Autoritäre Einstellungen von Jugendlichen unter Berücksichtigung der Religionszugehörigkeit
Eine Folge der Flüchtlingspolitik ist, dass häufiger autoritäre Einstellungen unter der Bevölkerung auftreten. Viele Menschen, die kulturelle Vielfalt ablehnen, sehen Lösungen im Nationalismus. Auf der anderen Seite kommen Menschen aus tendenziell eher autoritären Ländern und Sozialsystemen nach Deutschland, denen Toleranz und Gleichheit, als Bestandteile einer freiheitlichen Grundordnung unbekannt sind. In einer Studie unter Schülern wurde nachgewiesen, dass unter muslimischen Kindern und Jugendlichen oft antiaufklärerische und antiliberale Positionen vertreten sind, die zum Teil sehr radikal zum Ausdruck gebracht werden. Daher sollten Lehrende nicht nur Wissensvermittler sein, sondern gerade ihnen kommt eine besondere Bedeutung als Erzieher zu, um Vorurteile und Rassismus abzubauen und freiheitlichdemokratische und humanistische Werte zu vermitteln.
Felix Kruppa, Pädagogikstudent, hat 2017 in einer Studie in NRW an mehreren Schulen festgestellt, dass unter Schülern, speziell in Hinsicht auf ihre Religionszugehörigkeit, Autoritarismus und Intoleranz in Erscheinung treten. Die Masterarbeit wurde unter dem Titel: „Autoritäre Einstellungen bei Schülerinnen und Schülern mit besonderer Berücksichtigung der Religionszugehörigkeit“ veröffentlicht.*
Thesen
In der Studie wurden SchülerInnen ab der zehnten Klasse in verschiedenen Schulen und Schulformen in den zwei Städten Düsseldorf und Wuppertal in Nordrhein-Westfalen und zwei neunte Klassen einer Hauptschule untersucht.
Aus verschiedenen Forschungsergebnissen ließ sich die These ableiten, dass Muslime weitaus öfter autoritäre Einstellungen verinnerlicht haben als Christen oder Menschen ohne Religionszugehörigkeit. Für den schulischen Kontext mangelt es bisher an empirischen Studien, die als Vergleich dienen könnten.
Es lassen sich dennoch folgende acht Thesen ableiten, die Teilkonstrukte des Autoritarismus darstellen und über entsprechende Subskalen gemessen werden können:
- „Muslimische Schülerinnen und Schüler (SuS) vertreten autoritärere Einstellungen als christliche SuS und SuS ohne Religionszugehörigkeit.“
- „Religiöse Schülerinnen und Schüler (SuS) vertreten häufiger ablehnende Einstellungen gegenüber Homosexualität als SuS ohne Religionszugehörigkeit.“
- „Muslimische SuS vertreten häufiger ablehnende Einstellungen gegenüber jüdischen Menschen als christliche SuS und SuS ohne Religionszugehörigkeit.“
- „Muslimische SuS vertreten häufiger ablehnende Einstellungen gegenüber Menschen ohne Religionszugehörigkeit als christliche SuS.“
- „Muslimischen SuS ist die eigene Weltanschauung bedeutsamer als christlichen SuS und SuS ohne Religionszugehörigkeit.“
- „Muslimische SuS neigen eher zur Befürwortung von Gehorsam und Strafen in der Erziehung als christliche SuS oder SuS ohne Religionszugehörigkeit.“
- „Muslimische SuS neigen eher zu konventionellen und antipluralistischen Einstellungen als christliche SuS und SuS ohne Religionszugehörigkeit.“
- „Religiöse SuS befürworten häufiger traditionelle Rollenbilder und haben eine konservativere Sexualmoral als SuS ohne Religionszugehörigkeit.“
Zu Erfassung wurde ein Fragebogen konzipiert, dessen Items auf verschiedenen Instrumenten aus der Autoritarismus-Forschung beruhen (z. B. Adorno (1950), Oesterreichs Autoritarismusskala (1998) und Lederer (2014)), die eigens für die Zielgruppe sprachlich vereinfacht und ergänzt wurden.
