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Konfessionsfreie in Deutschland: Wie religiös sind sie?

Man müsse nicht in der Kirche sein, um an Gott zu glauben, ist oft zu hören und zu lesen, wenn darüber diskutiert wird, wie religiös die deutsche Gesellschaft noch sei. Die Daten der letzten drei Jahre zeigen, dass die Mehrheit der Konfessionsfreien nicht (mehr) religiös sind. Von den Wenigen, die noch religiös sind, sind die Wenigsten (>10 Prozent) in einem christlichen Sinne religiös. Die häufigsten religiösen Überzeugungen sind „Überreste” einer ehemaligen christlichen Erziehung.

Von Carsten Ramsel

In den Diskussionen um die Frage, wie religiös die deutsche Gesellschaft noch oder wie säkular sie schon sei, erscheint wiederholt die Behauptung, dass es unter den Konfessionsfreien bestimmt viele religiöse Menschen gebe. (Wie viele Religiöse es noch in den verschiedenen Religionsgmeinschaften gibt, ist eine andere Frage). Schließlich müsse man nicht in der Kirche sein, um an Gott zu glauben. Allenfalls religionspsychologische (James 2010) oder theologische (Otto 1917) Überlegungen machen eine solche Behauptung plausibel. Religionssoziologisch bestehen daran begründete Zweifel. Religiöse Inhalte, Praktiken und die Beschreibungen der Erfahrungen sind nachweislich gesellschaftlich und historisch-kulturell tradiert und normiert. Baliff u. Stolz (2010) machen für die Reformierten in der Schweiz deutlich, dass die fehlende religiöse Erziehung einer der wichtigsten Faktoren für den Kirchenaustritt und die sinkende Religiosität im Land ist.

Daher lautet die Ausgangsthese, dass der Anteil der Konfessionsfreien gering ist, die religiöse Überzeugungen (z. B. personale Gottesvorstellungen) haben und regelmäßig religiöse Praktiken (z. B. Kirchgang) ausführen, die in enger Verbindung mit einer Religionsgemeinschaft stehen (These 1). Davon abgeleitet: Als biografische „Überreste” einer religiösen Erziehung kommen unbestimmtere Formen des Glaubens (z. B. der Glauben an Höhere Mächte) oder religiöse Praktiken zu besonderen Anlässen bei den Konfessionsfreien vor (These 2a). Die Mehrheit der Konfessionsfreien ist religionsfrei (These 2b). Ein spirituelles Selbstverständnis der Konfessionsfreien (Comte-Sponville 2006; Streib u. Hood 2016) ist möglich, so lange es nicht These 1 widerspricht (These 3). Diese These ist rein explorativ, da es nur Vermutungen sind, ob es überhaupt spirituelle Konfessionsfreie gibt, wie hoch ihr Anteil ist und welche Inhalte diese Spiritualität aufweist.

1  Daten

Ich vergleiche die religiösen Anteile konfessionsfreier Befragter dreier internationaler Studien der letzten Jahre in Deutschland. Zur Anwendung kommen die gewichteten Daten des International Social Survey Programme (ISSP) 2018, die im Rahmen der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (Allbus 2018) erhoben wurden, der European Value Study (EVS) 2017 und des European Social Survey (ESS) 2016. (Die Daten des European Social Surveys 2018 und des Religionsmonitors 2017 stehen der Auswertung noch nicht zur Verfügung.)

Die Erhebungsmethoden sind den Methodenberichten der einzelnen Surveys zu entnehmen. Die Gewichtung der Daten folgt den Studienempfehlungen. Im Allbus 2018 ist die ostdeutsche Bevölkerung überrepräsentiert, weswegen die Daten mit wghtpew gewichtet werden. Der Methodenbericht des EVS 2017 empfiehlt die Gewichtung nach gweight. Sie erfolgt in Kombination nach Alter, Geschlecht und Region. Die Daten des ESS 2016 sind in Kombination nach Geschlecht, Altersgruppe (15-34, 35-54, 55+), Bildungsniveau (niedrig, mittel, hoch) und Region gewichtet. Der Methodenbericht empfiehlt die Gewichtung der Daten mit pspwght.

