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Eheschließungen und Trauungen, 1920 – 2021

Unter den kirchlichen Kasualien ist die kirchliche Trauung nicht nur traditionell wichtiges Lebenselement, sondern auch für die Zukunft der Kirchen wesentlich, da die Taufwahrscheinlichkeit der Kinder hoch war. Diese ‚Zukunftssicherung‘ hat sich in mehrfacher Hinsicht verändert. Wesentlichste Veränderung war die Auflösung des patriarchalischen bzw. konservativ/religiös/klerikalen Rollenklischees für Frauen von „Kinder-Küche-Kirche“. In Deutschland wie in Österreich werden die Anteile der kirchlichen Trauungen kontinuierlich geringer.

In Deutschland galt, als eine der Konsequenzen des „Kulturkampfs“ unter Bismarck, seit 1875 die „obligatorische Zivilehe“ d. h. „dass die kirchliche Trauung erst nach der obligatorischen Zivilehe vor dem Standesamt zulässig ist.“ 2009 wurde diese Bestimmung gestrichen. In Österreich „hat der Verfassungsgerichtshof das Verbot der kirchlichen Voraustrauung 1955 als Verstoß gegen die Religionsfreiheit betrachtet und aufgehoben.“ Jede und jeder kann sich danach verheiraten, wie es ihm beliebte, eherechtliche Konsequenzen hat jedoch nur die (staatlich-weltliche) Zivilehe.

Der Unterschied zwischen der zivilrechtlichen Eheschließung und der kirchlichen Trauung besteht u. a. darin, dass die Ehepartner ihre Verbindung zivilrechtlich auf das umfangreiche Rechtsinstitut Ehe stellen, was eine Reihe von positiven juristischen und finanziellen Konsequenzen hat, während bei der Trauung zivilrechtlich nichts geschieht und sie nur, falls überhaupt, eine subjektive bzw. innerreligiöse Dimension hat.

Deutschland

Bis 1966 wurden rund 80 Prozent aller Ehen in Deutschland auch kirchlich getraut. Der Anteil der katholischen Trauungen war dabei absolut, im Anteil aller Eheschließungen, wie auch relativ höher, gemessen an ihrem geringeren Anteil an der Bevölkerung als die Evangelischen.

Seitdem sinkt dieser Anteil der kirchlichen Trauungen an allen Eheschließungen kontinuierlich. Von 1966-1971 sind es Anteile im Bereich der 70 Prozent, 1972-1980 von 60 Prozent, 1981-1990 im Bereich der 50 Prozent, 1991-1994 dann bei 40 Prozent-Werten, 1995-2000 bei 30-Prozent-Werten und seit 2001 bei 20-Prozent-Werten, seit 2018 sind es weniger als 20 Prozent. Bemerkenswert ist dabei, dass – bis zum Jahr 2000 -, die Zeiträume des Absinkens der Anteile immer kürzer werden: 80-Prozent-Werte gibt es in 16 Jahren, 70-Prozent-Werte in 6 Jahren, 60-Prozent-Werte für 9 Jahre, 50-Prozent-Werte in 10 Jahren, 40 Prozent-Werte für 4 Jahre.

Was sich in der grafischen Darstellung (der Zahlen) verdeutlicht, ist der Einfluss der „1968er“ für den Rückgang der evangelischen Trauungen (1971-1989) gegenüber den katholischen. Seit 1990/1991 verlaufen beide Werte und Anteile parallel zueinander.

Eine der Veränderungen, die gleichsam parallel zum Rückgang der kirchlichen Trauungen verlaufen, ist die Verringerung der religiös-homogenen Ehen, bei denen beide Ehepartner der gleichen Religion angehören. Bei den katholischen Trauungen hat sich der Anteil der Paare, bei denen nur ein Partner katholisch ist, von 12 Prozent (1920) bis 2001 auf ein gutes Drittel (37 Prozent) vergrößert. Seitdem ist dieser Anteil gleichbleibend.

Eine Aufschlüsselung (bis 1992) erfasst nach dem Geschlecht der Katholiken, die einen Nicht-Katholiken heiraten und dennoch kirchlich-katholisch getraut werden, zeigt, dass es mehr Frauen als Männer sind (Anteile 60 vs. 40).

Bei den Evangelischen zeigt eine kurze Zeitreihe (1997 – 2016/2020), dass der Anteil der religiös-homogenen Ehepaare („Beide Partner EKD“) noch geringer ist und von 61 Prozent (1997) auf 53 Prozent (2020) zurückgeht. Parallel dazu steigt der Anteil der „nicht-christlichen Partner“ – womit überwiegend säkulare Frauen und Männer gemeint sein dürften – von 10 Prozent (1977) auf 17 Prozent. Als Randnote sei bemerkt, dass es zwar nur 0,5 Prozent aller Trauungen sind, aber (2016) 233 evangelische Trauungen zelebriert werden, bei denen „kein Partner EKD-Mitglied“ ist, was, so wird angemerkt, „nach landeskirchlichem Recht nicht vorgesehen“ ist.

Eine Aufschlüsselung der EKD (von 1997 – 2009) für die östlichen und westlichen Gliedkirchen verweist auf einen weiteren Aspekt: der Anteil der religiös-homogenen Ehen ist in der Diaspora-Situation der östlichen Gliedkirchen (als Minderheit) höher, als in den westlichen Gliedkirchen.

