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Weltanschauung/Religion auf Plakaten

Eine Weltanschauung/Religion hat man im Kopf und kann darüber sprechen oder in Büchern darüber lesen. Aber wie kann eine Weltanschauung/Religion anschaulich werden? Auf Plakaten? Während die Plakate/Plakatwände in Europa sich aber eher auf Parteien im Wahlkampf und Konsumgüterwerbung beschränken, war das in der UdSSR und ist das in den USA deutlich anders. Eine ‚Tour d’Horizon‘ – einschließlich Deutschland – zur Öffentlichkeit von Plakaten zum Thema Religion und Kirchen.

1. Vorbemerkung
    1.1. Grundsätzliches
     1.2. Propaganda und Kirchen
     1.3. Versalien
     1.4. Reformation
2. Antireligiöse Propaganda in der UdSSR
3. Billboards in den USA
     3.1. Eine Übersicht
     3.2. Konfrontationen
     3.3. Wenn schon, denn schon
4. Deutschland / Österreich / Schweiz
     4.1. Kaiserreich und Weimarer Republik
     4.2. Nationalsozialismus
     4.3. Bundesrepublik Deutschland
     4.4. Österreich und Schweiz
     4.5. Blockaden
5. Dumm gelaufen
6. Fazit

1. Vorbemerkung

1.1. Grundsätzliches

Am besten wird der Zweck der Plakate im Themenbereich Religion/Weltanschauung dem Aspekt der Propaganda zugeordnet. Auch wenn die Begrifflichkeit unscharf ist, scheint er am angemessensten zu sein. So schreibt Joachim Westerbarkey in: „Propaganda – Public Relations -Reklame. Ein typologischer Entwurf.“, in Communicatio Socialis (ComSoc ), Heft 34 (2001), dass der Begriff „uneinheitlich und widersprüchlich“ sei, was allerdings den vielfältigen Verwendungen entspricht.

„Der Begriff Propaganda, dessen lateinische Wiege bekanntlich 1622 im Vatikan stand, wurde bis Mitte des 20. Jahrhunderts stets von seinen Apologeten positiv konnotiert und von deren Gegnern negativ, und zu seinen Befürwortern gehörten immerhin französische Revolutionäre, Gründer von Großunternehmen und Abgeordnete patriotischer Parteien. Noch in den 30er und 40er Jahren wird er vielschichtig und uneinheitlich verwandt, denn sein Bedeutungsfeld erstreckt sich „von ,Anzeigenkampagnen‘ und ,Werbefeldzügen‘ bis zur ,Psychologischen Kriegsführung“ ‘. Dementsprechend fallen auch seine wissenschaftlichen Abgrenzungen zu verwandten Kategorien höchst uneinheitlich und widersprüchlich aus: Mal wird Propaganda als Sonderfall von Werbung definiert, mal als Typ von Public Relations oder wieder als Oberbegriff von PR. Dass Lenin und Goebbels ihn gründlich desavouiert haben, hatte letztlich nur zur Folge, dass heute eine adäquate Bezeichnung für die allgegenwärtige Werbung für Ideen, Werte, Lebensregeln oder komplette Weltanschauungen fehlt.“

1.2. Propaganda und Kirchen

In den „Theories of Propaganda“ heißt es ebenso, dass der Begriff der Propaganda 1622 von der katholischen Kirche im Zuge der Gegenreformation entwickelt wurde.

„Der Begriff Propaganda stammt von der lateinischen Congregatio de propaganda fide (Kongregation für die Verbreitung des Glaubens), die von der katholischen Kirche 1622 während der Gegenreformationsbewegung gegründet wurde, als sich verschiedene Gruppen von der katholischen Kirche abspalteten. Die Kongregation war Teil der Gegenreformationsbewegung der Kirche.“

So steht die Propaganda, seit ihrem Beginn, auch in einem ausdrücklich religiösen/antireligiösen Kontext. Im 1. Weltkrieg wurde nicht nur mit Waffen gekämpft, es ging auch um „Die Propaganda der Kirchen“.