Am Allbus 2018 nehmen (gewichtet) 3477 Personen teil, davon sind 1154 konfessionsfrei (33,2 Prozent). Die ISSP-Zusatzbefragung „Religion” hat (gewichtet) 1734 Befrag­te, davon sind 564 Konfessionsfreie (50 Prozent). 5404 Befragte (gewichtet) nehmen am EVS 2017, davon sind 2072 Konfessionsfreie (38,3 Prozent). Der ESS 2016 hat (gewichtet) 2852 Befragte, davon sind 1121 Konfessionsfreie (39,3 Prozent). In den Erhebungsjahren der Studien beträgt der Anteil der Konfessionsfreien nach Frerk u. a. (2018) 36 Prozent (2015 für ESS 2016), 36,2 Prozent (2016 für EVS 2017) und 37 Prozent (2017 für Allbus 2018).

2  Variablen

Den Erhebungen ist gemein, dass sie die Religiosität einer Person vor allem in christlichen Dimensionen abbilden. Die Fragen lassen sich den fünf Dimensionen der Religiosität (Glock 1962) zuordnen, wobei die Erfahrungsdimension in keiner der Studien operationalisiert wurde. Ich betrachte daher die Variablen der religiösen Überzeugung, der privaten bzw. öffentlichen Praxis, die intellektuelle Beschäftigung mit Religion bzw. Religiosität und die religions-bezogenen, ethischen Fragen sowie zusätzlich die persönliche Einschätzung der Befragten ihrer Religiosität bzw. Spiritualität sowie deren Bedeutung für ihr Leben. Da Glocks fünf Dimensionen der Religiosität strukturelle oder or­ganisatorische Aspekte vermissen lässt, wie sie Vaillancourt (2008) einfordert, betrachte ich insbesondere unter dem Gesichtspunkt der These 2 auch die frühere Religionszugehörigkeit der Konfessionsfreien (Tabelle 1).

3  Methode

Kreuztabelliere ich die religiösen Variablen mit der der Religionszugehörigkeit und betrachte die (prozentualen) Anteile der Konfessionsfreien (non-affiliates), erhalte ich den Anteil jener religiösen Personen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören.

4  Darstellung

Die folgenden Abbildungen stellen die Ergebnisse (Tabellen im Anhang) in verdichteter Form dar. Damit wird eine bessere Übersicht erzielt. Die relati­ven Häufigkeiten werden in ganzen Prozent angegeben. Glaubensinhalte bzw. -aussagen werden auf ja und nein bzw. Zustimmung und Ablehnung sowie eventuelle Zweifel reduziert. Die Häufigkeiten der religiösen Praktiken werden zu mindestens einmal im Monat, mindestens einmal im Jahr, seltener und nie zusammengefasst, um damit die praktische Relevanz im Leben der Befragten besser beurteilen zu können. Die Antworten auf ethische Fragen reduzieren sich auf stimme zu, weder, noch bzw. teils, teils, stimme nicht zu. Die ehemalige Religionszugehörigkeit lässt sich mit christlich, Andere und keiner Religi­onsgemeinschaft besser verdeutlichen. Die Selbsteinstufung der Religiosität bzw. die Bedeutung der Religion oder Gottes stellt sich konkreter in der Form religiös bzw. wichtig, weder, noch bzw. teils, teils und nicht religiös bzw. wichtig. Der Verweis in den Abbildungen auf die Tabellen ermöglicht jederzeit die Betrachtung detaillierterer Ergebnisse.

5  Gliederung

Dieser Bericht gliedert sich nach: Religiöse Überzeugungen (Abschnitt 6), private und öffentliche, religiöse Praxis (Abschnitt 7), Intellekt (Abschnitt 8) und Religiöse Konsequenz oder Ethik (Abschnitt 9). Die persönliche Religiosität oder Spiritualität (Abschnitt 10) ist ein weiterer Punkt. Ehe die Ergebnisse in Bezug auf die Hypothesen des Berichtes diskutiert werden (Abschnitt 11). Eine Liste der verwendeten Variablen und die Häufigkeitstabellen befinden sich im Anhang.

6  Religiöse Überzeugungen

Die Behauptung, man müsse nicht in der Kirche sein, um an Gott zu glauben, ist einer der Gründe, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie religiös die Konfessionsfreien in Deutschland sind. Im Jahr 2018 glauben 18 Prozent der Konfessionsfreien (manchmal) an einen Gott. Ein ähnlich großer Anteil (19 Prozent) glaubt an eine höhere geistige Macht (Tabelle 2). Damit sind 37 Prozent der Konfessionsfreien religiös (Abbildung 1). Der größte Anteil (46 Prozent) unter den Konfessionsfreien bezeichnen sich selbst als Atheisten. Ein Jahr zuvor geben 8 Prozent der Konfessionsfreien an, dass sie an einen persönlichen Gott glauben. Weitere 31 Prozent behaupten, es gebe irgendein höheres Wesen oder irgendeine geistige Macht (Tabelle 3). 39 Prozent sind also religiös (Abbildung 2). Der größte Anteil der Konfessionsfreien (46 Prozent) sind Atheisten.

