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Kirchenaustritte 1953-2022

2021 und 2022 sind die beiden Jahre mit den bisher höchsten Zahlen an Kirchenaustritten in Deutschland: (2021) 639.000 und (2022) 903.000 Frauen und Männer sind aus den Kirchen ausgetreten. Ein Blick auf die vergangenen rund siebzig Jahre zeigt diese Besonderheit, aber auch andere Jahre, die - in relativer Hinsicht und auf niedrigerem Niveau - ebenfalls bemerkenswerte ‚Spitzen‘ an Kirchenaustritten hatten.

Für die ‚Gipfelpunkte‘ der Kirchenaustrittszahlen sind zum einen insbesondere steuerliche „Ereignisse“ zu benennen, die ihre Spitzen 1970 (Konjunkturzuschlag/Mehrwertsteueränderung), 1974 (Stabilitätsabgabe), 1991 (Kirchensteuerpflicht in den östlichen Bundesländern und Solidaritätszuschlag), und 2014 (Änderung der Kapitalertragssteuer) hatten. Zum anderen zeigen sie einen gesellschaftspolitischen Hintergrund von Diskussionen, die 1968-1972 in der APO („Außerparlamentarische Opposition“) und 1974 im FDP-Kirchenpapier „Freie Kirche im freien Staat“ von Liselotte Funcke und Ingrid Matthäus-Maier ihren Ausdruck fanden. Ebenso wie 2010 ff. der Missbrauchsskandal und seine Aufarbeitung in den Kirchen.

Seit 1970 (evangelische Kirche) bzw. 1991 (katholische Kirche, außer 2005-2007) liegen die Austrittszahlen jeweils über 100.000 Mitglieder.

Die lange Zeitreihe zeigt ebenso wie der kürzere Zeitraum 1992-2022 – nach den hohen Austrittszahlen am Beginn der 1990 Jahre (bei dem vor allem Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR, weil sie in der DDR nicht ‚formal korrekt‘ ausgetreten waren, noch einmal austreten mussten) - war es bis 2006/2007 eine vergleichsweise ruhige Zeit. Dazu gehörte auch, dass die Austrittszahlen für beide Kirchen – auf unterschiedlichem Niveau – gleichsam parallel verliefen und die EKD-Evangelischen beständig in höherer Zahl aus dem ‚Steuerverband Kirche+Staat‘ austraten als die Katholiken.

Mit Bezug auf den Anteil der Kirchenaustritte an den Kirchenmitgliedern pendelten die Anteile der Kirchenaustritte bis zum Jahr 2012 um die 0,5 Prozent der Kirchenmitglieder pro Jahr. 2013 steigt dieser Anteil, erreicht 2014 einen 1-Prozent-Anteil und entwickelt sich ab 2019 Richtung 2-Prozent. Dieser Anteil wird 2022 überschritten. 2021 und 2022 sind die Anteile bei den Katholiken auch deutlich höher (1,62 und 2,42 Prozent) als bei den EKD-Evangelischen (1,38 und 1,93 Prozent).

Betrachtet man sich die Kirchenaustritte mit ihrem des Mehr oder Weniger mit Bezug auf das jeweils vorherige Jahr, so werden noch einmal die ‚Spitzen‘ 1968/1970 sowie 1973/1974 und 1991/1992 deutlich. Aber auch 2010 und 2013 insbesondere für die katholische Kirche, was ebenso für die Jahre 2018/2019 und 2020/2021 gilt.

Der ‚Ausschlag‘ im Jahr 1970 war insofern – wenn auch von den Zahlen her auf jeweils ‚nur‘ 100.000-Niveau – von seiner Bedeutung her (83 Prozent-Steigerung) ‚aufregender‘, als die vergangenen zwei Jahre (45 und 41 Prozent Steigerung). Das Jahr 2021 hat bei der katholischen Kirche (62 Prozent Steigerung) zudem mehr ‚eingeschlagen‘, als die weitere Steigerung im Jahr 2022 (46 Prozent).


Carsten Frerk.