„Sowohl Katholiken als auch Protestanten predigen vom ‚heiligen Krieg‘ und nutzen Kirchenlieder für Kriegspropaganda. ‚Das Kirchenlied wird im Ersten Weltkrieg zum Kriegsverbündeten‘, sagt Michael Fischer. Der Musikwissenschaftler und Theologe hat an der Universität Freiburg ein Forschungsprojekt durchgeführt, das sich mit Religion, Nation und Krieg in Kirchenliedern beschäftigt. ‚Beide Kirchen betreiben Kriegspropaganda, haben im Großen und Ganzen die gleichen Argumentationsfiguren‘, sagt er. ‚Beide geben auch Soldatengesangbücher mit geistlichen und vaterländischen Liedern heraus. Das Kirchenlied als gezielte Kriegspropaganda scheint aber ein evangelisches Phänomen zu sein.‘“

Was nicht heißt, dass die katholische Kirche ihre Propaganda verlernt hätte. Im ZEIT-Interview mit dem Historiker Volker Reinhardt: „Wie sieht der Papst der Zukunft aus?“ meint Reinhardt u. a.: „Päpste sind Meister der Mediennutzung und der Propaganda“.

„Päpste sind Meister der Mediennutzung und der Propaganda. Sie haben früh erkannt, dass sie auf Basis der Worte alleine anfechtbar sind. Man kann die Bibel gegen sie auslegen. Deshalb stützen sie sich seit jeher auf die Macht der Sinnesorgane. Das sieht man bereits an den Basiliken der Spätantike. Ganz eklatant tritt das jedoch in der Renaissance zutage: Die Sixtinische Kapelle ist ein überwältigender Bildersaal. Tausende Gemälde im Vatikan sollen von der Macht des Papstes zeugen. Und das funktioniert, da Menschen in erschreckendem Maße empfänglich für Bilder sind.“

Und so ist es ein kurzer Weg zu der Untersuchung „Glänzende Propaganda. Kirchengeschichte auf Papstmedaillen“ von Kay Ehling / Jörg Ernesti.

„Der Titel Glänzende Propaganda ist bewusst gewählt. Nicht erst seit dem Zeitalter des Medienpapsttums sind die Päpste darauf angewiesen, ihre eigene Amtsführung zu rechtfertigen und nach außen hin darzustellen. Das gilt sowohl für ihre Rolle als Kirchenführer als auch für ihr gesellschaftlich-politisches Wirken. Vor dem Medienzeitalter haben sich Medaillen als probates Mittel dazu erwiesen. Auch nach dem in der Moderne andere Formen der Selbstdarstellung in den Vordergrund getreten sind, wird die alte Usance, alljährlich Medaillen auszugeben, weitergepflegt.“

Subtiler wird es, wenn dem Betrachter der enthaltene Propaganda-Effekt nicht ‚gleich ins Auge springt‘, wie bei der Europa-Flagge, die dem christlichen Weltbild der drei ‚Gründungsväter‘ entspricht, den Katholiken Alcide de Gasperi (Italien), Robert Schumann (Frankreich) und Konrad Adenauer: Die zwölf Sterne sind als Strahlenkranz die Darstellung der Vollkommenheit der Gottesmutter Maria.

„Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt“ (Offb 12,1).

Und die Spitzen der Sterne (auf der EU-Flagge) müssen nach oben zeigen (gute Magie), zeigen sie nach unten, wäre es böse Magie.

1.3. Versalien

Auf einer ganzen Reihe von Plakaten werden Versalien (Großbuchstaben) verwendet. Damit werden Wörter oder kurze Slogans als wichtig hervorgehoben, in Internet-Mails gelten Wörter aus Versalien als ‚Aufschrei‘.

In dieser Weise verschafften sich in den USA Aktivisten der LGBT-Bewegung mit ihrem Protest gegen die katholische Kirche Aufmerksamkeit, November 2020.

Eine multimediale Botschaft nur mit Versalien (auf Plakaten, Billboards, Zeitungsanzeigen, Postern) war auch die Kampagne (aus drei Wörtern und neun Buchstaben: „WAR IS OVER!“) von John Lennon und Yoko Ono ab Dezember 1969: „War is Over – John Lennon & Yoko Ono’s massive poster campaign“, wobei die Irrealität der Botschaft „WAR IS OVER“ dann nur im sehr Kleingedruckten unten stand: „IF YOU WANT IT“.

Da die Plakate, vor allem in den USA, auf großen Werbetafeln am Straßenrand oder Autobahnen stehen, also vor allem im Vorüberfahren wahrgenommen werden, müssen die Texte kurz und schnell – auf einen Blick hin – zu lesen sein.

1.4. Reformation

Mit dem Aufkommen des Buchdrucks und der Vervielfältigung von Holzschnitten verwenden die Protestanten eifrig das neue Medium, um die katholische Kirche und das Papsttum zu diskreditieren. So gab es, neben den militärischen Unternehmungen, auch „Propagandakriege in der Reformation“.