Alle Items wurden willkürlich zusammengestellt und folgen keinem zusammenhängenden thematischen Aufbau entsprechend den behandelten Themenbereichen. Bei allen 34 Items konnten die SuS ihre Zustimmung bzw. Ablehnung anhand einer 9-stuftigen Likert-Skala von sehr starke Ablehnung in Abstufungen über neutral bis sehr starke Zustimmung eintragen. Dabei bedeutet der Wert 1 (sehr starke Ablehnung) wenig autoritäre Einstellung, der Wert 9 (sehr starke Zustimmung) hingegen eine stark ausgeprägte autoritäre Einstellung bezüglich des Items.
Die Items, deren positive Beantwortung auf niedrige Autoritarismuswerte schließen lassen (z. B. Items 1, 2, 5 und 6) wurden umgepolt. Zusätzlich wurden folgende demographische Informationen abgefragt: Geschlecht, Alter, Religion, Schule, Nationalität der Eltern und der Besitz des deutschen Passes. Der Fragebogen war komplett anonym gehalten.
Ursprünglich war die Studie als Online-Umfrage unter dem Titel „Meinungen und Weltanschauungen bei Schülerinnen und Schülern“ konzipiert, wurde jedoch wegen mangelnder Resonanz erweitert mit einer Direktansprache und Vorstellung der Studie in den Schulen. Somit konnten insgesamt 668 auswertbare Fragebögen zwischen Juli 2016 und April 2017 zur Ergebnisermittlung herangezogen werden.
Untersucht wurden Schülerinnen und Schüler ab der neunten Klasse in verschiedenen Schulen und Schulformen in den zwei Städten Düsseldorf und Wuppertal in Nordrhein-Westfalen. Insgesamt waren das 342 Schüler an drei Berufskollegs, 104 Schüler eines Gymnasiums, 82 einer Gesamtschule und 132 Hauptschüler (8 SchülerInnen ohne Angabe). Unter den StudienteilnehmerInnen waren 324 männliche Schüler (51 Prozent) und 339 weibliche Schülerinnen (48 Prozent). Eine höhere Religiosität war bei den weiblichen Schülerinnen festzustellen: 78 Prozent der befragten Schülerinnen sind entweder christlich oder muslimisch. Bei den Schülern haben nur 68 Prozent eine christliche oder muslimische Religionszugehörigkeit.
Insgesamt gaben 76 Prozent der Schülerinnen und Schüler an, Christen oder Muslime zu sein.
Bei der Betrachtung der Religionszugehörigkeiten in den verschiedenen Schulformen gab es kaum Regelmäßigkeiten. So waren an den drei Berufskollegs 53 Prozent christlich, 15 Prozent muslimisch, 28 Prozent ohne Religion. Am Gymnasium war die Mehrheit muslimisch (39 Prozent), 36 Prozent Christen und 22 Prozent ohne Religion. In der untersuchten Gesamtschule waren 58 Prozent Muslime, 25 Prozent Christen und 15 Prozent ohne religiöse Bindung. An den beiden Hauptschulen waren 39 Prozent Christen, 36 Prozent Muslime und 20 Prozent ohne Religion.
Grundlagen / Definitionen
- Autoritarismus
Besonders in der Nachkriegszeit waren Untersuchung des Persönlichkeitspotenzials, welches Individuen empfänglich für die Akzeptanz faschistischer Ideologie und fremdgruppenfeindliche Einstellungen macht, Gegenstand sozialpsychologischer Forschungen1. Die Wurzeln reichen jedoch auf Veröffentlichungen von Wilhelm Reich und Erich Fromm in die späten 1920er Jahre zurück.
