Gestorbene, Bestattungen sowie Taufen, 1953 - 2020
Die Mitgliederentwicklung der Kirchen beruht unter anderem auch auf der Beziehung zwischen Bestattungen und Taufen, als minus und plus. Seit 1972 hat sich der Taufüberschuss in einen Sterbeüberschuss gewandelt – parallel zur gesellschaftlichen Entwicklung, aber mit Besonderheiten wie den ‚stillen Kirchenaustritten‘ oder den Unterschieden zwischen den EKD-Evangelischen und den römischen Katholiken, die durchaus gravierend sind.
1. Trends, Geburtenzyklen
2. Anteile der Bestattungen / Taufen
3. Gestorbene, Kirchenmitglieder, Bestattungen
4. „Stille Kirchenaustritte“?
1. Trends, Geburtenzyklen
Die Mitgliedertrends der Kirchen sind im Großen und Ganzen parallel zu den Bevölkerungstrends der Gesellschaft. Die Unterschiede zeigen sich in den Details.
Gemeinsam ist beiden Bereichen das Jahr 1972, als sich der Geburten-/Taufüberschuss in einen Gestorbene-/Bestattungsüberschuss wandelte. (Vgl. auch Tabellen 1.1. und 1.2. im Anhang)
Bis 1972 zeigt sich der Geburtenzyklus mit Gipfelpunkt 1964 – der nach dem 1. Weltkrieg begann, als die Soldaten nach mehrjähriger Abwesenheit wieder nach Hause kamen und die Geburtenzahlen sich überdurchschnittlich erhöhten. Dem ersten Gipfelpunkt 1920/21 folge der zweite (19 Jahre später) um 1939/1940, der dritte (24 Jahre später) um 1964 und der ‚ausklingende‘ letzte Gipfelpunkt - der durch den ‚Pillenknick‘ zudem reduziert wurde – um 1989/1990.
Der Zusammenhang zwischen Geburten/Taufen sowie Gestorbenen/Bestattungen ist einfach: Je mehr Menschen sterben, desto mehr Bestattungen (sind möglich), je mehr Geburten, desto mehr Taufen (sind möglich).
2. Anteile der Bestattungen / Taufen
Innerhalb der Kirchenstatistik sind Bestattungen ein Teil der kirchlichen Mitgliederverluste, die Getauften die größte Gruppe der neu hinzu gekommenen Kirchenmitglieder.
In der Zeitreihe 1953-2020 (Tabellen 1) zeigt sich der Unterschied: Der Anteil der Bestattungen an den Gestorbenen bleibt über die Jahrzehnte stabil (Durchschnitt von 68 Prozent, mit einer Schwankungsbreite von 61 bis 76 Prozent), der Anteil der Taufen sinkt von 67 Prozent (1953-1988) auf 57 Prozent (1989-2020).
Wie sich diese Veränderungen auswirken, zeigt sich auch darin, dass es für die Jahre 1953 bis 1988 einen Mitgliederzuwachs (im Saldo der Bestattungen/Taufen) von 3,15 Mio. gab, so hat es sich in den Jahren 1989 bis 2020 im Saldo mit 5,0 Mio. mehr Bestattungen und damit Mitgliederverlusten in das Gegenteil verkehrt.
Zwischen den beiden Kirchen bestehen dabei gleichbleibende Unterschiede: Die römischen Katholiken haben bis Anfang der 1970er-Jahre einen höheren Taufüberschuss und danach einen geringeren Bestattungsüberschuss als die EKD-Evangelischen. (Dazu Tabelle 2.1. und 2.2. im Anhang. Die beiden Pfeile in der Grafik zeigen die Gipfelpunkte des auslaufenden Geburtenzyklus.)
Der Saldo der EKD-Evangelischen wandelt sich zudem bereits 1970 ins Minus, bei den römischen Katholiken erst 1973. In den Jahren 1990 bis 2020 haben die EKD-Evangelischen durch den Bestattungsüberschuss einen Verlust von 3.284.535 Kirchenmitgliedern (Durchschnitt pro Jahr 106.000), während die römischen Katholiken einen Verlust von 1.664.726 Mitgliedern beziffern (Durchschnitt pro Jahr 54.000). Im Zeitverlauf zeigt sich allerdings, dass die Abstände zwischen beiden Kirchen sich zunehmend verringern.
