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Grundsätzegesetze (Entwürfe) zur Ablösung der Staatsleistungen

Fowid-Dokument: Bereits 1921 hat es den „vorläufigen Entwurf eines Gesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften“ gegeben und 1924 den überarbeiteten, endgültigen „Entwurf“. Diese beiden Gesetzentwürfe werden hier dokumentiert, da sie ausführlich und genau thematisieren, wie sich die Verfassungsgeber 1919 die Ablösung der Staatsleistungen und das dafür erforderliche Grundsätzegesetz vorstellten. Es sind sozusagen die langen Ausführungsbestimmungen des kurzen Verfassungsartikels in Art. 138 der Weimarer Reichsverfassung, der als solcher ins Grundgesetz übernommen wurde. (GG Art. 140).

Inhalt:
- Vorbemerkung / Grundsätze
- Gesetzentwurf 1924 (Abschrift)
- Gesetzentwurf 1921 (Abschrift)
- Sichtweisen zur Beteiligung der Kirchen
Anhänge:
- Faksimile des Gesetzentwurfs 1924 (Original)
- Faksimile des vorläufigen Gesetzentwurf 1921 (Original)
- Begleitschreiben des Reichsinnenministers 1924
- Faksimiles der Schreiben verschiedener Minister und des Ministerpräsidenten Preußens hinsichtlich der Beteilung der Kirche an einem Grundsätzegesetz.

Da der „vorläufige Entwurf“ (1921) und der „Entwurf“ (1924) sich weitgehend entsprechen, seien hier einige der Grundsätze benannt, die dort formuliert wurden:

1. „Die Reichsverfassung ist am 14. August 1919 in Kraft getreten. Die Ablösungsverpflichtung kann sich daher nur auf solche Staatsleistungen beziehen, die damals bereits und noch bestanden. Denn die Ablöseverpflichtung bezieht sich nur auf die bisherigen Leistungen. Soweit nach dem Inkrafttreten der Reichsverfassung neue Staatsleistungen gewährt worden sein sollten, würden diese nicht unter den Schutz der Reichsverfassung fallen.“

2. „Einen Kapitalisierungsfaktor allgemein für alle Länder reichsrechtlich festzulegen, ist nicht möglich. Die Staatsleistungen an die Länder sind geschichtlich geworden. Sie sind aufs engste verknüpft mit der Entwicklung, die das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in den einzelnen Ländern und deren Rechtsgebieten genommen hat.“

3. „Auch hinsichtlich der Wahl der Ablösungsmittel muß den Ländern entsprechend ihren verschiedenen Verhältnissen volle Freiheit gelassen werden. § 4 kann daher nur die möglichen Ablösungsmittel aufführen, ohne einen bestimmten Zwang in dieser oder jener Richtung von Reichs wegen auszusprechen.“

4. „Eine finanzielle Trennung von Staat und Kirche wird in befriedigender Weise nur dann zu erreichen sein, wenn die Länder in der Ablösungsfrage sich mit den Religionsgesellschaften auf eine mittlere Linie einigen.“

Durchgehendes Element der Gesetzentwürfe ist die Reglung der zu erwartenden Rechtsstreitigkeiten.

Am 31. Juli 1924 schreibt der Reichsminister des Innern in seinem Begleitschreiben, dass in dem Gesetzentwurf die Äußerungen der Landesregierungen zu dem vorläufigen Entwurf von 1921 berücksichtigt seien, es also die gemeinsamen Auffassungen des Reichsinnenministers und der Landesregierungen sind.

„In der Anlage beehre ich mich, den Entwurf eines Gesetzes über die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften zu übersenden. Der Gesetzentwurf schließt sich an den mit Rundschreiben vom 25. Mai 1921 – I A 6029 – versandten Vorentwurf an unter tunlichster Berücksichtigung der Äußerungen der Landesregierungen zu diesem Vorentwurf.“

Hinsichtlich der Beteiligung der Kirchen ist die generelle Auffassung, dass die Reichsregierung und die Landesregierungen sich zuerst alleine über die zu formulierenden Grundsätze ins Benehmen setzen und danach die Kirchen um Stellungnahmen gebeten werden.

Entsprechend schreibt der Finanzminister von Preußen (am 3. Dezember 1924): Beteiligung ja, aber noch nicht jetzt:

„Wenn ich auch meinerseits eine Anhörung der kirchlichen Interessenten vor endgültiger Einbringung des Gesetzentwurfs für die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften für erwünscht halte, so ist m. E. der Zeitpunkt für eine solche Beteiligung im gegenwärtigen Augenblicke noch nicht gegeben. […]
Der – zweifellos bedauerliche – Umstand, daß die Kirchen durch eine Indiskretion, über deren Urheber hier keine Kenntnis besteht, vorzeitig in den Besitz der bisherigen Materialien gelangten, dürfte m. E. keinen Anlaß bieten, sie an der lediglich vorbereitenden Arbeit für die Feststellung des Gesetzentwurfs zu beteiligen.“

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Entwurf eines Gesetzes

über die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften

(31.07.1924)
 

Quellen: Thüringer Hauptstaatsarchiv (ThHStA) Weimar, Thüringisches Volksbildungsministerium, Archivalie Nr. A 1418 (Reichsgesetz über die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften auf Grund der Artikel 138 und 173 der RV), Blatt 4, sowie
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Ministerium des Innern, I. HA Rep. 77, Tit. 416 Nr. 52: Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften, 1919-1925)

Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrates hiermit verkündet wird:

§ 1

Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen sind, soweit die beim Inkrafttreten der Reichsverfassung bestanden, nach Maßgabe der in diesem Gesetz aufgestellten Grundsätze durch die Landesgesetzgebung abzulösen. (Artikel 138, Abs. 1 der Reichsverfassung)

Welche beim Inkrafttreten der Reichsverfassung bestehenden Staatsleistungen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhen, bestimmt sich nach Landesrecht.

Abszulösen sind die hiernach bestehenden Verpflichtungen.

§ 2

Als Staatsleistungen gelten nicht Leistungen, die keine Verpflichtungen des Staates als solchen bilden oder die auf dem bürgerlichen Rechte beruhen.

Ansprüche der Religionsgesellschaften aus der Säkularisation unterliegen der Ablösungspflicht.

§ 3

Die Ablösung muß den Religionsgesellschaften einen angemessenen Ausgleich für den Wegfall der bisherigen Staatsleistungen gewähren.

§ 4

Die Ablösung erfolgt ganz oder zum Teil

  1. durch Barzahlung,
  2. durch Hingabe von Wertpapieren,
  3. durch Überlassung von Grundstücken oder beweglichen Sachen,
  4. durch Übernahme von Lasten zu Gunsten von Grundstücken, die Religionsgesellschaften gehören oder an denen ihnen ein dingliches Recht zusteht,
  5. durch Begründung der Verpflichtung zur Zahlung einer Rente,
  6. durch Bestellung von Rechten an Grundstücken.

Die Renten können dauernd oder auf eine im voraus bestimmte Zeitdauer gewährt und für ablösbar erklärt werden. Das Recht, die Ablösung zu verlangen, kann für den Gläubiger ausgeschlossen werden

Den Grundstücken stehen die dinglichen Rechte gleich, für welche die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften gelten.

§ 5

Die Länder sind berechtigt, bisherige Leistungen an einzelne Kirchengemeinden oder kirchliche Verbände, Anstalten oder Institute durch Leistungen an übergeordnete Verbände der beteiligten Re­ligionsgesellschaft abzulösen.

§ 6

Die Ablösung der Staatsleistungen durch die Länder erfolgt grundsätzlich im Einvernehmen mit den Religionsgesellschaften. Dabei steht es den Beteiligten frei, sich der Entscheidung eines Schiedsgerichts zu unterwerfen. Vor dem Schiedsgericht können auch Vergleiche geschlossen werden.

§ 7

Soweit eine Einigung über die Ablösung nicht zustande kommt, erfolgt die Ablösung durch Bescheid der zuständigen Landesbehörde. Gegen diesen Bescheid findet das Verwaltungsrechtsverfahren nach dem Gesetz über die Verwaltungssenate der Reichsgerichte statt. Die Landesgesetzgebung bestimmt das Nähere über das Verfahren und die Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte zur Entscheidung über die Klage der Religionsgesellschaft. Gegen deren Entscheidung findet die Rechtsbeschwerde an das Reichsgericht (Verwaltungssenat) statt.

§ 8

Auf Antrag einer Landesregierung kann der Reichsminister des Innern mit Zustimmung des Reichsrats wegen der abzulösenden Verpflichtungen ein Feststellungsverfahren anordnen. Für das Feststellungsverfahren gelten folgende Vorschriften:

Die abzulösenden Verpflichtungen sind unter der Leitung der Landeszentralbehörde, die für die Angelegenheiten der Religionsgesellschaften zuständig ist, und unter Mitwirkung der obersten Landesfinanzbehörde und der Oberbehörde der beteiligten Religionsgesellschaften festzustellen.

