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Bekennende und Nichtreligiöse in Island

Die Religionslandschaft in der Republik Island hat in einigen Aspekten Ähnlichkeiten mit der Situation in Deutschland. Es gibt eine Staatskirche (mit besonderen Unterstützungen), diverse evangelische Freikirchen, eine kleine Anzahl organisierter Humanisten und eine größere Anzahl von Konfessionsfreien. Ein allgemeines staatlich festgesetztes und erhobenes Gemeindeentgelt ab 16 Jahren pro Kopf trägt ein Übriges bei für Diskussionen.

Vorbemerkung
1. Formale Zugehörigkeiten / Übersichten
    Exkurs 1: Demografische Daten
    Exkurs 2: Gleichberechtigung
2. Formale Zugehörigkeiten / Organisationen
    2.1. Isländisch Ethisch-Humanistische Vereinigung (IEHA)
    2.2. Konfessionsfreie
    2.3. Evangelische Staatskirche
    2.4. Andere und Antwortverweigerer
3. Religiöse Inhalte
4. Staatliches Gemeindeentgelt
5. Diversität / Pluralismus / Migration
6. Zusammenfassung

Vorbemerkung

Island stand seit 1380 unter dänischer Oberhoheit, wurde 1904 autonom, ist seit 1918 souverän und wurde im Juli 1944 Republik. Mit rund 388.000 Einwohnern (2023) hat es weniger Einwohner als die deutsche Stadt Bremen (566.000 Einwohner) und ist einer der am dünnsten besiedelten Staaten der Welt. 94 Prozent der Bevölkerung leben in den 17 Städten, rund 60 Prozent in der Hauptstadtregion Reykjavik. Hinsichtlich von Lebensstandard und Pro-Kopf-Einkommen gilt Island als einer der führenden Staaten der Welt.

1. Formale Zugehörigkeiten / Übersichten

In der Auswertung des Statistikamtes von Island zu den Religionszugehörigkeiten: “Populations by religious and life stance organizations 1998-2023” gibt es derzeit 53 registrierte Religionsgesellschaften. Im nationalen Melderegister sind für alle Bürger die Zugehörigkeiten, d. h. Registrierungen für eine Organisation eingetragen und werden jeweils am 1. Dezember des Jahres abgefragt. Es ist allerdings ohne Probleme möglich, diese persönliche Registrierung jederzeit selber elektronisch zu ändern.

Unter dem Aspekt der Übersichtlichkeit erscheint es sinnvoll, drei Gruppen zu bilden:

1. Die Religiösen - das sind diejenigen Mitglieder von Religionsgemeinschaften, die sich um eine Registrierung bemüht haben und staatlich anerkannt wurden;
2. die staatlich nicht anerkannten/registrierten Religionsgemeinschaften, die zusammen mit allen denen, die keine Angabe zur Religionszugehörigkeit machen und die von der Statistik in einer Gruppe zusammengefasst werden. Der Anteil der Religionszughörigen dürfte jedoch gering sein, da das Gemeinsame an dieser Gruppe ist, dass allen Personen zwar das Gemeindeentgelt abgezogen wird (dazu später mehr unter Pkt. 4. „Staatliches Gemeindeentgelt“) es aber nicht weiter verteilt wird, sondern beim Staat verbleibt;
3. die Nichtreligiösen. Diese Gruppe setzt sich aus denen zusammen, die eine klare Position zu Religion äußern. Das sind zum einen die Isländerinnen und Isländer, die die Frage nach der Religion klar damit beantworten, dass sie keiner Religionsgemeinschaft angehören, sowie die organisierten Humanisten Islands.

Es gibt zwar noch zwei weitere nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaften, die DiaMat (Dialektische Materialisten) mit (2023) 192 Mitgliedern und die Vitund („Spirituelles Bewusstsein“) mit drei Mitgliedern, aber sie spielen aufgrund ihrer geringen Mitgliederzahl keine bemerkenswerte Rolle.

Diese drei Gruppen kann man aber auch anders zuordnen, da zu den Bekennenden einerseits die organisierten Humanisten gehören, die sich andererseits als nichtreligiös verstehen. Diese Unterscheidung läuft in Island entlang der Frage der staatlichen Finanzierungen von religiös-weltanschaulichen Organisationen. „Konfessionsfrei“ heißt (im deutschen Sprachgebrauch), dass man nicht Mitglied einer religiösen (= konfessionellen) Gemeinschaft ist. Fasst man Konfession jedoch konzeptionell weiter und versteht darunter alle, die sich zu einer Religion/Weltanschauung bekennen, indem sie sich in einer solchen Gemeinschaft organisieren, so wären die Humanisten eine nichtreligiöse Konfession. Aus staatlicher Sicht ist das nicht verwirrend, da auch die Gleichstellung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften (in Deutschland: Grundgesetz Art. 4 sowie Art. 140 i.V. mit Art. 137, Absatz 7 WRV) nur für Organisationen gilt. „Konfessionsfreie“ Individuen bilden als solche keine verfasste weltanschauliche Gemeinschaft. Der Staat agiert (als „Verbändedemokratie“) mit verfassten Organisationen, nicht mit einzelnen Individuen.

Dargestellt sind für Island die Jahre 1998 bis 2023, das sind 26 Jahre oder anders gesagt, der Zeitraum etwa einer ‚Generation‘.

Innerhalb der Religiösen ist die Evangelisch-Lutherische von Island die absolut größte, dominierende Religionsgesellschaft, die den offiziellen, verfassungsgemäßen Status einer Staatskirche besitzt. Die absoluten Mitgliederzahlen der Staatskirche haben sich zwar nur gering verringert (von 1998: 245.000 auf 2023: 227.000), allerdings hat sich die Bezugsgröße der Einwohnerzahl im gleichen Zeitraum um 115.000 Personen erhöht, d. h. um 42 Prozent, was der evangelischen Staatskirche aber nicht zugutekam.