Der Buchdruck „förderte die Verbreitung der protestantischen Sache. Für die neuen Protestanten war der Druck das Mittel, um sich der Macht von Kirche und Staat entgegenzustellen. Es war das Medium, das zur Verbreitung von Ideen, zur Verbreitung von Überzeugungen, zur Weitergabe des Wortes Gottes und zur Bildung der öffentlichen Meinung genutzt wurde. Zwischen 1517 und 1520 wurden von Luthers Publikationen über 300 000 Exemplare verkauft. Holzschnitte - oder „gestochene Flugschriften“ - wurden während der „Propagandakriege“ zur Zeit der protestantischen Reformation zu einem der wichtigsten Mittel zur Verbreitung von Botschaften.“

Besonders Martin Luther ist der in Text und der Star der Flugschriften: „Ein Mann als Marke“. Der politisch-religiöse Gegner, die katholische Kirche mit dem Papst, werden von den Protestanten direkt attackiert. Zwei Beispiele sind Traktat und Holzschnitt zu „Wider das Bapstum zu Rom vom Teuffel gestifft“ (links) und der „Papstesel“ (rechts).

 Die Mosaiken an christlichen Kirchen sind schon eine seinerzeitige Art von Plakat zur Selbstdarstellung, wie ein Mosaik an der Kirche St. Antonius von Padua in Istanbul.

Ebenso die mittelalterlichen Glasmalereien der Kirchenfester, die personale Geschichten verkündeten, wie im Xantener Dom. Sie sind gleichsam „Gebete aus Glas“.

2. Antireligiöse Propaganda in der UdSSR

Seit 1919 bis in die 1980er Jahre gibt es zahlreiche Plakate, die den Kampf gegen die Religionen thematisieren. Zu diesen antireligiösen Plakaten in der UdSSR gibt es eine Anzahl von beispielhaften Sammlungen. Zahlreiche antireligiöse Plakate aus der UdSSR in: „Down with God! How the Soviet Union took on religion – in pictures“ im britischen Guardian (2019). Ebenso finden sich Plakate, mit Texten, in der „Merrill C. Berman Collection“, sowie in der Sammlung „15 antireligiöse Plakate aus der UdSSR“.

Zum Hintergrund muss immer mit bedacht werden, dass die Russisch-Orthodoxe Kirche in Russland wesentliche Stütze des Zarentums und Teil der Staatsbürokratie war.


Plakat: Es gibt keinen Gott (1962). „Der prominenteste Atheist unter den Kosmonauten war Gherman Titov, dessen Flug im August 1961 auf den von Juri Gagarin im April folgte. Im Jahr 1962 erklärte er auf der Weltausstellung in Seattle, dass er keine Götter oder Engel im Weltraum gesehen habe und an die Kraft und Vernunft der Menschen glaube. Dieses Plakat mit dem Titel „Es gibt keinen Gott“ – erinnert an ihn.“ (The Guardian)

Manchmal wird der Kosmonaut auch mit Juri Gagarin in Verbindung gebracht.

Dazu schreibt eine Mitarbeiterin der Forschungswerkstatt des Religionswissenschaftlichen Instituts der Universität Leipzig:

„Wenn man das Bild betrachtet, fallen die Dualismen auf. Der Blick fällt zunächst auf den ikonischen Traktor, der eine Einheit mit den beiden Männern bildet, die ihn fahren. Die Traktorfahrer sind auf dem Weg in die Industriestadt – in Richtung Fortschritt, Standardisierung, Kollektivismus und Industrialisierung. Die Gruppe der religiösen Führer scheint diese Bewegung zu behindern. Sie stehen zwischen den ehrgeizigen Traktoristen und dem Fortschritt, der durch die Industrialisierung gekennzeichnet ist. Ein Traktorist hält eine rote Fahne mit der Aufschrift „Kulturrevolution! Dieser Slogan war in den 1930er Jahren populär, um dem Neuen Menschen des Sozialismus, der als atheistisch, produktiv, einheitlich und fortschrittlich galt, eine neue Kultur zu verschaffen. Wenn man sich die Traktoristen ansieht, erkennt man an ihrem äußeren Erscheinungsbild, dass sie diesem Ideal voll und ganz entsprechen. Diese Uniformität der sozialistischen Arbeiter ist das direkte Gegenteil der Heterogenität der protestierenden Männer – der ‚Feinde‘ der Neuen Ordnung.“  (Franca Borger)


