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Nationale Identität und Religion in Zentral- und Osteuropa

Eine aktuelle PEW-Studie zeigt auf, wie sich insbesondere die orthodoxen Kirchen im Osten Europas als Teil einer nationalen Identität haben etablieren können, mit denen eine innere Religiosität und gelebte Glaubenspraxis der vorgeblich Gläubigen aber nicht parallel geht. Ein Widerspruch?

Die PEW-Studie „Religious Belief and National Belonging in Central and Eastern Europe”, die im Mai 2017 veröffentlicht wurde und deren Umfragen in 18 Staaten (in den Jahren 2015-2016) realisiert worden waren, gliedert die beteiligten 18 Staaten in drei Gruppen sowie Tschechien.

Die größte Gruppe (mit 10 Staaten) hat eine orthodoxe Mehrheit in der Spannbreite von 71 bis 92 Prozent, die zweite Gruppe (mit 4 Staaten) eine katholische Mehrheit in der Spannbreite von 56 bis 87 Prozent, die dritte Gruppe (3 Staaten) ist „religiös gemischt“, wobei Bosnien eine knappe muslimische Mehrheit hat (52 Prozent) und in Estland die Nicht-Religiösen am größten sind (45 Prozent) . Die Tschechische Republik mit religionsloser Bevölkerung (72 Prozent) steht für sich.

Für jeweils drei Länder, für die ebenfalls Religionsdaten aus dem Jahr 1991 erhoben worden waren, zeigen sich dabei zwei gegenläufige Trends. In den Staaten mit (heute) orthodoxen Mehrheiten – haben sich im Vergleich zu 1991 die Anteile in Russland (37 bzw. 71 Prozent) und der Ukraine (39 bzw. 78 Prozent) verdoppelt und in Bulgarien sind sie ebenfalls deutlich angestiegen (59 bzw. 75 Prozent). Im Unterschied dazu haben sich die Anteile in den 1991 katholisch dominierten Ländern verringert, in Polen um 9 Prozentpunkte, in Ungarn um 7 Prozentpunkte und in der Tschechischen Republik haben sie sich von 44 auf 21 Prozentanteil halbiert.

Diesem Plus an Orthodoxen und Minus an Katholiken entspricht jedoch gegenteilig die Glaubenspraxis. Der Glaube an Gott ist – außer in Estland und in Tschechien – mehrheitlich vorhanden, aber die Glaubenspraxis entspricht dem nicht. Sowohl das tägliche Gebet und insbesondere der wöchentliche Gottesdienstbesuch sind deutlich geringer.

Der Median (d. h. die Hälfte der Länder hat niedrigere bzw. höhere Werte) für den wöchentlichen Gottesdienstbesuch liegt für die Orthodoxen bei 10 Prozent, für die Katholiken bei 25 Prozent.

Believing – Behaving - Belonging.

Anmerkung: Auch wenn die PEW-Forscher sich auf die britische Soziologin Grace Davie beziehen, die diese Religiosität als B-B-B beschrieben hat (“believing and belonging without behaving”), so ist das zwar ein englischsprachiges Bonmont, aber was ist damit gemeint? Die Menschen sind gläubig und fühlen sich einer Religion zugehörig, aber sie praktizieren sie nicht? Diese Aspekte der geringen Gebetshäufigkeit und des geringen Gottesdienstbesuchs gelten gemeinhin als Indikatoren für ein nicht religiös gefülltes Bekenntnis zu einer Religion, d. h. einer Distanz zur Religion bzw. zur Kirche.

Das würde allerdings bedeuten, dass es keine ‚Rückkehr der Religion‘ ist, sondern die persönliche Übernahme der Bekundung nationaler Identität durch die Staatsführungen, die diese mit den orthodoxen Nationalkirchen verbinden. Prominentestes Beispiel ist der russische Staatspräsident Wladimir Putin, der nicht nur in den Schulterschluss mit der russischen orthodoxen Kirche gegangen ist und den Moskauer Patriarchen Kyril I. fördert, der im Gegenzug die Regierungszeit Putins als „Wunder Gottes“ bezeichnet. Dieser Trend Putins, sich als „Verteidiger des orthodoxen Christentums“ darzustellen, verbindet sich seit einigen Jahren mit der offiziellen nationalen Identität Russlands. Insofern ist das Religionsbekenntnis eine abhängige Variable der politischen Instrumentalisierung bzw. der persönlichen Anpassung. Die Steigerung der Anteile der sich als religiös Bekennenden geschieht gleichsam im Huckepack der Politik und Staatselite.