Im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl vor allem derjenigen, die keine spezifizierte Angaben zur Religion äußern, von 3.500 auf 73.000 vergrößert. Ebenso hat sich kleine Anzahl der Nichtreligiösen von 5.600 auf 35.000 Personen erhöht. Das beachtlichste Phänomen ist dabei die zweite Gruppe derjenigen, die keine Aussage zu einer offiziell registrierten Religion oder Weltanschauung äußern, und die sich weitaus überdurchschnittlich vergrößert hat. Eine Entwicklung, die sich auch in Polen und in Ungarn zeigt.

Der Anteil der Mitglieder der Staatskirche hat sich seit 1998 (89,9 Prozent) verringert und beläuft sich 2023 auf 58,6 Prozent. Diese Entwicklung ist kontinuierlich verlaufen, d. h. die Anteile haben sich stetig, Jahr um Jahr, verringert. Damit beeinflussen sie auch maßgeblich das Absinken des Anteils der Religiösen insgesamt in Island, der sich von 97 Prozent (1998) auf 72 Prozent (2023) verringert.

In einer Generation (1998-2023) hat die Staatskirche von ihrem Anteil an der Bevölkerung 31,3 Prozentpunkte verloren (von 89,9 auf 58,6 Prozent), alle Religiösen haben in diesem Zeitraum etwas weniger, 24,5 Prozentpunkte, verloren. Sofern sich die Entwicklung so fortsetzt wie in den vergangenen fünf Jahren (Verlust von durchschnittlich 1,7 Prozentpunkten pro Jahr), wird der Anteil der Mitglieder der Staatskirche an der Bevölkerung in rund sechs Jahren (2029) weniger als die Hälfte betragen.

Die einzige der kleineren Religionsgesellschaften, die sich deutlich vergrößern konnte, sind die römischen Katholiken, die um 2,7 Prozentpunkte von 1,2 auf 3,8 Prozent angestiegen sind. Sie konnten, auf niedrigem Niveau, ihre Mitgliederzahl verdreifachen. Alle anderen Religionsgemeinschaften veränderten ihre Anteile nur geringfügig, meist positiv.

Mit Abstand die zweitgrößte Gruppierung sind die „Anderen und Nicht-Spezifizierten“, d. h. die Mitglieder von nicht registrierten Glaubensgemeinschaften sowie diejenigen, die die Religionsfrage gar nicht beantworten. Das sind mittlerweile rund ein Fünftel der Bevölkerung (18,7 Prozent).

Danach folgen als drittgrößte Gruppe die Nichtreligiösen, deren Anteil sich langsam aber stetig vergrößert und 2023 bei insgesamt 9,1 Prozent liegt.

Eine Besonderheit der Religionsfacetten in Island ist nicht nur die Anwesenheit von Gemeinschaften aller Weltreligionen (Christen, Muslime, Buddhisten, etc.) – und seien es nur wenige hundert oder noch weniger Mitglieder – sondern die, nach der Staatskirche und den evangelischen Freikirchen, an Mitgliedern größte Organisation der „Glaube an die Germanengötter“ der „Ásatrú-Glaubensgemeinschaft“, mit stetigem Zuwachs. 1973 staatlich anerkannt, hat sie (2023) 5.770 Mitglieder. Zu einer weiteren besonderen Gemeinschaft, dem Zuismus, Weiteres in Abschnitt 4 (Staatliches Gemeindeentgelt) dieses Textes.

Exkurs 1: Demografische Daten

Für die Veränderungen in den Mitgliederzahlen sind auch demografischen Daten (Datenquelle) und Entwicklungen als Einflussgrößen zu berücksichtigen, die zumindest in aller Kürze benannt sein sollen: Erstens die Anteile der Frauen und Männer und der Altersgruppen.

Die Anteile der Frauen und Männer haben sich nur geringfügig verändert. Es gab und gibt stets in der Bevölkerung etwas mehr Männer als Frauen. Hingegen hat sich der Anteil der Kinder und Jugendlichen (0-17 Jahre) bis 2023 deutlich verringert (minus 7 Prozentpunkte).

Zweitens: Anzahl der Geburten / Verstorbenen sowie Daten zur Migration.

Der Anstieg in der Bevölkerungszahl beruht zu etwa gleichen Teilen auf dem Geburtenüberschuss (Saldo: 58.372 = 50,8 Prozent) sowie der Zuwanderung (Saldo: 56.612 = 49,2 Prozent).

Kinder und Jugendliche: In den Mitgliedschaften in Organisationen hat die lutherische Staatskirche 2023 gegenüber 1998 rund 21.000 weniger Mitglieder aus dieser Altersgruppe, während alle anderen dargestellten Organisationen mehr Mitglieder aus dieser Altersgruppe haben.

Anteilig folgt diese Altersgruppe dem allgemeinen Trend, d. h. Mitglieder der Staatskirche sind 58,7 Prozent, was den 58,6 Prozent der Bevölkerung entspricht. Bei den ‚Antwortverweigerern‘ ist der Anteil etwas höher (22,0 vs. 20,5), bei den Humanisten (0,7 vs. 1,4) und den ausdrücklich Nicht-organisierten Konfessionsfreien (5,4 vs. 7,7) etwas geringer.

Frauen: Auch bei den Isländerinnen zeigen sich vergleichbare Entwicklungen. Obwohl die Anzahl der Frauen in Island um 52.000 ansteigt, hat die Staatskirche 2023 gegenüber 1998 rund 7.400 weniger weibliche Mitglieder.

Anteilig ist es ein ähnlicher Rückgang, der jedoch über dem Bevölkerungsdurchschnitt bleibt (61,2 vs. 58,6 Prozent). Der Anteil der Frauen unter den ‚Antwortverweigerern‘ ist geringer als insgesamt (16,6 vs. 20,5 Prozent), bei den Humanisten gleichauf (1,5 vs. 1,4 Prozent), bei den erklärt nicht religiös-weltanschaulich Organisierten nur etwas geringer (7,0 vs. 7,7 Prozent).

Diese Verteilungen verweisen darauf, dass die religiös-weltanschaulichen Unterschiede zwischen Frauen und Männern in Island weniger ausgeprägt sind, als in anderen Ländern, in denen der Frauenanteil unter den Mitgliedern von Religionsgesellschaften höher ist.