Die nächste Frage aus dem Jahr 2018 nimmt auch die Biografie der Befragten in den Blick. So glauben 14 Prozent der Konfessionsfreien an Gott, und haben - nach eigenen Angaben - schon immer an Gott geglaubt. 4 Prozent der Konfessionsfreien sind zum Glauben an Gott gekommen. Während 26 Prozent heute nicht an Gott glauben, aber früher glaubten. Der größte Anteil (57 Prozent) behauptet allerdings von sich, dass sie heute nicht an Gott glauben und noch nie daran glaubten. So sind unter diesem biografischen Aspekt 18 Prozent der Konfessionsfreien religiös (Abbildung 3).

Neben dem Gottesglauben gibt es noch andere (zumeist christliche) religiöse Überzeugungen (Abbildung 4). Demnach glauben 8 Prozent der Konfessionsfreien 2018 noch an die Hölle, weitere 16 Prozent an den Himmel und 19 Prozent an die übernatürlichen Kräfte der Ahnen. 26 Prozent hoffen auf ein Leben nach dem Tod und fast die Hälfte (45 Prozent) glauben an Wunder. Ein Jahr zuvor wurde nach ähnlichen religiösen Überzeugungen gefragt (Abbildung 5).

So glauben 7 Prozent der Konfessionsfreien an die Hölle, 16 Prozent an den Himmel und 23 Prozent an Wiedergeburt. Es wurde auch nach dem Glauben an Gott und einem Leben nach dem Tod gefragt (beide 29 Prozent). Nur ein geringer Anteil der Konfessionsfreien glaubt an christliche Vorstellungen wie Himmel und Hölle. Allgemeinere Glaubensvorstellungen wie ein Leben nach dem Tod oder Gott sind deutlich häufiger zu finden.

Abschließend gibt es einige religiöse Aussagen aus dem Jahr 2018 (Abbildung 6).

„Glücksbringer bringen manchmal tatsächlich Glück”, sagen 35 Prozent der Konfessionsfreien. 12 Prozent sind davon überzeugt, dass Wahrsager wirklich die Zukunft voraussehen können. Dass manche Wunderheiler tatsächlich über übernatürliche Heilkräfte verfügen, glauben 25 Prozent. Und weitere 22 Prozent glauben, dass das Sternzeichen bzw. Geburtshoroskop eines Menschen Einfluss auf den Verlaufs eines Lebens hat.

Die heutigen Konfessionsfreien sind unter Berücksichtigung ihrer religiösen Überzeugungen mehrheitlich nicht religiös. Außerdem bestätigt sich die in These 1 aufgestellte Behauptung, dass jene Überzeugungen selten sind, die mit einer Religionsgemeinschaft in enger Verbindung stehen. Ob es sich beim Glauben an irgendeine Höhere Macht oder irgendein geistiges Wesen sowie Wunder und ein Leben nach dem Tod um biografische „Überreste” einer religiösen Erziehung handelt (These 2), hängt davon ab, wie viele Konfessions­freie Gott oder eine Höhere Mächte verehren. Genuin christliche Überzeu­gungen, wie z. B. eine personale Gottesvorstellung, Himmel und Hölle, erfah­ren unter den Konfessionsfreien keine große Zustimmung. Hingegen ist der Wunderglaube weit verbreitet und auch die Vorstellungen postmortaler Existenzen, wie einem Leben nach dem Tod oder der Wiedergeburt, finden nicht selten Zustimmung.

7  Private und öffentliche, religiöse Praxis

Die Religiosität der Konfessionsfreien misst sich an der Häufigkeit der privaten und öffentlichen religiösen Praxis. Es ist anzumerken, dass in den Studien eine Frage nach der Häufigkeit der Meditation fehlt. Wenn ein Teil der Konfessionsfreien an einen Gott oder eine Höhere bzw. geistige Macht glaubt, stellt sich die Frage, wie oft diese in Form des Gebets oder in einem gemeinsamen Gottesdienst verehrt werden.

Im Jahre 2018 beten 10 Prozent der Konfessionsfreien mindestens einmal im Monat, und noch einmal 17 Prozent mindestens einmal im Jahr. Jedoch der weitaus größte Teil (73 Prozent) betet nie (Abbildung 7). Ähnliche Befunde ergeben sich auch im Jahr zuvor (Abbildung 8).