„Das Plakat ist Ausdruck der allgemeinen antiklerikalen Haltung und der spezifischen Feindseligkeit der Bolschewiki in der frühen Sowjetunion gegenüber der orthodoxen Kirche. Viktor Deni gestaltet die Botschaften auf dem Plakat. Er stellt den Zwiespalt zwischen den armen Laien und dem reichen Klerus durch die Körperhaltung der Protagonisten eindrucksvoll dar. Das Bauernpaar nimmt vor dem residierenden Geistlichen eine unterwürfige Haltung ein, während er die gesamte Macht der orthodoxen Kirche repräsentiert. Das Bauernpaar repräsentiert die ausgebeutete Landbevölkerung. Der Zustand der Kleidung der Personen unterstreicht den Klassenunterschied.“ (Saskia Wolters)

Es gibt dazu Ausstellungen in Deutschland: „Antireligiöse Plakate aus der Sowjetunion“ in Berlin, Februar 2022 in der evangelischen Thomaskirche oder wie in Marburg (2015): „‘Es gibt keinen Gott!‘ Kirche und Religion in sowjetischen Plakaten“.

Die meisten der in diesen Ausstellungen gezeigten Plakate stammen aus dem Museum für Religionsgeschichte in St. Petersburg. Zum gegenwärtigen Stand heißt es auf wikipedia, dass die Zeiten sich geändert haben.

„Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde der Atheismus als Ausstellungsthema aufgegeben, ‚den Schwerpunkt in der wieder recht gottgefälligen Exposition stellt selbstverständlich die orthodoxe Kirche‘“.

3. Billboards in den USA

3.1. Eine Übersicht

„Billboards“ sind große Anschlag- bzw. Plakattafeln, manchmal an Häusern, häufiger alleinstehend und meistens beleuchtet. Die Verwendungen durch Religionsgemeinschaften/Kirchen sowie Atheisten/Freidenkern sind einfallsreich, durchaus eigenwillig, manchmal eigenartig. In vier Bundesstaaten sind Billboards allerdings nicht erlaubt.

„Viele Städte und Staaten sind auf natürliche Schönheit und visuelle Qualität angewiesen, um Unternehmen und Touristen anzuziehen. Reklametafeln stören das Landschaftsbild Amerikas und entwerten das größte Gut unserer Nation - die natürliche Schönheit. Vier Staaten verbieten Plakatwände vollständig: Alaska, Hawaii, Maine und Vermont. Alle diese Staaten sind vom Tourismus abhängig und haben erkannt, dass die Kontrolle der Beschilderung dazu beiträgt, Touristengelder anzuziehen und die lokale Wirtschaft zu fördern.“ (Scenic America)

Die Größenordnung dieser Propaganda in den USA wird bereits in der Selbstdarstellung einer einzigen Organisation, der „Christian Aid Ministries“ (CAM) deutlich, die als christliches Hilfswerk für ihre „Billboard Evangelisation“ 2020 eine Anzahl von 1.235 Plakattafeln, nennt, die von 26,8 Millionen Personen täglich angeschaut würden. „Zweckerklärung: Um ihre Augen zu öffnen und sie von der Finsternis zum Licht zu wenden und von der Macht des Satans zu Gott, damit sie Vergebung der Sünden empfangen… (Apostelgeschichte 26:18)“. 2019 waren es 965 Plakattafel mit 17,8 Mio. Blickkontakten täglich:

Telefonnummer: (83) FOR-TRUTH. d. h. 83 – 367 - 87 884.

Scenic America schätzt die Anzahl der Billboards in den USA (2021) auf insgesamt 439.711 Plakattafeln. Will man ein bestehendes Billboard kaufen, so rangieren die Preise zwischen 60.000 bis 148.000 US-Dollar. Sofern man ein CAM-Billboard ‚adoptieren‘ will, hat man beispielsweise die Auswahl zwischen 250, 500, 750 oder 1.000 US-Dollar monatlich.

Das erste atheistische Billboard in den USA wird für Januar 2008 dokumentiert. Es ist der Text „Don’t believe in God? You are not alone“. (Du glaubst nicht an Gott? Du bist nicht allein.) Die Anzeigetafel war von der American Humanist Association (“Nontheist Billboard Greets NYC Area Motorists”) und der FreeThoughtAction gemietet worden.