Soweit sich diese Behörden über den Bestand oder die Ablösbarkeit der Verpflichtungen nicht einigen und nicht die Entscheidung durch ein Schiedsgericht vereinbaren, hat die leitende Behörde die streitigen Verpflichtungen oder Zwischenfragen einem Verwaltungsgerichte des Landes vorzulegen. Die Landesregierung bestimmt, welches Verwaltungsgericht zuständig ist. Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts findet die Rechtsbeschwerde an das Reichsgericht (Verwaltungssenat) nach dem III. Abschnitt des Gesetzes über Verwaltungssenate beim Reichsgerichte statt. In dem Verfahren gelten auch die zuständigen Behörden des Landes als Beteiligte.

§ 9

Die Landesablösungsgesetze müssen spätestens zehn Jahre nach Verkündigung dieses Gesetzes in Kraft treten. Der Reichsminister des Innern ist ermächtigt, mit Zustimmung des Reichsrats diese Frist bis auf weitere zehn Jahre zu verlängern.

§ 10

Bis zur Durchführung der Ablösung bleiben die bisherigen, auf Gesetz, Vertrag und besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften (§ 1, Abs. 1) bestehen.

Nach Abschluß des Feststellungsverfahrens (§ 8, Abs. 2) treten an die Stelle der bisherigen Staatsleistungen die festgestellten Staatsleistungen.

§ 11

Unberührt bleibt die Frage, inwieweit der Ablösung der Staatsleistungen aus völkerrechtlichen oder anderen Gründen Verhandlungen mit dem Päpstlichen Stuhle vorauszugehen haben, soweit Staatsleistungen in einem Lande auf Vereinbarungen mit diesem beruhen.

Begründung

I

Artikel 139 Abs. 1 der Reichsverfassung bestimmt:
„Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstitel beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“
Ferner bestimmt Art. 173 der Reichsverfassung:
„Bis zum Erlaß eines Reichgesetzes gemäß Art. 138 bleiben die bisherigen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften bestehen.“

Die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften soll also durch die Länder im Wege der Landesgesetzgebung erfolgen. Aufgabe der Reichsregierung ist es nur, hinsichtlich der Ablösung allgemein leitende Rechtssätze oder Richtlinien aufzustellen, die der Ausgestaltung im einzelnen, namentlich unter dem Gesichtspunkt einer Anpassung an die besonderen Verhältnisse in den verschiedenen Ländern und ihre Rechtsgebiete fähig und bedürftig sind. Der Schwerpunkt der Ablösung liegt nicht beim Reiche, sondern bei den Ländern.

Das Rechtsverhältnis zwischen Staat und Kirche hat sich in den einzelnen Ländern in jahrhundertelanger historischer Entwicklung außerordentlich verschiedenartig gestaltet. Es gibt wohl kein Rechtsgebiet in Deutschland, das eine derartige Mannigfaltigkeit aufzuweisen hätte. Das Verhältnis zu den evangelischen Kirchen ist ein anderes als jenes zur katholischen Kirche. Auch gegenüber den verschiedenen Kirchen ist das Rechtsverhältnis in den einzelnen Ländern nicht gleichartig, sondern entsprechend der Gestaltung des Landes auf Grund seiner historischen Entwicklung nach zahlreichen Rechtsgebieten verschiedenartig. Die Rechtslage ist in den einzelnen Ländern vielfach ungeklärt und bestritten. Die staatlichen Zehnten und Gefälle, mit denen die Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften in weitem Umfange zusammenhängen, sind in den einzelnen Ländern in verschiedener Weise abgelöst worden.

Bei einer derartigen Rechtszersplitterung können sich die Reichsgrundsätze nur auf die Festlegung weniger oberster Leitsätze beschränken, widrigenfalls die Gefahr entstände, die Ablösegesetzgebung der Länder in einer für beide Teile, den Staat sowohl wie die Kirche nachteiligen Weise festzulegen und damit die außergewöhnlich schwierige Aufgabe der Ablösung noch weiter zu erschweren. Die Reichsgrundsätze werden daher im wesentlichen nur eine authentische Interpretation der in der Reichsverfassung enthaltenen Rechtssätze über die Ablösung bringen können. Daneben wird bei der Aufstellung der Grundsätze auch ihr Zweck zu berücksichtigen sein. Wenn dem Reiche die Grundsatzgesetzgebung in der Ablösungsfrage übertragen wurde, so wurde dabei das Ziel verfolgt, den Religionsgesellschaften in ihren Rechten auf Erfüllung der vollen staatlichen Pflicht einen reichsrechtlichen Schutz zu gewähren, was namentlich auch in der Übergangsvorschrift des Artikels 173 zum Ausdruck kommt, andererseits aber auch Schranken dagegen zu bauen, daß etwa auf Kosten der Allgemeinheit religionsgesellschaftliche Ansprüche anerkannt und abgelöst würden, die nicht hinreichend begründet sind.

II

Zu § 1

§1 Abs. 1 soll klarstellen, auf welche Gegenstände sich die Ablösungspflicht der Länder erstreckt. Die Reichsverfassung ist am 14. August 1919 in Kraft getreten. Die Ablösungsverpflichtung kann sich daher nur auf solche Staatsleistungen beziehen, die damals bereits und noch bestanden. Denn die Ablöseverpflichtung bezieht sich nur auf die bisherigen Leistungen. Soweit nach dem Inkrafttreten der Reichsverfassung neue Staatsleistungen gewährt worden sein sollten, würden diese nicht unter den Schutz der Reichsverfassung fallen. Sollten dagegen in der Zeit nach der Staatsumwälzung vom November 1918 bis zum Inkrafttreten der neuen Reichsverfassung Staatsleistungen durch Landesgesetzgebung einseitig aufgehoben worden sein, so würde dadurch die Ablösungsverpflichtung nicht berührt worden sein. Denn Artikel 173 schützt ausdrücklich die bisherigen, d. h. die auf dem alten Rechte beruhenden Staatsleistungen.

Für die Ablösung nach Artikel 138 ist nicht der Umfang der Tatsächlichen (zahlenmäßigen) Leistungen, die aufgrund der bisherigen Verpflichtungen beim Inkrafttreten der Reichsverfassung gewährt worden sind, sondern der Umfang der Verpflichtungen, die in diesem Zeitpunkte bestanden haben, maßgebend. Abzulösen sind also die Verpflichtungen zu den Staatsleistungen.

Die Begriffe „Gesetz“, „Vertrag“ oder „besonderer Rechtstitel“ reichsrechtlich näher zu umschreiben, erscheint nicht erforderlich, auch nicht zweckmäßig. Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche hat sich landesstaatsrechtlich entwickelt. Die Feststellung, ob eine Staatsleistung auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruht, kann nur unter Berücksichtigung des zur Zeit der Entstehung des Rechtsverhältnisses geltenden Staatsrechts getroffen werden.

Bei den Beratungen der Nationalversammlung über den Artikel 138 hat die Frage eine besondere Rolle gespielt, ob auf „Herkommen“ beruhende Staatsleistungen ablösungspflichtig sind. In der zweiten Lesung der Verfassungsvorlage hatte der Abgeordnete D. Dr. Kahl beantragt, in den Artikel 138 (Artikel 135 des Verfassungsentwurfs in der Lesung der Ausschußbeschlüsse) das „Herkommen“ als Rechtstitel für die ablösbaren Staatsleistungen besonders aufzunehmen, da das Herkommen nicht ohne weiteres als Rechtstitel bezeichnet werden könnte. (Sten. Ber. der Nationalversammlung, 59. Sitzung, S. 1648 D). Dem trat der Abgeordnete Dr. Quarck entgegen, der sich grundsätzlich gegen die Berücksichtigung jedes „Herkommens“ aussprach (Sten. Ber. S. 1649 ff.), während der Abgeordnete Naumann es als überflüssig erachtete, das „Her­kommen“ noch besonders hervorzuheben, da der Ausdruck „besondere Rechtstitel“ das rechtsbegründende Her­kommen bereits umfasse (Sten. Ber. S. 1654 f.). Der Antrag D. Dr. Kahl wurde in der zweiten Lesung abgelehnt. (Sten. Ber. S. 1664), in der dritten Lesung aber wiederum eingebracht und damit begründet, daß in den einzelnen Ländern auch Staatsleistungen herkömmlich seien, ohne daß ihnen ein besonderer Rechtstitel zugrunde liege (Sten. Ber. 71. Sitzung S. 2160 B) Gegen den Antrag D. Dr. Kahl wandte sich der Abgeordnete Katzenstein, indem er ausführte, daß mit der Aufnahme des Wortes „Herkommen“ in die Verfassungsbestimmungen dieser Begriff eine Bedeutung erhalten würde, die über die rechtschaffende Kraft des Herkommens hinausgehe. Dies ist aber nicht erforderlich, da jede wirklich klare, zweifelsfreie rechtliche Verpflichtung bereits durch den Wortlaut des Artikels 135 gedeckt sei (Sten. Ber. S. 2160 B). Der Antrag D. Dr. Kahl wurde schließlich abgelehnt.