Hier beten 10 Prozent mindestens einmal im Monat. 4 Prozent geben an, dass sie mehrmals im Jahr beten. Der Rest betet seltener (14 Prozent) oder nie (73 Prozent). Ein stabiler Anteil von 10 Prozent der Konfessionsfreien betet min­destens einmal im Monat (2016). Seltener oder nie beten 14 Prozent bzw. 74 Prozent, und nur ein kleiner Teil (2 Prozent) betet nur an besonderen Feiertagen (Abbildung 9).

Interessanterweise entsprechen diese 10 Prozent in etwa den gleichen Anteilen der Konfessionsfreien, die auch an einen (persönlichen) Gott glauben.

Eine weitere Möglichkeit einen Gott oder eine höhere, geistige Macht zu verehren, geschieht gemeinschaftlich im Gottesdienst. Im Jahr 2018 nehmen 2 Prozent der Konfessionsfreien mindestens einmal im Monat an Gottesdiensten teil, weitere 7 Prozent mindestens einmal im Jahr, 91 Prozent allerdings seltener oder nie (Abbildung 10).

Ein Jahr zuvor ist der Anteil regelmäßiger Gottesdienstbesucher mit 2 Prozent genauso hoch, 8 Prozent nehmen an besonderen Feiertagen an Gottesdiensten teil und 7 Prozent einmal im Jahr. 84 Prozent gehen seltener oder nie zur Kirche (Abbildung 11).

2016 sind die Anteile ähnlich. 3 Prozent gehen mindestens einmal im Mo­nat zum Gottesdienst, 9 Prozent an besonderen Feiertagen und 89 Prozent seltener oder nie (Abbildung 12). Ein kleiner, stabiler Anteil der Konfessionsfreien geht mindestens einmal im Monat zum Gottesdienst. Alle Anderen besuchen - wenn überhaupt - nur sporadisch den Gottesdienst.

Im Jahr 2018 wird auch danach gefragt, wie oft Konfessionsfreie an anderen kirchlichen Aktivitäten oder Veranstaltungen teilnehmen. 1 Prozent der Konfessionsfreien nehmen mindestens einmal im Monat an anderen kirchlichen Aktivitäten oder Veranstaltungen teil, 14 Prozent mindestens einmal im Jahr und 85 Prozent seltener oder nie (Abbildung 13).

Obwohl darunter durchaus kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte oder Lesungen verstanden werden könnten, ist der Anteil der Konfessionsfreien genauso hoch, wie jene, die regelmäßig am Gottesdienst teilnehmen.

Eine andere Form der Verehrung ist die Wallfahrt aus religiösen Gründen. Auf eine Wallfahrt begeben sich 3 Prozent der Konfessionsfreien mindestens einmal im Jahr. 97 Prozent der Konfessionsfreien besuchen einen religiösen Ort seltener oder nie (Abbildung 14).

Dass der Anteil der Konfessionsfreien, die regelmäßig beten in etwa so groß ist wie der Anteil an Gottesgläubigen, ist ein weiterer Hinweis zur Bestätigung der These 1. Eine Religiosität, die in enger Verbindung mit einer Religionsgemeinschaft steht, gibt es unter Konfessionsfreien selten. Dafür spricht auch der geringe Anteil an Konfessionsfreien, die regelmäßig einen Gottesdienst oder aus religiösen Gründen einen heiligen Ort besuchen. Wäre die These 2 falsch, müsste der Anteil an regelmäßig Betenden unter den Konfessionsfreien höher sein. Es ist davon auszugehen, dass irgendeine Höhere Macht oder ein geistiges Wesen nicht verehrt wird. Die religiöse Überzeugung hat keine Konsequenzen im Alltag der Gläubigen und kann damit als biografischen „Überrest” einer religiösen Erziehung angesehen werden.

8  Intellektuelle Beschäftigung

Auf die Frage, haben Sie in den vergangen 12 Monaten in einer heiligen Schrift gelesen, antworten 18 Prozent der Konfessionsfreien mit ja (Abbildung 15).

Dabei ist unklar, ob darin aus religiösen Gründen gelesen wurde. Diese Frage ist in den Studien die einzige Frage, die sich der intellektuellen Dimension der Religiosität zuordnen lässt. Fragen wie, wie oft denken Sie über religiöse Dinge nach oder Ähnliches, finden sich nicht.

