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Atheisten in Serbien

fowid-Länderbericht: Nach den Ergebnissen der Volkszählungen 2002 und 2011 sind 84.063 Personen in Serbien konfessionsfrei, das sind 1,2 Prozent (80.043 Atheisten sowie 4.010 Agnostiker). Diese Konfessionsfreien sind bereits numerisch in der absoluten Minderzahl gegenüber den 85 Prozent Orthodoxer sowie 7 Prozent weiterer Christen. Doch wie lebt es sich vor Ort in dieser Situation? Eine Übersicht und ein Bericht/Interview „Ehrenmedaille für den Patriarchen“.

Die Veränderungen in absoluten Zahlen von 2002 auf 2011 gegen weitestgehend mit dem Bevölkerungsrückgang durch die Emigration parallel. Allein die Zahl der sich als Atheisten Bekennenden steigt von 40.000 auf 80.000.

In seinen „Balkan Stories“ schreibt der österreichische Journalist und Autor Christoph Baumgarten über verschiedene Aspekte der Situation auf dem Balkan, speziell in Serbien, aktuell über die organisierten Atheisten in Serbien:

„Eine Ehrenmedaille für den Patriarchen“

In den meisten Nachfolgestaaten Jugoslawiens sind Religionsgemeinschaften zu einer Stütze der nationalistischen Renaissance geworden. Sie werden von den Machthabern hofiert. Auch in Serbien. Nicht alle Menschen lassen sich das gefallen. Balkan Stories hat mit zwei Menschen gesprochen, die gegen die Symbiose von politischer und religiöser Macht aufbegehren.

Verwöhnt sind sie nicht, die Ateisti Srbije, die größte Vereinigung von Atheisten, Humanisten und Freidenkern in Serbien.

Ein Büro im engeren Sinn gibt es nicht. Haupt- oder auch nur nebenberufliche Mitarbeiter sind, wenn überhaupt, ein ferner Traum.

Vladimir und Isidora haben nur nach der Arbeit Zeit für ein Interview. Das dafür sehr gerne, sagen sie.

Wir treffen uns im Mali Prag, im Stadtzentrum, einem bekannten kleinen Lokal gegenüber dem Hotel Prag.

Es regnet in Strömen.

Vladimir ist Chef von „Veliki Prazak“, „Urknall“. Das ist die Zeitschrift der serbischen Atheisten.

Das ist freiwillige Arbeit.

Der 52-Jährige, ein ehemaliger Opernsänger, verdient sein Geld als Informatiklehrer und tritt gelegentlich mit seiner Rockband auf.

Den Rocker sieht man ihm auch an.

Isidora, 35, ist ebenfalls Musikerin, Mozartfan und Klavierspielerin. Und war früher in einer Horror Punk-Band.

Ausgebildet ist sie als Serbisch- und Englischlehrerin für die Volksschule.

„Ich war früher sehr religiös“, sagt Isidora. „Dann habe ich internationale Literatur studiert und auch die Bibel kennengelernt. Seitdem bin ich Atheistin.“

Eine offizielle Funktion bei den Ateisti Srbije hat sie nicht. Obwohl sie mit ihrer Energie und Eloquenz und der Konfliktfreudigkeit, die sie gar nicht versteckt, sicher eine hervorragende Präsidentin wäre.

Da sind sich Vladimir und sie sich einig.

Schwer zu mobilisieren

Das liegt vielleicht auch daran, dass sie die 3.000 Mitglieder der Ateisti Srbije für schwer zu koordinieren hält.

„Wir sind wie Katzen“, sagt sie und lacht. „Darwins Katzen.“

„Versuch mal, zehn Katzen in einen Raum zu setzen“, ergänzt Vladimir.

3.000 Mitglieder – das ist ein Vielfaches dessen, was etwa Österreichs atheistische Vereine gemeinsam an Mitgliedern haben.

