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Todesstrafe - die weltweite Entwicklung

Bis zur Mitte des 20ten Jahrhunderts war die Todesstrafe in den meisten Staaten der Welt ein gängiges Mittel juristischer Strafkonzeption. Nach dem Zweiten Weltkrieg gewannen Bewegungen, welche die Abschaffung der Todesstrafe zum Ziel haben, an Popularität. Infolge des veränderten Diskurses haben seitdem zahlreiche Staaten die Anwendung der Todesstrafe ausgesetzt oder diese gänzlich abgeschafft. Andere halten weiter an dieser Praxis fest.

Von Jan-Tobias Peterle

Historie

Die Todesstrafe als juristisches Konzept findet in der Menschheitsgeschichte seit Jahrtausenden Anwendung. Frühe Belege dafür finden sich beispielsweise bereits in der ältesten bekannten und überlieferten Rechtssammlung, dem auf ca. 2100 v. Chr. datierten mesopotamischen „Codex Ur-Nammu“. Dort ist sie für Tatbestände wie Ehebruch, Raub, Mord oder Vergewaltigung vorgesehen. Sie entwickelte sich aus dem ungeschriebenen Sippenrecht vorstaatlicher Gesellschaften, in denen sie im Konzept der „Blutrache“ Anwendung fand. Die Todesstrafe wurde und wird in der Geschichte besonders häufig im militärischen Kontext, z. B. dem Kriegsrecht, aber auch im zivilen Bereich ausgesprochen. Die Gründe, die zu einem Todesurteil führen, sind sehr verschieden. Häufig handelt es sich um Kapitalverbrechen wie Mord, aber auch politische Hintergründe, als blasphemisch oder kritisch eingestufte Äußerungen oder „moralische Verfehlungen“ wurden und werden mit dem Tod geahndet.

Die Art und Weise der Vollstreckung war und ist vielfältig. Historisch lässt sie sich dabei in drei Verantwortungsbereiche unterteilen. Hinrichtungsarten wie die Steinigung legen die Ausführung der Strafe in die Hände der Gemeinschaft und sind damit relativ nahe am Konzept der persönlichen Blutrache. Dabei kamen verschiedenste Tötungsformen zum Einsatz, von der eigenhändigen Tötung bis zur öffentlichen Hinrichtung als Volksspektakel, wie z. B. die öffentliche Verbrennung oder die Tötung durch wilde Tiere. Im Laufe der Geschichte legte die Gesellschaft jene verabscheute Pflicht zum Töten der Täter in die Hände einer dazu bestimmten Person: Ein Henker erfüllte nun die Aufgabe, Hinrichtungen auszuführen. Er selbst musste in der Regel, nebst seinen Angehörigen, durch die ihm von der Gemeinschaft auferlegte Blutschuld als Ausgestoßener und Geächteter ein Leben am Rande der Gemeinschaft führen. Die dritte Form der Todesstrafe war die Verbannung des Verurteilten aus der Gesellschaft und dessen Einstufung als friedlos bzw. vogelfrei. Die Betroffenen waren in der Wildnis außerhalb der Zivilisation alleine und ohne Hilfe kaum überlebensfähig und deren Tötung durch eine ihnen zufällig begegnende Person wurde nicht nur hingenommen, sondern galt häufig sogar als Pflicht.

Ab der Neuzeit wurde mit der Erfindung und Verbreitung von Schusswaffen und Tötungsapparaten wie der Guillotine und der späteren Anwendung von Gas eine neue Quantität des Tötens erreicht. In jüngerer Vergangenheit hat sich bei der Anwendung der Todesstrafe überwiegend der Wunsch nach einer möglichst „humanen“ Tötungsart durchgesetzt. Die langsame oder besonders grausame Vollstreckung der Todesstrafe wurde kritisiert, was sich in der Entwicklung neuer Hinrichtungsformen, wie die Anwendung von tödlichen Injektionen niedergeschlagen hat. Ob diese Formen der Hinrichtung tatsächlich „sicherer und humaner“ sind, darf angesichts der zahlreichen, öffentlich bekannt gewordenen Zwischenfälle bezweifelt werden.

