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Die religiös Ungebundenen in den USA

Unter dem Titel: “EXODUS. Why Americans are Leaving Religion - and Why They’re Unlikely to Come Back“ hat das Public Religion Research Institute (PRRI) im Herbst 2016 die Ergebnisse zu den religiös Ungebundenen in den USA veröffentlicht. Ihre Anzahl steigt und es gibt kein Anzeichen dafür, dass sie zu den organisierten Religionen zurückkehren.

Die religiöse Landschaft der USA hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert. Die weitestgehende Verschiebung ist der Aufstieg von ‚religiös Ungebundenen‘ („not affiliated“) US-Amerikanern.

Dieser Trend begann Anfang der 90er Jahre. 1991 identifizierten sich nur sechs Prozent der US-Amerikaner mit „keiner“ religiösen Verbundenheit und dieser Anteil hatte sich seit den frühen 1970er Jahren wenig bewegt. Bis Ende der 1990er Jahre waren es 14 Prozent, die keine religiöse Zugehörigkeit nannten. In den späten 2000er und frühen 2010er Jahren erreichte der Anteil 20 Prozent bis 2012. Aktuell (2016) gibt ein Viertel (25 Prozent) der US-Amerikaner keine formale religiöse Identität an, so dass diese Gruppe die größte „religiöse Gruppe“ in den USA darstellen.

2016 sind fast vier von zehn (39 Prozent) der jungen Erwachsenen (18-29 Jahre) religiös ungebunden – das ist dreimal mehr als die ‚Ungebundenen‘-Rate (13 Prozent) unter den Senioren (65 und älter). Während frühere Jahrgänge der jüngeren Ungebundenen im Zwanzig-Prozent-Bereich blieben, sind junge Erwachsene heute (2016) fast viermal so wahrscheinlich religiös Ungebunden wie junge Erwachsene vor einer Generation. Im Jahr 1986 z. B. gaben nur 10 Prozent der jungen Erwachsenen keine religiöse Zugehörigkeit an.

Dabei zeigt sich ein doppelter Trend, dass nicht nur die Jüngeren immer höhere Anteile an religiös Ungebundenen aufweisen, sondern sich auch in den älter werdenden Alterskohorten ihr Anteil vergrößert.

Der Anstieg der religiös Ungebundenen liegt vor allem an dem Wechsel („switching“) von Menschen, die die Religionszugehörigkeit ihrer Kindheit verlassen haben und sich heute als Ungebundene betrachten. Während die nicht-christlichen Religiösen und ein Teil der Protestanten ihren vergleichsweise kleinen Anteil leicht steigern konnten (von 5,0 auf 5,2 Prozent und von 5,6 auf 7,2 Prozent) haben die weißen „mainline“ Protestanten, im Vergleich zu ihrer Kindheit, einen Anteil von 4,5 Prozentpunkten verloren, die weißen Evangelikalen 2,2 Prozentpunkte und die schwarzen Protestanten 0,6 Prozentpunkte. Den größten Anteilsverlust, mit 10,3 Prozentpunkten, haben jedoch die Katholiken. In den jeweiligen Salden zwischen Kindheit und heute, mit denen die Menschen die Religion bzw. die Nicht-Religion verlassen haben oder ihr beigetreten sind, haben die religiös Ungebundenen das größte Plus von 15,8 Prozentpunkten.

Dabei hat sich im Zeitverlauf der Anteil der US-Amerikaner, die in einer religiös ungebundenen Umgebung aufgewachsen waren und es in ihrem weiteren Leben auch blieben, stetig vergrößert. Waren es in den 1970ern nur ein Drittel der als Ungebundene aufgewachsenen, die dabei blieben - was heißt, dass zwei Drittel sich später im Leben für eine religiöse Zugehörigkeit entschieden, so sind es im Jahr 2016 zwei Drittel der als religiös ungebunden Aufwachsenden, die es auch geblieben sind.

Die Entscheidung für die religiöse Ungebundenheit fällt früh. Die meisten US-Amerikaner, die ihre religiöse Identität verlassen, um unverbunden zu werden, tun dies normalerweise bevor sie ihren 18. Geburtstag erreichen. Mehr als sechs von zehn (62 Prozent) der religiös ungebundenen US-Amerikaner, die in einer Religion aufgewachsen waren, sagen, dass sie ihre Kindheitsreligion aufgegeben haben, bevor sie 18 Jahre alt wurden. Etwa drei von zehn (28 Prozent) sagen, dass sie im Alter zwischen 18 und 29 waren. Nur fünf Prozent sagen, dass sie zwischen dem Alter von 30 und 49 Jahren aufgehört haben, sich mit der Religion ihrer Kindheit zu identifizieren, und nur zwei Prozent sagen, dass sie im Zeitpunkt dieser Entscheidung 50 Jahre oder älter waren.

Die Gründe, die Kindheitsreligion zu verlassen, sind vielfältig, haben aber einen deutlichen Schwerpunkt darin, dass schlicht der Glaube an die Lehre ihrer Religion verloren gegangen ist (60 Prozent), dass ihre Familie nicht religiös war, als sie aufwuchsen (32 Prozent), sowie ihre Erfahrungen mit negativen religiösen Lehren über oder in der Behandlung von schwulen und lesbischen Menschen (29 Prozent).

Unter denen, die ihre Kindheitsreligion verlassen haben, ist es bei Frauen doppelt so wahrscheinlich wie bei Männern, dass es wegen der Diskriminierung von schwulen und lesbischen Individuen war (40 Prozent gegenüber 20 Prozent). Ebenso ist für Frauen der sexuelle Missbrauchs-Skandal des Klerus etwa doppelt so wahrscheinlich wie bei Männern (26 versus 13 Prozent) ein wichtiger Grund, die Religionsgemeinschaft der Kindheit zu verlassen.