Zu mobilisieren sind die freilich schwer, sagt Isidora: „Wir haben einmal im Jahr eine humanitäre Aktion, da sind dann zehn bis fünfzehn Leute da.“

Das liegt zum einen daran, dass viele der 3.000 Mitglieder in den vergangenen Jahren ausgewandert sind.

Auch wenn Serbiens Atheisten im Vergleich zum deutschsprachigen Raum deutlich mehr Anhänger in der Arbeiterschaft haben – im Durchschnitt haben auch sie mehr Akademiker als die serbische Bevölkerung.

Das sind genau die, die auswandern.

Ein Problem bei der Mobilisierung ist auch das Geld: Die Mitglieder leben übers Land verstreut.

Viele haben nicht das Geld, um zu Aktionen in Beograd oder anderen großen Städten zu reisen.

Im Schnitt verdienen Serben weniger als 400 Euro im Monat.

Selbst der Mitgliedsbeitrag von umgerechnet 10 Euro im Jahr ist für die meisten schlicht nicht leistbar.

„Das ist für mich und meinen Mann schon schwer zu leisten“, sagt Isidora. „Und wir haben auch Leute, wo vier oder fünf Leute im Haushalt leben und bei uns Mitglied sind. Das geht dann finanziell nicht mehr.“

Orthodoxe Kirche wird von Politik hofiert

Vor allem beim Geld sieht man den Unterschied zur orthodoxen Kirche. Die wurde seit 1991 Stütze zuerst des serbischen Nationalismus und danach von allen Machthabern hofiert.

Unter Präsident Aleksandar Vučić fließe das Geld ganz offen vom Staat zur Kirche, schildert Vladimir.

Bei immer mehr Staatsakten tauchen Popen oder Patriarchen auf. Während umgekehrt auch die Regierungsspitze an offiziellen religiösen Feiern teilnimmt.

Im sozialistischen Jugoslawien wäre das undenkbar gewesen.

Was nicht nur den serbischen Atheisten schwer im Magen liegt: Auch der konfessionelle Religionsunterricht wurde in serbischen Volksschulen und Gymnasien erteilt.

„Wir sind wie Katzen. Dawkins‘ Katzen.“
Isidora

„Das ist ganz heftige Indoktrination“, schildert Isidora. „Erteilt wird der Unterricht von Priestern und sie lehren nur das Dogma der orthodoxen Kirche.“

„Was wir in den Schulbüchern gesehen haben, war furchtbar“, sagt sie.

Homophobe Gewalt

Neben nationalistischen Darstellungen auch offene Hetze gegen Homosexuelle oder Atheisten.

„Wir werden dort als unmoralisch und ohne jegliche Ethik dargestellt.“

Dieses Vorurteil hört man auch in westlichen Gesellschaften oft. In Schulbücher muss es freilich etwas subtiler dargestellt werden.

„Immer wieder kommt es auch zu Gewalt gegen atheistische oder homosexuelle Schüler. Und es ist ganz klar, das kommt von der Schule“, schildert Isidora.

Nicht, dass es für Homosexuelle in sozialistischen Zeiten immer einfach gewesen wäre, meint Vladimir: „Klar gab’s bei uns auch homosexuelle Schülerinnen und Schüler. Die waren vielleicht nicht immer die beliebtesten in der Klasse. Aber, dass wir sie gemobbt oder gar geschlagen hätten, das ist nicht vorgekommen.“

Der hart errungene gesellschaftliche Fortschritt in vielen westlichen und anderen Gesellschaften der vergangenen 30 Jahre scheint in vielerlei Hinsicht nicht nur an Serbien vorbeigegangen zu sein.

Wie in vielen ehemaligen sozialistischen bzw. stalinistischen Gesellschaften ist die Akzeptanz für Minderheit gesunken.

Besonders auffällig wird das bei der steigenden Gewaltbereitschaft gegen Schwule oder Lesben. Wie etwa kürzlich in Polen.

Dass Mazedonien und Bosnien heuer ihre ersten Pride-Paraden erleben, spricht auch Bände.