Exkurs 2: Gleichberechtigung

Island gilt als „das Land der Gleichberechtigung“, was heißt, dass es in den Indikatoren dafür Spitzenplätze einnimmt, was auch durch den Streik im Oktober 2023 für mehr Lohngerechtigkeit bestätigt wird. Im „Global Gender Gap Report“ hält Island seit 2009 den Rangplatz 1 für die vergleichsweise geringste Diskriminierung von Frauen. Eine der Grundlagen dafür ist das isländische „Gesetz über Gleichstellung und Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ (2008). Im Bereich Bildung bewirkt es, dass Kinder zum Thema Gleichberechtigung von ihrer Vorschulzeit bis zum Universitätsabschluss lernen. „Es wird als Querschnittsaufgabe aufgefasst und ist per Gesetz in den Lehrplänen der Schulen vorgeschrieben. Mädchen werden aktiv gefördert.“ Es gibt eine eigenes „Ministerium für Gleichberechtigung“. Das hat unter anderem zur Konsequenz, dass die Frauen sich einen weitaus überdurchschnittlichen Anteil an akademischen Abschlüssen erarbeiten: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben (2022) 61 Prozent der 30-34-jährigen Frauen einen Hochschulabschluss (in Deutschland sind es 41 Prozent, in der EU 48 Prozent). Von den Männern in dieser Altersgruppe der 30-34-Jährigen sind es nur 33 Prozent.

2. Formale Zugehörigkeiten / Organisationen

Die Angaben zu den formalen Mitgliedschaften zu Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften beruhen auf dem Melderegister, in das für jeden Isländer ab Geburt/Einbürgerung die Mitgliedschaft eingetragen wird, die jeweils am 1. Dezember ausgezählt werden.

2.1. Isländisch Ethisch-Humanistische Vereinigung (IEHA)

Die IEHA wurde 1990 gegründet. Die Organisation wurde Siðmennt genannt, was sich von den isländischen Wörtern „sið-“ ableitet, was „ethisch“ oder „Tradition“ und „-mennt“ für „Bildung“ bedeutet. Sie zählt zu den „life stance organizations“, was direkt übersetzt heißt „Lebensrettungsorganisation“ bzw. „Lebenshilfeorganisation“, analog dem Leitbild des Humanistischen Verbandes in Deutschland: „Damit das Leben besser gelingt“ und sich dadurch gegen den Jenseitsbezug vieler Religionen abgrenzt. Die Organisation wurde 2013, nach zehnjähriger Lobbyarbeit, staatlich anerkannt und kann sich seitdem aus den staatlichen eingezogenen Gemeindeentgelten (siehe Punkt 4. dieses Textes) finanzieren. In den Jahren seit 2014 hat sich die Anzahl ihrer Mitglieder in den zehn Jahren bis 2023 kontinuierlich von 612 auf 5.401 erhöht.

Bemerkenswert ist, dass (2023) die Anzahl der Frauen (2.777) höher ist als die der Männer (2.624). Die Verteilungen waren bis 2021 noch so, dass die Männer die Mehrheit stellten. Diese Veränderungen zeigen sich ebenso in den Anteilen, in denen die Frauen (2023) 51,4 Prozent der Mitglieder stellen, die Männer hingegen 48,6 Prozent. Das ist – im Vergleich zu Deutschland – ungewöhnlich, da der organisierte Humanismus in Deutschland überwiegend eine ‚Männersache‘ ist.

Eine vergleichbare, kontinuierliche Entwicklung haben die Mitgliederzahlen / Anteile der Jüngeren, die (2023) rund 11 Prozent der organisierten Humanistinnen und Humanisten stellen. Der Anteil der Über-16-jährigen, die einkommensteuerpflichtig sind und das Gemeindeentgelt zahlen müssen, verringert sich dadurch zwar leicht, liegt aber bei 89 Prozent der Mitglieder.

2.2. Konfessionsfreie

Diese Gruppe, deren Mitglieder angeben formal keiner Religionsgemeinschaft anzugehören – nach deutscher Beschreibung „Konfessionsfreie“, im englischen Sprachgebrauch „Non affiliated“ bzw. „Nones“ –, hat sich in den vergangenen Jahren stetig vergrößert. Ein Phänomen, was sich nicht auf Island beschränkt, sondern in allen Ländern Skandinaviens bekannt ist.

In einer Untersuchung von Gudbjorg Andrea Jonsdottir, Inga Run Saemundsdottir, and Gudny Bergthora Tryggvadottir: „The Rise of the Nones in Iceland”, in denen Daten aus den European Values Studies (EVS, 1981-2017) analysiert werden, wird mithilfe von Regressionsanalysen der Anstieg der Konfessionsfreien in Island vor allem mit dem Anstieg des Mangels an Vertrauen in die Kirchen begründet.

„Es überrascht nicht, dass mangelndes Vertrauen in die Kirche einer der stärksten Prädiktoren für die Nichtzugehörigkeit zu sein scheint.  Ob dieses mangelnde Vertrauen in die Kirche die Ursache für den Anstieg der Zahl der „Nichtmitglieder“ in den nordischen Ländern in den letzten vierzig Jahren ist, ist jedoch zweifelhaft. Ein Blick auf die Entwicklung des Vertrauens in die Kirche im Laufe der Jahre zeigt, dass nur in Island das Vertrauen in die Kirche seit Beginn der EVS abgenommen hat. In der ersten Welle der EVS Anfang der achtziger Jahre gaben nur 29 % der Befragten an, kein oder nur wenig Vertrauen in Island zu haben, während es in den anderen Ländern etwa 50 % oder mehr waren. Seitdem hat das Vertrauen in die Kirche in Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden zugenommen oder ist gleichgeblieben, während es in Island deutlich abgenommen hat. In der letzten EVS-Welle von 2017 ist das Vertrauen in die Kirche in Island geringer als in allen anderen Ländern: 54 % der Befragten gaben an, dass sie kein oder nur wenig Vertrauen in die Kirche haben. Daher erscheint es sehr plausibel, dass dieser Mangel an Vertrauen zum Anstieg der „Neinsager“ in Island beiträgt.“

Der Vertrauensverlust beruhe vor allem auf einer Reihe von Skandalen in der Evangelisch -lutherischen Staatskirche seit Mitte der 1990er Jahre.