Hieraus ergibt sich, daß das Herkommen von rechtlicher Bedeutung für die Ablösungspflicht nur da ist, wo es nach bisherigem Landesrecht ein besonderer Rechtstitel war. Die Frage, was Herkommen ist, unter welchen Voraussetzungen es gilt und welche Folge es erzeugt, bemißt sich danach nach Landesrecht (Schmitt, Die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften, Freiburg 1921, S. 92).

Schon dieses Beispiel dürfte hinreichend zeigen, wie schwierig es wäre, für den Begriff des „besonderen Rechts­titels“ einen einigermaßen einheitlichen Auslegungsgrundsatz von Reichs wegen aufzustellen. Was für den Begriff „besonderer Rechtstitel“ gilt, gilt aber auch für die Begriffe „Gesetz“ und „Vertrag“. Auch hier muß das bisherige Landesrecht maßgebend sein. Reichsrechtlich hierüber näheres zu bestimmen, würde nicht klärend, sondern nur verwirrend wirken. Es sei besonders auf die aus vorkonstitutioneller Zeit herrührende Rechtstitel verwiesen, wo durch Mandate, Reskripte, Befehle, Erlasse des Landesherrn oder der für ihn handelnden Staatsstellen verpflichtende Rechtsgrundlagen geschaffen werden konnten. Ob derartige Erlasse des Landesherrn als Gesetz oder besondere Rechtstitel zu erachten sind, kann sich nur nach dem jeweiligen Landesstaatsrecht richten.

Eine Gefährdung der verfassungsmäßigen Ansprüche der Kirchen durch eine allzu einschränkende Landesgesetzgebung ist nicht zu befürchten. Denn nach Artikel 13 Abs. 2 der Reichsverfassung wäre die Reichsregierung in der Lage, Bestimmungen der Landesablösegesetze, die im Widerspruch mit den Reichsgrundsätzen stehen durch ei­ne Entscheidung des Reichsgerichts nach Maßgabe des Gesetzes vom 8. April 1920 (Reichs-Gesetzbl. S. 110) wieder aufheben zu lassen. Neben diesem Rechtsschutz soll, wie unten näher dargelegt wird, noch ein besonderer reichsgesetzlicher Rechtsschutz gewährt werden, indem über bestrittene Rechtsansprüche und Verpflichtungen bezüglich der Ablösung im letzten Rechtszuge das Reichsgericht (Verwaltungssenat), daß die Aufgaben des in der Reichsverfassung vorgesehenen Reichsveraltungsgericht übernimmt, entscheiden soll.

Zu § 2

§ 2 stellt klar, welche Staatsleistungen nicht unter die Ablösungspflicht des Artikels 138 fallen.

Eine Staatsleistung ist nur eine Leistung, die der Staat als solcher übernommen hat. Vielfach hat der Staat (Fiskus) Leistungen an Religionsgesellschaften oder deren Organe (Kirchengemeinden, Gesamtkirchengemeinden, Diözesan- oder Synodalverbände) zu erfüllen aus dem Grunde, weil die allgemeinen Rechtsnormen auch auf den Staat als Fiskus, als Grundeigentümer, Gutsbesitzer usw. Anwendung finden. In zahlreichen Kirchengemeinden gibt es Observanzen, durch die die Kirchenlasten dem Grund und Boden auferlegt sind, z.B. in Hannover und Schleswig-Holstein. Die Kirchenlasten sind hier dingliche Lasten. Hat der Staat in solchen Kirchengemeinden Grundstücke, so hat er auch als Grundeigentümer zu den Leistungen an die Kirchen beizutragen. Diese Leistungen erfüllt der Staat nicht als Staat, sondern als Grundeigentümer.

Ähnlich liegt es vielfach auf dem Gebiete der dinglichen Kirchenbaulast, an der der Staat als Gutsbesitzer wie jeder andere Eigentümer von Grund und Boden teilzunehmen hat. Auf dem Gebiete des Kirchensteuerrechts bestehen vielfach, so in einzelnen Teilen Preußens, noch Überreste der Verpflichtung aller Ortseingesessenen gegenüber der Kirche, während anderwärts, so namentlich fast in ganz Preußen, das örtliche Kirchensteuerrecht stärker in der Richtung sich entwickelt hat, daß die Konfessionszugehörigkeit Voraussetzung der Steuerpflicht ist. Soweit noch Reste der dinglichen Kirchensteuerpflicht bestehen, wird es Aufgabe einer besonderen Landesgesetzgebung auf Grund des Art. 137 Abs. 8 der Reichsverfassung sein, sie in schonender Weise zu beseitigen. Dagegen gehört diese Angelegenheit nicht zu den Aufgaben der Ablösungsgesetzgebung nach Artikel 138.

Nicht zu den Staatsleistungen im Sinne des Artikels 138 gehören die Leistungen, die auf bürgerlich-rechtlicher Verpflichtung beruhen. Wenn der Staat einer Religionsgesellschaft oder ihren Organen gegenüber (Kirchengemeinden) ein bürgerlich-rechtliches Verpflichtungsverhältnis eingegangen hat, dann ist er Vertragsgegner der Religionsgesellschaft (Kirchengemeinde). Seine Verpflichtungen bemessen sich ausschließlich nach bürgerlichem Rechte. In dieses Vertragsverhältnis öffentlich-rechtlich einzugreifen, liegt kein Grund vor. Für die Behandlung derartiger Forderungen kann nur das allgemeine bürgerliche Recht maßgebend sein. Soweit solche Staatsleistungen dinglicher Natur sind (Reallasten), sind sie außerdem durch Artikel 153 der Reichsverfassung geschützt. Ihre Aufhebung würde eine Enteignung sein, die nur gegen eine angemessene Entschädigung zulässig wäre.

Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 101, S. 10ff.) sind die Verpflichtungen der Klöster aus der Inkorporation privatrechtliche Verpflichtungen, die durch die Säkularisation nicht erloschen, sondern mit den auf Grund der §§ 35, 36 des Reichsdeputationshauptschlusses eingezogenen Klostervermögen auf die säkularisierenden Staaten übergegangen sind. Durch den Übergang haben diese Verpflichtungen ihren Charakter als privatrechtliche Verpflichtungen nicht verloren. Die privatrechtliche Verpflichtung des Staates ergab sich aus dem allgemeinen, im Gebiete des gemeinen Rechtes, des preußischen allgemeinen Landrechts, des badischen Landrechts auch besonders anerkannten Grundsatz, daß bei dem Übergang eines Gesamtvermögens der Übernehmer für die auf dem Gesamtvermögen lastenden Schulden zu haften habe.

Die Frage, ob es sich bei den Ansprüchen aus der Säkularisation um öffentlichrechtliche Verpflichtungen des Staates handelt oder entsprechend dem Urteil des Reichsgerichts um persönliche Rechtslasten, die der Staat als Gesamtrechtsnachfolger in die Klöster- und Kirchengüter übernommen hat, kann hier. Dahingestellt bleiben. Jedenfalls erscheint es angesichts der Rechtsprechung des Reichsgerichts sowie des Umstandes, daß ein großer Teil der Staatsleistungen auf die Säkularisation zurückgehen, geboten, im Gesetz klarzustellen, daß Ansprüche der Religionsgesellschaften aus der Säkularisation der Ablösungspflicht unterliegen. Zudem empfiehlt es sich aus praktischen Gründen, dieses umstrittene Gebiet, daß zumindest ein Grenzgebiet zwischen dem öffentlichen Rechte und dem Privatrecht darstellt. Einheitlich zur Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zu bringen. Andernfalls würden sich widersprechende Entscheidungen der ordentlichen Gerichte und der Verwaltungsgerichte nicht vermeiden lassen.

Zu § 3

§ 3 stellt den leitenden Grundsatz für das Maß der Ablösung auf. Das Wort „bisherig“ soll nur die Staatsleistungen näher bezeichnen, die durch die Ablösung in Wegfall kommen und, was zur Klarstellung bemerkt sei, nicht den Umfang der Staatsleistung berühren. Ob bei der Ablösung künftige Mehrbedürfnisse infolge Erhöhung der Kosten oder Vergrößerung des Umfanges zu berücksichtigen sind oder nicht, ergibt sich aus dem Inhalt der Verpflichtung, die der Staatsleistung zugrunde liegt.

