Kirchenaustritte - Evangelisch und Katholisch, 2012-2014
Noch nie sind in Deutschland so viele Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten wie im Jahr 2014. Die Zahl der Austritte sowohl aus der katholischen Kirche, als auch aus der evangelischen ist in Deutschland enorm gestiegen.
Im Jahr 2014 traten 217.611 Menschen (ohne Militärseelsorge) aus der katholischen und reichlich 265.000 Menschen aus der evangelischen Kirche (geschätzte Hochrechnung, da noch nicht alle Landeskirchen ihre Zahlen für 2014 veröffentlicht haben) aus. Das sind mehr als im Jahr 2010, als viele Menschen die Kirchen wegen des Missbrauchsskandals verließen.
Die Kirchenvertreter führen die steigende Zahl der Austritte unter anderem auf die Neuregelung des Kirchensteuereinzugs zurück. Seit Anfang 2015 leiten Banken und Sparkassen die Kirchensteuer auf Kapitalerträge automatisch an die Finanzämter weiter. Bisher war es der Ehrlichkeit des Steuerzahlers überlassen, ob er bei der Kirchensteuer seine Kapitalerträge angab. Die Frage der Geldinstitute nach der Konfessionszugehörigkeit, warf viele Fragen und Zweifel auf. Für viele Kirchenmitglieder sah es so aus, als seien die Kirchen noch gieriger nach Geld geworden. Die Beteuerung, dass es keine neue Steuer ist, konnte kaum glaubhaft vermittelt werden, weder in der Bank noch in der Öffentlichkeit. Das Bekanntwerden einer im Grunde marginale Änderung im Steuerrecht lässt bereits 2014 die Zahl der Kirchenaustritte nach oben schnellen.
Der bayrischen evangelischen Landeskirche haben 28.400 Menschen den Rücken gekehrt. In Sachsen beträgt der Anstieg mehr als das Doppelte gegenüber dem Vorjahr, in der Anhaltischen Landeskirche sind es sogar dreimal so viele Austritte. Bei den katholischen Bistümern sieht es nicht anders aus: Köln hat zwar als einzige Diözese mehr als zwei Millionen Mitglieder, ist aber mit 19.500 Austritten nicht mehr die vitale Hauptstadt des Katholizismus. Immerhin vermeldet die weltliche Hauptstadt Berlin 2014 steigende Katholikenzahlen - 7.400 mehr als im Jahr 2012 – allerdings stiegen auch die Austritte von 5.000 (2012) auf 7.000 (2014). Besonders die zahlenmäßig kleinen (meist ostdeutschen) Bistümer haben prozentual mit hohen Austrittszahlen zu kämpfen. Erfurt, Magdeburg mit mehr als 75 Prozent Steigerung zum Vorjahr und etwas weniger Görlitz und Dresden-Meißen (reichlich 50 Prozent mehr).
Die evangelischen Landeskirchen hatten von 2012 zu 2013 im Vergleich zu den katholischen Bistümern eine geringere Steigerung der Austrittsrate (27,7 Prozent zu 51 Prozent). Im Folgejahr 2014 kehrte sich das Verhältnis nahezu um. Die Evangelischen hatten eine Steigerung zum Vorjahr von 51 Prozent zu verzeichnen und die Katholiken „nur” 22 Prozent. Von 2012 bis 2014 verließen insgesamt über 1,1 Mio. Menschen die beiden Großkirchen.
Als Gründe wurden 2013 der verschwenderische Limburger Bischof Tebartz-van Elst angegeben und 2014 bietet u.a. die Kapitalertragsteuer den Anlass.
Bereits im Jahr 1991, bei der Einführung des Solidaritätszuschlag, um die deutsche Einheit zu finanzieren, kam eine Austrittslawine ins Rollen. Die neue Sonderabgabe war damals ungefähr so hoch wie die Kirchensteuer. In der Folge traten 1992 fast 193.000 Katholiken und mehr als 360.000 Protestanten aus. Zwischen 1991 und 1995 war das für insgesamt mehr als 2,3 Millionen Menschen (838.000 Katholiken und 1,5 Mio. Protestanten) Grund genug, ihrer Kirche zu kündigen.
Meistens jedoch geht dem Austritt aus einer Kirche ein langer Entfremdungsprozess voraus. Für den eigenen, bereits im Stillen gefassten Entschluss, ist ein offizieller Skandal dann der letzte Anlass, den Entschluss zu verwirklichen. Mitunter sind es auch die kleinen Ärgernisse, die den Entschluss zum Austritt befördern: eine unsensible Beerdigungsfeier, der etwas eigenwillige Pfarrer, der nicht erfüllte Patenwunsch bei einer Taufe, die Verweigerung einer Wiederheirat nach Scheidung, verlogene Sexualmoral eines Priesters, langweiliger Religionsunterricht und viele andere Gründe.
Die jüngste Mitgliederbefragung der evangelischen Kirche (2014) lässt aber auch auf andere Ursachen schließen: Wer heute die Kirche verlässt, ruft auch nicht im stillen Kämmerlein nach Gottvater, Gottsohn oder dem Heiligen Geist. „Der dargestellte Trend eines deutlichen Rückgangs der religiösen Sozialisation lässt durchaus gravierende Veränderungen in der künftigen religiösen Landschaft der Bundesrepublik erahnen. Fehlende religiöse Erfahrungen, kombiniert mit abnehmendem religiösem Wissen, führen möglicherweise dazu, dass vielen (gerade jüngeren) Menschen ein Leben ohne Religion als selbstverständlich erscheint und dass dementsprechend die Bereitschaft, wiederum eigene Kinder religiös zu erziehen, erkennbar sinkt.”
Ein tiefgreifender Grund scheint im Wandel des Selbstverständnisses der Menschen zu liegen. Die Menschen bestimmten früher ihre Identität durch die Zugehörigkeit zu ihrer Familie, zu ihrer gesellschaftlichen Klasse, zur Heimatregion, zu einer Kirche oder auch zu einer Partei.
Diese Zugehörigkeiten haben sich bei den vorangegangenen Generationen kaum geändert. Heute wechseln viele Menschen Wohnort, Beruf und persönliches Umfeld mehrfach im Leben. Das Selbstwertgefühl kommt nun nicht mehr aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Die Menschen beziehen dies aus dem, was sie können und wollen, was sie ablehnen und wofür sie sich einsetzen. Dinge, die ihnen wichtig sind, ändern sich. Und Religion hat in diesem Umfeld keinen Platz mehr und scheint für viele verzichtbar.
Quellen:
- EKD Statistik
- https://www.nordkirche.de/nachrichten/nachrichten/detail/zahl-der-austri…
- Deutsche Bischofskonferenz; Zahlen und Fakten
- idea-Spektrum 30.2015
- http://www.ekd.de/EKD-Texte/kmu5_text.html