3. Gestorbene, Kirchenmitglieder, Bestattungen
„Gestorbene“ sind alle amtlich registrierten Verstorbenen, „Bestattungen“ nur die kirchlich registrierten „Beerdigungen“. Der Unterschied besteht darin, dass nicht alle Kirchenmitglieder kirchlich bestattet werden.
Die Annahme, dass zwischen diesen beiden verschiedenen Zählungen Unterschiede bestehen, lässt sich bereits aufgrund von Umfrage-Befunden formulieren, dass auch Kirchenmitglieder immer weniger Wert auf eine kirchliche Beerdigung legen. Waren es 1982 noch 82 Prozent der EKD-Evangelischen, die sich eine kirchliche Beerdigung wünschen, so sind es 2012 noch 72 Prozent. Bei den römischen Katholiken verringert sich im gleichen Zeitraum der kirchliche Bestattungswunsch von 89 auf 77 Prozent.
Aber genauere Zahlen dazu sind das nicht. Diese Möglichkeit bestand jedoch bis zum Jahr 2012, danach wurden die Religionszugehörigkeiten bei Geburten, Heiraten und Gestorbenen nicht mehr amtlich erfasst. Und diese Daten, mit denen man die Gestorbenen nach Konfessionen zählen konnte, erlaubten den direkten Vergleich mit den kirchlich registrierten Bestattungen.
Zum einen entsprechen die in den Umfragen genannten kirchlichen Bestattungswünsche nicht den tatsächlichen Bestattungsziffern, die höher sind. 2012 äußerten noch 72 Prozent der EKD-Mitglieder, kirchlich bestattet zu werden, tatsächlich waren es 81 Prozent. Bei den römischen Katholiken sind es statt der 77 Prozent, die von den befragten Kirchenmitgliedern genannt werden, tatsächlich 86 Prozent, die kirchlich bestattet werden.
Zweitens ist die Differenz zwischen der Zahl der verstorbenen Kirchenmitglieder und den tatsächlich realisierten Bestattungen ansteigend und drittens konfessionell unterschiedlich. (Vgl. Tabellen 3.1.und 3.2. sowie Tabellen 4.1. und 4.2. im Anhang)
Generell gilt, dass der Anteil der Kirchenmitglieder, die sich nicht kirchlich bestatten lassen, bei den EKD-Evangelischen deutlich höher ist, als bei den römischen Katholiken. Aus welchen Gründen ist nicht bekannt. Ebenso nicht, warum diese Differenz bis 1962 deutlich höher war (EKD: um die 12-13 Prozent) und danach, bis 1990, dann nur die Hälfte davon (rund 6 Prozent) um dann wieder kontinuierlich bis 19 Prozent (2012) anzusteigen.
4. „Stille Kirchenaustritte“?
Auch wenn die Gründe für diese Negation eines der zentralen christlichen Glaubenselemente (Das Leben nach dem Tode) nicht bekannt sind, so ist bemerkenswert, dass es eine gewisse Parallele im Anstieg der Urnenbestattungen besteht. Da der Glaube an die christliche Auferstehung aber auch eine christliche Erdbestattung des kompletten Leichnams voraussetzt, ist die Nicht-Inanspruchnahme von Pastorinnen und Pastoren wie Priestern bei Urnenbestattungen von Kirchenmitgliedern konsequent. Diesen Verzicht könnte man entsprechend auch als „stillen Kirchenaustritt“ betrachten.
Zumindest wird dadurch ein großer Teil der Differenz zwischen den Daten aus den Melderegistern und den Zählungen der Kirchen erklärt. (Vgl. Tabelle 5 im Anhang)
2012 – als letztmalig die Differenz zwischen gestorbenen Katholiken und katholischen Bestattungen korrekt erfasst worden war -, betrug diese Differenz 39.854 verstorbene Katholiken. Das war 2012 der erfasste Zwischenstand in einer seit 2002 von sieben auf 14 Prozent ansteigenden Tendenz. Legt man zugrunde, dass sich diese Tendenz gleichmäßig fortgesetzt hat, so wären das 2021 rund zehn Prozentpunkte mehr, d. h., dass der Angabe der Bestattungen (2021: 240.030) eine Größenordnung von rund 58.000 „stillen Kirchenaustritten“ hinzuzurechnen wäre, so dass von der Differenz zwischen Melderegistern und Kirchenstatistik (100.959 Personen) deutlich mehr als die Hälfte erklärt wäre.
Carsten Frerk
Anhang: Tabellen