Einen Kapitalisierungsfaktor allgemein für alle Länder reichsrechtlich festzulegen, ist nicht möglich. Die Staatsleistungen an die Länder sind geschichtlich geworden. Sie sind aufs engste verknüpft mit der Entwicklung, die das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in den einzelnen Ländern und deren Rechtsgebieten genommen hat. Hinsichtlich des Maßes der Ablösung Kann sich die Reichsgesetzgebung nur auf die Festlegung des allgemeinen Grundsatzes beschränken, daß die Ablösung einen angemessenen Ausgleich für die bisherigen Staatsleistungen gewähren muß. Dies um so mehr, als bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen, dem schwankenden Geldwert, ein Zwang zur Ablösung innerhalb einer bestimmten Frist weder im Interesse des Staates liegt, noch auch den Wünschen der Kirche entspricht.

Die Staatsleistungen gehen inhaltlich meist dahin, bestimmte Stellen zu dotieren, den Lebensunterhalt bestimmter Geistlicher oder die Unterhaltungskosten bestimmter Kirchen oder Kultusgebäude aufzubringen. Auch soweit die Staatsleistungen fixiert sind, wie dies bei den meisten konkordats– und bullenmäßigen Leistungen der Fall ist, wird diese Fixierung in der Regel doch nur als die Festlegung des im Zeitpunkt der Vereinbarung erforderlichen Kostenaufwands zur ausreichenden Dotierung dieser Stellen zu betrachten sein. Die Ablösung wird daher nur dann als ein angemessener Ausgleich für den Wegfall der Staatsleistungen erachtet werden können, wenn der wirtschaftliche Nutzeffekt der Ablösungsleistung demjenigen Nutzeffekte gleichkommt, den die abzulösende Leistung im Zeitpunkt ihrer Entstehung gehabt hat. Soweit die Verpflichtungen auf dem Erwerbe von Pfründevermögen beruhen, wird für die Bemessung des Ausgleichs der Erwerb des erworbenen Vermögens mit zu berücksichtigen sein.

Zur Klarstellung sei besonders bemerkt, daß die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen durch die Dritte Steuernotverordnung vom 14, Februar 1924 (Reichsgesetzbl. 1 S. 74) nicht berührt werden, da sie unter den besonderen Schutz des Artikel 173 der Reichsverfassung gestellt sind und schon mit Rücksicht auf § 1 Abs. 1 Satz 2 des Ermächtigungsgesetzes vom 8. Dezember 1923 (Reichsgesetzl. 1 S. 1179) nicht zum Gegenstande von Maßnahmen auf Grund dieses Gesetzes gemacht werden konnten.

Zu § 4

Auch hinsichtlich der Wahl der Ablösungsmittel muß den Ländern entsprechend ihren verschiedenen Verhältnissen volle Freiheit gelassen werden. § 4 kann daher nur die möglichen Ablösungsmittel aufführen, ohne einen bestimmten Zwang in dieser oder jener Richtung von Reichs wegen auszusprechen. Namentlich erscheint ein Zwang, in Grundstücken abzulösen, reichsrechtlich nicht möglich. Der Anteil des Staates am Grundbesitz ist in den einzelnen Ländern ganz verschieden. Soweit der Staat in größerem Umfang noch Eigentümer von besiedlungsfähigem Grund und Boden ist, besteht bereits die Verpflichtung zur Herausgabe für Siedlungszwecke (§ 2 des Reichssiedlungsgesetzes vom 11. August 1919). Soweit die Länder im Besitz von Staatsforsten sind, sind deren Erträge zur Deckung der dringendsten einzelstaatlichen Bedürfnisse nicht zu entbehren. Ob und wieweit unter diesen Umständen Länder nach Grund und Boden zur Ablösung ihrer Leistungen an die Kirchen verfügbar haben, kann sich nur nach dem jeweiligen Landesverhältnissen richten.

Die sofortige Begleichung der religionsgesellschaftlichen Ansprüche durch einmalige Abfindung wäre im Interesse einer reinlichen Scheidung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche und im Interesse der Verselbständigung der Kirchen wohl wünschenswert. Allein die Aufbringung der notwendigen Kapitalien wird vielfach auf absehbare Zeit kaum möglich sein. Die Religionsgesellschaften werden unter den gegenwärtigen ungünstigen Geldwert- und Anlageverhältnissen eine sofortige kapitalsmäßige Abfindung auch nicht als erstrebenwert ansehen. Als Ablösungsmittel wird daher auch die Rentenzahlung zugelassen. Diese kann in Form einer dauernden oder einer auf eine bestimmte Zeitdauer jährlich zu zahlenden Geldleistung bestehen. Zu letzterem Fall derart, daß neben der Verzinsung des Ablösungskapitals auch Tilgungszuschläge geleistet werden. Auch soll die Möglichkeit gegeben sein, eine auf ei­ne bestimmte Zeitdauer gewährte Rentenzahlung durch Zahlung eines entsprechenden Kapitals ablösefähig zu machen.

Als geeignetes Ablösungsmittel kann auch die Bestellung von Rechten an Grundstücken (Nießbrauch, Reallasten, Hypotheken, Grundschulden) in Betracht kommen.

Zu § 5

Die Religionsgesellschaften und ihre rechtspersönlichen Bestandteile (Kirchengemeinden, Stiftungen und Anstalten) sind nicht identisch. Die vermögensrechtliche Vertretung kommt jedem Rechtssubjekt selbst zu und nicht etwa der Religionsgesellschaft als solcher. Der Staat hat vielfach auf Grund besonderer rechtlicher Verpflichtungen Leistungen an Kirchengemeinden und kirchliche Institute zu machen für Zwecke, für die er auch sonst Zuwendungen an die Gesamtkirche macht. Der Staat gewährt z.B. Zuwendungen auf die Gesamtkirche für Pfarrbesoldungen, während er einzelnen Gemeinden gegenüber auf Grund besonderer Rechtstitel verpflichtet ist, die Kosten der Pfarrbesoldung zu tragen.

Die Ablösung dürfte wesentlich erleichtert werden, wenn der Staat nur mit einer Stelle zu verhandeln braucht. Dies wird von besonderem Werte dann, wenn die staatlichen Leistungen zugunsten verschiedener religionsgesellschaftlicher Rechtssubjekte auf einer gemeinsamen Rechtsgrundlage beruhen, wie dies z.B. hinsichtlich der Dotationsleistungen auf Grund der mit dem Päpstlichen Stuhle geschlossenen Vereinbarungen (Konkordate, Zirkumskriptionsbullen) der Fall ist.

Doch sollen durch die Gewährung einer Ablösung an übergeordnete Verbände nicht nur Leistungen für gleichartige Zwecke ausgeglichen werden können, sondern es sollen durch eine solche Abfindung auch Ansprüche auf Befriedigung von Bedürfnissen anderer Art niedergeschlagen werden können. Dies dürfte im Interesse des Staats sowohl wie der beteiligten Religionsgesellschaften gelegen sein.

Die Auseinandersetzung zwischen der Religionsgesellschaft und ihren Organen würde hierdurch nicht berührt werden.

Zu § 6

Eine finanzielle Trennung von Staat und Kirche wird in befriedigender Weise nur dann zu erreichen sein, wenn die Länder in der Ablösungsfrage sich mit den Religionsgesellschaften auf eine mittlere Linie einigen und versuchen, eine Vereinbarung herbeizuführen, die dann der landesgesetzlichen Bestätigung bedürfen würde. Ein solches Verfahren ist aus innerpolitischen, gegenüber der katholischen Kirch auch aus außerpolitischen Gründen geboten, um das bestehende gute Einvernehmen zwischen Staat und Kirche nicht zu gefährden. § 6 stellt daher den Grundsatz auf, daß die Ablösung der Staatsleistungen im Einvernehmen mit den Religionsgesellschaften durch Vertrag zu erfolgen hat.*) Auch sollen sich die Beteiligten eines schiedsgerichtlichen Verfahrens bedienen können.

(* So hat Braunschweig seine bisherige, in der Stellung und Unterhaltung des Landeskonsistoriums als oberster kirchlicher Verwaltungsbehörde bestehende Staatsleistung durch Vertrag mit der evangelisch-lutherischen Landeskirche vom 8. August 1923 – Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung 1923 S. 269 – (vorbehaltlich) zwingender, abweichender Grundsätze des künftigen Reichsablösungsgesetzes) bereits durch Zahlung einer dauernden Geldrente abgelöst.)