Dieses Motiv wurde seitdem, auch von anderen Organisationen, vielfach eingesetzt.

Dass diese Plakataktionen auch nicht unbedingt genehmigt werden, da zu ‚provokativ‘, darauf verweist ein Konflikt der American Atheist mit der Genehmigungsbehörde im Dezember 2017: „‚Fake News‘: Provocative billboard claims the Gospel isn’t true“. Die christliche Adventszeit ist bei den Atheisten, Humanisten und Freidenkern in den USA ein besonders beliebter Zeitraum für die Plakatierung. Auf den Plakaten stand: „Just skip church it’s all fake news” (Einfach die Kirche schwänzen, das sind alles Fake News).

Dazu gibt es mittlerweile auch wissenschaftliche Untersuchungen wie Daniel H. Olsen: „Christian-Atheist Billboard Wars in the United States“ (2014). (Christlich-atheistischer Plakattafel-Krieg in den Vereinigten Staaten)

Zur Anzahl der religiösen/atheistischen Billboards ließen sich keine Gesamtzahlen feststellen, aber ein Kommentar in The Fader (Ann-Derrick Gaillot: „Signs From God“) nennt (für 2016) die Relation von „großer Teil“ vs. „schwache Zahl“.

„Amerikas Reklametafeln zeichnen ein nationales Bild, das einerseits trügerisch, andererseits aber auch aufschlussreich ist. Die schiere Anzahl evangelikaler Reklametafeln beansprucht einen unverhältnismäßig großen Teil der Landschaft, während die schwache Zahl nichtchristlicher Reklametafeln auf eine ständig wachsende Zahl von Amerikanern schließen lässt, die gezwungen sind, ihre Existenz zu beweisen und zu rechtfertigen.“

Zahlreiche Beispiele von Billboards sind in dem hpd-Artikel „Säkulare Werbung in den USA“ (2013) dargestellt. Viele Plakatbeispiele in den USA finden sich auf den Seiten der Freedom From Religion Foundation (FFRF). In der Zusammenstellung „Best Church Billboard Ads“ (2021) sind Beispiele kirchlicher Plakate gezeigt, so das Plakat der „Living Hope Church“, die nicht mehr Religionsbezug argumentiert, sondern mit einem Erholungsangebot: „Bist du erschöpft? Komm zu mir und ich werde Dir Ruhe geben. -Gott“.

Ebenso können Atheisten oder Freidenker das plakatieren, was sie eigentlich ausmacht: ihr Bezug zur Wissenschaft.

Es sind aber nicht nur die Christen und die Atheisten, die mit diesen Billboards an die Öffentlichkeit gehen, sondern auch Muslime wie der Islamic Circle of North America (ISNA), die mit ihrer Kampagne „Why Islam“ nicht nur über die ‚Hotline“ 877-WHY-ISLAM (877-949-4752) rund um die Uhr zu erreichen sind, sondern auch (Ende 2016) 146 Billboards in 39 Städten installiert haben.

Parallel dazu besteht die muslimische “Give Peace“-Kampagne, die ebenfalls (in vier Städten) mit Billboards unterwegs ist: „Wussten Sie, dass der Prophet Jesus etwa 25 Mal im Koran und der Prophet Muhammad (Friede sei mit ihm) mehr als 20 Mal im Alten und Neuen Testament der Bibel erwähnt wird?“

3.2. Konfrontationen

Was macht der Pastor einer Kirche (2013) in Birmingham/Alabama, wenn sich neben seinem Kirchengebäude ein „Palace ‚Gentleman’s‘ Club“ (also ein ‚Stripschuppen‘ für männliche Besucher) etabliert hat. Er schaut in der Bibel nach und findet das passende Zitat: „Strip for me“ (Hebräer 12:1). (Deutsch: „Zieh dich für mich aus“ In der Bibel-Übersetzung (nach Luther) heißt es , etwas länger: „Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns umstrickt.“

In Farmington/New Mexiko/USA haben die Römisch Katholischen Kirchen des San Juan County (2018) neben einem Gebäude mit Parkplatz und einer Werbetafel „ADULT VIDEO“ auf einem eingezäunten Landstück ein Billboard gesetzt mit einer Jesus-Abbildung und dem Satz: „JESUS IS WATCHING YOU“.

3.3. Wenn schon, denn schon

Falls eine Plakatwand nicht reicht, dann kann man auch einen ganzen Block dafür nutzen, wie die Mormonen mit einer Groß-Plakatierung im Dezember 2017 am Times Square in New York City.

