Sie sind hier

Katholische Eheprozesse in Deutschland

In der Theologie der katholischen Kirche gilt die nach den Regeln der Kirche geschlossene Ehe als von Gott gegebenes Sakrament, ein Bund fürs Leben, der unauflöslich ist. In der Praxis steht dem entgegen, dass es Paare gibt, die – aus welchem Grund auch immer – diese Ehe beenden wollen. Da es keine Scheidung gibt, wurde eine andere Lösung gefunden: Die Ehe wird, nach Prüfung, für ungültig erklärt und hat damit – kirchenrechtlich -  nie existiert.

Es ist, statistisch gesehen, ein Randphänomen der katholischen Kirche. Doch manchmal kann man an den Rändern besser sehen, was den Kern ausmacht. Wie geht die katholische Kirche damit um, wenn sie einerseits die Unauflöslichkeit der Ehe beibehalten will, andererseits aber Trennungswilligen gleichzeitig einen Weg eröffnen will, diese Trennung kirchenrechtlich vollziehen zu können?

Diese Frage betrifft nicht nur verheiratete Paare, sondern auch Katholiken, die einen geschiedenen Partner heiraten wollen, was nicht zulässig ist, da dieser Partner als noch verheiratet gilt. Das mag manchem Katholiken egal sein, da er/sie nicht noch einmal kirchlich heiraten wollen, aber das ist für diejenigen wesentlich, die bei der katholischen Kirche arbeiten und ihren Regelungen unterworfen sind.

Eine solche Situation schildert die Kölner Journalistin Eva Müller in ihrem Buch „Richter Gottes“1. Ein Referent des Erzbistums Köln verliebt sich in eine geschiedene Frau, die mit einem Katholiken verheiratet war. Die beiden leben zusammen, jedoch verdeckt, da das beim Arbeitgeber nicht bekannt werden darf. Um heiraten zu können, muss die Frau ihre erste Ehe durch ein Kirchengericht (Offizialat) für ungültig erklären lassen. Nach vielen Bedenken entschließt die Frau sich, diesen Weg zu gehen und gerät in für sie psychisch dramatische Situationen. Es ist ein schriftliches Verfahren mit gelegentlichen Einzelgesprächen einer kirchlichen Untersuchungsrichterin, die sie als Verhöre erlebt, bei denen Andere ausgeschlossen sind. Die Kirchenrichterin betont ihre Fürsorge und die Nächstenliebe der Kirche, die es der Frau ermöglichen kann, nach den Regeln Gottes zu leben, die Betroffene erlebt es eher als eine Art Inquisition, insbesondere das Auftreten des „Ehebandverteidigers“, einem Mitarbeiter des Offizialats.

Was wie eine Quadratur des Kreises klingt, ist in der Theologie einfach und im Kirchenrecht kompliziert, aber machbar. Da der Ehebund, als Geschenk Gottes, nur wirksam wird, wenn die beiden Ehepartner die Ehe ‚reinen Herzens‘ schließen, ist die Ehe für ungültig zu erklären, wenn einer der beiden es nicht ‚reinen Herzens‘ tat. (Sofern aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind, bleiben sie allerdings eheliche Kinder.) Zu den Aspekten des ‚reinen Herzens‘ zählt auch, dass man die mit der katholischen Ehe verbundenen Pflichten einzuhalten gedenkt. Wenn die Frau also, aus biographischen Gründen, finanziell selbständig bleiben will und deshalb keinerlei Absicht hat, Kinder haben zu wollen – weil die dafür hinderlich sind – dann hat sie die Ehe nicht ‚reinen Herzens‘ geschlossen, den Willen Gottes zu befolgen. Mit anderen Worten, das „Eheversprechen war schon bei der Heirat beeinträchtigt“. Die Ehe wird für ungültig erklärt und die Frau kann den Referenten des Erzbistums katholisch kirchlich heiraten, da sie – nach dem Urteil des Kirchengerichts - bisher nicht verheiratet gewesen war.

Diese Verfahren hatten bis 2015 zwei vorgeschriebene Instanzen, mit drei Richtern, gelegentlich auch noch eine dritte Instanz. Im September 2015 vereinfachte Papst Franziskus das Verfahren auf eine Instanz sowie nur einen Richter und setzte eine Jahresfrist. Inhaltlich hat sich dadurch nichts geändert, es war eine Änderung im kirchlichen Prozessrecht, um die Verfahren zu vereinfachen und damit zu beschleunigen.

Daneben gibt es noch die Varianten der Eheauflösung „in privilegium fidei“ sowie das „Inkonsummationsverfahren“ (Nichtvollzugsverfahren), sowie das „Dokumentenverfahren“ (Summarischer Eheprozess).

Die Fallzahlen dieser drei Varianten sind eher gering. Im Offizialat Köln waren es 2013 jeweils 2+1+19=22 neben den 226 Eheverfahren des Gerichts.