Zu § 7

Soweit eine gütliche Einigung und eine Ablösung im Vertragswege oder durch Schiedsspruch nicht zu erreichen ist, bleibt letzten Endes nur übrig, die Ablösung im Wege der Landesgesetzgebung durchzuführen. Der Landesgesetzgebung kommt es dann auch zu, das Ablösungsverfahren zu regeln.

Für alle Rechtsstreitigkeiten, die sich auf die nach § 1 ablösbaren Staatsleistungen beziehen, soll der Verwaltungsrechtsweg eröffnet werden. Da es sich bei solchen Streitigkeiten in letzter Linie um die Auslegung des Artikels 138 Abs. 1 der Reichsverfassung und des Reichsablösungsgesetzes handelt, muß die Möglichkeit gegeben sein, diese Rechtsfragen durch ein eigenes Organ des Reichs nachprüfen zu lassen. Das Reich muß die einheitliche Auslegung der reichsrechtlichen Bestimmungen selbst gewährleisten, indem diese Aufgabe dem Reichsverwaltungsgericht (Verwaltungssenat) übertragen wird. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts ist auf den letzten Rechtszug und auf reine Rechtsfragen beschränkt. Ermessensfragen, wie z. B. die Wahl der Ablösungsmittel, können nicht zur Entscheidung vor das Reichsgericht gebracht werden. In der Übertragung der Entscheidung der Rechtsfragen an ein oberstes Gerichts des Reiches erblickt der Entwurf eine der wesentlichsten Aufgaben der Ablösungsgesetzgebung, die sich im übrigen mit der Rücksicht auf die Verschiedenheit des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in den einzelnen Ländern nur auf die notwendigsten Grundsätze beschränkt.

Die Verweisung an die Verwaltungsgerichte umfaßt zweckmäßig alle Rechtstreitigkeiten, die sich auf die ablösbaren Staatsleistungen beziehen, auch wenn sie nicht zum Zwecke der Ablösung geführt werden. Andernfalls würde eine unerträgliche Konkurrenz mit den Zivilgerichten geschaffen werden.

Zu § 8

Eine sachgemäße Ablösung der Staatsleistungen ist nach den Verhältnissen in einzelnen Ländern nur möglich, wenn zuvor die bisherigen Verpflichtungen des Staates, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in ihren wesentlichen Grundlagen festgestellt werden. Es soll daher die Möglichkeit eröffnet werden, daß in einzelnen Ländern ein besonderes Feststellungsverfahren eingeführt wird.

Zu § 9

Nach Erlaß des Reichsablösungsgesetzes wird es zunächst Aufgabe der Länder sein, die Ablösungsgegenstände festzustellen und in die Verhandlungen mit den Religionsgesellschaften einzutreten. Führen diese zu keinem Ergebnis, so muß die Landesgesetzgebung eingreifen. Um die Durchführung des Artikels 138 der Reichsverfassung sicherzustellen, wird nicht zu umgehen sein, eine Frist festzusetzen, bis zu der die etwaige Landesgesetzgebung erlassen sein muß. Bei den Schwierigkeiten, die die Ablösungsfrage in manchen Ländern bietet, erscheint eine Frist von 10 Jahren angemessen. Diese Frist soll bis auf weitere 10 Jahre verlängert werden können. Es ist nämlich denkbar, daß die Verhandlungen mit den Religionsgesellschaften bei Ablauf der gesetzlichen zehnjährigen Frist noch nicht abgeschlossen sind, wohl aber versprechen, zu einem befriedigenden Abschluß noch zu führen. In diesem Falle soll der Reichsminister des Innern ermächtigt sein, die Frist bis auf weitere 10 Jahre verlängern zu können. Hierbei ist, da es sich um eine die Länder aufs unmittelbarste berührende Angelegenheit handelt, die Mitwirkung des Reichsrats vorgesehen.

Zu § 10

Artikel 173 der Reichsverfassung bestimmt, daß sich zum Erlaß eines Reichgesetzes gemäß Artikel 138 die bisherigen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften bestehen bleiben. Diese Vorschrift wäre an sich entbehrlich gewesen, da schon aus Artikel 138 Abs. 1 der Reichverfassung folgt, daß die Religionsgesellschaften die auf dem alten Rechte beruhenden Staatsleistungen nicht einseitig einstellen können, sondern abzulösen haben. Aus der Pflicht zur Ablösung folgt aber, daß die Staatsleistungen so lange weiterzugewähren sind, bis sie tatsächlich abgelöst werden. Mit dem Erlaß des Reichsabslösungsgesetzes ist aber die Ablösung noch nicht durchgeführt, vielmehr erst der erste Schritt auf dem schwierigen Wege der Ablösung gemacht. Im Interesse der Klarstellung ist es daher geboten, in Anknüpfung an Artikel 137 der Reichsverfassung be­sonders auszusprechen, daß die bisherigen Staatsleistungen bis zur Ablösung weiter zu entrichten sind.

Zu § 11

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat eine Reihe deutscher Staaten hinsichtlich gewisser Staatsleistungen an die katholische Kirche Vereinbarungen mit dem Päpstlichen Stuhle geschlossen oder es sind der Festsetzung dieser Staatsleistungen wenigstens Verhandlungen mit dem Päpstlichen Stuhle vorausgegangen.

In diesen Vereinbarungen haben sich die Länder zu einer Reihe von Dotationsleistungen, namentlich zu Leistungen für die bischöflichen und erzbischöflichen Stühle, die Domkirchen und Domkapitel verpflichtet. Die Ablösbarkeit solcher auf Konkordate, Zirkumskriptionsbullen usw. fußender Staatsleistungen ist nach Artifel 138 der Reichsverfassung nicht ausgeschlossen.

Doh ist bei Aufstellung der Ablösungsgrundsätze für diese Leistungen eine besondere Rücksichtnahme gegenüber dem Päpstlichen Stuhle geboten, da der Papst im völkerrechtlichen Verkehre die anerkannte Stellung als souveränes Staatsoberhaupt genießt. Demnach werden der Ablösung dieser Staatsleistungen besondere Verhandlungen mit der päpstlichen Kurie vorauszugehen haben.

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Vorentwurf eines Gesetzes

über die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften

(25.05.1921)

(Quelle: Thüringer Hauptstaatsarchiv (ThHStA) Weimar, Thüringisches Volksbildungsministerium, Archivalie Nr. A 1418, Blatt 4)

Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrates hiermit verkündet wird:

§ 1

Abzulösen sind die Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften, die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhen und beim Inkrafttreten der Reichsverfassung bestanden.

Welche Leistungen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhen, bemißt sich nach Landesrecht.

§ 2

Als Staatsleistungen gelten nicht die Leistungen der Länder an Religionsgesellschaften, die keine Verpflichtungen des Staates als solches bilden oder die auf dem bürgerlichen Rechte beru­hen.

§ 3

Die Ablösung muß den Religionsgesellschaften einen angemessenen Ausgleich für den Weg­fall der bisherigen Staatsleistungen gewähren.

§ 4

Die Ablösung erfolgt ganz oder zum Teil

  1. durch Barzahlung,
  2. durch Hingabe von Wertpapieren,
  3. durch Überlassung von Grundstücken oder beweglichen Sachen,
  4. durch Übernahme von Lasten zu Gunsten von Grundstücken, die Religionsgesellschaften gehören oder an denen ihnen ein dingliches Recht zusteht,
  5. durch Begründung der Verpflichtung zur Zahlung einer Rente,
  6. durch Bestellung von Rechten an Grundstücken.

Die Renten können dauernd oder auf eine im voraus bestimmte Zeit gewährt und für ablösbar geklärt werden. Das Recht, die Ablösung zu verlangen, kann für den Gläubiger ausgeschlossen werden

Den Grundstücken stehen die dinglichen Rechte gleich, für welche die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften gelten.

§ 5

Die Länder sind berechtigt, bisherige Leistungen an einzelne Kirchengemeinden oder kirchliche Verbände, Anstalten oder Institute durch Leistungen an übergeordnete Verbände der beteiligten Re­ligionsgesellschaft abzulösen.

§ 6

Die Ablösung der Staatsleistungen durch die Länder erfolgt grundsätzlich im Einvernehmen mit den Religionsgesellschaften durch Vertrag. Dabei steht es den Beteiligten frei, sich der Entscheidung eines Schiedsgerichts zu unterwerfen. Vor dem Schiedsgericht können auch Vergleiche geschlossen werden.

§ 7

Für den Fall. daß keine Einigung zwischen dem Lande und den einzelnen Religionsgesellschaften zustande kommt, regelt die Landesgesetzgebung die Ablösung und das Verfahren über die Ablösung.