9  Religiöse Konsequenz oder Ethik

Die Variablen der religiösen Konsequenz oder Ethik lassen keinen Schluss auf die Religiosität einer Person zu. Sie zeigen eher ihre normativen Einstellungen zu und Erfahrungen mit religiösen Organisationen und Menschen. Obwohl es im Beruf sowie im Privaten zu Diskriminierungen der Konfessionsfreien kom­men könnte, fühlt sich 2016 nur ein kleiner Teil (1 Prozent) der Konfessionsfreien aus religiösen Gründen in Deutschland diskriminiert (Abbildung 16).

Dabei ist das Vertrauen in Kirchen und religiöse Organisationen 2018 nicht stark aus­geprägt. 65 Prozent der Konfessionsfreien sagen, sie vertrauen den Kirchen und reli­giösen Organisationen nicht, nur 6 Prozent vertrauen ihnen (Abbildung 17).

Wenn es 2017 um das Vertrauen in Menschen anderer Religion geht, sind die Konfes­sionsfreien gespalten. Die eine Hälfte vertraut ihnen, die andere Hälfte nicht (Abbildung 18).

Wenn sie im selben Jahr gefragt werden, wen sie nicht gern als Nachbar hätten, antworten 2 Prozent Christen, 5 Prozent Juden und 21 Prozent Muslime. Anscheinend macht es einen Unterschied, welcher anderen Religion die Menschen angehören, denen die Konfessionsfreien vertrauen (Abbildung 19).

Die überwiegende Mehrheit (88 Prozent) würde es jedoch akzeptieren, wenn ein Verwandter jemand mit einer anderen Religion oder einer anderen religiösen Ansicht heiratet. Dies ist entweder ein Maß für die Toleranz oder zeigt, wie unbedeutend Religion und religiöse Ansichten für die Mehrheit der Konfessionsfreien ist (Abbildung 20).

Die Konfessionsfreien können im Jahre 2018 mehreren Aussagen zustimmen oder sie ablehnen. Mit großer Mehrheit (88 Prozent) stimmen sie der Aussage zu, dass die Kirchenoberhäupter nicht versuchen sollten, die Wahlentscheidung der Leute zu beeinflussen. Außerdem sind 79 Prozent der Meinung, dass Religionen eher zu Konflikten führten als zum Frieden. Darüber hinaus bestätigen 82 Prozent, dass strenggläubige Menschen oft Anderen gegenüber zu intolerant seien. Wenn sie allerdings gefragt werden, ob wir zu viel Vertrauen in die Wissenschaft und nicht genug in den religiösen Glauben setzten, lehnen 78 Prozent der Konfessionsfreien diese Aussage ab (Abbildung 21).

Die religiös-ethische Dimension hat nicht nur Fragen, welche die persönliche Situation der Konfessionsfreien betrifft oder ganz allgemeine Behauptungen, denen sie zustimmen oder die sie ablehnen können. Es gibt auch einen politischen Teil. So sagen 61 Prozent der Konfessionsfreien 2018, dass die Kirchen und andere religiöse Organisationen in Deutschland zu viel Macht hätten. Nur ein kleiner Anteil von 3 Prozent sagt, sie hätten zu wenig (Abbildung 22).

Im selben Jahr sind 20 Prozent der Konfessionsfreien der Meinung, dass religiöse Fanatiker, also Menschen, die meinen, ihre Religion sei der einzig wahre Glaube und alle anderen Religionen seien als feindlich zu betrachten, öffentliche Versammlungen abhalten dürften, auf denen sie ihre Ansichten äußern. 80 Prozent sind dagegen. 17 Prozent meinen, dass religiöse Fanatiker, ihre Ansichten im Internet oder in sozialen Medien verbreiten dürften, 83 Prozent sprechen sich dagegen aus (Abbildung 23).

Die Konfessionsfreien stehen den religiösen Organisationen und Menschen mehrheitlich eher skeptisch gegenüber. Das Vertrauen ist in sie nicht besonders häufig. Gegenüber Muslimen und religiösen Fanatikern gibt es eine deutlichere Ablehnung, die sogar politische Konsequenzen fordert. Sie fühlen sich aufgrund ihrer (fehlenden) religiösen Überzeugungen von Anderen jedoch nicht diskriminiert.

10  Persönliche Religiosität oder Spiritualität

Zur persönlichen Religiosität oder Spiritualität zählt die frühere Religionszugehörigkeit. 2017 haben 52 Prozent der Konfessionsfreien früher einer Religionsgemeinschaft angehört. 2016 sind es 38 Prozent (Abbildungen 24 und 25).

