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UK: Sterbehilfedebatte

Im Vorfeld einer Abstimmung im britischen Oberhaus („House of Lords“) hat YouGov die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage publiziert: Die Bevölkerung will mit großer Mehrheit die Legalisierung der ärztlich assistierten Sterbebegleitung, die Parlamentarier wollen es nicht. Damit steht auch diese Umfrage im Trend der vergangenen Jahre/Jahrzehnte, wie es auch für Deutschland bis Februar 2020 typisch war.

Das neuerliche (dritte) Gesetzgebungsverfahren für eine „Assisted Dying Bill“ beginnt im britischen Oberhaus und wird diesen Herbst in eine zweite Lesung gehen, bevor es dann im Unterhaus weiter beraten wird. Die Meinungen zwischen der Bevölkerung und dem Parlament, dass ein entsprechendes Gesetz 2015 mit 330 vs. 118 im Unterhaus abgelehnt hatte, sind sehr unterschiedlich.

Historischer Rückblick

Im Bericht zur Sterbehilfe-Gesetzgebung des House of Lords im britischen Parlament („Committee on Assisted Dying for the Terminally Ill Bill”) von 2015, wird auch vermerkt, dass es aufgrund von Umfragen „offensichtlich ist, dass es zumindest für das Konzept der Sterbehilfe eine große Sympathie gibt, und es scheint wahrscheinlich, dass der Grad der Sympathie in den letzten Jahren zugenommen hat“. Im Einzelnen:

- Eine MORI-Umfrage aus dem Jahr 1987, die von zwei in der Pro-Life-Bewegung aktiven Organisationen in Auftrag gegeben wurde, ergab, dass 72 % der Befragten die Legalisierung der Euthanasie befürworten;
- BSA-Umfragen in den Jahren 1984, 1989 und 1994 ergaben eine wachsende Mehrheit (75 % bis 82 %), die sich dafür aussprach, dass Ärzte das Leben eines Patienten beenden dürfen, der an einer „schmerzhaften, unheilbaren Krankheit“ leidet;
- Von der VES in Auftrag gegebene NOP-Umfragen in den Jahren 1976, 1985, 1989 und 1993 zeigten ein ähnliches Muster der Unterstützung für die These, dass es Erwachsenen erlaubt sein sollte, „ärztliche Hilfe für einen sofortigen friedlichen Tod zu erhalten, wenn sie an einer unheilbaren körperlichen Krankheit leiden, die für sie unerträglich ist“;
- Ähnliche von der VES in Auftrag gegebene NOP-Umfragen in den Jahren 2002 und 2004 ergaben eine Unterstützung von über 80 % für die Aussage, dass „eine Person, die unerträglich an einer unheilbaren Krankheit leidet, per Gesetz die Möglichkeit haben sollte, medizinische Hilfe zum Sterben zu erhalten, wenn sie dies wünscht“.

Gleichzeitig wird vermerkt, dass die Ansichten der Politiker sich demgegenüber diametral verhalten und auf Ablehnung fokussiert sind.

„Die Ansichten der Politiker, die in zwei Umfragen (1995 und 2004) ermittelt wurden, stehen in krassem Gegensatz zu den oben dargestellten. Im Jahr 1995 lehnten 70 % der Abgeordneten die freiwillige Sterbehilfe für unheilbar Kranke ab und 27 % befürworteten sie grundsätzlich. Im Jahr 2004 war die Ablehnung auf 79 % angestiegen.“

Umfrage 2015

Im Jahr 2015 wurde eine Umfrage durch Yonder Consulting durchgeführt, deren Ergebnisse detailliert publiziert wurden.

Die Verteilungen zwischen den Altersgruppen wie zwischen den Wahlpräferenzen/Parteianhängern unterscheiden sich kaum, wenn man die Variationen vernachlässigt und die Gruppe der „Dafür“ insgesamt betrachtet, was ja der Logik einer parlamentarischen Abstimmung entspricht: Rund 80 Prozent (und mehr) sind für eine Erlaubnis eines ärztlich assistierten Suizids.

