Damit hat der Human-Etisk Forbund seine Position als größter Humanistischer Verband der Welt weiter ausgebaut.

Um die Größenordnungen zu verdeutlichen, müsste der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) – bezogen auf den Anteil an der Bevölkerung wie in Norwegen - 2,3 Mio. Mitglieder haben.

Diese Entwicklungen wurden auch vom Human-Etisk Forbund (HEF) mit vorangebracht. Bespiele:

 - 2007 klagte der EHF gegen den Unterricht zu Religion und Philosophie an den Schulen Norwegens, der zu konfessionell ausgerichtet sei und bekam vor dem Europäischen Gerichtshof Recht.

- Seit dem 21. Mai 2012 ist die evangelisch-lutherische Religion nicht mehr Staatsreligion in Norwegen, und der norwegische König ist nicht mehr das Oberhaupt der Kirche. „Das norwegische Parlament (‚Storting‘) hat am 21. Mai fast einstimmig (161 Jastimmen bei nur drei Neinstimmen) die Verfassung des Landes entsprechend verändert. § 2 der Verfassung nennt nicht mehr das evangelisch-lutherische Bekenntnis ‚öffentliches Bekenntnis des Staates‘, sondern spricht vom ‚christlichen und humanistischen Erbe‘ als bleibender Wertgrundlage: „Dieses Grundgesetz wird Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte sichern“. In § 16 heißt es: „Alle Einwohner des Reiches genießen freie Religionsausübung. Die Kirche von Norwegen, eine evangelisch-lutherische Kirche, bleibt die Kirche des norwegischen Volkes“. Die Kirche wird sich in Zukunft selbst verwalten und ihre Bischöfe und Pröpste selber ernennen (die norwegische Kirche ist in elf Bistümer unterteilt). Bestehen bleibt allerdings die Vorschrift, dass der norwegische König der lutherischen Kirche angehören muss (§4 der Verfassung).“ (Quelle: Herder)

- Im Februar 2017 wurde ein christliches Monopol beendet und der Humanistische Verband erhielt Zugang zur Militärseelsorge: Die „Feldhumanistin“ (Militärseelsorgerin) Ida Helene Henriksen wurde militärisch „in Galauniform“ in ihr Amt aufgenommen.

- Im Dezember 2022 erhielt die Humanistin und Freidenkerin Shabana Rehman Gaarder von der Regierung Norwegens ein humanistisches Staatsbegräbnis.

6. Finanzierungen

In Norwegen gibt es keine Kirchensteuer als Zuschlag zur Lohn- und Einkommenssteuer. Die Volkskirche wird durch den Staatshaushalt und die kommunalen Haushalte finanziert. Alle anderen Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften erhalten einen Zuschuss, der dem entspricht, was die Volkskirche pro Mitglied vom Staat erhält. Das hat eine Ähnlichkeit zu den Regelungen im Freistaat Bayern, bei dem religiös-weltanschauliche Körperschaften des öffentlichen Rechts staatliche Zuschüsse beantragen und bekommen können (Vgl. „Staatszuschüsse in Bayern“, 2001-2022). 2022 waren des pro Kopf rd. 8 Euro. Ähnlich ist es in Island (Vgl. „Bekennende und Nichtreligiöse in Island“), wo allerdings diese „Gemeindebeträge“ von jedem Steuerpflichtigen einbehalten werden. 2022 belief sich dieser pauschale Gemeindebetrag auf 14.304 Kronen, das sind 95 Euro.

Nach Angaben des Bonifatiuswerks sind es in Norwegen 100 Euro pro Mitglied der Organisation. Das heißt beispielsweise, dass die organisierten Humanisten des Human-Etisk Forbunds 2024 für ihre 150.000 Mitglieder 15 Mio. Euro vom Staat erhalten.

Das Bonifatiuswerk erläutert, dass diese Art der Finanzierung für die römisch-katholische Kirche nachteilig sei, da die Zuwanderer sich nicht registrieren würden.