In all diesen Gesellschaften sind es Religionsgemeinschaften, die mal offen mal etwas subtiler gegen Schwule und Lesben hetzen.

Stütze des Nationalismus

Dazu kommt, dass die Religionen nach dem Fall des Kommunismus die Stützen des Nationalismus in diesen Gesellschaften geworden sind.

Sofern sie nicht, wie im Fall Jugoslawiens, schon davor den gesellschaftlichen Wandel vorangetrieben haben.

Religion und Nation sind hier für die meisten Menschen synonym.

Nur ein Orthodoxer kann ein echter Serbe sein. Nur ein Katholik Kroate.

In Bosnien sind de facto die Hauptnationalitäten Bosnjaken, Serben und Kroaten identisch mit Muslimen, Orthodoxen und Serben.

Die orthodoxe Kirche präsentiert sich gerne als Bollwerk gegen den Islam und die katholische Kirche und der serbischen Identität.

„Offenbar haben wirklich ein so schwaches Nationalbewusstsein, dass wir das brauchen“, meint Isidora sarkastisch.

In Jugoslawien war das die meiste Zeit über nicht so wichtig.

Vladimir sieht auch die vergangenen Zeiten kritisch: „Früher war Tito eine Art höheres Wesen, ein Ersatz für die Religionen.“

Die schnelle Wende

Die autoritäre politische Tradition im Sozialismus habe auch den Religionen den Neustart erleichtert, schildert er: „Auf einmal sagen seltsame bärtige Männer in Kleidern den Menschen, was sie zu tun haben, und sie gehorchen.“

Und noch etwas stärkte die Religionen: „Viele ehemalige Kommunisten und Atheisten sind die schlimmsten Gläubigen“, sagt Isidora.

Das verlieh und verleiht Religionsgemeinschaften Legitimität durch Scheinkontinuität.

Auch wenn der Gesinnungswandel von Teilen der früheren Nomenklatur wohl vielfach eher Anbiedern an neue Zeiten war als Erweckungserlebnis.

Die triste wirtschaftliche und politische Lage besorgt den Rest. „Die Hoffnung auf das Leben danach ist für viele ein Ausgleich für die Hoffnungslosigkeit“, sagt die 35-Jährige.

Das alles erklärt die starke gesellschaftliche Stellung der orthodoxen Kirche in Serbien und vergleichbarer Organisationen in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens.

Nur: Religion ist hier, viel stärker als in den meisten westlichen Staaten, vor allem Herrschaftsverhältnis.

Das sieht man auch an zwei Gegenbeispielen: In Tschechien und in den Gebieten der ehemaligen DDR ist die überwiegende Mehrheit der Menschen atheistisch oder konfessionsfrei.

Dort schaffte es aus verschiedenen Gründen keine Religionsgemeinschaft, sich als politisch relevante Trägerin eines Nationalgedanken zu etablieren.

„Serben sind eher schwach religiös“

In den Herzen der Menschen sei die religiöse Wende großenteils nicht angekommen, auch wenn sie ihre Zugehörigkeit zur jeweiligen Mehrheitsreligion ostentativ herausstreichen, schildern Isidora und Vladimir.

„Im Allgemeinen sind die Serben eher schwach religiös. Wenige Menschen gehen in die Kirche oder praktizieren die Religion. Am ehesten ist die Religiosität der meisten Menschen esoterisch konnotiert.“

Das hindere sie nicht daran, sich bei passenden und unpassenden Gelegenheiten als traditionell religiös zu präsentieren.

Nicht immer passiert das ganz freiwillig.

„Bei der jüngsten Volkszählung wurden Menschen, die nicht jüdisch oder muslimisch sind, unter Druck ausgesetzt, sich als orthodoxe Christen eintragen zu lassen. Und manchmal haben das die Befrager einfach gemacht, egal, was man gesagt hat“, schildert Isidora.

