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Blasphemie: Gesetzgebungen weltweit

Kann man eine imaginäre Entität namens „Gott“ beleidigen? Zumindest die „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ kann hierzulande unter bestimmten Umständen strafrechtliche Konsequenzen haben. Was genau eine solche Beschimpfung darstellt; ob und wie diese bestraft werden soll, wird weltweit betrachtet sehr unterschiedlich gesehen. Dieser Artikel gibt einen aktuellen Überblick.

Von Jan-Tobias Peterle

Blasphemie Gesetzgebungen

„Blasphemie“ (abgeleitet von dem altgriechischen Wort blasphēmía „Ruf-Schädigung“, das im mittellateinischen als blasphemizare „Gott lästern“ übernommen wurde) bezeichnet ein Verhalten oder eine Äußerung, die als Beschimpfung, Verhöhnung oder Verfluchung bestimmter Religionen, deren Glaubensinhalte also z. B. des jeweiligen Gottes, deren Heiliger oder eines weltanschaulichen Bekenntnisses, gewertet wird.

Historie

Der Tatbestand „Blasphemie“ wird bereits in den grundlegenden Schriften vieler Weltreligionen erwähnt. So steht beispielsweise im 3. Buch Mose, Levitikon, das sowohl Bestandteil des Jüdischen Tanch, als auch des Alten Testaments der christlichen Bibel ist: „Wer den Namen des Herrn schmäht, wird mit dem Tod bestraft; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen. Der Fremde muss ebenso wie der Einheimische getötet werden, wenn er den Gottesnamen schmäht.“ Im Neuen Testament der christlichen Bibel bekräftigt Jesus Christus dieses Schmähgebot. Im Markusevangelium bezichtigt ein jüdischer Hohepriester wiederum Jesus selbst der „Gotteslästerung“, nachdem dieser sich als „Sohn Gottes“ ausgegeben hatte. Auch wenn heute viele Staaten eine mehr oder weniger starke Trennung von Staat und Religion anstreben, lässt sich der schon in der Antike bestehende „Tatbestand der Blasphemie“ in zahlreichen, sich als weitgehend säkular verstehenden Rechtsordnungen finden.

Gemäß einer Stellungnahme des Menschenrechtskomitees von 2011 zum „Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ sind: „Verbote von Darstellungen mangelnden Respekts vor einer Religion oder anderen Glaubenssystemen, einschließlich Blasphemiegesetzen, mit dem Vertrag inkompatibel, außer in besonderen Umständen wie sie in Art. 20, Absatz 2 des Vertrags vorausgesehen sind.“ Artikel 20, Absatz 2: fordert das Verbot der: „Verfechtung nationalen, rassistischen oder religiösen Hasses, welche zur Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt anstiftet.“ Diesem internationalen Abkommen hat sich eine große Mehrheit der Staaten weltweit verpflichtet (Aktueller Stand 2019: unterzeichnet: 74, ratifiziert: 172).

In der Praxis wird dieser Bestandteil der Menschenrechte jedoch oft nicht umgesetzt und „Gotteslästerung“ gilt in zahlreichen Staaten weiterhin als mehr oder weniger schwerer Rechtsverstoß.

Überblick

Der Blasphemy Laws Report 2017 der „U.S. Commission on International Religious Freedom“ (USCIRF) präsentiert die aktuelle weltweite Lage. Dabei wird der „Tatbestand Blasphemie“ definiert als: „Akt der Beleidigung, der Missachtung oder des Mangels an Ehrfurcht vor Gott“. Der USCIRF Bericht zeigt, dass insgesamt 71 Ländern der Welt diesbezügliche Gesetze haben. Diese 71 verteilen sich wie folgt: 25,4 Prozent davon fallen auf die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas. Ebenfalls 25,4 Prozent auf die Region Asien-Pazifik. Auf Europa fallen 22,5 Prozent, auf die südlich der Sahara gelegenen Staaten Afrikas 15,5 Prozent und 11,2 Prozent auf die Staaten des amerikanischen Kontinents. Der Anteil der Staaten, die eine Blasphemie-Gesetzgebung haben, beträgt damit global betrachtet etwas mehr als ein Drittel (37 Prozent) aller Staaten.