„Autoritarismus“ gilt als Häufung generalisierter Einstellungen, die zu einer autoritären Persönlichkeit führen. Anders als umgangssprachlich und im erziehungswissenschaftlichen Sinne üblich, meint „autoritär“ in diesem Kontext nicht ein direktives oder streng sanktionierendes Verhalten in Bezug auf menschliche Umgang, sondern nachfolgend aufgeführte verinnerlichte Einstellungen, die eine autoritäre Persönlichkeit ausmachen. Nach Adorno2 vereint diese autoritäre Persönlichkeit die Bereitschaft, sich zu unterwerfen (Autoritäre Unterwürfigkeit) mit der, die Unterwerfung Anderer zu fordern (Autoritäre Aggression). In einer weiteren Definition formulierte Adorno auf Grundlage empirischer Daten neun Komponenten einer autoritären Persönlichkeitsstruktur, die mit antisemitischen und ethnozentrischen Vorurteilen (definiert als ‚negative gruppenbezogene Einstellungen’) in Verbindung stehen:
- Konventionalismus - Konformität gegenüber der eigenen Kultur, die Verurteilung abweichenden Verhaltens sowie hohe Identifikation mit dem Kollektiv
- Autoritäre Unterwürfigkeit - emotional bedingte Unterwerfung des Individuums unter Autoritäten wie Staat, übernatürliche Kräfte und Autoritätsfiguren wie Eltern oder Führern.
- Autoritäre Aggression - aggressive Verurteilung und Verfolgung von Personen bzw. Gruppen, die gegen konventionelle Werte verstoßen
- Anti-Intrazeption - Ablehnung von Gefühlsregungen, Phantasien, Spekulationen und Hoffnungen und zieht stattdessen das Erleben und Verhalten von konkreten, beobachtbaren bzw. physikalischen Stimuli vor.
- Aberglaube und Stereotypie - Glaube an mystische, nicht prüfbare Parameter des individuellen Schicksals setzen jegliche Eigeninitiative bei der Bewältigung von Lebensaufgaben zugunsten äußerer, nicht kontrollierbarer Kräfte aus. Dies führt zu rigidem, übersimplifiziertem Denken (Stereotypie), wodurch Informationen, die für eine komplexe Einschätzung von Situationen wesentlich sind, nicht angemessen wahrgenommen und verarbeitet werden.
- Macht und Robustheit - zum einen die Neigung zur demonstrativen und übertriebenen Zurschaustellung eigener „Robustheit“ und die Tendenz, alle Beziehungen zwischen Menschen in gegensätzliche Kategorien wie Stärke/Schwäche, Dominanz/Unterwürfigkeit, Führer/Geführter zu betrachten und die Hoffnung durch Unterwerfung unter Machtfiguren an der Macht teilzuhaben.
- Destruktivität und Zynismus - Zusätzlich zu einer Verschiebung aggressiver Impulse auf Outgroups werden diese Aggressionen auf eine rationale Grundlage gestellt, um für das Individuum akzeptabel zu werden
- Projektivität – Verschiebung der Verantwortlichkeit für inakzeptable unterdrückte Impulse auf andere Personen (Projektion).
- Sexualität – Verurteilung abweichendes sexuellen Verhaltens und Wunsch nach deren Bestrafung, was ein Hinweis auf die Unterdrückung eigener sexueller Wünsche und der Gefahr des Kontrollverlusts ist.
Für eine autoritären Charakter sind nicht einzelne Komponenten ausschlaggebend, sondern das Zusammentreffen einer Vielzahl dieser Eigenschaften.
In einem Interview sagte der Historiker Philipp Blom, dass sich die Welt trenne, in Menschen mit „einem liberalen Traum und einem autoritären Traum“ und es wäre töricht auszuschließen, dass sich dieser autoritäre Traum durchsetze. Der autoritäre Traum sieht die Welt in Völkern oder (geschlossenen) Kulturen, deren Reinheit und Fortbestand bewahrt werden soll. Menschen, die dem autoritären Traum anhängen, legen einen Fokus auf traditionelle („starre“) Werte, bevorzugen traditionelle Rollenbilder, feste Hierarchien und stehen Fremdem zumindest kritisch gegenüber. Der liberale Traum sieht die Welt individualistisch und pluralistisch und hat seine Ursprünge in der Aufklärung. Seine Vertreter stehen für Freiheit, Individual- und Menschenrechte ein, die es heute mehr denn je zu verteidigen gilt.
