Deutschland (4): Der entkirchlichte Osten
Entsprechend der Datensatzbeschreibung der Volkszählung in der DDR 1961 wurde die Religionszugehörigkeit nicht erhoben. Ebenso wurde in der Volkszählung in der DDR 1981 lt. Schlüsselverzeichnis nicht nach der Religionszugehörigkeit gefragt. Insofern ist eine Zeitreihe wie für die westdeutschen Bundesländer nicht möglich, aber die Veränderungen sind gravierend. Ergebnisse des Zensus 2011.
In einer detaillierteren fowid-Analyse zu den Kirchenaustritten in der DDR konnte gezeigt werden, dass es nicht die Kirchenaustritte waren, die für den Rückgang der Mitgliederzahlen der evangelischen Landeskirchen in der DDR ursächlich waren, sondern die sich verringernde Zahl der Taufen, d. h. der fehlende Nachwuchs: „Dass die Ausgetretenen ihre Kinder nicht taufen lassen, ist ein Effekt, der auf die Mitgliederzahl zeitversetzt negativ einwirkt. Doch es sind hier ja die Kirchenmitglieder, die ihre Kinder immer weniger taufen lassen, sei es als Reaktion auf reale Benachteiligungen, sei es auf mögliche Nachteile der Kinder, denen man ihnen zuliebe ausweichen will.
Eine wesentliche Wirkungsweise in der Arbeit der Staatssicherheit war die Unsicherheit, wie sie im konkreten Fall reagieren würde. Von harten Reaktionen bis zur Gleichgültigkeit war als Reaktion alles möglich und diese Unsicherheit, Unkalkulierbarkeit der Reaktion war ein wesentlicher Anlass, sich ins Private zurückzuziehen und möglichst wenig aufzufallen.
Diese Benachteiligung-Vermeidungsstrategie, zu denen es für Kirchenmitglieder gehörte, ihre Kinder nicht taufen zu lassen und selber nur selten, wenn überhaupt, in die Kirche zu gehen, führt jedoch zu einer immer stärkeren Verringerung der öffentlichen Sichtbarkeit der Kirchen, zu einer Art „Schweigespirale“ (Elisabeth Noelle-Neumann) über das Thema Staat und Kirche in der DDR. Die Kirche wird, obwohl sie noch eine große Zahl an Mitgliedern hat, zur gesellschaftlichen Minorität.“
Die ‚Eckpunkte‘ – 1946 und 2011 – veranschaulichen das Ergebnis: Die evangelischen Kirchenmitglieder verringern ihren Anteil an der Bevölkerung von 82 auf 20 Prozent, die Katholiken von 12 auf 4 und der Anteil der Konfessionsfreien beläuft sich (2011) auf 74 Prozent.
Die Prozentangaben nach Altersgruppen im Zensus 2011 zeigen, wie sich die Kirchenmitgliedschaften – vorrangig durch die Nicht-Taufen – verringert. Die beiden ältesten Altersgruppen der 85-Jährigen und Älteren (das sind die Geburtsjahrgänge bis 1926) sind mehrheitlich noch Kirchenmitglieder, danach sinken die Anteile bis zur Altersgruppe der 50-54-Jähringen (Geburtsjahrgänge 1957-1961) gleichmäßig, um sich dann auf dem niedrigen Niveau zu stabilisieren.
Bei den Altersgruppen der 10 bis 19-Jährigen (Geburtsjahrgänge 1992-2001) ist dann ein leichter relativer Anstieg der evangelischen Kirchenmitglieder zu bemerken, der jedoch vermutlich nicht in einer Re-Christianisierung begründet ist, sondern in einem generellen Geburtenrückgang in den östlichen Bundesländern, von dem die Kirchenmitglieder, die ihre Kinder taufen lassen, wohl weniger betroffen waren.
Diese Halbierung der Geburtenziffern (ab 1992) zeigt sich nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, die in der folgenden Abbildung dargestellt wird.
Diese Trends sind in allen östlichen Bundesländer dieselben, sei es in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen.
Mit Bezug auf die evangelischen Kirchenmitglieder in allen fünf östlichen Bundesländern zeigt sich die Parallelität in der Verringerung der relativen Anteile innerhalb der Altersgruppen.
Eichsfeld, Erzgebirge, Halle
Dass es trotz dieser generellen Trends auch Bereiche in der DDR gab bzw. in den östlichen Bundesländern noch immer gibt, die eine andere Enwicklung hatten, zeigt sich an zwei Landkreisen und der Stadt Halle/Saale.
Der Landkreis Eichsfeld im Nordwesten von Thüringen ist eine katholische Diaspora, d. h. ein Gebiet, in dem eine religiöse Minderheit lebt und von einer Mehrheit mit anderer Konfession umgeben ist. In allen Altersgruppen haben die katholischen Kirchenmitglieder eine Mehrheit von rund zwei Dritteln und mehr.
Das evangelische Pendant dazu wäre z. B. der Erzgebirgskreis in Sachsen, der Teil des „sächsischen Bibelgürtels“ ist. In diesem „Land der Gottesfürchtigen“ zeigt sich eine Parallelität und ein Unterschied zum Eichsfeld.
Im Erzgebirgskreis liegt einerseits der Anteil der evangelischen Kirchenglieder mit 36,5 Prozent (in 2011) deutlich über dem Landesdurchschnitt von Sachsen (21,4 Prozent). Es zeigt sich jedoch, dass der generelle Trend sich auch hier durchgesetzt hat, und das evangelische Milieu nur die Hälfte von dem ausmacht, was im katholischen Eichsfeld erhalten blieb.
Zum einen zeigen diese Beispiele, dass es auch in den östlichen Bundesländern möglich gewesen ist – bei einem entsprechenden Zusammenhalt – kirchliche Milieus zu bewahren, zum anderen, dass die katholische Kirche durchaus stärker in der Lage ist, ihre Mitglieder bei der ‚römischen Fahne zu halten‘, als es den Evangelischen gelingt.
Das Gegenbeispiel für diese beiden - realiter oder ‚vom Temperament‘ her - christlich gebliebenen Landkreise ist die Stadt Halle/Saale.
Halle/Saale, die „Händelstadt“, hat (2001) in der Bevölkerung 82,8 Prozent Konfessionsfreie, 10,9 Prozent EKD-Evangelische und 3,7 Prozent römische Katholiken. Das hat jedoch eine gewisse Tradition, denn „die Bevölkerung im Gebiet der ehemaligen DDR [war] bereits vor der deutschen Teilung deutlich stärker säkularisiert als jene in Westdeutschland.“ (Quelle) Eine der Regionen mit dem relativen geringsten Christenanteil, war dabei die Region Leipzig/Halle. Die Anteile in den Altersgruppen sind mittlerweile zum Teil so gering, das es im registergestützten Zensus 2011 nicht ausreichte, belastbare Zahlen zu nennen.
Hinsichtlich der religionsorganisatorischen Veränderungen in den östlichen Bundesländern gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass sich die Veränderungen umkehren werden. Die fünf Bundesländer sind – mit Ausnahme weniger Regionen – konfessionsfrei stabil.
(CF)