Wie aus der Grafik ersichtlich wird, betrifft dies häufig stark religiös geprägte Staaten wie beispielsweise die „Islamische Republik Iran“. Jedoch stellen auch mitteleuropäische Länder wie Deutschland oder die Schweiz „blasphemische Handlungen“ teils unter Strafe und verstoßen damit gegen die genannten international anerkannten Menschenrechtsprinzipien. Insbesondere wird das „Recht auf freie Meinungsäußerung“ missachtet.

„Tatbestände“

Es besteht keine einheitliche Regelung darüber, was genau unter eine solche „blasphemische Handlung“ fällt. Der Begriff „Blasphemie“ wird in den jeweiligen Gesetzgebungen häufig nicht explizit genannt, auch wenn diese darauf abzielen. Stattdessen wird der Tatbestand auch als „Verleumdung, Diffamierung oder Beleidigung“ der Religion bzw. der jeweiligen sakralen Elemente dieser, oder als „Verletzung religiöser Gefühle“ bezeichnet.

Viele, insbesondere durch die Aufklärung geprägte Länder, wie die USA, das Vereinigte Königreich oder Frankreich besitzen keine Blasphemie-Gesetzgebungen oder haben diese abgeschafft. Andere westliche Länder wie Deutschland, die Schweiz oder Österreich besitzen jedoch eine solche und stellen, am Beispiel Deutschlands, die „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ dann unter Strafe, wenn „sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“. Andere Länder fassen die Definition von „Blasphemie“ deutlich weiter und bestrafen auch die in Europa durch die Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Redefreiheit geschützten Aspekte wie die Verspottung von Religionen, deren Glaubensinhalten oder religiösen Symbolen auch im Rahmen von Satire oder Religionskritik. Manche stellen sogar das alltägliche Fluchen mit religiösem Bezug im Privaten unter Strafe. Einige stark religiös geprägte Staaten, insbesondere jene mit einer definierten Staatsreligion, werten aufgrund deren Absolutheitsanspruch auch die Zugehörigkeit oder den Wechsel (Konversion) zu anderen Religionen, Konfessionen oder Weltanschauungen als Gotteslästerung. Dasselbe gilt zum Teil auch für das Bekenntnis zum Atheismus oder den Abfall vom Glauben (Apostasie), welcher von einigen Ländern mit „Blasphemie“ gleichgesetzt wird. Die begrifflichen Grenzen sind dabei oft fließend.

Apostasie

Einige, insbesondere muslimisch geprägten Staaten, haben neben Blasphemie-Gesetzen zusätzlich eine eigene „Apostasie-Gesetzgebung“. Tatsächlich unterliegt Apostasie, wie der jährliche Freedom of Thought Report der „International Humanist and Ethical Union“ (IHEU) von 2017 zeigt, in 22 Ländern einer Kriminalisierung.

In 12 von diesen, namentlich in Afghanistan, dem Iran, Malaysia, den Malediven, Mauretanien, Nigeria, Katar, Saudi-Arabien, Somalia, Sudan, den Vereinigte Arabische Emiraten und im Jemen kann diese sogar mit der Todesstrafe belegt werden.

Das Strafmaß

Eine 2016 erschienene Studie des „Freedom of Thought Reports“ untersucht dabei auch die Höhe der verordneten Strafen.

