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Staat und Religion in Israel

fowid-Notiz: Die Organisation Hiddush (Für Religionsfreiheit und Gleichheit der Religionen) in Israel führt regelmäßig umfangreiche Umfragen unter den Juden Israels durch, um ihre Ansichten zu Fragen von Staat und Religion zu erfassen und zu dokumentieren. In der diesjährigen Umfrage zeigt sich, dass sowohl das Oberrabbinat wie der Knesseth und die Regierung nur noch bei einer kleinen Minderheit der israelischen Juden Vertrauen findet.

Die generelle Thematik beschreibt die Nachrichtenagentur „Israel heute“ unter der Überschrift: „Neue Zahlen im Wettrennen zwischen Religion und Politik“:

„In Israel ist fast jeder politische Streit mit religiösen Elementen vermischt. Es gibt ein ständiges Wettrennen zwischen Politik und Religion, was dem Staat Israel oft zum Stolperstein wird. Im letzten Jahr zeigten die Menschen im Wettkampf zwischen Richter und Rabbiner mehr Respekt für den Gerichtshof als für das Rabbinat. Dies ergab die neuste Studie der israelischen Bewegung Hiddush, ein Akronym für Freiheit, Religion & Gleichgerechtigkeit. Hiddush untersucht jährlich das Verhalten beider Richtlinien, die in der israelischen Gesellschaft ständig zusammenprallen.
In Israel bestimmen Politik und Religion das jüdische Staatswesen, was immer wieder zu gesellschaftlichen Konflikten führt. Israel ist wahrscheinlich die einzige Demokratie, in der Religion im politischen Staatsystem integriert ist, ähnlich wie in den islamischen Staaten wo die Scharia herrscht. Die jüdische Halacha, die auf biblische Gebote und Verbote fundiert ist, bestimmt in vielen Bereichen das Leben der jüdischen und nichtjüdischen Bevölkerung im Land. Wie muss der Schabbat geheiligt werden? Was darf man essen? Wer ist Jude? Wie darf man heiraten? Welcher öffentlicher Verkehr ist erlaubt? Fragen, über die sich orthodoxe und säkulare Juden streiten.“

Die Umfrage im Auftrag von Hiddush: „2020 Israel Religion & State Index“ bezieht sich auf die Bevölkerung, die sich selbst als Juden versteht. Nach einer Umfrage des PEW Research Center aus dem Jahr 2016 („Israels gespaltene Gesellschaft“) sind das rund 80 Prozent der Bevölkerung, nach Angaben von Hiddush im Jahr 2020 rund zwei Drittel der Bevölkerung, die das politisch-religiöse Geschehen definieren. 41 Prozent dieser Befragten haben keinerlei Vertrauen mehr in die religiösen oder staatlichen Institutionen.

Die Organisation Hiddush sieht durch die Umfrageergebnisse ihre Auffassungen zur Religionsfreiheit bestätigt und legt das Augenmerk vor allem auf das Verhalten der Ultra-Orthodoxen:

„Der Index bestätigt einmal mehr unsere Behauptung, dass die überwältigende Mehrheit der Öffentlichkeit die Förderung der Religionsfreiheit und -gleichheit im Geiste des Versprechens der israelischen Unabhängigkeitserklärung und der grundlegendsten demokratischen Prinzipien unterstützt. Dieser Index wird in einer turbulenten Zeit in der Geschichte Israels veröffentlicht, in der die Herausforderungen der COVID-19-Pandemie und ihre schwerwiegenden Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft mit dem streitbaren und instabilen politischen System verflochten sind. Doch selbst in einer solch komplexen Zeit stehen Fragen der Religion und des Staates weiterhin ganz oben auf der öffentlichen und politischen Tagesordnung. Viele von ihnen brechen gerade wegen der Pandemie und der politischen Realität aus. Dies ist die gesellschaftliche Spannung, die durch das Verhalten des ultra-orthodoxen Sektors Israels angesichts der Pandemie hervorgerufen wird und die noch dadurch verschärft wird, dass er in der Lage ist, dem ganzen Land Regeln und Ausnahmen zu diktieren, indem er politischen Druck und Drohungen ausübt; dies ist der Fall bei der nahenden Frist, die der Oberste Gerichtshof für die Aufhebung des verfassungswidrigen Gesetzesentwurfs gesetzt hat, was mit großem Druck der Ultra-Orthodoxen zur Verabschiedung eines neuen Gesetzes geführt hat, um sicherzustellen, dass kein Jeschiwah-Student verpflichtet wird, Militär- oder Zivildienst zu leisten. […]
Der Index stellt einen Fahrplan vor, um zu verstehen, welchen Themen potenzielle Wähler die größte Bedeutung beimessen, identifiziert die Zielgruppen der Parteien im Hinblick auf ihre religiöse Identität und ihre Positionen zu diesen kontroversen Themen und erklärt die Zunahme der Stimmen für Yisrael Beiteinu, als es seinen Schwerpunkt auf Fragen der Religionsfreiheit und der Gleichheit der Bürgerlast verlagerte.“

Aus der Fülle von Ergebnissen und Darstellungen seien drei vorgestellt: Die Grundverteilungen hinsichtlich Religiosität und politischer Orientierung, zur Religionsfreiheit und zur Trennung von Religion und Staat.

Nach den Ergebnissen der 2020-Studie sind von den israelischen Juden 10 Prozent Ultra-orthodoxe (glauben nur an den Talmud und lehnen den Staat Israel ab), 11 Prozent Zionistisch-Orthodoxe (glauben an den Talmud und anerkennen den Staat Israel), 14 Prozent Traditionell religiöse (tragen eine Kippa und halten sich an die religiösen Regeln); 18 Prozent Traditionell-nicht-religiöse (tragen evtl. keine Kippa und halten sich nur an die allgemeinen religiösen Regeln) sowie 47 Prozent säkulare Juden (die sich dem Judentum aufgrund der Tradition, der Kultur, der Geschichte u. a. m. verbunden fühlen).

Zwischen dem Grad der Religiostät  bzw. der religiösen Identität und der politischen Orientierung besteht ein deutlicher Zusammenhang.

Die Ultra-Orthodoxen haben zu 84 Prozent eine sehr rechte/rechte politische Orientierung, von den Zionistisch-orthodoxen sind es 73 Prozent und von den Traditionell-religiösen 60 Prozent mit politisch rechten Einstellungen. Allein die Säkularen verteilen sich relativ gleichmäßig über das gesamte politische Spektrum.

In der Verteilung der Auffassungen zum Verhältnis von Religion und Staat zeigen sich ähnliche Verteilungen. Zur Unterstützung der Religionsfreiheit sowie der Trennung von Religion und Staat sind die Befürworter der Religionsfreiheit und der Trennung von Religion und Staat seit Beginn der Studien (2009) relativ gleichbleibend und befinden sich – auf unterschiedlichen Niveaus – in der Mehrheit.

In der Unterteilung nach religiösen/säkularen Identitäten zeigt sich ebenfalls der Gegensatz zwischen Religiösen und Säkularen.

(CF)