- Erzieherische und soziale Ursachen
Frühkindliche Sozialisation innerhalb einer autoritären Familie ist für die Entwicklung eines autoritären Charakters oft Vorbedingung. Meist ist eine strenge, maßregelnde Erziehung oder entsprechende familiäre Erziehungserfahrungen prägend. Kinder, die von ihren Eltern vor allem zum Gehorsam und zur Konformität erzogen wurden, vertreten später häufiger autoritäre Einstellungen.
In den westlichen Staaten hat sich die Erziehung im Laufe des letzten Jahrhunderts zunehmend in Richtung Selbstständigkeit und Individualismus entwickelt, weg von Konformität und Unterordnung. Mit diesem Wandel der Erziehungsideale ist in Europa in den letzten Jahrzehnten zumindest eine Einflußgröße für Autoritarismusausprägung reduziert worden.
Doch nicht nur Eltern sondern auch andere soziale Gruppen beeinflussen autoritäre Einstellungen. Sie sind die Summe der sozialen Erfahrungen und entstehen durch das Adaptieren von Werten und Einstellungen Gleichaltriger oder Lehrer, aber auch von religiösen Predigern oder Medien3. Durch Beobachtung des Verhaltens von Vorbildern eignet sich der Lernende neue Verhaltensweisen an. Autoritäre Eltern geben ihre Einstellungen in der Beziehung zu ihrem Kind als Lehrende und als Vorbilder weiter. Zudem gibt es weitere Instanzen, die zur Entwicklung einer autoritären Persönlichkeit beitragen.
Gelernte oder erfahrene Fremdenfeindlichkeit oder die Zugehörigkeit zu einer fremdenfeindlichen Gruppe kann Auswirkungen auf autoritäre Einstellungen und Ideologien haben.4
Nach verschiedenen Studien bildet sich der Autoritarismus in der späten Pubertätsphase von Jugendlichen in Abhängigkeit von sozialen Erfahrungen heraus. Nach der Pubertät stehen die Menschen selterner neuen Erfahrungen gegenüber, die Einfluss auf die autoritäre Ausprägung haben. Eine längere formale Bildungskarriere führt zu einer späteren Verfestigung gesellschaftlicher Rollen, was zu großen Unterschieden zwischen verschiedenen Bildungsniveaus führt. Auch deshalb führt ein längerer Bildungsweg meist zu sinkenden Autoritarismuswerten.5 Ein weiterer Punkt könnte eine höhere moralische Urteilsfähigkeit sein. Vor allem das Studium scheint eine liberalisierende Wirkung zu haben.
- Autoritarismus und Religion
Autoritarismus steht in engem Zusammenhang mit Religiosität. Religiöse Menschen sind also tendenziell autoritärer als nicht-religiöse Menschen. Konservatismus ist mit erhöhtem Patriotismus (sowie Militarismus) und stärkerer Religiosität verbunden. In der Forschung wird untersucht, inwieweit das Zusammenspiel von Konservatismus und religiöser Fundamentalismus zur Reduktion von Unsicherheit und Bedrohung führen. (Bonanno u. Jost, 2006; McFarland, 2005a).
Vor allem von außen angeregte Religiosität, die durch sozialen Druck oder instrumentell motiviert ist6, Orthodoxie7 und Fundamentalismus8 gehen mit autoritären Persönlichkeiten einher. Insbesondere dann, wenn die Religionsausübung mit einer buchstabengetreuen und unreflektierten Übernahme religiöser Vorgaben einhergeht.