Die Strafen bei Verstößen gegen die jeweiligen Blasphemiegesetze reichen von Geldstrafen und lokalen Beschränkungen über Gefängnis und Körperstrafen bis zur Verurteilung zum Tode. Die Studie zählt 43 Staaten (darunter Deutschland), die für blasphemische Handlungen neben Geldstrafen oder sonstigen Beschränkungen auch Gefängnisstrafen vorgesehen haben. Auch gibt es Staaten, die Körperstrafen und öffentliche Erniedrigungen in ihrem Strafkatalog führen. So wurde beispielsweise der saudische Internet-Aktivist Raif Muhammad Badawi für sein Eintreten für Frauenrechte, Religionsfreiheit und einen säkularen Staat wegen „vBeleidigung des Islams“ 2014 zu 10 Jahren Haft, einer Geldstrafe von 194.000 Euro und 1.000 Stockhieben, die zum Teil bereits öffentlich vollstreckt wurden, verurteilt. Aktuell beschäftigt die Öffentlichkeit auch der Fall „Asia Bibi“, einer pakistanischen Christin, die 2010 wegen „Blasphemie“ zum Tode verurteilt wurde, weil sie Jesus und nicht Mohammed als Gottes „wahren Propheten“ bezeichnet haben soll. Während der langen Verfahrensdauer kam es zu mehreren Mordanschlägen auf Politiker, die sich für Asia Bibi eingesetzt hatten. Nachdem Asia Bibi im Berufungsverfahren 2018 freigesprochen wurde, forderten religiöse Hardliner in Massenprotesten die Ermordung Bibis und der am Verfahren beteiligten Richter. Inzwischen wurde sie endgültig freigesprochen und ist nach Kanada ausgereist.

In insgesamt 6 Ländern, namentlich: Afghanistan, Iran, Nigeria, Pakistan, Saudi-Arabien und Somalia droht Verurteilten die Todesstrafe.

Deutschland - § 116 StGB – eine Ermunterung zum Gebrauch des Faustrechts?

Die Rechtslage bezüglich der als blasphemisch eingestuften Tätigkeiten oder Äußerungen stellt sich in Deutschland aktuell wie folgt dar:

Es drohen für blasphemische Äußerungen oder Tätigkeiten bis zu 3 Jahre Haft, wenn diese geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören. Schutzobjekt ist also eigentlich der öffentliche Frieden, nicht das Bekenntnis als solches oder die bloßen Gefühle seiner Anhänger, auch wenn dies in der Praxis von erheblicher Relevanz ist. Daher stellt sich die Frage, ob diese Begründung so haltbar ist. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Vorkommnisse, die eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit dieses Paragrafen auslösten. So z. B. der „Streit um die Mohammed-Karikaturen“ im Jahr 2005. Dabei kam es als Reaktion auf die Veröffentlichung von bildlichen Darstellung des muslimischen Propheten Mohammed (was von vielen Muslimen aufgrund eines im Islam verbreiteten Bilderverbotes abgelehnt wird), zu Demonstrationen und auch gewalttätigen Ausschreitungen, in deren Verlauf über 100 Menschen starben und mehrere europäische Botschaften in muslimisch geprägten Ländern angegriffen und teilweise zerstört wurden.

Auch die Terroranschläge auf das Redaktionsbüro der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ 2015 mit 28 Toten wurden von den Tätern als Vergeltungsaktion für in ihren Augen mangelnden Respekt vor Mohammed begangen. Eine Reaktion auf diese Geschehnisse war einerseits der Ruf nach einer Verschärfung des § 166 StGB beispielsweise vom innenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), um solche heftigen Reaktionen zukünftig zu vermeiden. Diese Forderung wurde wiederum von zahlreichen säkularen Vertretern als Untergrabung der Meinungsfreiheit zurückgewiesen.