„Auch wenn die Einwanderung ein Teil der Erklärung für die Zunahme der Nones‘ in Island sein mag, so sind die am häufigsten genannten Erklärungen zahlreiche Probleme und Skandale im Zusammenhang mit der evangelisch-lutherischen Kirche in Island seit Mitte der 1990er Jahre. Diese Kontroversen und Skandale stehen im Zusammenhang mit Debatten über gleichgeschlechtliche kirchliche Trauungen und Anschuldigungen gegen den Bischof (der von 1989-1997 im Amt war) wegen sexueller Belästigung und Kindesmissbrauchs sowie das Versäumnis der Kirche, diese Anschuldigungen zu klären.“

In einer Generation (1998-2023) hat sich die Anzahl der Isländer, die sich ausdrücklich dazu äußern, nicht Mitglied in einer religiös/weltanschaulichen Organisation zu sein, kontinuierlich von 5.591 auf 29.833 Personen erhöht. Frauen sind durchgehend weniger dabei als Männer, wobei ihr jeweiliger Anteil von 1998 bis 2023 (bis auf Schwankungen) ziemlich genau gleich bei 56 : 44 Prozent bleibt. Der Anteil der Jüngeren bis 17 Jahren, der sich zwar absolut von 1.000 Personen auf 4.000 erhöht, verliert jedoch seinen Anteil von 18 auf 15 Prozent der Konfessionsfreien.


2.3. Evangelische Staatskirche

Hinsichtlich der Mitglieder hat die Staatskirche eine ähnliche Entwicklung wie die Konfessionsfreien: die Relation zwischen Frauen und Männern bleibt annähernd gleich, die Jüngeren werden weniger.

Bei kontinuierlicher Verringerung des Anteils in der Bevölkerung (vgl. Tabelle 2.1./2.2.) gibt es in den absoluten Mitgliederzahlen noch einen leichten kontinuierlichen Anstieg bis 2009, danach verringert sich die Anzahl der Mitglieder und unterschreitet 2014 der Mitgliederbestand von 1998.

Bei den Jüngeren (Unter-18-jährige) verringert sich die Anzahl der Mitglieder kontinuierlich (von 71.000 auf 50.000) und ihr Anteil in der Mitgliedschaft reduziert sich von 29 auf 22 Prozent.


2.4. Andere und ohne spezifizierte Mitgliedschaft / Antwortverweigerer

Das Besondere dieser Gruppe beschreibt das nationale Register wie folgt:

„Keine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Lebenseinstellung. An den Fiskus gezahlte Steuern nicht angegeben. Die Religions- oder Weltanschauungszugehörigkeit ist gesetzlich nicht anerkannt oder die Person möchte nicht, dass Informationen über die Religions- oder Weltanschauungszugehörigkeit registriert werden. Steuern werden an die Staatskasse gezahlt.“

Diese zweitgrößte Gruppe – mit (2023) knapp einem Fünftel der Bevölkerung -, hat sich in einer Generation von 3.500 auf 73.000 Personen vergrößert, sie hat jedoch keine insgesamt kontinuierliche Entwicklung. 2010 – 2012 verringert sich die Anzahl der Personen, um dann wieder anzusteigen, bis die ‚Mitgliederzahl‘ 2015 die Anzahl von 2009 wieder übersteigt und seitdem relativ schnell anwächst, seit 2016 um 1,5 – 2 Prozentpunkte im Bevölkerungsanteil.

Die Entwicklung läuft in einer gewissen Parallelität zum Anstieg der Konfessionsfreien. Wurde dort der Anteil der Migrant als zwar eine aber nicht wesentliche Determinanten für die Entwicklung angenommen, so ist es hier vor allem die Zuwanderung.

Wie Statistics Iceland (aufgrund einer fowid-Anfrage) übermittelte, seien in dieser Gruppe kaum religiöse Gruppen vorhanden – eine Ausnahme sei die Jüdische Gemeinde, die sich bis 2021 nicht registrieren lassen wollte -, sondern es seien so gut alle die Eintragungen im Melderegister, die sich nicht zur Religionsfrage äußern. Schätzungsweise 75 Prozent dieser Gruppe bestehe aus Migranten. Der Rückgang in den Zahlen von 2010 bis 2013 entspräche auch dem Rückgang der Zuwanderung in diesen Jahren. Zuwanderer, die sich ins Melderegister eintragen lassen, seien nicht verpflichtet, ihre Religionszugehörigkeit zu nennen. Weitere Gründe seien nicht bekannt.

Aus Deutschland ist beispielsweise bekannt, dass bei den zugewanderten Muslimen die landsmannschaftliche Zugehörigkeit eine wesentliche Rolle spielt (Ägypter, Syrer, Libanesen, etc.), ob man sich organisiert. Nach der 6. KMU-Studie (Tabelle 3), sind „nur etwa ein Siebtel der Muslime in Deutschland mit einer Mitgliedschaft in einer islamischen Gemeinschaft mit finanziellen Beitragszahlungen“ bekannt. Für die Muslime in Island heißt es in dem Text: „Islam in Island“: „Viele isländische Muslime ziehen es vor, sich keiner formellen Organisation anzuschließen, da ihre Beziehung zu Gott eine persönliche ist.“ Das dürfte für Menschen mit anderen Religionsorientierungen ebenfalls gelten, dass sie in Island keine ihnen entsprechende Organisation finden.

3. Religiöse Inhalte

In den staatlichen Statistiken stellen sich die formalen Bekenntnisse von Zugehörigkeiten dar, die aus verschiedenen Gründen bestehen, sei es die Familientradition, sei es – auch aufgrund der überschaubaren Bevölkerungszahl in Island: „Man kennt sich!“, so dass die Angabe einer Religionszugehörigkeit nur eine soziale Konvention sein kann, deren Religiosität nicht besonders ausgeprägt zu sein braucht, wenn (1998) rund 90 Prozent – also „so gut wie alle“ – Mitglieder der Staatskirche sind.