„Nachdem die evangelisch-lutherische Kirche keine Staatskirche mehr ist, bestehen Unklarheiten darüber, wie die anderen Kirchen nun gleichgestellt werden können und wie die Registrierung der Katholiken durch den Staat gewährleistet werden kann. Die Hürde jener Kirchen und Gemeinschaften, die aus vielen Flüchtlingen und Einwanderern bestehen, ist besonders groß, weil keiner der Neuangekommenen weiß, dass er sich ins eintragen sollte. So bleibt ca. ein Drittel Katholiken unregistriert und die staatliche ökonomische Unterstützung von 100 Euro pro Mitglied pro Jahr entfällt. Die Zuwanderung in Norwegen hat ein erhebliches Ausmaß erreicht. Die Kirchenbesucherzahl stieg in den letzten Jahren um 70% an. Doch die Zahl der registrierten Mitglieder blieb nahezu gleich.“

Wie dem abgeholfen wurde, berichtet die Schweizer Luzerner Zeitung (2019) „Norwegische Kirche erfindet Mitglieder – und muss nun viel Geld zahlen“.

„Die katholische Kirche von Norwegen hat Bürger mit südländischen und polnischen Namen ohne deren Wissen als Mitglieder angemeldet, darunter auch Atheisten. Sie muss dem Staat nun 4,6 Millionen Franken zurückzahlen. […] Mitarbeiter durchsuchten das norwegische Telefonbuch nach spanisch oder polnisch klingenden Namen, da in diesen Ländern der Anteil Katholiken hoch ist. Darauf suchten sie Daten wie Adresse und Sozialversicherungsnummer der betreffenden Personen und registrierten sie kurzum als Mitglieder der katholischen Kirche. […] Zunächst merkten viele der neuen Katholiken nichts davon, doch über die Jahre tauchten mehr und mehr merkwürdige Fälle auf. Alarm schlug schliesslich unter anderem ein Vorstandsmitglied des nichtreligiösen Human-Ethischen Verbandes Norwegens. Agnieszka Bryn stellte zu ihrem Entsetzen fest, dass sie ungefragt Katholikin geworden war, und dass das Bistum ihre Personendaten fein säuberlich verwaltete; auch ein Umzug wurde registriert.“

Auch die Zeugen Jehovas mussten erleben, dass eine Registrierung als Religionsgemeinschaft und erhaltene Zuschüsse keine Sicherheiten darstellen. Die norwegische Regierung hat den Zeugen Jehovas 2022 die Fördergelder für 2021 (rund 1,5 Mio. Euro) und ebenfalls die Registrierung als Religionsgemeinschaft wegen Verstoßes gegen Menschenrechte aberkannt. (Quelle: JZ help)

„Die norwegische Regierung hat 2022 festgestellt, dass die Zeugen Jehovas als Religionsgemeinschaft das Recht ihrer Mitglieder auf freie Meinungsäußerung verletzt und damit auch gegen das Recht auf Religionsfreiheit verstößt, was als besonders schwerwiegend bewertet wird. Gleiches gilt für die negative soziale Kontrolle von Kindern, was gegen den Menschenrechtsschutz von Kindern nach der Konvention über die Rechte des Kindes verstösst. Die Praxis wird von der Religionsgemeinschaft systematisch verfolgt und den Mitgliedern über verschiedene Kanäle mitgeteilt. Damit werden die Verstöße offenbar vorsätzlich begangen. Deshalb verlieren die Zeugen Jehovas in Norwegen für 2021 zunächst staatliche Fördergelder und danach auch noch die Registrierung als Religionsgemeinschaft.“

Die Zeugen Jehovas haben dagegen geklagt und das Bezirksgericht Oslo hat dem Staat Recht gegeben (Das Urteil). Allerdings trifft dass die Glaubensgemeinschaft in Norwegen finanziell nicht im Kern, da die Einnahmen aus Spenden sich 2023 auf 118 Millionen NOK, das sind 10.302.887 Euro, belaufen haben.

Carsten Frerk.

Tabellen

(Im Anhang befinden sich die Tabellen in einer auslesbaren excel-Datei)