Ein kurzer Blick auf die Verteilung der früheren Zugehörigkeiten ergibt, dass im Jahre 2018 49 Prozent der Konfessionsfreien in einer christlichen Religionsgemeinschaft erzogen wurde, 1 Prozent in einer anderen und ebenfalls 49 Prozent in keiner Religionsgemeinschaft. Zwei Jahre zuvor gehörten 37 Prozent früher einer christlichen Religionsgemeinschaft an, 2 Prozent einer anderen und 62 Prozent keiner Religionsgemeinschaft (Abbildungen 26 und 27).

In manchen Haushalten ist das Aufstellen oder Aufhängen religiöser Gegenstände (z. B. Herrgottswinkel) ein Teil der religiösen Alltagskultur. Aus religiösen Gründen befindet sich in 9 Prozent der konfessionsfreien Haushalte ein Hausaltar oder religiöse Gegenstände (Abbildung 28).

Nun könnte dies auch ein Ausdruck der Religiosität der Angehörigen sein. Jedoch ist der Anteil etwa gleich groß wie der Gottesglaube und das regelmäßige Gebet.

Werden die Konfessionsfreien 2018 gefragt, wie religiös sie sich selbst beschreiben würden, sagen 9 Prozent, sie seien sehr oder eher religiös, 2016 sind es 11 Prozent (Abbildungen 29 und 30).

Auf die gleiche Frage antwortet die Mehrheit (83 Prozent bzw. 69 Prozent) der Konfessionsfreien, sie seien (eher) nicht religiös. 2017 be­zeichnen sich noch einmal 24 Prozent der Konfessionsfreien als religiöse Menschen. Der gleiche Anteil (25 Prozent) sind überzeugte Atheisten. Doch die Mehrheit (51 Prozent) sind keine religiöse Menschen (Abbildung 31).

Die These 3 postuliert die Möglichkeit, dass Konfessionsfreie spirituell sein können. 2018 sagen 24 Prozent der Konfessionsfreien, sie seien spirituell. Die We­nigsten davon (2 Prozent) üben eine Religion aus. Die große Mehrheit der Konfessionsfreien (74 Prozent) sind jedoch weder spirituell noch üben sie eine Religion aus (Abbildung 32). Ist spirituell das neue religiös für Konfessionsfreie?

Abschließend wird 2017 nach der Bedeutung von Religion und Gott im Leben der Konfessionsfreien gefragt. Für 9 Prozent ist Religion sehr oder ziemlich wichtig in ihrem Leben. 14 Prozent sagen, Gott sei ziemlich oder sehr wichtig in ihrem Leben. Die Mehrheit der Konfessionsfreien hält weder Religion (60 Prozent) noch Gott (74 Prozent) in ihrem Leben für wichtig (Abbildungen 33 und 34).

Diese konstanten 10 Prozent der Konfessionsfreien entsprechen in etwa jenen 10 Prozent, die an einen persönlichen Gott glauben, regelmäßig beten oder sich selbst als religiös bezeichnen.

11  Diskussion

Ich sehe die These 1 insofern bestätigt, da ein Anteil von >10 Prozent an einen personalen Gott glaubt, regelmäßig betet oder sich selbst (sehr) religiös bezeichnet. Auch jene, die behaupten, ihnen sei Religion oder Gott in ihrem Leben wichtig, machen einen wiederkehrenden gleich großen, aber kleinen Anteil der Konfessionsfreien aus. Christliche postmortale Vorstellungen wie Himmel und Hölle, erfahren im Vergleich zu allgemeiner formulierten, religiösen Über­zeugungen ebenfalls einen geringeren Zuspruch.

Was mich zu These 2 führt. Es gibt einen größeren Anteil an Konfessionsfreien, die an irgendeine Höhere Macht, irgendein geistiges Wesen oder allgemein an ein Leben nach dem Tod glauben. Diese Macht erfährt allerdings keine regelmäßige Verehrung im Gebet, Gottesdienst oder auf Wallfahrten. Auch kenne ich keine Abbildungen irgendeiner Höheren Macht. Sie kommen in christlicher Form als Herrgottswinkel oder Heiligenbildchen vor, die es in 9 Prozent der konfessionsfreien Haushalte gibt. Da religiöse Vorstellungen nur selten eine Bedeutung im Leben der Konfessionsfreien haben, ist auch These 2 bestätigt.