„Ich wurde wahrscheinlich als orthodox eingetragen.“

Absurd hohe Zahlen

85 Prozent der Bevölkerung sind laut Volkszählung 2011 orthodox.

Ein absurd hoher Wert, den nur die politische Rolle der orthodoxen Kirche erklären kann.

Etwa ein Prozent der Bevölkerung sind der Volkszählung gemäß atheistisch, etwa ein Prozent gehört kleineren Religionen wie dem Judentum an oder hat sich nicht deklariert.

Das ist kein Beweis für Isidoras Aussagen.

Es macht sie freilich plausibler.

Das macht den Kampf der Atheisten gegen die wenig segensreiche ideologische Vormachtstellung der orthodoxen Kirche in der serbischen Gesellschaft schwierig.

Wenn schon bei einer Volkszählung der Druck so groß ist, will sich auch sonst kaum jemand als Atheist deklarieren.

Wenig Platz für Andersdenkende

Medien sind auch eher selten interessiert.

Die meisten und die größten stehen Aleksandar Vučić und seinen Freunden nahe. Oder werden von ihnen kontrolliert.

Da ist viel Platz für die orthodoxe Kirche als Trägerin des Serbentums.

Und wenig für Andersdenkende.

Seien es politisch Andersdenkende oder säkulare Kräfte.

Ab und zu komme es vor, dass Medien Vertreterinnen oder Vertreter der Atheisten zu TV-Diskussionen anfragen, schildern Vladimir und Isidora.

„Aber da haben wir oft ein Problem, jemanden zu mobilisieren. Auch, weil es oft sehr kurzfristige Anfragen sind.“

Religiöse Wende, Vormachtstellung der Religionsgemeinschaften, religiös gestützte Homophobie, priesterlich gesegneter Nationalismus – das sind Probleme, die Serbiens Atheisten mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens teilen.

Zumal die Religionsgemeinschaften bei aller Feindschaft auch gerne über die Grenzen hinweg gegen die moderne Gesellschaft agitieren und kooperieren.

Kooperation ist schwierig

Die Atheisten tun sich da schwerer, sagt Vladimir. Gleichwohl er auch Mitglied der bosnischen und der kroatischen Atheisten ist.

„Leider haben manche bosnische Atheisten politische Vorurteile gegenüber Serben. Zum Teil verstehe ich es ja. Bosnische Serben haben in Bosnien furchtbare Kriegsverbrechen begangen.“

Mit Segen der orthodoxen Kirche.

„Sogar für uns Atheisten ist es schwierig, diese Dinge hinter sich zu lassen.“

Dabei sei man hier bemüht, Nationalisten oder Homophobe aus der Vereinigung zu drängen.

Das trifft mit Sicherheit auch auf die bosnischen und kroatischen Atheisten zu.

Bei den Kroaten scheint es von wechselndem Erfolg gekrönt zu sein.

„Leider gibt es Mitglieder der dortigen Nationalisten, die die Operation Oluja feiern.“

Das ist die kroatische Militäroperation, in der die selbst ausgerufene serbische Republik in Slawonien zerschlagen wurde.

200.000 ethnische Serben flüchteten. Oder wurden vertrieben. Je nach Auffassung.

Das zu feiern geht auch für den antinationalistischsten aller Serben aus naheliegenden Gründen nicht.

Aber irgendwann werde es gelingen, diese Vorbehalte zu überwinden, zeigen sich Vladimir und Isidora überzeugt.

Und so widrig die Ausgangslage auch sein mag, ein paar kleine symbolische Erfolge kann man feiern.

„Immer mehr Medien nennen kirchliche Würdenträger mit ihrem bürgerlichen Namen. Das geht zum Teil auf unsere Aktivitäten zurück.“

Und die Unzufriedenheit mit der Kirche steige.

„Eigentlich sollten wir dem Patriarchen eine Ehrenmedaille verleihen“, schmunzelt Vladimir. „Jedesmal, wenn der eine kontroversielle Aussage tätigt, kriegen wir zehn neue Mitglieder.“

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autoren.

Fotos © Christoph Baumgarten.