Glücklich, Gottlos, Säkular
Fowid-Notiz: Anlässlich des Erscheinens des „World Happiness Report 2022“ hat Phil Zuckerman sich die Reihenfolge der Staaten angesehen und kommt zu dem Ergebnis: „Die glücklichsten Nationen auf der Welt sind ausgeprägt säkular.“ Eine Sichtweise, die sich teilweise auch mit weiteren Daten belegen lässt, beispielsweise mit den Daten der European Value Surveys (EVS). Allerdings sollte man das als Argument nicht zu sehr strapazieren.
Der „World Happiness Report 2022“ ist eine Studie, die im Rahmen der UNO seit 2012 erarbeitet wird, die sich vorwiegend auf Daten des weltweiten „Gallup World Poll“ stützt, und in dem u. a. Fragen zur Lebenszufriedenheit auf einer 10-er Skala bewertet werden, die mit anderen Kategorien zu einer Rangliste geformt werden. Die Kategorisierungen beinhalten u. a. Pro-Kopf-BIP, Aspekte der sozialen Unterstützung, der gesunden Lebenserwartung, der Freiheit, Lebensentscheidungen zu treffen sowie der Korruptionswahrnehmung.
Phil Zuckerman (Professor für Soziologie am Pitzer College und Autor mehrerer Studien zu den Konfessionsfreien in der Welt, sowie seiner neuesten Untersuchung: „Society without God”) ist Advokat in eigener Sache.
„‘Gesellschaft ohne Gott‘ bietet ein reichhaltiges Porträt des Lebens in einer säkularen Gesellschaft und untersucht, wie eine Kultur ohne Glauben mit dem Tod fertig wird, sich mit dem Sinn des Lebens auseinandersetzt und in den Höhen und Tiefen des Alltags zufrieden bleibt. [… Die Studie] befasst sich mit dem dramatischen Anstieg der Religionslosigkeit in den Vereinigten Staaten und dem Aufstieg der ‚Nicht-Religiösen‘ und fügt Daten zur gesellschaftlichen Gesundheit in bestimmten US-Bundesstaaten hinzu, zusammen mit einem faszinierenden Kontext über die religiösesten und die säkularsten Staaten.“
Entsprechend hat er sich den „World Happiness Report 2022“ angesehen und kommt in einem Artikel zu der Schlussfolgerung: „Die glücklichsten Nationen auf der Welt sind ausgeprägt säkular.“
„In Norwegen beispielsweise ist nicht nur die Zahl der Kirchenmitglieder auf ein noch nie dagewesenes Niveau gesunken, sondern zum ersten Mal glauben heute mehr Norweger nicht an Gott als an ihn. Im benachbarten Schweden ist die Zahl der Kirchenbesucher ebenfalls auf einem historischen Tiefstand, und fast 65 % glauben nicht an Gott, ein weiterer historischer Tiefstand. In Dänemark glaubt fast die Hälfte der Bevölkerung nicht an Gott - ebenfalls ein historischer Tiefstand. In Neuseeland gaben 2001 etwa 30 % an, keiner Religion anzugehören, heute sind es fast 50 %; in den Niederlanden besuchten in den 1970er Jahren fast 40 % der Bevölkerung regelmäßig die Kirche, heute sind es nur noch 15 %, und zum ersten Mal in der niederländischen Geschichte gibt eine Mehrheit der Menschen an, keiner Religion anzugehören. In Island glauben heute nur noch 0,0 % der Menschen unter 25 Jahren, dass die Welt von Gott erschaffen wurde. Und was den Spitzenreiter Finnland betrifft, so gaben im Jahr 1900 0 % der Finnen an, keiner Religion anzugehören. Heute sind 30 % religiös ungebunden, und nur etwa ein Drittel glaubt, dass es „einen Gott gibt“ - ein weiterer historischer Tiefstand.“
Diese Belege finden eine weitere Bestätigung in einer Übersicht zu den Antworten auf religionsspezifische Fragen aus den European Value Studies (EVS) bzw. World Value Surveys (WVS).
Es ist deutlich, dass die Befragten in allen zehn dargestellten Ländern weit überdurchschnittliche religionsablehnende Meinungen haben, allerdings zeigt eine weitere Auswertung der Rangplätze, dass es keine Relation „Je mehr religionsablehnend, desto glücklicher“ gibt.
Allerdings sollte man diese vorhandene Tendenz nicht überstrapazieren, denn die hohen Rangplätze im „World Happiness Report“ für religiös kontaminierte Staaten wie die USA (Rang 16.), Bahrain (21.), die Vereinigten Arabischen Emirate (24) sowie Saudi-Arabien (25.) sprechen gegen die Allgemeinheit der These einer gottlosen, säkularen Basis für „Glück“.
Betrachtet man jedoch die Konfliktfreiheit/Frieden als eine Basis für „Glück“, so stimmten – vor mehr als dreißig Jahren - in einer internationalen ISSP-Umfrage in 30 Staaten (1998) insgesamt 60 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Wenn man sich in der Welt umschaut, bringen Religionen mehr Konflikte als Frieden:“ („Looking around the world, religions bring more conflict than peace.“) – 24 Prozent der Befragten stimmten der Aussage voll zu („strongly agree“) und 36 Prozent stimmten zu („agree“). Unentschieden waren 18 Prozent. Ebenfalls 18 Prozent der Befragten stimmten der Aussage nicht zu („disagree“) und 4 Prozent stimmten überhaupt nicht zu („strongly disagree“).
Die Abfolge der Staaten hinsichtlich der Zustimmung, dass Religionen mehr Konflikte als Frieden in die Welt bringen, zeigt die geringsten Zustimmungen in eher katholischen Staaten sowie in den USA und Russland. Die Befragten in Staaten mit protestantischen und konfessionsfreien Mehrheiten – vor allem in Nordeuropa - sehen dagegen die Religionen überdurchschnittlich stärker als Konflikte fördernd an.
Auch das katholische domradio hat sich aktuell mit der Frage beschäftigt und publiziert unter dem Titel „Macht Glaube glücklich?“ ein Interview mit Gert Pickel (Professor für Religions- und Kirchensoziologie an der Universität Leipzig), dessen Tenor ist: „Ja, Glaube führt zu größerer Zufriedenheit“.
„DOMRADIO.DE: Welchen Einfluss hat denn Religion auf die Zufriedenheit von Menschen?
Pickel: Auch da ist das Ergebnis ein bisschen uneindeutig. Wir wissen aus Studien, dass zum Beispiel, und das ist in den USA viel stärker noch als in Deutschland, Religion gerade im Gesundheitswesen eingesetzt wird, weil es eben das Wohlbefinden gerade nach einer Krankheit sehr stark steigert.
In dem Moment, wo einem etwas passiert, ist Religion sehr, sehr hilfreich. Umgekehrt haben wir Studien, die uns eigentlich kaum große, gute Effekte im Blick über die Gesamtgesellschaft anbieten. Es ist noch ein bisschen unklar. Wo sicherlich Stärken liegen, ist eben einerseits im Gesundheitsbereich, aber andererseits auch durch das Schaffen von Räumen. Kleine Räume, wo man Leute kennenlernt. Und das Zusammensein mit anderen ist etwas, das zur Zufriedenheit beiträgt.“
Das ist richtig und gilt sicherlich auch für alle Gruppenbildungen von Gleichgesinnten, d. h. auch für die Mitglieder einer Stammtischrunde in der Gastwirtschaft ebenso wie beim gemeinsamen Kegeln oder der gemeinsamen Ausfahrt von Motorradfreunden.
Carsten Frerk