Aber auch private Initiativen finden ihre Öffentlichkeit, wie ein Farmer, der auf seinem Grundstück alle Vorüberfahrenden drastisch dazu aufforderte, in die Kirche zu gehen, sonst werde sie der Teufel holen.


4. Deutschland/Österreich/Schweiz

4.1. Kaiserreich/Weimarer Republik

Während es im Kaiserreich zwar eine Vielzahl von religionsbezogenen Karikaturen gab, wurden keine Plakate zum Verhältnis Staat-Kirche geklebt – obwohl die Litfaßsäulen ab 1855 in Berlin vorhanden waren.

Auch in der Weimarer Republik gab es eine Vielzahl von Karikaturen (George Grosz: „Der Kirchenstaat Deutschland“, John Heartfield: „Mit Gott für Hitler und Kapital“), die sich aber auf Zeitschriften und Zeitungen beschränkten.

4.2. Nationalsozialismus

Die Nationalsozialisten machten propagandistisch davon mehr Gebrauch. Sie waren in ihrer Positionierung zu Kirchen bzw. Religion aber durchaus widersprüchlich. Einerseits war vor allem die katholische Kirche ihr politischer Gegner, wie bei „Kirchenfeindliche NS-Propaganda in Düsseldorf“mit der Parole: „Hände weg vom 3. Reich!“ und der Personifizierung von „ROM“ und „JUDA“.

Andererseits verwendete die nationalsozialistische Ikonographie – im Sinne des Nationalsozialismus als ‚politische Religion‘ – Elemente der christlichen Ikonographie, wie die himmlische Taube (= Heiliger Geist“) als Begleiter und Beschützer von Adolf Hitler: „Es lebe Deutschland!

Als die NPD 2017 Wahlplakate anbringen ließ, auf denen Luther abgebildet war, mit dem Slogan: „Ich würde NPD wählen. Ich könnte nichts anders“ (in Versalien), war die EKD keineswegs amüsiert, wurde doch die Verbindung zwischen NSDAP und Protestantismus/Luther (im kruden Antisemitismus Luthers) thematisiert, die auch das Wahlplakat der NSDAP von 1933 zeigt, mit dem Slogan: „Hitlers Kampf und Luthers lehr. Des deutschen Volkes gute Wehr.“

4.3. Bundesrepublik Deutschland

Die Konflikte in der frühen Bundesrepublik Deutschland blieben weitestgehend im Bereich der Politik (Ost-West, Konservative-Sozialisten) und hatten nur zu Beginn der 1950er Jahre eine kirchliche Facette („Klerikalisierung des Staates und der Politik“), die aber marginal blieb.

Das änderte sich erst 2005, mit der ersten „Religionsfreien Zone“ anlässlich des Weltjugendtages in Köln, mit Unterstützung der Giordano-Bruno-Stiftung und einem „Dinomobil“ von Jacques Tilly.

- Berlin, 2006-2009

Seit dem 23. März 2006 ist Ethik im Bundesland Berlin ordentliches Lehrfach für die 7. bis 10. Klassen (Sekundarstufe II). Religionsunterricht und Lebenskunde sind weiterhin Wahlfächer ohne Zeugnisrelevanz. Das wollen die Kirchen nicht so hinnehmen und starten 2006 ein Volksbegehren für Religion als Wahlpflichtfach zu Ethik, dass zu einem Volksentscheid führt, den die kirchliche Initiative „Pro Reli“ im April 2009 verliert. Diese Jahre waren durch viele Plakate gekennzeichnet.

2006 hatte es mit einer Plakatkampagne „Werte brauchen Gott“ begonnen.

Vor dem Volksentscheid am 26. April 2009 wurde Berlin mit Plakaten ‚zugepflastert‘, bei der sich Prominente, wie Günter Jauch, für den Religionsunterricht unter dem Slogan „In Berlin geht’s um die Freiheit“ und „Freie Wahl“ (Alles in Versalien!) einbrachten. Das Ergebnis des Volksentscheids war für die Kirchen dann eine zweifache Niederlage. Weder erreichten sie die Mehrheit von Teilnehmenden für ihre Auffassung, noch wurde das notwendige Quorum erreicht.