In einer Vielzahl von Studien wird der Zusammenhang zwischen christlichem Fundamentalismus, starken Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit (u. a. gegenüber homosexuellen Menschen, Mitgliedern anderer religiöser Gruppen, Juden und verschiedenen anderen ethnischen Minderheiten) aufgezeigt.9/10
Dagegen ist Autoritarismus bei Menschen mit einer religiösen Weltsicht, in der religiöse Glaubenssätze nicht wortgetreu aus den Schriften übernommen werden, sondern auf Basis philosophischer Werthaltungen reflektiert und infrage gestellt werden, nicht zu finden. Die Beziehung zwischen Religiosität und Autoritarismus beschränkt sich nicht nur auf die christliche Religion, sondern wurde auch für andere Religionsgemeinschaften belegt.11
- Autoritäre Unterwürfigkeit und Religiosität
Ein wichtiges Merkmal des Autoritarismus ist die Autoritäre Unterwürfigkeit, zu der religiöse Menschen eher neigen als nicht-religiöse Menschen.12 In den abrahamitischen Religionen (Christentum, Islam, Judentum) wird dies als erstrebenswert dargestellt.
Besonders der Islam schreibt den absoluten Gehorsam gegenüber einer hierarchisch höherstehenden Person vor. Dies kommt vielen Menschen entgegen, weil ihnen damit die vielen Entscheidungsmöglichkeiten abgenommen werden, mit denen sie überfordert sind. Die selbstverantwortliche Freiheit wird zugunsten einer konformen Sicherheit und einer Orientierung an Autoritäten abgegeben.
Ein entscheidender Unterschied zwischen Islam und Christentum besteht darin, dass beim Koran bestimmt wurde, dass dies das direkte Wort Gottes und somit nicht interpretierbar sei, wohingegen die Bibel sich spätestens durch die Aufklärung einer kritischen und historischen Auslegung stellen musste, was den dogmatisch-ideologischen Anspruch schwächte. Dennoch bestehen eine Vielzahl an religiösen Erzählungen, die eine Unterwerfung unter die (vermeintlich) höchste Autorität fordern. Das Propagieren einer ausgleichenden Gerechtigkeit im Jenseits oder die Instrumentalisierung von zahlreichen, in den religiösen Werken vorzufindenden, angedrohten Konsequenzen auf Fehlverhalten (Angstpädagogik), erhöhen die Motivation zur Unterwerfung unter den vermeintlich göttlichen Willen.
- Konventionalismus und Religiosität
Bedeutsam ist auch, dass religiöse Gemeinschaften Bindung, Zusammengehörigkeit und Identität stiften. Studien im Rahmen der Theorie der sozialen Identität haben nachgewiesen, dass eine ausgeprägte Eigengruppenidentität („Wir Muslime/Christen“) leicht zu einer Abwertung von Fremdgruppen führt. Ein wichtiges Merkmal zur Unterscheidung von kollektiven Identitäten ist die religiöse Zugehörigkeit. Wer nicht den „richtigen Glauben“ lebt, wird zumindest in weniger aufgeklärten Gesellschaften, aber auch großen Teilen der europäischen Islampraxis ausgeschlossen und schlimmstenfalls auf dieses Merkmal reduziert. In einigen islamischen Ländern steht auf Glaubensabfall die Todesstrafe. Die Religionszugehörigkeit wird zur Bedingung für die Aufnahme in eine Gruppe, die sich zu vermeintlich homogenen Fremdgruppen abgrenzen.
Ein Beleg dafür ist eine kulturvergleichende Untersuchung in insgesamt 15 Ländern (elf europäische), wonach Christen mehr Vorurteile gegenüber ethnischen Minderheiten haben als Konfessionslose. Je häufiger die befragten Christen zudem einen Gottesdienst besuchten, desto stärker waren ihre Vorurteile.13 Auch für Deutschland konnte belegt werden, dass Christen im Vergleich zu konfessionell nicht gebundenen Menschen eher zur Fremdenfeindlichkeit neigen.14
- Sexualität und Religiosität
Neben einer Korrelation des Autoritarismus mit negativen ethnischen Einstellungen, geht Autoritarismus auch mit sexistischen, antifeministischen Einstellungen, der Bevorzugung traditioneller Geschlechterrollenverteilung und Vorurteilen gegenüber Homo- bzw. Bisexuellen einher (Begany u. Milburn, 2002). Daraus lässt sich ein indirekter Zusammenhang herstellen: Alle abrahamitischen Religionen sind Produkt ihrer patriarchalisch geprägten Zeiten und deshalb zumindest in ihren Ursprüngen tendenziell antiemanzipatorisch. Nicht selten kommt es vor, dass uralte Rollenbilder als normativ deklariert und in die heutige Zeit transferiert werden. So wundert es nicht, dass Beate Küpper im Rahmen einer empirischen Analyse „Zum Zusammenhang von Religiosität und Vorurteilen“ nachweisen konnte, dass mit der Religiosität auch die Homophobie und der Sexismus zunehmen.