Der deutsche Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno Stiftung Michael-Schmidt Salomon forderte, dass der Staat die Kunstfreiheit schützen solle und nicht die Gefühle religiöser Fanatiker. „Der öffentliche Friede wird nicht durch Künstler gestört, die Religionen satirisch aufs Korn nehmen, sondern durch Fanatiker, die auf Kritik nicht angemessen reagieren können.“ Tatsächlich stellt der deutsche § 166 StGB für religiöse Fundamentalisten wohl eher eine zusätzliche Motivation als eine funktionierende Abschreckung dar, denn die Opfer solcher Ausschreitungen werden darin zu Tätern gemacht. Je heftiger die Reaktion auf eine als blasphemisch empfundene Handlung ausfällt, desto höher kann die Bestrafung für die „Urheber“ ausfallen und diese, z. B. auch im Rahmen von angemessener Religionskritik, letztendlich auch aus Selbstschutz mundtot gemacht werden. Demgemäß reichte die Giordano-Bruno-Stiftung auch eine Petition im Bundestag ein, in der sie vom Gesetzgeber, auch mit Verweis auf die Forderung des UN-Menschenrechtskomitees, die ersatzlose Streichung des § 166 StGB forderte. Diese Petition wurde insbesondere mit dem Verweis auf das Schutzobjekt, den „öffentlichen Frieden“, als „nicht einschlägig“ abgelehnt. Michael-Schmidt Salomon kritisierte diese Entscheidung als „realitätsfremd“ und warnte vor einer „Ermunterung zum Gebrauch des Faustrechts“. Es stimme zwar, dass § 166 StGB die bloße Kritik oder Beschimpfung einer Religion nicht mehr unter Strafe stelle, sondern nur solche Formen der Kritik, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu gefährden (…). Paradoxerweise aber führe gerade dieser Schutz des öffentlichen Friedens zu einer Gefährdung des öffentlichen Friedens. Von seinem Wortlaut her stachle § 166 StGB die Gläubigen nämlich zusätzlich dazu an, militant gegen satirische Kunst vorzugehen. Denn nur so können sie belegen, dass durch die vorgebliche Verletzung ihrer religiösen Gefühle der öffentliche Friede gefährdet sei. Der Gesetzgeber muss, gemäß der Argumentation der Petition unmissverständlich klarstellen, dass der Freiheit der Kunst in einer modernen offenen Gesellschaft höheres Gewicht beizumessen ist als den „verletzten Gefühlen religiöser Fundamentalisten“. Mit Thomas Fischer, dem ehemaligen Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, hat sich auch einer der führenden deutschen Juristen zu § 166 StGB geäußert und ebenfalls dessen ersatzlose Streichung gefordert. Er bezeichnete diesen als „überflüssig und rückständig für einen aufgeklärten Staat“.

Zukünftige Entwicklung

In Deutschland wurde § 166 StGB zuletzt 1969 im Rahmen des 1. Strafrechtsreformgesetzes umfassend überarbeitet und mit der Fokussierung auf den „öffentlichen Frieden“ als Schutzobjekt liberalisiert. Die weitere Entwicklung lässt sich jedoch noch nicht absehen. Im deutschen Parteienspektrum sind in Bezug auf § 166 StGB alle Positionen vertreten. Die Grünen, die Linke und die FDP befürworten traditionell eher dessen Abschaffung, SPD und CDU plädieren für eine Beibehaltung und die CSU argumentiert eher für eine Verschärfung des Paragrafen. Noch nicht eindeutig positioniert hat sich diesbezüglich die AfD. Die aktuelle Regierungskoalition spricht sich also für eine Beibehaltung des § 166 StGB in seiner aktuellen Form aus.

Weltweit betrachtet ist, insbesondere in westlich geprägten Staaten, eine deutliche Säkularisierungstendenz zu beobachten und es haben weitere Staaten beschlossen, Blasphemieparagrafen aus ihren Rechtsordnungen zu streichen. Umgesetzt haben dies in jüngster Zeit Länder wie die Niederlande (2012), Norwegen (2015), Island und Dänemark (2017), sowie Kanada und Irland (2018). In vielen dieser Staaten wurden die Blasphemieparagrafen in der Rechtspraxis in jüngerer Vergangenheit kaum noch angewendet. In stark muslimisch geprägten Staaten wie Pakistan, dem Iran oder Saudi-Arabien, aber auch in asiatischen Ländern wie Indien, ist mit einer diesbezüglichen Liberalisierung, wie die dort umfassend stattfindende Verfolgung und Ahndung von Verstößen gegen die jeweiligen Blasphemiegesetze, zeigt, jedoch kaum zu rechnen.