- Bus-Kampagne, 2009

Im Frühsommer 2009 fuhr mit der Buskampagne (30. Mai – 18. Juni) „Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott. Werte sind menschlich. Auf uns kommt es an.“ ein großer roter Bus als ‚rollendes Plakat‘ durch Deutschland. Die Idee der Buskampagne kam aus Großbritannien, mit der ‚Mutter aller Bus-Kampagnen‘, die von der Journalistin Ariane Sherine initiiert und durch Richard Dawkins unterstützt wurde. „Höchstwahrscheinlich gibt es keinen Gott. Hör auf dich zu ängstigen und genieße dein Leben.“

- Österreich und Schweiz

Auch in Österreich und in der Schweiz verweigern die Verkehrsbetriebe Plakate an den Bussen, so dass es heißt: „Atheisten starten Anti-Gott-Kampagne in Österreich“, mit Schrift-Plakaten – ebenso wie in der Schweiz. Die Österreicher entwickeln zudem die Variation, dass sie sich auf den Sänger Karel Gott beziehen.

Einzelne Freikirchen reagieren kreativ, wie die Markuskirche in Luzern, die – in Parallele zur Farbgestaltung der Buskampagne – eigene Plakate veröffentlichen „Da ist bestimmt ein Gott. Also sorg dich nicht. Er sorgt für Dich.“

Bereits 2008 hatte die Freidenkervereinigung der Schweiz, anlässlich ihres 100-jährigen Jubiläums, eine Plakatkampagne gestartet: „Leben ohne Dogma: Ich bin konfessionsfrei!

„Die BERNMOBIL, die Thuner und die St. Galler Verkehrsbetriebe haben das Plakat abgelehnt mit der Begründung, das Sujet sei polemisch und der Inhalt der Webseite www.konfessionsfrei.ch könnte die Gefühle von religiösen Menschen verletzen.“

Am 26. September 2021 wurde in der Schweiz über die „Ehe für alle“ abgestimmt. Die Freidenkervereinigung mischte sich mit einem klaren Plakat und multimedialen Angeboten in die Diskussionen ein.

Ergebnis: Die „Ehe für alle“ wurde in der Volksabstimmung vom 26. September 2021 von einer klaren Mehrheit der Stimmberechtigten und von allen Kantonen angenommen.“

- Deutschland, 2018

Die Personalnot bei den Wohlfahrtsverbänden bewegt Caritasverbände in Nordrhein-Westfalen, eine Plakatkampagne aufzulegen, in der dargestellt wird, dass die katholische Caritas keinerlei Religionsanforderungen an die Mitarbeiterinnen stelle.

- Buskampagne, 2019

Unter dem Thema „KIRCHENSTAAT? NEIN DANKE“ rollte wieder ein ‚roter Riese‘ durch Deutschland und in der Forderung „SCHLUSSMACHEN.JETZT“ auf Plakaten, weiteren Medien und als Internetseite zeigte sich die politische Fokussierung der Kampagne.

„Vor 10 Jahren stand unsere säkulare Buskampagne unter dem Motto „Gottlos glücklich“. Wir fuhren mit dem Bus durch die Republik, um darauf hinzuweisen, dass viele Millionen Menschen in Deutschland ein freies, sinnerfülltes Leben führen, ohne auf religiöse Vorstellungen zurückzugreifen. Unsere Botschaft, dass in diesem Land mehr konfessionsfreie Menschen als Katholiken oder Protestanten leben, ist inzwischen in der Gesellschaft angekommen.
An den politischen Verhältnissen hat sich in den letzten 10 Jahren jedoch kaum etwas geändert. Denn noch immer finanziert der deutsche Staat die Kirchen mit Milliardenbeträgen. Und noch immer schränken religiös beeinflusste Gesetze die Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger von der Wiege bis zur Bahre ein. Deshalb steht die säkulare Buskampagne 2019 unter dem Motto ‚Schlussmachen jetzt!‘:
Wir fordern die konsequente Trennung von Staat und Religion sowie die strikte Beachtung des Verfassungs­gebotes der welt­anschaulichen Neutralität des Staates!“

- Deutschland, 2020

Die Kampagnen gehen seitens der Kirchen und ihrer Einrichtungen weiter, nun allerdings wird auch gelegentlich kirchenkritisches darüber berichtet.

2020 – „Gott statt Schrott“, mit einer kommentierten Kritik an den Arbeitsbedingungen bei Bibel-TV. 2020 – „Bereite dich darauf vor, deinem Gott zu begegnen“, mit einer empörten Leserfrage, ob es nach den ersten Coronatoten angemessen sei, solche Plakate zu kleben. 2020 – Jesus Christus: Ich bin die Auferstehung sowie 2020 – EKBO, „Glaube, Liebe Revolution“, auf der die Legende von der wesentlichen Rolle der Kirchen propagiert wird.