Das Erstarken der Bewegung zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe

Nach dem Zweiten Weltkrieg, indem gerade traditionelle Formen der Hinrichtung wie die Anwendung der Guillotine, deren Beil allein in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus zwischen 10.000 und 15.000 Mal fiel, eine Blütephase erlebten, kam es in Westeuropa zu einer breiten Debatte über die Rechtmäßigkeit der Todesstrafe als Mittel staatlicher Gerichtsbarkeit. Mit Inkrafttreten der Europäischen Menschenrechtskonvention 1953 wurde der Anwendung der Todesstrafe klare Grenzen gesetzt. Mit der sich wandelnden öffentlichen Haltung trat der Europarat ab den 1970er Jahren als entschiedener Gegner der Todesstrafe auf. 1983 verlangte das 6. Fakultativprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention auch die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten. Im 13. Fakultativprotokoll 2002 dann auch deren Abschaffung in Kriegszeiten.

Die Europäische Union hat die vollständige Abschaffung der Todesstrafe inzwischen zur Aufnahmebedingung für neue Mitgliedsstaaten gemacht.

Während in Europa die Todesstrafe (bis auf Weißrussland) faktisch vollständig abgeschafft ist, ist dies weltweit betrachtet ein weitaus langsamerer Prozess. Neben der EU setzen sich auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International und die UNO für ein weltweites Moratorium und letztlich für eine globale Abschaffung der Todesstrafe ein. Folgende Grafik gibt eine Übersicht über die aktuelle weltweite Situation.

Aktuell haben 105 Staaten die Todesstrafe vollständig abgeschafft, 8 Staaten sehen die Todesstrafe nur noch für außergewöhnliche Straftaten wie etwa Kriegsverbrechen oder Vergehen nach Militärrecht vor, 29 Staaten haben die Todesstrafe in der Praxis, aber nicht im Gesetz abgeschafft und 56 Staaten halten weiterhin an der Todesstrafe fest. Das bedeutet, dass momentan insgesamt 142 Staaten, was etwa 72 Prozent aller Staaten entspricht, die Todesstrafe nicht anwenden.

Anzahl der Staaten

Die Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe hat in den letzten Jahrzehnten zu einem deutlichen Wandel geführt und zahlreiche Staaten haben die Todesstrafe bereits abgeschafft oder wenden diese zumindest in der Praxis nicht mehr an. Dabei ist zu beachten, dass die Gesamtanzahl der Staaten über die Zeit variiert und nicht vollständig ist. Noch ersichtlicher wird der Trend, wenn die Zahlen prozentual betrachtet werden. Die folgende Grafik gibt einen Überblick zu den diesbezüglichen Entwicklungen seit 1980.


Anzahl von Hinrichtungen nach Staaten

Die Anzahl der hinrichtenden Staaten ist jedoch, wie die folgende Grafik deutlich zeigt, ein ungeeigneter Gradmesser dafür, dass es eine tatsächliche Abnahme von vollstreckten Todesurteilen gibt. Der Großteil der Hinrichtungen konzentriert sich auf eine kleine Anzahl von Ländern. Dies sind insbesondere die muslimisch geprägten Länder Ägypten, Pakistan, Saudi-Arabien, der Iran und der Irak, aber auch die USA.

Auch ist belegt, dass China, Nordkorea, Vietnam und der Südsudan Hinrichtungen durchführen. Die genaue Anzahl ist jedoch unbekannt, da diese Länder die Anzahl der Hinrichtungen geheim halten.

Anzahl der durchgeführten Hinrichtungen

Wie die folgende Grafik belegt, unterliegt die offizielle Anzahl der jährlichen Hinrichtungen sehr starken Schwankungen. Diese erschweren es, einen allgemeinen Trend auszumachen.

Deutlich wird aber, dass die Anzahl der weltweit durchgeführten Hinrichtungen maßgeblich von China abhängen.