Nationale Identität und Religion

Die Sichtweise, dass es für die nationale Identität sehr bzw. ziemlich wichtig sei, religiös zu sein, ist in den orthodox dominierten Ländern höher (Median: 70 Prozent) als in den katholisch dominierten Ländern (Median: 57 Prozent).

In Armenien, Georgien, Serbien, Griechenland und Rumänien sind es Dreiviertel und mehr aller Befragten, die dem zustimmen, in Bulgarien, Moldawien, Russland und in der Ukraine sieht das eine Mehrheit so und nur in Weißrussland (Belarus) sind es weniger als die Hälfte (45 Prozent).

In den katholisch dominierten Ländern sehen in Polen, Kroatien und Lettland mehr als die Hälfte der Befragten diese Wichtigkeit als Pole, Kroate oder Lette katholisch zu sein, nur in Ungarn findet das keine Mehrheit (43 Prozent).

Diese Unterschiede zwischen orthodox und katholisch dominierten Ländern finden sich auch in weiteren Einstellungen. Dass man zwar Fehler habe, aber die eigene Kultur besser sei als andere, dieser Auffassung sind in den orthodox dominierten Ländern – außer in Weißrussland und der Ukraine – alle anderen acht Länder mit einer Spannbreite von 50 bis 89 Prozent Zustimmung. Der Spitzenreiter im ‚Kulturstolz‘ sind die Griechen.

In den katholisch dominierten Ländern gibt es diesen mehrheitlichen ‚Kulturstolz‘ nur in Polen (55 Prozent), aber auch im mehrheitlich muslimischen Bosnien (68 Prozent) und im ‚nicht-religiösen‘ Tschechien (55 Prozent).

Ähnliche Verteilungen – wenn auch nicht in identischen Reihenfolgen – werden hinsichtlich der Auffassung geäußert, dass es ein starkes Russland brauche, um den Einfluss des Westens in seinem eigenen Land auszugleichen. Alle orthodox dominierten Staaten – bis auf die Ukraine, wo es nur eine Minderheit ist – stimmen dieser Aufgabe Russland mehrheitlich zu, auch in Griechenland.

Dazu fügt sich auch, in welchen Ländern von den orthodoxen Gläubigen der Patriarch von Moskau als höchste Autorität der orthodoxen Kirche angesehen wird. Das wird mehrheitlich von den Orthodoxen in Russland selber, in Estland, Lettland, Weißrussland, und Moldawien so gesehen.

Aber auch in den anderen nicht orthodox dominierten Staaten Zentral- und Osteuropas wird Russland diese Aufgabe – das Land gegen den Einfluss des Westens zu verteidigen - von einem Drittel bis zur Hälfte der Befragten zugesprochen.

Hinsichtlich der Einschätzung, wie sich die Religiosität heute im Vergleich zu den 1970er/1980er Jahren verändert habe, sagen von den Bewohnern ehemaliger Sowjetrepubliken der UdSSR nur die Moldawier, dass es früher im Lande religiöser gewesen sei, alle anderen – vor allem die Ukrainer, die Russen, die Armenier und die Weißrussen sehen die aktuelle Situation als religiöser an.

Bei den anderen Ländern wird das nicht so ausgeprägt gesehen. In vier Ländern – Tschechische Republik, Griechenland, Rumänien und Polen – wird im Vergleich den 1970er, 1980er Jahren eine Verringerung der Religiosität des Landes gesehen.

Für das Verhältnis von Staat und Kirche ist ein wesentlicher Indikator, wie weit der Staat mit den Kirchen finanziell verflochten ist. Interpretiert man eine Zustimmung von 50 Prozent und mehr zu der Aussage, dass der Staat die nationale Kirche finanziell unterstützen solle, als Befürwortung eines Staatskirche, so sind es sieben der orthodox dominierten Staaten, in denen es eine solche nationale Staatskirche geben soll. Nur in Weißrussland, der Ukraine und vor allem in Griechenland ist man nicht dieser Auffassung.

Für die vier katholisch dominierten Länder, die sich überwiegend westlich orientieren, gibt es keine Mehrheit für eine finanzielle Verflechtung von Staat und katholischer Kirche.

 (CF)