Verschiedene Umfragen geben Hinweise darauf, was sich inhaltlich für Island hinsichtlich der religiösen Gläubigkeit darstellt.

2012 antworten in einer WIN-Gallup Umfrage „International ‘Religion and Atheism Index‘“ in Island auf die Frage: „Unabhängig davon, ob Sie ein Gotteshaus besuchen oder nicht, würden Sie sagen, Sie sind ein religiöser Mensch, nicht religiöser Mensch oder überzeugter Atheist?“ 57 Prozent sagen, sie seien religiös, 31 Prozent, sie seien nicht religiös, und 10 Prozent bekennen sich als Atheisten. Diesen zusammen 41 Prozent Nicht-Religiöser und Atheisten in der Umfrage entsprechen 2012 in der amtlichen Statistik nur rund 5 Prozent registrierte „Nichtreligiöse“.

In die gleiche Richtung gehen die Ergebnisse der „European Values Studies“, in denen 2017 rund 41 Prozent der Isländer sagen, dass Religion für sie wichtig sei (13,2 Prozent „sehr wichtig“ und 27,7 Prozent „ziemlich wichtig“). Rund 59 Prozent sehen Religion jedoch als „nicht wichtig“ an, 23 Prozent als „überhaupt nicht wichtig“.

Unter den Aspekten der Gläubigkeit spielt der „Glaube an Gott“ eine wesentliche Rolle.

1984 bekundeten noch 77 Prozent der Isländerinnen und Isländer, dass sie an Gott glauben – ein Anteil, der sich bis 2017 auf 58 Prozent verringert.

Betrachtet man diesen „Glauben an Gott“ als das Wesentlichste von Religionen, so ergibt sich eine Differenz zu den Anteilen der Mitglieder von Religionsgemeinschaften (vgl. Tabelle 2.1 und 2.2. Summe Religiöse), sozusagen ein „God Gap“ (eine Art ‚Gotteslücke“). Er beträgt in Island rund zwanzig Prozent.

Das Iceland-Magazine berichtet im Januar 2016 über eine aktuelle Umfrage mit dem Ergebnis, dass von den unter 25-jährigen niemand mehr an die Erde als Schöpfung Gottes glaubt.

“Einer neuen Umfrage zufolge scheint Island auf dem Weg zu sein, eine noch säkularere Nation zu werden. Weniger als die Hälfte der Isländer geben an, religiös zu sein, und mehr als 40 % der jungen Isländer bezeichnen sich als Atheisten. Bemerkenswerterweise fand die Umfrage keine jungen Isländer, die die Schöpfungsgeschichte der Bibel akzeptieren. 93,9 % der Isländer, die jünger als 25 Jahre sind, glauben, dass die Welt durch den Urknall entstanden ist. 6,1 % hatten entweder keine Meinung dazu oder glaubten, dass sie auf andere Weise entstanden ist, und 0,0 % glaubten, dass sie von Gott erschaffen wurde.“

Die Ergebnisse dieser Umfrage in Island referiert (2016) auch der Artikel: „Icelanders Becoming More Secular“.

„Die Ergebnisse der Umfrage, die gestern auf einer von Siðmennt veranstalteten Konferenz vorgestellt wurden, zeigen, dass sich die Mehrheit der Isländer nicht als religiös betrachtet. Nur 46 % gaben an, dass sie an eine Art von Religion glauben, was der niedrigste Prozentsatz seit Beginn der Umfragen zu diesem Thema ist. 30 % sagten, sie seien nicht religiös, und 23,7 % konnten nicht sagen, ob sie religiös sind oder nicht.
Es überrascht vielleicht nicht, dass die meisten Isländer auch die Trennung von Kirche und Staat befürworten, im Gegensatz zur derzeitigen Regelung, bei der die Nationalkirche ein staatliches Amt unter der Schirmherrschaft des Innenministeriums ist. 72 % der Befragten sprachen sich für die Trennung von Kirche und Staat aus, und 46 % waren der Meinung, dass die Regierung keine religiösen Einrichtungen finanziell unterstützen sollte - der höchste Prozentsatz unter den Befragten, die auf diese Frage geantwortet haben. Nur 29 % waren der Meinung, die Regierung solle vorrangig die Nationalkirche unterstützen, während 25 % meinten, der Staat solle alle religiösen Einrichtungen gleichermaßen finanzieren.
Interessanterweise sind trotz dieser Ergebnisse die meisten Isländer - 73,8 % - in der Landeskirche registriert. Dies ist jedoch ein Rückgang gegenüber 85,4 % vor nur zehn Jahren und deutet darauf hin, dass ein erheblicher Teil der Isländer Mitglieder der Kirche sind, ohne selbst religiös zu sein.“

Dieses Prinzip, des “Mitglied sein, ohne zu glauben“ („belonging, but not believing”) ist auch aus anderen Ländern bekannt (z. B. der Schweiz). Die Ergebnisse, und vor allem die Abkehr der Jüngeren von der Religion/Kirchenmitgliedschaft referiert auch die Umfrage zu „British Social Attitudes 36“ (2019) für Großbritannien. Für Deutschland gilt dieser Trend ebenso („Lebens- und Glaubenswelten junger Erwachsener in Deutschland“), dass nur noch 19 Prozent der jungen Erwachsenen sich als religiös betrachten und die Mehrheit der Kirchenmitglieder der Aussage zustimmt: „Meine Weltanschauung folgt keiner religiösen Lehre.“ Entsprechend darf man erwarten, wenn nach der Wichtigkeit von Gott im eigenen Leben gefragt wird, das sich diese Wichtigkeit verringert, was zutrifft.

Vor allem an den ‚Rändern‘ zeigen sich die Veränderungen. Der Anteil derjenigen, die Gott für „überhaupt nicht wichtig“ halten, steigt im Zeitraum 1981-2017 von 8 auf 24 Prozent und der Anteil derjenigen, für die Gott „sehr wichtig“ ist, verringert sich im gleichen Zeitraum von 22 auf 10 Prozent.