Über bestrittene Rechtsansprüche und Verpflichtungen bezüglich der Ablösung entscheiden die Verwaltungsgerichte, im letzten Rechtszug auf Rechtsbeschwerde das Reichsverwaltungsgericht; bis zur Einrichtung dieses Gerichts steht die Entscheidung im letzten Rechtszug den obersten Verwal­tungsgerichten der Länder zu.

§ 8

Die Landesablösungsgesetze (§ 6) müssen spätestens zehn Jahre nach Verkündigung dieses Ge­setzes in Kraft treten. Der Reichsminister des Innern ist ermächtigt, mit Zustimmung des Reichsrats diese Frist bis auf weitere zehn Jahre zu verlängern.

§ 9

Bis zu einer Ablösung haben die Länder die bisherigen Staatsleistungen an die Religionsgesell­schaften weiter zu entrichten.

§ 10

Die zwischen den Ländern und dem Päpstlichen Stuhle bestehenden Vereinbarungen über Staats­leistungen an die katholische Kirche bleiben im Verhältnis zum Päpstlichen Stuhle unberührt.

Begründung

I

Artikel 139 Abs. 1 der Reichsverfassung bestimmt:
„Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstitel beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“
Ferner bestimmt Art. 173 der Reichsverfassung:
„Bis zum Erlaß eines Reichgesetzes gemäß Art. 138 bleiben die bisherigen auf Gesetz, Vertrag o der beson­deren Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften bestehen.“

Die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften soll also durch die Länder im Wege der Landesgesetzgebung erfolgen. Aufgabe der Reichsregierung ist es nur, hinsichtlich der Ablösung allgemein leitende Rechtssätze oder Richtlinien aufzustellen, die der Ausgestaltung im einzelnen, namentlich unter dem Gesichtspunkt einer Anpassung an die besonderen Verhältnisse in den verschiedenen Ländern und ihre Rechtsgebiete fähig und bedürftig sind. Der Schwerpunkt der Ablösung liegt nicht beim Reiche sondern bei den Ländern.

Das Rechtsverhältnis zwischen Staat und Kirche hat sich in den einzelnen Ländern in jahrhundertelanger historischer Entwicklung außerordentlich verschiedenartig gestaltet. Es gibt wohl kein Rechtsgebiet in Deutschland, das eine derartige Mannigfaltigkeit aufzuweisen hätte. Das Verhältnis zu den evangelischen Kirchen ist ein anderes als jenes zur katholischen Kirche. Auch gegenüber den verschiedenen Kirchen ist das Rechtsverhältnis in den einzelnen Ländern nicht gleichartig, sondern entsprechend der Gestaltung des Landes auf Grund seiner historischen Entwicklung nach zahlreichen Rechtsgebieten verschiedenartig. Die Rechtslage ist in den einzelnen Ländern vielfach ungeklärt und bestritten. Die staatlichen Zehnten und Gefälle, mit denen die Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften in weitem Umfange zusammenhängen, sind in den einzelnen Ländern in verschiedener Weise abgelöst worden.

Bei einer derartigen Rechtszersplitterung können sich die Reichsgrundsätze nur auf die Festlegung weniger oberster Leitsätze beschränken, widrigenfalls die Gefahr entstände, die Ablösegesetzgebung der Länder in einer für beide Teile, den Staat sowohl wie die Kirche nachteiligen Weise festzulegen und damit die außergewöhnlich schwierige Aufgabe der Ablösung noch weiter zu erschweren. Die Reichsgrundsätze werden daher im wesentlichen nur eine authentische Interpretation der in der Reichsverfassung enthaltenen Rechtssätze über die Ablösung bringen können. Daneben wird bei der Aufstellung der Grundsätze auch ihr Zweck zu berücksichtigen sein. Wenn dem Rei­che die Grundsatzgesetzgebung in der Ablösungsfrage übertragen wurde, so wurde dabei das Ziel verfolgt, den Reli­gionsgesellschaften in ihren Rechten auf Erfüllung der vollen staatlichen Pflicht einen reichsrechtlichen Schutz zu gewähren, was namentlich auch in der Übergangsvorschrift des Artikels 173 zum Ausdruck kommt, andererseits a­ber auch Schranken dagegen zu bauen, daß etwa auf Kosten der Allgemeinheit religionsgesellschaftliche Ansprüche anerkannt und abgelöst würden, die nicht hinreichend begründet sind.

II

Zu § 1

§1 Abs. 1 soll klarstellen, auf welche Gegenstände sich die Ablösungspflicht der Länder erstreckt. Die Reichsver­fassung ist am 14. August 1919 in Kraft getreten. Die Ablösungsverpflichtung kann sich daher nur auf solche Staats­leistungen beziehen, die damals bereits und noch bestanden. Denn die Ablöseverpflichtung bezieht sich nur auf die bisherigen Leistungen. Soweit nach dem Inkrafttreten der Reichsverfassung neue Staatsleistungen gewährt worden sein sollten, würden diese nicht unter den Schutz der Reichsverfassung fallen. Sollten dagegen in der Zeit nach der Staatsumwälzung vom November 1918 bis zum Inkrafttreten der neuen Reichsverfassung Staatsleistungen durch Landesgesetzgebung einseitig aufgehoben worden sein, so würde dadurch die Ablösungsverpflichtung nicht berührt worden sein. Denn Artikel 173 schützt ausdrücklich die bisherigen, d.h. die auf dem alten Rechte beruhenden Staatsleistungen.

Die Begriffe „Gesetz“, „Vertrag“ oder „besonderer Rechtstitel“ reichsrechtlich näher zu umschreiben, erscheint nicht erforderlich, auch nicht zweckmäßig. Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche hat sich landesstaatsrechtlich entwickelt. Die Feststellung, ob eine Staatsleistung auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruht, kann nur unter Berücksichtigung des zur Zeit der Entstehung des Rechtsver­hältnisses geltenden Staatsrechts getroffen werden.

Bei den Beratungen der Nationalversammlung über den Artikel 138 hat die Frage eine besondere Rolle gespielt, ob auf „Herkommen“ beruhende Staatsleistungen ablösungspflichtig sind. In der zweiten Lesung der Verfassungs­vorlage hatte der Abgeordnete D. Dr. Kahl bean­tragt, in den Artikel 138 (Artikel 135 des Verfassungsentwurfs in der Lesung der Ausschußbeschlüsse) das „Herkommen“ als Rechtstitel für die ablösbaren Staatsleistungen besonders aufzunehmen, da das Herkommen nicht ohne weiteres als Rechtstitel bezeichnet werden könnte. (Sten. Ber. der Nationalversammlung, 59. Sitzung, S. 1648 D). Dem trat der Abgeordnete Dr. Quarck entgegen, der sich grundsätzlich gegen die Berücksichtigung jedes „Herkom­mens“ aussprach (Sten. Ber. S. 1649 ff.), während der Abgeordnete Naumann es als überflüssig erachtete, das „Her­kommen“ noch besonders hervorzuheben, da der Ausdruck „besondere Rechtstitel“ das rechtsbegründende Her­kommen bereits umfasse (Sten. Ber. S- 1654 f.). Der Antrag D. Dr. Kahl wurde in der zweiten Lesung abgelehnt. (Sten. Ber. S. 1664), in der dritten Lesung aber wiederum eingebracht und damit begründet, daß in den einzelnen Ländern auch Staatsleistungen herkömmlich seien, ohne daß ihnen ein besonderer Rechtstitel zugrunde liege (Sten. Ber. 71. Sitzung S. 2160 B) Gegen den Antrag D.Dr. Kahl wandte sich der Abgeordnete Katzenstein, indem er ausführte, daß mit der Aufnahme des Wortes „Herkommen“ in die Verfassungsbestimmungen dieser Begriff eine Be­deutung erhalten würde, die über die rechtschaffende Kraft des Herkommens hinausgehe. Dies ist aber nicht erfor­derlich, da jede wirklich klare, zweifelsfreie rechtliche Verpflichtung bereits durch den Wortlaut des Artikels 135 ge­deckt sei (Sten. Ber. S. 2160 B). Der Antrag D. Dr. Kahl wurde schließlich abgelehnt.

Hieraus ergibt sich, daß das Herkommen von rechtlicher Bedeutung für die Ablösungspflicht nur da ist, wo es nach bisherigem Landesrecht ein besonderer Rechtstitel war. Die Frage, was Herkommen ist, unter welchen Vor­aussetzungen es gilt und welche Folge es erzeugt, bemißt sich danach nach Landesrecht (Schmitt, Die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften, Freiburg 1921, S. 92).