Zur nur explorativ aufgestellte These 3 bleibt festzuhalten, dass ein Teil der Konfessionsfreien (24 Prozent) sich als spirituell versteht. Über die Inhalte dieser Spiritualität kann quantitativ nur spekuliert werden. Vielleicht sind sie im Wunder(heiler)glauben und unter den Glücksbringeranhängern sowie Wiederge­burtgläubigen zu finden.

Interessante Ergebnisse zu den Konfessionsfreien finden sich im Teil zur Ethik bzw. religiösen Konsequenz. Sie sind wissenschaftsaffin eingestellt, und fühlen sich aufgrund religiöser Unterschiede nicht diskriminiert. Sie haben wenig Vertrauen in religiöse Organisationen und Menschen, hier sind besonders Mus­lime hervorzuheben. Insgesamt glauben sie, dass die Kirchen zu viel Macht haben, und sehen den Einfluss der Religionen in der Welt kritisch. Diese kriti­sche Haltung geht soweit, dass sie mehrheitlich Strenggläubige für intolerant halten, und die Grundrechte religiöser Fanatiker einschränken wollen.

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Anhang

A  Tabellenverzeichnis

  1. Liste der verwendeten Fragen
  2. Konfessionsfreie in Deutschland: Welche der folgenden Aussagen bringt Ihren Glauben an Gott am ehesten zum Ausdruck?
  3. Konfessionsfreie in Deutschland: Welche dieser Aussagen kommt Ihren Überzeugungen am nächsten?
  4. Konfessionsfreie in Deutschland: Welche dieser Aussagen beschreibt Ihren Glauben an Gott am besten?
  5. Konfessionsfreie in Deutschland: Glauben Sie, …
  6. Konfessionsfreie in Deutschland: Wie ist Ihre Meinung zu den folgenden Aussagen?
  7. Konfessionsfreie in Deutschland: Bitte geben Sie an, ob Sie an Folgendes glauben?
  8. Konfessionsfreie in Deutschland: Wie oft ungefähr beten Sie?
  9. Konfessionsfreie in Deutschland: Wie oft beten Sie außerhalb von Gottesdiensten?
  10. Konfessionsfreie in Deutschland: Abgesehen von Gottesdiensten, wie oft beten Sie - wenn überhaupt?
  11. Konfessionsfreie in Deutschland: Wie oft gehen Sie im Allgemeinen in die Kirche?
  12. Konfessionsfreie in Deutschland: Wie oft nehmen Sie zurzeit an Gottesdiensten teil?
  13. Konfessionsfreie in Deutschland: Wie oft gehen Sie derzeit zum Gottesdienst?
  14. Konfessionsfreie in Deutschland: Wie oft nehmen Sie, neben dem Gottesdienst, an anderen kirchlichen Aktivitäten oder Veranstaltungen teil?
  15. Konfessionsfreie in Deutschland: Wie oft besuchen Sie aus religiösen Gründen einen heiligen Ort oder machen eine Wallfahrt?
  16. Konfessionsfreie in Deutschland: Haben Sie in den vergangenen 12 Monaten in einer heiligen Schrift gelesen oder beim Vorlesen zugehört?
  17. Konfessionsfreie in Deutschland: Wie viel Vertrauen haben Sie in Kirchen und religiöse Organisationen?
  18. Konfessionsfreie in Deutschland: Glauben Sie, dass die Kirchen und andere religiöse Organisationen in diesem Land …
  19. Konfessionsfreie in Deutschland: Würden Sie es akzeptieren, wenn jemand mit einer anderen Religion oderanderen religiösen Ansichten eine/n Verwandte/n von Ihnen heiraten würde?
  20. Konfessionsfreie in Deutschland: Inwieweit stimmen Sie der folgenden Aussage zu oder nicht…
  21. Konfessionsfreie in Deutschland: Sind Sie der Meinung, solchen Menschen sollte es erlaubt sein, öffentliche Versammlungen abzuhalten, auf denen sie ihre Ansichten äußern?
  22. Konfessionsfreie in Deutschland: Sind Sie der Meinung, solchen Menschen sollte es erlaubt sein, ihre Ansichten im Internet oder in sozialen Medien zu verbreiten?
  23. Konfessionsfreie in Deutschland: Könnten Sie einmal alle diejenigen benennen, die Sie nicht gern als Nachbarn hätten?
  24. Konfessionsfreie in Deutschland: Bitte geben Sie an, inwieweit Sie Vertrauen haben in Menschen anderer Religion.
  25. Konfessionsfreie in Deutschland: Aus welchem Grund wird Ihre Gruppe diskriminiert?
  26. Konfessionsfreie in Deutschland: Haben Sie jemals einer Religionsgemeinschaft angehört?
  27. Konfessionsfreie in Deutschland: Haben Sie sich früher einmal einer Religion oder Konfession zugehörig gefühlt?
  28. Konfessionsfreie in Deutschland: In welcher Glaubensrichtung wurden Sie erzogen?
  29. Konfessionsfreie in Deutschland: Welche Religion oder Konfession war das?
  30. Konfessionsfreie in Deutschland: Ist bei Ihnen zu Hause aus religiösen Gründen ein Hausaltar oder ein anderer religiöser Gegenstand aufgestellt oder aufgehängt?
  31. Konfessionsfreie in Deutschland: Als wie religiös würden Sie sich selbst beschreiben?
  32. Konfessionsfreie in Deutschland: Für wie religiös würden Sie sich selber halten? 0 bedeutet „überhaupt nicht religiös”, 10 bedeutet „sehr religiös”
  33. Konfessionsfreie in Deutschland: Würden Sie sagen, Sie sind…
  34. Konfessionsfreie in Deutschland: Welche Beschreibung trifft am ehesten auf Sie zu?
  35. Konfessionsfreie in Deutschland: Bitte geben Sie an, wie wichtig Folgendes in Ihrem Leben ist?
  36. Konfessionsfreie in Deutschland: Wie wichtig ist Gott in Ihrem Leben? 1 bedeutet „überhaupt nicht wichtig”, 10 bedeutet „sehr wichtig”.