Für die Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs ist die im Religionsmarketing der römischen Katholiken zentrale Rolle des Priesters als Mittler zwischen Gott und den Laien wesentlich. Die lutherischen Evangelischen haben (nach Luther: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“) eine persönliche, eigene Beziehung zu Gott und brauchen dafür keine Pastorin oder Pastor. Auch die Idee eines „Dienstes“ zur Verehrung eines Gottes ist Evangelischen, die „niemand untertan“ sind, eher fremd. Entsprechend ist der regelmäßige Gottesdienstbesuch (z. B. in Deutschland) bei Evangelischen generell gering. So auch im lutherisch-evangelisch dominierten Island. Mit sinkender Tendenz (2023: 8,5 Prozent) besuchen die 72 Prozent Religiösen „regelmäßig“, d. h. mindestens einmal im Monat, einen Gottesdienst.

Diese isländisch interne Entwicklung entspricht auch dem evangelisch dominierten nordischen Kulturraum Westeuropas, in dem Dänemark – dem Island immer noch ‚kulturell verbunden‘ ist – den geringsten Anteil an regelmäßigen Gottesdienstbesucher hat (6,4 Prozent), gefolgt von Island (8,5 Prozent) und Schweden (9,7 Prozent).

Der internationale Vergleich zeigt, dass in Deutschland und Österreich höhere Anteile an regelmäßigen Gottesdienstbesuchern genannt werden. Inwieweit das mit der Anzahl der Katholiken in beiden Ländern zu tun hat, wäre zu prüfen.

Diese Unterschiede zwischen den nordischen Staaten sowie Deutschland und Österreich zeigen sich (2008) auch in Beantwortung der Frage: „Wie sehr stimmen Sie mit der folgenden Aussage überein…: Ein Politiker, der nicht an Gott glaubt, ist ungeeignet für ein öffentliches Amt.“ Während die Zustimmung zu dieser Aussage in Dänemark (2,5), Schweden (4,3), Norwegen (6,1) und Island (6,1 Prozent) sehr gering ist, wird das in Deutschland und Österreich mit weniger Gelassenheit gesehen: dort sind es rund ein Fünftel (19,3 bzw. 22,2 Prozent), für die der persönliche Gottesglaube eines Menschen eine Art ‚Lackmustest‘ für ein öffentliches Amt ist.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass, zumindest in den hier benannten Aspekten, das Prinzip des “Mitglied sein, ohne zu glauben“, weitgehend auch für Island gilt.

4. Staatliches Gemeindeentgelt

In Island besteht ein „Gemeindeentgelt“, das jeder Steuerpflichtige zu bezahlen hat und dessen Höhe vom Staat festgelegt wird. In Artikel 64 der Isländischen Verfassung heißt es dazu:

„Niemand darf wegen seiner Religion seine bürgerlichen oder nationalen Rechte verlieren, und niemand darf sich aus religiösen Gründen weigern, eine allgemein gültige Bürgerpflicht zu erfüllen.
Es steht jedem frei, sich außerhalb religiöser Vereinigungen aufzuhalten. Niemand darf verpflichtet werden, persönliche Beiträge an eine religiöse Vereinigung zu zahlen, der er nicht angehört.
Wer keiner religiösen Vereinigung angehört, hat an die Universität von Island den Beitrag zu entrichten, den er an eine solche Vereinigung hätte entrichten müssen, wenn er Mitglied gewesen wäre. Dies kann durch Gesetz geändert werden.“

Das wird in einem Onlinebeitrag konkretisiert:

„Steuerzahler in Island, die einer offiziell registrierten religiösen Gruppe oder säkularen humanistischen Organisation angehören, müssen eine Gemeindesteuer (isländisch: sóknargjald, Plural sóknargjöld) zahlen, die von der Einkommenssteuer abgezogen wird und an ihre Organisation geht. Dies wurde 2009 geändert; Personen, die keiner eingetragenen religiösen Gruppe oder säkularen humanistischen Organisation angehören, müssen denselben Betrag an Steuern zahlen, der als Einkommenssteuer behandelt wird und nicht an eine Kirche geht. Im Jahr 2015 belief sich der monatliche sóknargjald auf 824 krónur, etwa 6 US-Dollar. Im März 2021 wurde das Judentum in die Liste der staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften in Island aufgenommen. Die isländische Kirche erhält über die von ihren Mitgliedern gezahlten Gemeindesteuern hinaus staatliche Unterstützung.“

Nach US-Angaben muss nach dem 16. Lebensjahr jede Isländerin/Isländer diese ‚Gemeindesteuer‘ zahlen.

„Das Gesetz sieht staatliche Subventionen für eingetragene Religionsgemeinschaften und Lebensgemeinschaften vor.  Für jede Person, die mindestens 16 Jahre alt ist und einer der offiziell registrierten und anerkannten Religionsgemeinschaften oder Lebensgemeinschaften angehört, weist die Regierung der jeweiligen registrierten Organisation eine jährliche Zahlung aus der Einkommenssteuer zu, die „Kirchensteuer“ genannt wird.  Die Höhe der Pro-Kopf-Zahlung variiert jedes Jahr entsprechend dem jährlichen Haushaltsentwurf.  Die Regierung weist die Zahlung unabhängig davon zu, ob die Person Einkommenssteuer zahlt.  Das isländische Register, das sich selbst auf seiner Website als die Regierungsbehörde beschreibt, die grundlegende Informationen über alle Personen, die ihren Wohnsitz im Land haben oder hatten, sowie über im Ausland lebende Bürger aufbewahrt, führt eine Liste mit der Anzahl der Mitglieder jeder registrierten Gruppe, erfasst die Religionszugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit jedes Bürgers bei der Geburt und berichtigt die Informationen, wenn Einzelpersonen eine Änderung melden. […] Die Regierung erhöhte die Kirchensteuerzahlung für registrierte religiöse und lebensbejahende Gruppen [2022] auf 14.304 Kronen ($101) für jedes Mitglied im Alter von 16 Jahren oder älter, gegenüber 11.660 Kronen ($82) im Jahr 2021.“

2019 wurde die Universität von Island als ‚Destinatär‘ des Gemeindesentgelts der Nichtregistrierten sowie Nicht-Religiösen geändert. Die Gelder fließen seitdem dem Staat allgemein zu.