Schon dieses Beispiel dürfte hinreichend zeigen, wie schwierig es wäre für den Begriff des „besonderen Rechts­titels“ einen einigermaßen einheitlichen Auslegungsgrundsatz von Reichs wegen aufzustellen. Was für den Begriff „besonderer Rechtstitel“ gilt, gilt aber auch für die Begriffe „Gesetz“ und „Vertrag“. Auch hier muß das bisherige Landesrecht maßgebend sein. Reichsrechtlich hierüber näheres zu bestimmen, würde nicht klärend, sondern nur verwirrend wirken. Es sei besonders auf die aus vorkonstitutioneller Zeit herrührende Rechtstitel verwiesen, wo durch Mandate, Reskripte, Befehle, Erlasse des Landesherrn oder der für ihn handelnden Staatsstellen verpflichten­de Rechtsgrundlagen geschaffen werden konnten. Ob derartige Erlasse des Landesherrn als Gesetz oder besondere Rechtstitel zu erachten sind, kann sich nur nach dem jeweiligen Landesstaatsrecht richten.

Eine Gefährdung der verfassungsmäßigen Ansprüche der Kirchen durch eine allzu einschränkende Landesge­setzgebung ist nicht zu befürchten. Denn nach Artikel 13 Abs. 2 der Reichsverfassung wäre die Reichsregierung in der Lage, Bestimmungen der Landesablösegesetze, die im Widerspruch mit den Reichsgrundsätzen stehen durch ei­ne Entscheidung des Reichsgerichts nach Maßgabe des Gesetzes vom 8. April 1920 (Reichs-Gesetzbl. S. 110) wieder aufheben zu lassen. Neben diesem Rechtsschutz soll, wie unten näher dargelegt wird, noch ein besonderer reichs­gesetzlicher Rechtsschutz gewährt werden, indem über bestrittene Rechtsansprüche und Verpflichtungen bezüglich der Ablösung im letzten Rechtszuge das Reichsverwaltungsgericht entscheiden soll.

Zu § 2

§ 2 stellt klar, welche Staatsleistungen nicht unter die Ablösungspflicht des Artikels 138 fallen.

Eine Staatsleistung ist nur eine Leistung, die der Staat als solcher übernommen hat. Vielfach hat der Staat (Fis­kus) Leistungen an Religionsgesellschaften oder deren Organe (Kirchengemeinden, Gesamtkirchengemeinden, Diözesan- oder Synodalverbände) zu erfüllen aus dem Grunde, weil die allgemeinen Rechtsnormen auch auf den Staat als Fiskus, als Grundeigentümer, Gutsbesitzer usw. Anwendung finden. In zahlreichen Kirchengemeinden gibt es Observanzen, durch die die Kirchenlasten dem Grund und Boden auferlegt sind, z.B. in Hannover und Schleswig-Holstein. Die Kirchenlasten sind hier dingliche Lasten. Hat der Staat in solchen Kirchengemeinden Grundstücke, so hat er auch als Grundeigentümer zu den Leistungen an die Kirchen beizutragen. Diese Leistungen erfüllt der Staat nicht als Staat, sondern als Grundeigentümer.

Ähnlich liegt es vielfach auf dem Gebiete der dinglichen Kirchenbaulast, an der der Staat als Gutsbesitzer wie jeder andere Eigentümer von Grund und Boden teilzunehmen hat. Auf dem Gebiete des Kirchensteuerrechts bestehen vielfach, namentlich in Preußen, noch Überreste der Verpflichtung aller Ortseingesessenen gegenüber der Kir­che, während anderwärts, so in Bayern, das örtliche Kirchensteuerrecht stärker in der Richtung sich entwickelt hat, daß die Konfessionszugehörigkeit Voraussetzung der Steuerpflicht ist. Soweit noch Reste der dinglichen Kirchen­steuerpflicht bestehen, wird es Aufgabe einer besonderen Landesgesetzgebung auf Grund des Artikels 137 Abs. 8 der Reichsverfassung sein, sie in schonender Weise zu beseitigen. Dagegen gehört diese Angelegenheit nicht zu den Aufgaben der Ablösegesetzgebung nach Artikel 138.

Nicht zu den Staatsleistungen im Sinne des Artikels 138 gehören die Leistungen, die auf bürgerlich-rechtlicher Verpflichtung beruhen. Wenn der Staat einer Religionsgesellschaft oder ihren Organen gegenüber (Kirchengemein­den) ein bürgerlich-rechtliches Verpflichtungsverhältnis eingegangen hat, dann ist er Vertragsgegner der Religions­gesellschaft (Kirchengemeinde). Seine Verpflichtungen bemessen sich ausschließlich nach bürgerlichem Rechte. In dieses Vertragsverhältnis öffentlich-rechtlich einzugreifen, liegt kein Grund vor. Für die Behandlung derartiger For­derungen kann nur das allgemeine bürgerliche Recht maßgebend sein. Soweit solche Staatsleistungen dinglicher Natur sind (Reallasten), sind sie außerdem durch Artikel 153 der Reichsverfassung geschützt. Ihre Aufhebung würde eine Enteignung sein, die nur gegen eine angemessene Entschädigung zulässig wäre.

Zu § 3

§ 3 stellt den leitenden Grundsatz für das Maß der Ablösung auf.

Einen Kapitalisierungsfaktor allgemein für alle Länder reichs-rechtlich festzulegen, ist nicht möglich. Die Staats­leistungen an die Länder sind geschichtlich geworden. Sie sind aufs engste verknüpft mit der Entwicklung, die das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in den einzelnen Ländern und deren Rechtsgebieten genommen hat. Hinsicht­lich des Maßes der Ablösung Kann sich die Reichsgesetzgebung nur auf die Festlegung des allgemeinen Grundsatzes beschränken, daß die Ablösung einen angemessenen Ausgleich für die bisherigen Staatsleistungen gewähren muß. Dies um so mehr, als bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen, dem schwankenden Geldwert, ein Zwang zur Ablösung innerhalb einer bestimmten Frist weder im Interesse des Staates liegt, noch auch den Wün­schen der Kirche entspricht. Wie sich die wirtschaftlichen Verhältnisse gestalten werden, läßt sich heute in keiner Weise vorhersehen.

Zu § 4

Auch hinsichtlich der Wahl der Ablösungsmittel muß den Ländern entsprechend ihren verschiedenen Verhält­nissen volle Freiheit gelassen werden. § 4 kann daher nur die möglichen Ablösungsmittel aufführen, ohne einen be­stimmten Zwang in dieser oder jener Richtung von Reichs wegen auszusprechen. Namentlich erscheint ein Zwang, in Grundtücken abzulösen, reichsrechtlich nicht möglich. Der Anteil des Staates am Grundbesitz ist in den einzelnen Ländern ganz verschieden. Soweit der Staat in größerem Umfang noch Eigentümer von besiedlungsfähigem Grund und Boden ist, besteht bereits die Verpflichtung zur Herausgabe für Siedlungszwecke (§ 2 des Reichssiedlungsgeset­zes vom 11. August 1919). Soweit die Länder im Besitz von Staatsforsten sind, sind deren Erträge nach Verreichlichung der ertragsreichsten Steuerquellen zur Deckung der dringendsten einzelstaatlichen Bedürfnisse nicht zu entbehren. Ob und wieweit unter diesen Umständen Länder nach Grund und Boden zur Ablösung ihrer Leistungen an die Kirchen verfügbar machen, kann sich nur nach dem jeweiligen Landesverhältnissen richten.

Die sofortige Begleichung der religionsgesellschaftlichen Ansprüche durch einmalige Abfindung wäre im Interes­se einer reinlichen Scheidung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche und im Interesse der Verselbständigung der Kirchen wohl wünschenswert. Allein die Aufbringung der notwendigen Kapitalien wird vielfach auf absehbare Zeit kaum möglich sein. Die Religionsgesellschaften werden unter den gegenwärtigen ungünstigen Geldwert- und Anlageverhältnissen eine sofortige kapitalsmäßige Abfindung auch nicht als erstrebenwert ansehen. Als Ablösungs­mittel wird daher auch die Rentenzahlung zugelassen. Diese kann in Form einer dauernden oder einer auf eine be­stimmte Zeitdauer jährlich zu zahlenden Geldleistung bestehen. Zu letzterem Fall derart, daß neben der Verzinsung des Ablösungskapitals auch Tilgungszuschläge geleistet werden. Auch soll die Möglichkeit gegeben sein, eine auf ei­ne bestimmte Zeitdauer gewährte Rentenzahlung durch Zahlung eines entsprechenden Kapitals ablösefähig zu ma­chen.

Als geeignetes Ablösungsmittel kann auch die Bestellung von rechten an Grundstücken (Nießbrauch, Reallasten, Hypotheken, Grundschulden) in Betracht kommen.