Auf die zahlreichen Aktivitäten „Christlichen Plakatdienstes“ und der Süddeutschen Plakatmission sei hier nur verwiesen.

4.4. Blockaden

Doch so problemlos, wie es erscheint, ist es in der Realität manches Mal nicht. Hatten bereits die beiden Buskampagnen damit zu tun, dass ihre Plakatierungen abgelehnt wurden, geschieht das auch weiterhin. So wollte die GBS-Regionalgruppe Karlsruhe Ende November 2018 ein Großplakat anlässlich des Missbrauchsgutachtens plakatieren und bekam nach mehreren Ablehnungen eine Zusage.

Doch die Vereinbarung wurde nicht eingehalten: „Bezahlt hatten wir für 10 Tage, dennoch hing unser Plakat nur von Donnerstag früh bis Freitag, dann wurde es schon wieder überklebt - laut Anbieter versehentlich im Rahmen einer ‚Pflegeplakatierung‘! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt? Jetzt suchen wir nach einem neuen Anbieter.“ Es brauchte erst den Hinweis auf einen Anwalt, dass das Plakat zwei Tage später neu geklebt wurde und für die vereinbarten Tage sichtbar blieb.

In Stuttgart lehnten die Stuttgarter Zeitungen Ende 2020 den Abdruck einer Anzeige der gbs-Regionalgruppe ab, die indirekt die Missbrauchsfälle thematisierte und zum Kirchenaustritt aufforderte: „Werbung darf nicht atheistisch sein“. Über einem ‚Schafstall‘ in Kreuzform, den die eingepferchten Schafe eilends verlassen (Zeichnung Jacques Tilly) stand; FREIHEIT. DER „HERR“ IST KEIN HIRTE UND ICH BIN KEIN SCHAF.

Drei Zeitungen, am Rande Region Stuttgart haben die Anzeigen ohne Einwände am 28. Dezember 2020 abgedruckt.

Und ebenso wie 2009, als die Verkehrsbetriebe in 28 Städten in Deutschland sich geweigert hatten, ihre Busse im ÖPNV mit den Slogans der Buskampagne bekleben zu lassen, woraus dann die Notwendigkeit eines ‚eigenen‘ roten Doppeldeckers entstand, weigerte sich 2019 die Deutsche Bahn die vier Groß-Plakate der Buskampagne auf ihren Bahnhöfen zu akzeptieren, obwohl dort durchgehend religiöse Werbung plakatiert wird.

5. Dumm gelaufen

Im November 2009 starteten die Britischen Humanisten eine „Atheist Billboard Campaign“ mit dem Slogan „Don’t label me“. Zwei fröhlich, hüpfende Kinder waren die „eye catcher“ und die Botschaft: „Etikettiere mich nicht“, im Sinne, dass Kinder nicht religiös erzogen werden sollten und: „Lass mich selbst entscheiden“.

Die Kampagne, in der Nachfolge der Atheist Bus Campaign, lief gut an, bis sich herausstellte: die „Kinder auf Atheisten-Plakat kommen aus christlicher Familie“, worüber das evangelikale pro-medienmagazin sich in einem Artikel mit vielen Anführungszeichen freute.

„Glücklich sehen sie aus, die zwei Kinder, die dem Betrachter des neuen Plakates der britischen Atheisten um den Biologen Richard Dawkins entgegenstrahlen. Kinder leiden, wenn man sie religiös erzieht, will die Kampagne warnen; frei sind sie nur, wenn man sie selbst entscheiden lässt. Wie sich jetzt herausstellt, gehören die befreit lachenden Kinder ausgerechnet einem in England bekannten Christen.“

6. Fazit

In Russland ist die Zeit der staatlichen Religionskritik seit dem Ende der Sowjetunion vorbei und Präsident Putin steht wieder im Schulterschluss mit der Russisch-Orthodoxen Kirche. In den USA verstehen sie Konfessionsfreien sich Aufmerksamkeit zu verschaffen und können kaum daran gehindert werden. In Deutschland werden die Säkularen immer noch in ihrem öffentlichen Auftreten behindert, so dass von einer öffentlichen Religionsfreiheit für die Konfessionsfreien schwerlich gesprochen werden kann.

Carsten Frerk.