Auch hinsichtlich der Religionszugehörigkeit zeigt sich (bei zum Teil sehr geringen Fallzahlen) – bis auf die Muslime - die gleiche Verteilung, dass rund 80 Prozent für die Erlaubnis einer Sterbehilfe sind. Nur die Muslime sind mehrheitlich dagegen.

Im Falle der Situation, dass man persönlich darum gebeten werden würde, einem Angehörigen beim Sterben beizustehen (was zum Zeitpunkt der Befragung strafbar war und immer noch ist) ist die Unsicherheit groß. Dennoch würden 44 Prozent definitiv bzw. wahrscheinlich helfen.


Umfrage 2021

Im Mai/Juni 2021 befragte YouGov einerseits 1.758 Erwachsene sowie andererseits 100 Abgeordnete (MPs). Das Ergebnis zeigt, dass die Positionen unverändert geblieben sind: “Three quarters of Britons support doctor-assisted suicide. Just one in three MPs say the same”.

Bei der Bewertung zeigt sich ein deutlicher Unterschied, ob es sich um die Sterbehilfe für eine letale, d. h. tödliche Krankheit handelt oder nicht. Bei einer letalen Krankheit sind es 70 Prozent, bei einer nicht-letalen Krankheit, sind sich mehr als ein Viertel (27 Prozent) unsicher, während 50 Prozent die Legalisierung befürworten.

Bei den befragten Parlamentariern sind es bei einer letalen Krankheit jeweils rund ein Drittel, die eine gesetzliche Legalisierung erlauben bzw. nicht erlauben wollen, bzw. sich unsicher sind. Bei einer nicht-letalen Krankheit ist die Mehrheit (51 Prozent) gegen eine Legalisierung. Für beide Aspekte ist der Widerstand bei den Konservativen am ausgeprägtesten, was im Widerspruch zu den Auffassungen ihrer Wähler steht (vgl. Tabelle 2).

In einem Zwei-Monatsrhythmus hat YouGov die Auffassungen zum zweiten Aspekt der unheilbaren aber nicht-letalen Krankheit erfragt: „Sind Sie der Meinung, dass das Gesetz geändert werden sollte, um jemandem die Beihilfe zum Suizid zu gestatten, der an einer schmerzhaften, unheilbaren, aber nicht tödlichen Krankheit leidet?“ Die Meinungen dazu sind stabil.

Die katholische Kirche in England und Wales warnt aktuell eindringlich vor einer Zustimmung.

Im Unterschied zu 2015, als sowohl der Erzbischof von Canterbury wie der Erzbischof von Westminster sich an das Parlament gewandt hatten, mit der Aufforderung das Gesetz abzulehnen, hat sich 2021 eine Gruppe von Geistlichen aller Religionen gebildet, einschließlich des Erzbischofs von Canterbury, die befürworten, dass sich die Religionen mit Stellungnahmen zurückhalten und religiöse Argumente gegen die Sterbehilfe in Frage zu stellen.

The Jewish Chronicle berichtet (2021): “Poll finds majority of religious Brits favour assisted dying - as rabbi leads new euthanasia alliance”.

„Die neue religiöse Allianz, die Sterbehilfe unterstützt, umfasst Mitglieder des Judentums, der Kirche von England, der Quäker, der Methodisten, der Unitarier, der Vereinigten Reformierten Kirche, der Muslime, der Katholiken sowie der Baptisten und Evangelikalen.
[Der Rabbiner] sagte: „Viele gläubige Menschen aller Konfessionen, sowohl Laien als auch Führungspersönlichkeiten, unterstützen ein Gesetz, das eine echte Entscheidungsfreiheit am Lebensende in diesem Land ermöglichen würde.“
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass jeder Antrag auf Sterbehilfe von zwei Ärzten und einem Richter des Obersten Gerichtshofs geprüft wird, so dass ein Kranker zu einem Zeitpunkt, an einem Ort und auf eine Weise seiner Wahl sterben kann.
Die zweite Lesung des Gesetzentwurfs ist für den Herbst vorgesehen.“

(CF)