Die Sonderrolle Chinas

China ist das Land, welches mit großem Abstand die meisten Hinrichtungen vornimmt. Die genaue Anzahl der Hinrichtungen in China ist jedoch aktuell unbekannt, da das Land die Anzahl der Hinrichtungen seit 2009 als Staatsgeheimnis behandelt und diese nicht mehr veröffentlicht. Auch vor 2009 war die Datenlage aufgrund mangelnder Transparenz unklar. Amnesty International schätzt, dass die Anzahl der Todesurteile aktuell immer noch in die Tausende geht, die Tendenz aber deutlich sinkend ist. Die in den USA ansässige und auf die Menschenrechtslage in China spezialisierte „Dui Hua Stiftung“ geht auf der Grundlage von Angaben chinesischer Behördenvertreter ebenfalls davon aus, dass die Anzahl der Hinrichtungen in den letzten Jahren stark gesunken ist. Sie beziffert den Rückgang von etwa 12.000 Hinrichtungen im Jahre 2002 auf etwa 2.400 im Jahre 2013. Diese Zahlen weichen aber deutlich von den durch die chinesischen Behörden veröffentlichten Zahlen vor dem Jahr 2009, deren Validität ebenfalls in Frage gestellt werden muss, ab. Fest steht, dass die Anzahl der in China ausgeführten Hinrichtungen bei einem Vielfachen der Gesamtsumme an vollstreckten Todesurteile aller anderen Staaten liegt. Somit ist China der maßgebliche Faktor in Bezug auf die weltweite Anzahl an vollstreckten Todesurteilen und auch die zukünftige Entwicklung der absoluten Hinrichtungszahlen wird maßgeblich von der Praxis Chinas bestimmt werden.

Quellenlage

Wie am Beispiel Chinas ersichtlich wurde, ist die Quellenlage unsicher und insbesondere die Anzahl der ausgeführten Hinrichtungen schwer zu ermitteln. Einige Staaten behandeln wie China die Zahlen zu Hinrichtungen als Staatsgeheimnis. Außerdem ist, aufgrund der Intransparenz einiger Länder und der Brisanz der Daten aufgrund der zunehmenden Ächtung der Todesstrafe zu vermuten, dass die Dunkelziffer teilweise deutlich über den in den offiziellen Angaben genannten Zahlen liegt. Dieser Bericht nutzt daher insbesondere die von der Nichtregierungsorganisation Amnesty International gesammelten Daten, die sich auf Recherchen zu bekundeten Fällen stützen und unsichere Schätzungen vermeiden. Dennoch ist zu bedenken, dass es kaum möglich ist, an absolut gesicherte Zahlen zu gelangen, da es keine internationale und unabhängige Behörde gibt, die sich der Überprüfung strittiger Daten annehmen könnte.

Zukunftsaussicht

Wie die Analyse der Zahlen von 1980 bis 2015 gezeigt hat, sinkt sowohl die Anzahl der Staaten, die die Todesstrafe anwenden, als auch die Anzahl der durchgeführten Hinrichtungen weltweit. Letzteres ist vor allem auf die in den letzten Jahren deutlich sinkenden Hinrichtungszahlen in China zurückzuführen. Auch in den USA ist die Anzahl der vollstreckten Todesurteile rückläufig.

Insgesamt betrachtet, ist eine Fortführung des Trends in Richtung weniger Hinrichtungen jedoch keinesfalls gesichert. Die internationale Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe ist historisch betrachtet ein relativ junges Phänomen. Jüngst gibt es in einigen Ländern wie der Türkei oder Israel Bestrebungen, die bereits abgeschaffte Todesstrafe wieder einzuführen oder die Tatbestände, für die sie ausgesprochen wird, auszuweiten. Auch sympathisieren in vielen Ländern Teile der Bevölkerung mit der Wiedereinführung der Todesstrafe. Besondere Beunruhigung löste 2014 eine Studie des Erlanger Strafrechtsprofessors Franz Streng über deutsche Jurastudenten in Erlangen und Konstanz aus, bei der jeder dritte Student sich als Befürworter der Todesstrafe bezeichnete. Dies zeigt, dass es trotz Abschaffung der Todesstrafe hierzulande wichtig ist, weiterhin Anstrengungen in die Debatte darüber zu investieren um einen Rückfall in Zeiten, in denen der Staat auch bei uns noch über Leben und Tod seiner Bürger entscheiden durfte, zu verhindern.