- Demokratische Einstellungen und Religiosität
Autoritarismus korreliert negativ mit der Unterstützung demokratischer Werte (Hastings und Shaffer; 2005) und Menschenrechten (Crowson, DeBacker und Thoma, 2005). In einer im Jahr 2016 veröffentlichten Studie des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Universität Münster zur Integration und Religion von Türkeistämmigen in Deutschland (Pollack et al., 2016) wurde der Zusammenhang zwischen Religiosität und Komponenten des Autoritarismus deutlich:
73 Prozent der Türkeistämmigen würden „Bücher und Filme, die Religionen angreifen und die Gefühle tief religiöser Menschen verletzen“ gesetzlich verbieten lassen. Dieser Wunsch steht im Widerspruch zur Meinungsfreiheit, der Grundlage freiheitlichdemokratischer Gesellschaften. Die Antworten auf die folgenden Fragen machen offensichtlich, dass antidemokratische Einstellungen oft religiös motiviert sind:
47 Prozent der Türkeistämmigen in Deutschland hielten die Befolgung der Gebote ihrer Religion für wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem sie leben und 32 Prozent waren der Meinung, dass Muslime die Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten des Propheten Mohameds anstreben sollten.
Fazit
Bisher gibt es recht wenige Studien zum Autoritarismus in Deutschland. Sowohl in der Studie 1997 als auch 2007 wurde festgestellt, dass Reformen des Glaubens strikt abgelehnt werden, religiöse Gesetze höher stehen, als Landesgesetze und ohne den Koran ein sexuell moralisches Leben nicht möglich sei.
2010 und 2012 wurde zwar keine vergleichende Studie zu anderen Religionen erstellt, aber es ist eine Verstärkung der Vorurteil gegenüber Atheisten und Juden zu sehen.
Die vorliegende Studie konnte alle Hypothesen und damit auch die bisherige Forschung dazu bestätigen. Es wurde auch hier deutlich, dass muslimische Schüler(innen) insgesamt autoritärere Werte vertreten als christliche und Schüler ohne Religionszugehörigkeit. Die höhere Ausprägung ablehnender Einstellungen gegenüber Homosexualität, jüdischen Menschen und die höhere Bedeutsamkeit der Religion bzw. Weltanschauung muslimischer Befragter im Vergleich zu christlichen Befragten konnte ebenfalls nachgewiesen werden. Die Befürwortung traditioneller Rollenbilder und eine weit verbreitete konservative Sexualmoral bestätigen gleichfalls die Befunde vorheriger Forschungen (z. B. Studie „Deutsch- Türkische Lebens- und Wertewelten“), die eine Ablehnung gegenüber Atheisten und Bestrebungen zur Separation durch türkische Muslime nachwies.
Ein Novum bildet in der Autoritarismusforschung einerseits die Berücksichtigung von Menschen ohne Religionszugehörigkeit im Gruppenvergleich zu Christen und Muslimen und andererseits die Befragung Jugendlicher in schulischer Ausbildung. Schüler(innen) ohne Religionszugehörigkeit vertreten signifikant seltener autoritäre Einstellungen. Keine Unterschiede gab es zumindest im Vergleich zu den christlichen Schüler(innen) bei den Einstellungen zu jüdischen Menschen. Schüler ohne Religionszugehörigkeit vertraten seltener konventionelle und antipluralistische Einstellungen.