Zu § 5

Die Religionsgesellschaften und ihre rechtspersönlichen Bestandteile (Kirchengemeinden, Stiftungen und An­stalten) sind nicht identisch. Die vermögensrechtliche Vertretung kommt jedem Rechtssubjekt selbst zu und nicht etwa der Religionsgesellschaft als solcher. Der Staat hat vielfach auf Grund besonderer rechtlicher Verpflichtungen Leistungen an Kirchengemeinden und kirchliche Institute zu machen für Zwecke, für die er auch sonst Zuwendungen an die Gesamtkirche macht. Der Staat gewährt z.B. Zuwendungen auf die Gesamtkirche für Pfarrbesoldungen, wäh­rend er einzelnen Gemeinden gegenüber auf Grund besonderer Rechtstitel verpflichtet ist, die Kosten der Pfarrbe­soldung zu tragen.

Die Ablösung dürfte wesentlich erleichtert werden, wenn der Staat nur mit einer Stelle zu verhandeln braucht. Dies wird von besonderem Werte dann, wenn die staatlichen Leistungen zugunsten verschiedener religionsgesell­schaftlicher Rechtssubjekte auf einer gemeinsamen Rechtsgrundlage beruhen, wie dies z.B. hinsichtlich der Dotati­onsleistungen auf Grund der mit dem Päpstlichen Stuhle geschlossenen Konkordate der Fall ist.

Die Auseinandersetzung zwischen der Religionsgesellschaft und ihren Organen würde hierdurch nicht berührt werden.

Zu § 6

Eine finanzielle Trennung von Staat und Kirche wird in befriedigender Weise nur dann zu erreichen sein, wenn die Länder in der Ablösungsfrage sich mit den Religionsgesellschaften auf eine mittlere Linie einigen und versuchen, eine Vereinbarung herbeizuführen, die dann der landesgesetzlichen Bestätigung bedürfen würde. Ein solches Ver­fahren ist aus innerpolitischen, gegenüber der katholischen Kirch auch aus außerpolitischen Gründen geboten, um das bestehende gute Einvernehmen zwischen Staat und Kirche nicht zu gefährden. Paragraph 6 stellt daher den Grundsatz auf, daß die Ablösung der Staatsleistungen im Einvernehmen mit den Religionsgesellschaften durch Ver­trag zu erfolgen hat. Auch sollen sich die Beteiligten eines schiedsgerichtlichen Verfahrens bedienen können.

Zu § 7

Soweit eine gütliche Einigung und eine Ablösung im Vertragswege oder durch Schiedsspruch nicht zu erreichen ist, bleibt letzten Endes nur übrig, die Ablösung im Wege der Landesgesetzgebung durchzuführen. Der Landesge­setzgebung kommt es dann auch zu, das Ablösungsverfahren zu regeln.

Soweit es sich um bestrittene Rechtsansprüche und Verpflichtungen bezüglich der Ablösung handelt, soll der Verwaltungsrechtsweg eröffnet werden. Da es sich bei solchen Streitigkeiten in letzter Linie um die Auslegung des Artikels 138 Abs. 1 der Reichsverfassung und des Reichsablösungsgesetzes handelt, muß die Möglichkeit gegeben sein, diese Rechtsfragen durch ein eigenes Organ des Reichs nachprüfen zu lassen. Das Reich muß die einheitliche Auslegung der reichsrechtlichen Bestimmungen selbst gewährleisten, indem diese Aufgabe dem Reichsverwal­tungsgericht übertragen wird. Die Rechtsprechung des Reichsverwaltungsgerichts ist auf den letzten Rechtszug und auf reine Rechtsfragen beschränkt. Ermessensfragen, wie z.B. die Wahl der Ablösungsmittel, können nicht zur Ent­scheidung vor das Reichsverwaltungsgericht gebracht werden. In der Übertragung der Entscheidung der Rechtsfra­gen an das Reichsverwaltungsgericht erblickt der Entwurf eine der wesentlichsten Aufgaben der Reichsablösungsge­setzgebung, die sich im übrigen mit der Rücksicht auf die Verschiedenheit des Verhältnisses zwischen Staat und Kir­che in den einzelnen Ländern nur auf die notwendigsten Grundsätze beschränkt.

Zu § 8

Nach Erlaß des Reichsablösungsgesetzes wird es zunächst Aufgabe der Länder sein, die Ablösungsgegenstände festzustellen und in die Verhandlungen mit den Religionsgesellschaften einzutreten. Führen diese zu keinem Ergeb­nis, so muß die Landesgesetzgebung eingreifen. Um die Durchführung des Artikels 138 der Reichsverfassung sicher­zustellen, wird nicht zu umgehen sein, eine Frist festzusetzen, bis zu der die etwaige Landesgesetzgebung erlassen sein muß. Bei den Schwierigkeiten, die die Ablösungsfrage in manchen Ländern bietet, erscheint eine Frist von 10 Jahren angemessen. Diese Frist soll bis auf weitere 10 Jahre verlängert werden können. Es ist nämlich denkbar, daß die Verhandlungen mit den Religionsgesellschaften bei Ablauf der gesetzlichen zehnjährigen Frist noch nicht abge­schlossen sind, wohl aber versprechen, zu einem befriedigenden Abschluß noch zu führen. Zu diesem Falle soll der Reichsminister des Innern ermächtigt sein, die Frist bis auf weitere 10 Jahre verlängern zu können. Hierbei ist, da es sich um eine die Länder aufs unmittelbarste berührende Angelegenheit handelt, die Mitwirkung des Reichsrats vor­gesehen.

Zu § 9

Artikel 173 der Reichsverfassung bestimmt, daß sich zum Erlaß eines Reichgesetzes gemäß Artikel 138 die bishe­rigen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften bestehen bleiben. Diese Vorschrift wäre an sich entbehrlich gewesen, da schon aus Artikel 138 Abs. 1 der Reichver­fassung folgt, daß die Religionsgesellschaften die auf dem alten Rechte beruhenden Staatsleistungen nicht einseitig einstellen können, sondern abzulösen haben. Aus der Pflicht zur Ablösung folgt aber, daß die Staatsleistungen so lange weiterzugewähren sind, bis sie tatsächlich abgelöst werden. Mit dem Erlaß des Reichsabslösungsgesetzes ist aber die Ablösung noch nicht durchgeführt, vielmehr erst der erste Schritt auf dem schwierigen Wege der Ablösung gemacht. Im Interesse der Klarstellung ist es daher geboten, in Anknüpfung an Artikel 137 der Reichsverfassung besonders auszusprechen, daß die bisherigen Staatsleistungen bis zur Ablösung weiter zu entrichten sind.

Zu § 10

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts haben fast alle deutschen Staaten Konkordate mit dem Päpstlichen Stuhle abgeschlossen, nämlich Bayern 1817, Hannover 1824, ferner die Staaten der oberrheinischen Kirchenprovinz (Württemberg, Baden, Kurhessen, Großherzogtum Hessen, Herzogtum Nassau, die Coburg-Saalfeld, Holstein-Oldenburg, Waldeck und Pyrmont und die Hansestädte Lübeck und Bremen).

Der Papst genießt im völkerrechtlichen Verkehr die anerkannte Stellung als souveränes Staatsoberhaupt. Demzufolge sind Vereinbarungen zwischen der Kurie und einer weltlichen Macht den nach den Regeln des Völkerrechts zu beurteilenden Abmachungen zwischen zwei Staaten gleichzuachten. Nach Artikel 4 der Reichsverfassung gelten die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts. Dem­nach sind die Konkordate durch die Reichsverfassung nicht unmittelbar berührt worden.

In den Konkordaten haben sich die Länder zu einer Reihe von Dotationsleistungen, namentlich zu Leistungen für die bischöflichen und erzbischöflichen Stühle, die Domkirchen und Domkapitel, verpflichtet. Diese Leistungen kön­nen durch ein staatliches Gesetz einseitig nicht zur Ablösung gebracht werden. Die Anpassung der Konkordate an das neue deutsche Staatskirchenrecht kann nur im Wege der Verhandlungen mit der Kurie erreicht werden. Es ent­spricht der gegenwärtigen Rechtslage, wenn Paragraph 10 ausdrücklich bestimmt, daß die zwischen den Ländern und dem Päpstlichen Stuhle bestehenden Vereinbarungen über Staatsleistungen an die katholische Kirche im Ver­hältnis zum Päpstlichen Stuhle unberührt bleiben. Die Verpflichtung der Länder, in Verhandlungen mit der Kurie wegen Ablösung der in den Konkordaten ausbedungenen Leistungen im Rahmen der deutschen Ablösungsgesetz­gebung einzutreten, wird dadurch nicht berührt.

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Dieser Text wurde am 13.04.2023 um das Zitat aus dem Begleitschreiben des Reichministers des Innern vom 31. Juli 1924 ergänzt.

(CF)