Die Darstellung allerdings, dass es sich um eine Art Kirchensteuer oder auch Kultursteuer handele (wie es auch im Rahmen der EKD geschieht) ist sachlich falsch.

„In Island und der Schweiz werden die Kirchen ebenfalls durch ein Kirchensteuersystem finanziert. Die Einwohner Islands gehören fast ausschließlich der evangelisch-lutherischen Volkskirche an, die mittels einer Kultursteuer finanziert wird. Der Steuerpflichtige kann wählen, ob er seine Steuermittel der Volkskirche oder der Universität Islands zugute kommen lassen will.“

Steuern – auch Kirchensteuern und Mandats-/Kultursteuern -, folgen, als Zuschlagssteuer zur Einkommensteuer, stets dem Prinzip einer Abstufung: wer viel hat, zahlt viel, wer weniger hat, zahlt weniger. Das Gemeindeentgelt folgt dagegen einer radikal-demokratischen, christlichen Auffassung, die besagt: „Vor Gott sind alle Menschen gleich“.

Da dieser Betrag jährlich festgelegt wird, lassen sich die staatlich eingezogenen Beiträge genau und transparent darstellen. Die organisierten Humanisten bekommen für 2022 aus diesen Gemeindesteuern rund 455.000 Euro (14.304 Kronen = 95,05 Euro pro Kopf x 4.786 humanistische Gemeindesteuerzahlerinnen und -zahler= 454.909,30 Euro), die römisch-katholische Kirche in Island rund 1,1 Mio. Euro. Falls das nicht reicht, kann man, wie die katholische Kirche, zu Spenden aufrufen.

2011 hatten sich die Humanisten Islands unter dem Stichwort „Kirchensteuern“ ausführlich beschwert:

„Da wir keine Gelder von der Regierung erhalten, müssen wir Mitgliedsbeiträge erheben, und dieser geringe Betrag reicht nicht aus, um fest angestellte Mitarbeiter einzustellen oder ein Büro oder einen Versammlungsraum einzurichten, in dem wir unsere zahlreichen Aktivitäten und Zeremonien abhalten können. Dies schränkt unser Wachstum eindeutig und stark ein. Das Interesse an und die Nachfrage nach unseren Diensten ist in den zwei Jahrzehnten unseres Bestehens enorm gewachsen, und wir haben Schwierigkeiten, genügend Leute auszubilden, um sie anzubieten, oder Personal einzustellen, um die Arbeit unserer Organisation zu leisten. Unserer Meinung nach und nach Meinung einiger religiöser Minderheitengruppen, einschließlich der lutherischen Freikirchen, versucht die Regierung nicht sicherzustellen, dass die Finanzierung verschiedener religiöser Organisationen gerecht ist, und sie gewährt ganz sicher keinen gleichen Status für säkulare Gruppen, die sich für das Leben einsetzen. Siðmennt setzt sich seit Jahren bei den isländischen Parlamentsabgeordneten für die Verabschiedung eines Gesetzes über eingetragene Lebenshilfeorganisationen ein. Die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten, mit denen wir gesprochen haben, stimmt mit uns überein, dass unsere Forderung gerechtfertigt ist. Mehrere politische Parteien (einschließlich der beiden, die derzeit an der Macht sind) haben die Gleichstellung aller Lebensrechtsorganisationen sogar in ihre Parteiprogramme aufgenommen. Mehrere Kabinettsminister haben uns mitgeteilt, dass sie unsere Forderung unterstützen. Und dennoch hat niemand einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt.“

2013 wurden die organisierten Humanisten schließlich offiziell als Weltanschauungsgemeinschaft registriert und bekommen seitdem die ihnen zustehenden Gemeindeentgelte.

Dieses Modell einer transparenten Basis-Kirchenfinanzierung wurde bisher in Deutschland in der Diskussion um eine Reform der Kirchensteuer nicht beachtet. Es geht stets nur um die Varianten der Mandats- bzw. Kultursteuer, wie sie in Italien und Spanien praktiziert werden.

Für die Kirchensteuern in Deutschland gilt, nach der Darstellung von David Guttmann, dass nur die Hälfte der Kirchenmitglieder überhaupt Kirchensteuern zahlt. Insofern sind Texte der EKD, wie: „Wer zahlt wie viel Kirchensteuer?“, in denen die Kirchensteuereinnahmen (2022: 6,242 Mrd. Euro) auf pro Kopf der Kirchenmitglieder umgerechnet werden und sich auf 313,82 Euro pro Kopf belaufen, „Milchmädchenrechnungen“. Wenn nur die Hälfte der Kirchenmitglieder überhaupt Kirchensteuern bezahlt, ist diese Hälfte die Bezugsgröße, was heißt die pro Kopf-Kirchensteuer ist doppelt so hoch: 627,64 Euro. Vergleicht man das mit dem isländischen Gemeindeentgelt (2022 = 95,05 Euro), so würden sich diese Einnahmen der EKD von 6,2 Mrd. auf 1,8 Mrd. Euro reduzieren.

Exkurs: Zuismus

Die ‚Kirchensteuerthematik‘ spielt ebenfalls eine Rolle, da es auch in Island Bürger gibt, die das Gemeindeentgelt als Zwang kritisieren. Das wurde dann gelöst: durch die Gründung einer neuen Religion, dem Zuismus, einer Art „Pay-Back Religion“.

Im Dezember 2015 berichtete der Guardian, dass Gegner dieses Gemeindeentgelteinzuges eine Religionsgesellschaft gegründet haben, die den einzigen Zweck hat, dieses als Zwangsabgabe empfundene Gemeindeentgelt wieder an ihre Mitglieder zurückzuerstatten.