Auffällig ist, dass die Mittelwerte der christlichen Schüler(innen) und jener ohne Religionszugehörigkeit oft nahe beieinander liegen, während die Werte der muslimischen von den beiden anderen Gruppen meist stark abwichen. Christliche und religionsfreie Schüler(innen) scheinen in großen Teilen ähnliche Werte und Einstellungen zu vertreten. Trotzdem waren die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen insgesamt statistisch signifikant. Die stärkere Korrelation zwischen der subjektiven Bedeutsamkeit der eigenen Weltanschauung und dem Gesamtautoritarismusscore bei christlichen Schüler(innen) gegenüber muslimischen und vor allem religionsfreien könnte ein Indiz für den größeren Einfluss der Religion auf die Autoritarismusausprägung sein.
Höher als bei den anderen Gruppen war bei christlichen Schüler(innen) die Ablehnung von Menschen ohne Religionszugehörigkeit, homosexuellen Menschen und die Befürwortung von konventionellen und antipluralistischen Einstellungen bei einer hohen subjektiven Bedeutsamkeit der Weltanschauung. Die ermittelten Unterschiede der drei Gruppen blieben auch unter Berücksichtigung der anderen erhobenen demographischen Daten signifikant und sind maßgeblich durch die Religionszugehörigkeit erklärbar.
Die hohen Autoritarismuswerte muslimischer Schüler(innen) in dieser Studie sind nicht verallgemeinerungsfähig, da es große Unterschiede zwischen den islamischen Strömungen gibt. Vorherige Studien, die einzelne Strömungen innerhalb der Religion untersuchten, stellten z. B. fest, dass Aleviten signifikant seltener minderheitenfeindlich und fundamentalistisch sind (Koopmans, 2008). Bei den christlichen Strömungen zeigten vor allem AnhängerInnen evangelikaler Strömungen höhere Ausprägungen in den Bereichen Minderheitenfeindlichkeit und Fundamentalismus.
In der vorliegendenn Studie wurde nicht untersucht, inwieweit eine Marginalisierung und Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaft Einfluss auf autoritäre Einstellungen muslimischer Schüler(innen) hat. Auf einen möglichen Zusammenhang deuten die Ergebnisse des Integrationsbarometers des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2016) hin. Fernerhin flossen sozioökonomische Betrachtungen nicht ein.
Felix Kruppa kommt zu dem Schluss, dass es dringend notwendig sei, sich schulisch wie bildungspolitisch verstärkt auf die integrative Funktion von Bildungsinstitutionen und Unterricht zu konzentrieren, die partizipatorisch und kommunikativ an der Ausbildung gemeinsamer Werte- und Lebenshaltungen arbeiten müssen. Gerade weil eine längere Bildungskarriere und vor allem die Universität eine liberalisierende Wirkung zu haben scheint (Sodeur u. Roghmann,1972), muss insbesondere im schulischen Kontext auf Chancengleichheit und die Möglichkeit zur Bildungsteilhabe geachtet werden. Auch führt eine vielfältige durch freiheitliche Wertevorstellungen geprägte kulturelle Umgebung zum Abbau autoritärer Einstellungen (Stellmacher, 2004). Anzudenken wären schulisch verstärkte Kooperationen unterschiedlicher Kulturvertreter und -orte, die einen interkulturellen und dialogischen Austausch ermöglichen.
Ein weiteres Problem, das in der Autoritarismusforschung bisher zu wenig Beachtung fand, ist die nach Fromm (1941) beschriebene „Flucht vor der Freiheit“. Die durch die Globalisierung und auch durch den gesellschaftlichen Trend zum Individualismus immer komplexer werdende Welt, in der Verantwortung und selbstbestimmtes Handeln über wirtschaftlichen Erfolg entscheiden, könnte für viele eine Belastung darstellen. Die als Verantwortung implizierende Freiheit erhöht die Attraktivität von Ideologien, die mit der (einfacheren) Orientierung an Autoritäten und starreren und vorgefertigten Identitätsangeboten werben. Schüler(innen) müssten erst einmal zur Freiheit und zum selbstbestimmten Leben befähigt werden und im Rahmen einer Demokratieerziehung die Analyse- und Kritikfähigkeit, Konfliktfähigkeit und die Freude am Diskurs erlernen, um gegenüber Ideologien gewappnet zu sein.