Eine größere Anzahl haben daneben die „Ehenichtigkeitserklärungen auf dem Verwaltungsweg“ bei der Formmängel bei der katholischen Heirat vorlagen, so dass die kirchliche Heirat durch Entscheide der Stabsstelle Kirchenrecht im jeweiligen Bischöflichen Generalvikariat für ungültig erklärt werden kann.

Aus einer Aufschlüsselung des Erzbischöflichen Offizialats Köln für 2014 sowie für 2015 werden die Größenordnungen der verschiedenen Verfahrenswege verdeutlicht.

Der förmliche Ehenichtigkeitsprozess mit mündlichen Anhörungen (Gründe: Formfehler, Ehehindernis, beeinträchtigtes Eheversprechen) dauerte bisher etwa 2 Jahre, der summarische Ehenichtigkeitsprozess aufgrund von Dokumenten (Gründe: Formfehler, Ehehindernis) dauerte etwa 2-6 Monate.

Finanziell hat die Kirche davon keinen Vorteil, da – egal, wie lange das Verfahren dauert -, die klagende Partei in Deutschland einmalig für die 1. Instanz 200 Euro zu zahlen hat, für jede weitere 50 bis 100 Euro. Falls Gutachten erforderlich werden, kommt das zu den Kosten hinzu.

In einer Übersicht des Erzbischöflichen Offizialats Köln (seit 1937) zeigen sich vier Phasen: 1937-1946 beläuft sich die Anzahl der Verfahren im unteren zweistelligen Bereich; 1947 -1975 steigt die Anzahl der Prozesse bis an die Hundertergrenze; 1976 – 1997 steigt die Anzahl der Prozesse bis zum Gipfeljahr 1997 (mit 369 Prozessen); nach 1998 verringert sich die Anzahl wieder, mit einem Zwischenanstieg von 2003-2005.

Nach Auskunft des Offizialats Köln gibt es keine systematischen Untersuchungen zu den Eheprozessen, so dass es auch keine Erklärung für den Anstieg der Verfahren im Zeitraum 1976 – 1997 gibt. Der Anstieg der neuen Verfahren seit 1976 mag eine Ursache darin haben, dass es damals im Erzbistum Köln das sogenannte „Pastoralgespräch“ gab, bei dem auch über das „heiße Eisen“ Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen gesprochen wurde und dieser Weg als Möglichkeit empfohlen wurde.

Eine Übersicht über die Änderungen in der Anzahl der neuen Ehenichtigkeitsverfahren (I. Instanz) für Deutschland zeigt die gleiche Entwicklung. In einem Bereich um 800 Eheprozesse im Jahr, mit den höchsten Zahlen 1995 bis 1998, seitdem insgesamt eine Verringerung. Pro Werktag werden rund 3 Eheprozesse beantragt.

Auch über die Klagegründe gibt es genaue Zahlenangaben, hier für 2013. Da es mehre Klagegründe geben kann, ist die Zahl höher als die Verfahren.

Die aufgeführten offiziellen, möglichen Klagegründe zeigen – gerade in ihrer Nicht-Inanspruchnahme - dass die Klagegründe in früheren Zeiten ihre Geltung hatten. Die beiden Hauptklagegründe „Eheschließungsunfähigkeit“ (40 Prozent) und „Eheführungsunfähigkeit“ (19 Prozent) gehören zu den „Konsensmängeln“.

„Eheschließungsunfähigkeit (can. 1095 CIC/83): Diese besteht bei Personen, die zum Zeitpunkt der Eheschließung wegen Geisteskrankheit oder schwerer Geistesstörung den Ehekonsens nicht leisten können. Beispiel: Schizophrenie, manisch-depressives Irresein, Paranoia, chronischer Alkoholismus, Intoxikationen, schwere seelische Störungen. Eheschließungsunfähig ist außerdem, wer an schwerem Mangel im Urteilsvermögen bezüglich der mit der Ehe verbundenen wesentlichen Rechte und Pflichten leidet.

Eheführungsunfähigkeit (can. 1095 n 3 CIC/83): Eheführungsunfähig ist, wer wegen einer schweren psychischen Anomalie die der Ehe wesentlichen Pflichten nicht zu übernehmen vermag. Beispiel: Homosexualität, Lesbismus.“

Für eine weitere Vertiefung findet sich im Internet der umfangreiche Text von Klaus Lüdi für Studenten im Studiengang Kanonisches Recht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster.

Die Anzahl der Ehenichtigkeitsverfahren ist bei den Offizialaten unterschiedlich hoch und es lassen sich keine ‚Trends‘ erkennen.

Um die Zahlen miteinander vergleichbar zu machen, ist es sinnvoll, sie auf die Anzahl der Katholiken im Zuständigkeitsbereich des Offizialats umzurechnen.