Als ‚Momentaufnahme‘ antworten im Jahr 2019 – hinsichtlich der Einstellungen zum Heiraten – auf die Ansicht „Es ist wichtig, kirchlich/religiös zu heiraten“ knapp zwei Drittel (63 Prozent) mit „Nein“ (41 Prozent stimmten dieser Ansicht „ganz und gar nicht zu“ sowie 22 Prozent „Stimme eher nicht zu“).

Und gut die Hälfte (53 Prozent) ist der Auffassung, dass „der Druck wächst, eine perfekte Hochzeit zu feiern“.

Man kann zudem eine Parallelität annehmen zwischen den kirchlichen Trauungen und der Feier des christlichen Osterfestes. Wie eine YouGov-Umfrage „Ostern in Zeiten von Corona“ (April 2020) feststellte, musste vielfach die gewünschte familiäre ‚Einbindung‘ abgesagt werden.

„Obwohl die Krise das bevorstehende Osterfest überschatten wird, freuen sich immerhin 2 von 5 Deutschen (40 Prozent) trotz der Einschränkungen auf das Osterfest. Allerdings muss die Hälfte der Befragten (47 Prozent) dafür einen geplanten Besuch bei der Familie ausfallen lassen. Vor allem Frauen (52 Prozent) hatten einen Besuch bei der Familie fest eingeplant. 43 Prozent der Befragten sind gezwungen, Verabredungen mit Freunden ausfallen zu lassen, und 39 Prozent müssen dem Familienbesuch absagen. In diesem Fall waren es am häufigsten die Befragten ab 55 Jahren (51 Prozent), die die Familie an Ostern erwartet hatten.“

Dadurch wird ein weiteres Element deutlich: Kirchliche Rituale und Feiern sind in persönliche/soziale Zusammenhänge ‚eingebunden‘ und haben nicht ‚von alleine‘, sondern vor allem in diesen ‚Einbindungen‘ eine Bedeutung.

Geht man insofern auf die Zeitreihe in Tabelle 1.2. zurück, so zeigt sich, dass in dem ‚Coronajahr‘ 2020 sich die Zahl der ‚zivilen Eheschließungen‘ gegenüber 2019 um 10 Prozent reduziert hat (von 416.324 auf 373.304), die Zahl der kirchlichen Trauungen jedoch um 72 Prozent verringert (von 76.622 auf 22.348).

Eine zivile Heiratszeremonie (im Standesamt) braucht keinen ‚großen Rahmen‘, das zukünftige Ehepaar, die Trauzeugen, enge Freunde oder die engere Familie. Das lässt sich auch unter den Coronabeschränkungen von anwesenden Personen realisieren. Die kirchliche Trauung dagegen ist Teil einer großen Hochzeitsfeier (bekannt aus Film und Fernsehen…), bei der viele Freunde, Verwandte, Kollegen… eingeladen werden, alles, was unter Coronabeschränkungen nicht erlaubt war und mit Maskenschutz sowieso nicht geht. Keine Hochzeitsfeier = keine kirchliche Feier. Insofern ist die kirchliche Feier ‚nur‘ Teil eines größeren Festes und hat insofern keinen Eigenwert.

Österreich

Die Statistiken in Österreich zur Anzahl der katholischen Trauungen sowie der staatlichen Eheschließungen zeigen ein vergleichbares Bild.

2020 verringert sich die Zahl der zivilen Eheschließungen um 14 Prozent, die Zahl der katholischen Trauungen um 64 Prozent.

Auch in den Jahren 2015 bis 2019, in denen die Zahl der Zivilehen ansteigt (von 37.000 im Jahr 2014 auf 46.000 im Jahr 2019) verringert sich die Anzahl der katholischen Trauungen (von 11.000 im Jahr 2014 auf 9.800 im Jahr 2019).

Die einfache Abbildung des Anteils der katholischen Trauungen an allen Eheschließungen zeigt den ‚Corona-Knick‘ (2020), als 9 Prozent der Eheschließungen auch kirchlich getraut wurden.

Die Grafik der Veränderungen gegenüber dem Vorjahr zeigt zum einen das ‚Trauungsdefizit‘ 2015 und den ‚Einbruch‘ bei den katholischen Trauungen 2020.

Da diese beiden Phänomene – relative Stabilität der Anzahl der zivilen Eheschließungen, Einbruch der Anzahl der kirchlichen Trauungen – sowohl in Deutschland wie in Österreich festzustellen sind, ist es naheliegend, eine ihnen gemeinsame Ursache anzunehmen.

Wesentlich erscheint dafür die Hypothese, dass Religion nur als Teil eines sozialen Geschehens existiert und keinen ideellen oder faktischen ‚Eigenwert‘ besitzt. Findet das soziale Geschehen nicht statt, gibt es auch keine Religion mit den kirchlichen Amtshandlungen mehr. Religion und Kirchen sind in diesem Sinne abhängige Variablen mit nur geringer eigener Gestaltungskraft. Oder: Fehlt die soziale Einbindung, dann geht Kirche, als eine Form organisierter Religion, verloren.

(CF / BB)