Zu den wesentlichen Einflussfaktoren, die Kindheitsreligion zu verlassen, zählt auch die religiöse Homogenität der Eltern. Unter denen, die katholisch aufgewachsen sind, gibt es eine besonders starke Korrelation zwischen denen, deren Eltern beide katholisch waren und denjenigen, die einen Elternteil mit einer anderen religiösen Identität hatten. Unter denen, die von Eltern katholisch erzogen wurden, die nicht dieselbe religiöse Identität hatten, sind etwa vier von zehn (39 Prozent) noch als Erwachsene katholisch. Im Gegensatz dazu sind fast zwei Drittel (66 Prozent) derjenigen, die in katholischen Haushalten von Eltern aufwuchsen, die beide katholisch sind, auch noch als Erwachsene katholisch.


Gottesglaube, Religion und Werte

Trotz ihrer fehlenden Verbindung zu formalen religiösen Institutionen behalten die meisten ungebundenen Amerikaner einen Glauben an Gott oder eine höhere Macht. Eine Mehrheit der ungebundenen Amerikaner sagt, dass Gott entweder eine Person ist, mit der die Menschen eine Beziehung haben können (22 Prozent) oder eine unpersönliche Kraft (37 Prozent). Nur ein Drittel (33 Prozent) religiös ungebundener Amerikaner sagen, dass sie nicht an Gott glauben. Dreizehn Prozent der religiös ungebundenen US-Amerikaner verwenden die Bezeichnung „Atheist“; vierzehn Prozent definieren sich als „agnostisch“.

Aber für religiös nicht gebundene Amerikaner ist es weniger wahrscheinlich als für religiöse Amerikaner, den Glauben an Gott mit dem moralischen Verhalten zu verbinden. Nur etwa eins von fünf (21 Prozent) ungebundenen Amerikanern sagen, dass es notwendig ist, an Gott zu glauben, um moralisch zu sein und gute Werte zu haben. Mehr als drei Viertel (77 Prozent) lehnen diese Idee ab, darunter 61 Prozent, die das stark ablehnen. Die Mehrheit der schwarzen Protestanten (78 Prozent), die weißen evangelischen Protestanten (59 Prozent) und die Katholiken (59 Prozent) stimmen darin überein, dass der Glaube an Gott eine notwendige Voraussetzung für ein moralisches Verhalten ist. Bemerkenswert ist, dass weniger als die Hälfte der weißen Mainline-Protestanten (43 Prozent) und diejenigen, die sich mit nichtchristlichen Religionen (43 Prozent) identifizieren, zustimmen.

Wie sehr sich die religiös Ungebundenen von den Religiösen unterscheiden, das zeigt sich auch in der Frage der Religiosität der Ehepartner. Die weißen Evangelikalen haben das größte Bestreben (86 Prozent) einer gleichen Religion, bei den Katholiken sind es Dreiviertel (76 Prozent), die religiös homogen leben, während es bei den religiös Ungebundenen keine große Rolle spielt: In etwas mehr als der Hälfte (54 Prozent) sind beide Ehepartner religiös Ungebunden, in etwas weniger als der Hälfte (46 Prozent) gehört der Ehepartner einer Religionsgemeinschaft an.

In ihrer Bewertung von Religion sind die religiös Ungebundenen sich einiger als Religiöse. Der Aussage: „Religion verursacht mehr Probleme in der Gesellschaft als sie löst“ stimmen zwei Drittel der Ungebundenen (66 Prozent) zu und ebenso viele widersprechen der Aussage: „Es ist für Kinder wichtig, in einer Religion aufzuwachsen, um gute Werte zu lernen.“

Aber es gibt auch eine beträchtliche Vielfalt unter dieser Gruppe. Mit zwei getrennten Fragen, die die persönliche Relevanz der Religion und den wahrgenommenen sozialen Nutzen der Religion messen, wurden drei verschiedene Gruppen unter den Ungebundenen identifiziert: Religionsgegner („Rejectionists“), Religionstolerante („Apatheists“) sowie ungebundene Gläubige („Unattached Believers“).

Religionsgegner, die die Mehrheit (58 Prozent) aller nicht verbundenen Amerikaner darstellen, sagen, dass die Religion in ihrem Leben nicht persönlich wichtig ist und sagen, dass die Religion als Ganzes in der Gesellschaft mehr schadet als gut ist. Religionstolerante (22 Prozent der Ungebundenen) sagen, dass die Religion ihnen persönlich nicht wichtig ist, aber meinen, dass es im Allgemeinen sozial hilfreicher als schädlich ist. Die ungebundenen Gläubigen (18 Prozent der Ungebundenen) sagen, dass die Religion ihnen persönlich wichtig ist.

Diese Untergruppen der religiös Ungebundenen unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer formalen Bildung.

Während 32 Prozent aller religiös Ungebundenen einen Universitätsabschluss haben, sind es von den Religionsgegnern 38 Prozent, von den Religionstoleranten 30 Prozent und von den ungebundenen Gläubigen 13 Prozent.

Und auch in anderen Aspekten unterscheiden sich diese drei Untergruppen. Hinsichtlich der Auffassung: „Es ist notwendig an Gott zu glauben um Moral und gute Werte zu haben“ sind es 13 Prozent der Religionsgegner, die dem zustimmen, 18 Prozent der Religionstoleranten und mehr als die Hälfte (54 Prozent) der ungebundenen Gläubigen.

Der Auffassung, „es ist für Kinder wichtig, in einer Religion aufzuwachsen, die sie gute Werte lehrt“, stimmen 18 Prozent der Religionsgegner zu, aber 70 Prozent der ungebundenen Gläubigen.

 (CF)