„Isländer, die gegen die staatliche Finanzierung von Religion sind, haben sich in Scharen als Zuisten registrieren lassen, eine Bewegung, die alte sumerische Götter verehrt und - was vielleicht noch wichtiger ist - ihren Anhängern eine Steuerermäßigung verspricht.
Mehr als 3.100 Menschen - fast 1 % der isländischen Bevölkerung - haben sich in den vergangenen zwei Wochen der Zuisten-Bewegung angeschlossen, um dagegen zu protestieren, dass sie einen Teil ihrer Steuern an die Staatskirche und andere religiöse Einrichtungen zahlen. Den Anhängern des Zuismus wird der für die Religion vorgesehene Steueranteil zurückerstattet.“

Die Zuisten-Religionsgemeinschaft wurde 2010 gegründet, 2012 registriert und hatte ihren höchsten Mitgliederstand 2013 mit mehr als 3.000 Mitgliedern. Aufgrund innerer Zwistigkeiten gelang es jedoch nicht, eine Gesellschaft zu gründen, um das Gemeindeentgelt zu verbuchen, so dass die Überweisungen und Auszahlungen blockiert sind. Und nachdem die beiden Gründungsbrüder 2020 wegen Unterschlagung und Geldwäsche angeklagt wurden, was allerdings mit Freispruch endete, wurde bereits ihr Ende vorausgesagt. Aber 2023 sind es noch 795 Mitglieder, 2023 noch 493. Geld ist noch keines geflossen.

5. Diversität / Pluralismus / Migration

Die in den vergangenen Jahrzehnten zunehmende Diversität religiöser Organisationen zeigt sich auch in Island. Betrachtet man die Jahresangaben, wann neue Organisationen registriert wurden, so bestanden 1998 insgesamt 21 registrierte Religionsgemeinschaften, 1999 kamen zwei hinzu, 2001-2003 jeweils eine, 2007 zwei, 2008/2009 jeweils eine, 2010 zwei, 2011 fünf, 2012 eine, 2013 zwei, 2014 vier, 2016 eine, 2017 zwei, 2018 eine, 2020 zwei, 2021 zwei, 2022 drei und 2023 eine. Zu diesen ab 1999 registrierten Religionsgemeinschaften zählen u. a. The Bahá’í Community (324 Mitglieder), The Icelandic Buddhist Society (1.101), The Icelandic Muslim Association (569), Nátthagi Zen Buddhism (207), The Russian Orthodox Church (783), The Serbian Orthodox Church (391). Sie haben (2023) insgesamt 7.098 Mitglieder.

Diese kleinteilige Entwicklung ist auch der inhaltliche Ausdruck der Zuwanderung, die mit den bestehenden (evangelischen) Verhältnissen nur wenig anfangen können sowie ihre eigenen kulturellen/religiösen Gebräuche mitbringen und praktizieren. Der Anteil der Zuwanderer mit ausländischem Hintergrund beläuft sich auf rund 16 Prozent, der Anteil der organisierten nicht-christlichen Religiösen jedoch nur auf zwei Prozent.

Bei den Christen ist der Anstieg der römischen Katholiken als zweitgrößte Religionsgemeinschaft durch die hohen Anteile der Einwanderung aus Polen zu erklären, die 34 Prozent der Zuwanderung ausmachen. Wie ‚kleinteilig‘ sich das realisiert verdeutlicht ein Bericht über die römischen Katholiken (2023: 14.869 Mitglieder).

„Mehr als die Hälfte der römisch-katholischen Bevölkerung besteht aus Ausländern. Die katholische Kirche in Reykjavik hält wöchentlich einen englischsprachigen Gottesdienst ab, der von vielen Filipinos besucht wird. Auch in anderen katholischen Kirchen und Kapellen des Landes werden Gottesdienste in anderen Sprachen abgehalten. Eine wachsende Zahl katholischer Polen, die von drei polnischen Priestern betreut werden, lebt im Land und arbeitet in der Fischerei- und Schiffbauindustrie. Die katholische Kirche beschäftigt auch Priester aus Argentinien, Frankreich, Deutschland, Island, Irland, den Niederlanden und der Slowakei. Da es außerhalb von Reykjavik nur wenige katholische Kirchen gibt, stellen lutherische Pfarrer ihre Kirchen regelmäßig katholischen Priestern zur Verfügung, damit diese in den ländlichen Gebieten Gottesdienste für ihre Mitglieder abhalten können.“ (Quelle)

Eine Umfrage (2019) auf Veranlassung der organisierten Humanisten zu „Lebensansichten und Religion von Einwandern“ (die fowid direkt übermittelt wurde – im Anhang), erbrachte unter anderem die Ergebnisse. dass sich 42 Prozent der Einwanderer als „religiös“ bezeichnen, 36 Prozent als „nicht religiös“ sowie 22 Prozent sagen, „Ich kann nicht sagen, ob ich religiös bin oder nicht“. Die Altersverteilung ist deutlich: Je jünger die Einwanderer, desto weniger sind sie religiös. Von den 18-29-jährigen bezeichnen sich 24 Prozent als „religiös“ und 52 Prozent als „nicht religiös“, bei den 60-Jahre-und-Älteren ist es umgekehrt: 60 Prozent sehen sich als „religiös“ und 17 Prozent als „nicht religiös“.

6. Zusammenfassung

In der religiös-weltanschaulichen Entwicklung der vergangenen Jahre seit 1998 zeigen sich in Island vergleichbare Trends, die es als Land der ‚westeuropäischen Kulturfamilie‘ charakterisieren. Die traditionell dominierende Staatsreligion ist nicht mehr Teil der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Von den Zuwachsraten kann sie langfristig und kontinuierlich nicht profitieren und verliert insofern in ihrem Anteil. Vor allem verringert sich sowohl die Zahl wie der Anteil der Jüngeren unter den Mitgliedern. Diese Entwicklung einer Selbst-Säkularisierung wird in den letzten rund Jahren noch durch interne Konflikte und damit verbundenen Ansehensverlusten verstärkt.

Zur Erweiterung der Religionslandschaft hin zu einer Vielzahl von Religionsgemeinschaften sowie zu Konfessionsfreien und Bürgern, denen Religion egal ist, tragen diese Entwicklung ihren Teil dazu bei. Für die breitere religiöse Diversität ist es vor allem die Zuwanderung. Diese Trends erscheinen auch weiterhin stabil, so dass die traditionelle Staatskirche voraussichtlich in wenigen Jahren nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung in Island repräsentieren wird.

(CF)