Dazu schreibt das Offizialat Köln Im Jahresbericht 2014: „Die Quote kirchlicher Eheprozesse, die sich für die einzelnen Diözesen ergibt, wenn man die absoluten Zahlen zu den Zahlen der Katholiken dort in Relation setzt, ist für den Bereich der Deutschen Bischofskonferenz ziemlich unterschiedlich, wie eine weitere Statistik ausweist. Es wäre freilich sehr spekulativ, Gründe für diese erstaunliche Bandbreite nennen zu wollen.“

Aus den Verteilungen lassen sich keinerlei Hypothesen ableiten. Einer ersten Beobachtung, dass es eine Nord-Süd-Gefälle gäbe – je südlicher das Bistum, desto geringer die Anzahl der Eheprozesse – steht Hildesheim entgegen, als das Bistum mit der geringsten Anzahl dieser Prozesse pro 1.000 Katholiken. Der These, dass es die ‚anonymen‘ Großstädte sind, die eine höhere Quote haben – Im Bistum Limburg liegt Frankfurt/Main, am Offizialat Osnabrück werden auch die Eheprozesse aus Hamburg verhandelt und Berlin wie Köln haben überdurchschnittliche Zahlen, wird durch München widerlegt, dass nur unterdurchschnittliche Anzahl hat. Es wäre ein also ein weiteres Forschungsfeld.

Cui bono?

Und weiter schreibt der Leiter des Offizialats Köln, Domkapitular Prälat Dr. Günter Assenmacher: „In unseren Breiten ist jedenfalls mit einer zahlenmäßigen Explosion der kirchlichen Eheverfahren kaum zu rechnen, wenn man nur einmal auf die demographischen Zahlen, die Zahlen der Eheschließungen allgemein und der kirchlichen Eheschließungen im Besonderen schaut und die Erosion kirchlicher Bindung in Rechnung stellt.

Auch die permanente Diskussion über die Stellung der wiederverheirateten Geschiedenen in der Kirche, die immer lautere Forderungen nach einer kirchlichen Anerkennung der zweiten Ehe und der Zulassung der Betroffenen zu den Sakramenten wirkt nicht unbedingt motivierend, die Mühen und Zumutungen eines kirchlichen Verfahrens auf sich zu nehmen, die wir weder ignorieren noch schön reden können.“

Mit diesen Bemerkungen wird zumindest angedeutet, warum die Anzahl der Eheprozesse sich in Deutschland verringern. Erstens sei es die Reduzierung der Zahl der katholischen Ehen generell. Das ist allerdings marginal, da die Zahl der Eheprozesse nur einen Bruchteil der katholischen Ehen darstellt und es gerade auch die älteren Ehen sind, die für nichtig erklärt werden. Das ist allerdings auch nur eine Annahme, da es keinerlei (veröffentlichte) Statistik zum Alter der klagenden Parteien, zur Ehedauer, zur Zahl der Kinder und weiteren demografischen Variablen (Wohnortgröße, Ausbildung, Einkommen, etc.) gibt.

Zweitens wird die „Erosion kirchlicher Bindung“ genannt. Das heißt, je geringer die kirchliche Bindung ist, desto uninteressierter sind die Paare an einem Eheprozess, sondern lassen sich staatlich scheiden und heiraten ggf. jemand anderen, ohne kirchliche Trauung, leben, aus kirchlicher Sicht, im „Konkubinat“ und ohne Teilnahme an den Sakramenten.

Drittens steht die Diskussion im Raum, dass die Forderung der Zulassung von Wiederverheirateten zu den Sakramenten Realität werden könnte, also die Sanktionierung einer zweiten Ehe nicht mehr wirksam ist.

Viertens heißt es, dass die Situation in anderen Regionen der Welt eine andere sein kann.

Das führt zu der Frage, für wen eine Eheannullierung von Interesse oder sogar notwendig ist, „die Mühen und Zumutungen eines kirchlichen Verfahrens auf sich zu nehmen?“

Das sind zum einen die kirchlichen Mitarbeiter, die den Loyalitätsrichtlinien der katholischen Kirche unterliegen und im Falle einer eigenen zweiten Heirat oder einer Verbindung mit einem/r Geschiedenen diese Nichtigkeitserklärung brauchen, um als bisher Nicht-Verheiratete (noch einmal) kirchlich getraut werden zu können.

Zum anderen sind es die Katholiken, die persönlich oder in einem sozialem Umfeld leben, in dem die Regeln der katholischen Kirche Lebensgrundlage sind. Was heißt, je überzeugter der persönliche Glauben oder je überschaubarer die Gemeinschaft, desto konsequenter muss einer zivilen Ehescheidung vor einer neuen Heirat eine kirchliche Eheannullierung folgen.

Weiterhin setzt es voraus, dass z. B. Frauen wirtschaftlich oder erwerbsmäßig in einer Situation leben, dass sie sich eine Scheidung überhaupt erlauben können.

Das wird das Thema in einer demnächst folgenden Betrachtung zu der Anzahl der Eheprozesse in Europa und weltweit sein.

(CF)

1 Eva Müller: „Richter Gottes. Die geheimen Prozesse der Kirche.“ Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2016, 253 Seiten.