Im Bereich der Bildung liegt der Schlüssel, um Autoritarismus abzubauen. Kinder müssten in den Schulen zu kritischer Reflektion, eigenständigem Denken und moralischer Urteilsfähigkeit befähigt werden. Und Lehrkräfte müssten ihren Unterricht mit positivem Wissen, Können und Begeisterung für Kultur und Bildung gestalten. Es wird eine Erziehung zur Freiheit und zur Verantwortung gebraucht, die um das Fach „Menschenrechte“ ergänzt wird und dem Thema „Aufklärung“ mehr Bedeutung zukommen lässt. Ein alle Weltanschauungen vereinender Ethikunterricht wäre längst überfällig. Die Segregation darf nicht schon in den Klassenzimmern durch einen konfessionsgebundenen Religionsunterricht forciert werden, in dem vermeintlich christliche oder muslimische Kinder von konfessionsfreien Kindern getrennt werden. Gerade durch die Konfrontation mit positiv erlebten fremden Lebenswelten lassen sich Autoritarismusneigungen reduzieren und Vorurteile abbauen. Sicherlich sollte Demokratieerziehung einen besonderen Stellenwert in der Lehrerpraxis haben, die auch geschichtliches Wissen beinhalten müsste. Bei Lehrkräften auch ein Wissen über die Lebenswelt und Religion ihrer Schüler(innen). Es müssten grundlegende Kenntnisse über die jeweilige Religion schon in der Lehramtsausbildung vermittelt werden, um religiös begründeten autoritären Einstellungen sinnvoll begegnen zu können.
Insgesamt zielen alle beschriebenen Maßnahmen auf die schulische und pädagogische Ausbildung humanistischer Werte ab, die zu großen Teilen auf den bereits 1945 von Popper beschriebenen Grundpfeilern der offenen Gesellschaft stehen15. Zu diesen Grundpfeilern gehören die Prinzipien des Liberalismus, Egalitarismus und Individualismus. Zu ergänzen ist diese Liste nach Schmidt-Salomon16 in der heutigen Zeit vor allem durch den Säkularismus, was auch die Befunde der vorliegenden Arbeit nahelegen.
Eine Gesellschaft ist genau dann nicht mehr offen, wenn sie durch Paternalismus (staatliche Bevormundung), den Elitarismus (soziale Ungleichheit), den Kollektivismus (Betonung von Gruppenidentitäten) und Fundamentalismus (religiöser Normbegründung) (ebd. S. 122). Eine Gesellschaft, die sich an den positiven Prinzipien orientiert, ist nicht nur der Garant für ein friedliches Zusammenleben verschiedener Kulturen, das in Zeiten verstärkter Zuwanderung besonders wichtig ist, sondern kann sogar Grundlage zivilisatorischen und kulturellen Fortschrittes sein. Die Grundbausteine dafür müssen insbesondere in der Schule gelegt werden.
Literatur:
* Felix Kruppa, „Autoritäre Einstellungen bei Schülerinnen und Schülern mit besonderer Berücksichtigung der Religionszugehörigkeit“, Masterarbeit, 5.7.2017, Bergische Universität Wuppertal
- Petzel, Die Autoritäre Persönlichkeit, 2009
- Adorno, T.W., Frenkel,-Brunswik, E., Levinson, D.J., Sanford, R.N. (1950). The authoritarian personality. New York: Harper & Row.
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- Decker, Weißmann, Kiess, Brähler, 2010 Die Mitte in der Krise - Rechtsextreme Einstellungen in … - Tagesspiegel
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- Schmidt-Salomon, M. (2016). Die Grenzen der Toleranz. Warum wir die offene Gesellschaft verteidigen müssen. München/Berlin: Piper. S.12
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