B Tabellen

Literatur

[Baliff u. Stolz 2010] Baliff, Edmee; Stolz, Jörg: Die Zukunft der Reformierten. Gesellschaftliche Megatrends - kirchliche Reaktionen. Zürich: Theologischer Verlag Zürich, 2010

[Comte-Sponville 2006] Comte-Sponville, Andre: L’esprit de l’atheisme. Intro-duction a une spiritualite sans Dieu. Paris: Albin Michel, 2006

[EVS 2019] EVS: European Values Study 2017. Integrated Dataset (EVS 2017). Version: 2.0.0, 2019. http://dx.doi.org/10.4232/1.13314, Abruf: 21. Oktober 2019

[Frerk u. a. 2018] Frerk, Carsten ; ES ; Krause, Matthias: Religionszugehörig­keiten in Deutschland 2017. Version: 8. Oktober 2018. https://fowid.de/ meldung/religionszugehoerigkeiten-deutschland-2017, Abruf: 21. Oktober 2019

[GESIS - Leibniz Institute for the Social Sciences 2019] GESIS - Leibniz Institute for the Social Sciences: German General Social Survey - ALLBUS 2018. Version: 1.0.0, 2019. http://dx.doi.org/10.4232/L13325, Abruf: 21. Ok­tober 2019

[Glock 1962] Glock, Charles Y.: On the study of religious commitment. In: Review of Recent Research Bearing on Religious and Character Formation (Re­search Supplement to Religious Education) 57 (1962), Juli-August, Nr. 4, S. 98­110

[James 2010] James, William: The Varieties of Religious Experience. A Study in Human Nature. Being the Gifford Lectures on Natural Religion Delivered at Edin­burgh in 1901-1902. Library of America, 2010

[NSD - Norwegian Centre for Research Data, Norway 2016] NSD - Norwegian Centre for Research Data, Norway: ESS Round 8. European Social Survey Round 8. Version: 2.1, 2016. http://dx.doi.org/10.21338/ NSD-ESS8-2016, Abruf: 21. Oktober 2019

[Otto 1917] Otto, Rudolf: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. Breslau: Trewendt und Granier, 1917

[R Core Team 2019] R Core Team: R. A Language and Environment for Statistical Computing. Vienna, Austria: R Foundation for Statistical Computing, 2019. https://www.R-project.org/, Abruf: 21. Oktober 2019

[Streib u. Hood 2016] Streib, Heinz (Hrsg.); Hood, Ralph W. (Hrsg.): Semantics and Psychology of Spirituality. A Cross-cultural Analysis. Heidelberg: Springer, 2016

[Vaillancourt 2008] Vaillancourt, Jean-Guy: From Five to Ten Dimensions of Religion: Charles Y. Glock’s Dimensions of Religiosity Revisited. In: Journal for the Academic Study of Religion 21 (2008), August, S. 58-69. http://dx.doi.org/10.1558/jasr.v21i1.58, Abruf: 21. Oktober 2019. - DOI 10.1558/jasr.v21i1.58