Konfessionsfreie in Kanada
Seit dem Beginn der 1970er Jahre machen sich die Konfessionsfreien auch in Kanada deutlicher bemerkbar und haben nach dem letzten offiziellen Zensus 2011 einen Anteil von 24 Prozent. Nach repräsentativen Umfragen liegt ihr Anteil bei 36 Prozent. Diese Anteile verteilen sich in bemerkenswerter Weise anders als in Deutschland.
Von Carsten Frerk.
In der historischen Statistik Kanadas lässt sich eine Zeitreihe von 1871 bis 2011 ermitteln. Sie unterteilt sich hinsichtlich der Konfessionslosen in drei Abschnitte: 1870 – 1901 sind es einige Tausend mit einem Anteil an der Bevölkerung von 0,1 – 0,2 Prozent, von 1911 bis 1961 steigt die Anzahl zwar kontinuierlich auf bis knapp unter 100.000, aber da auch die Bevölkerungszahl ansteigt, verharrt der Anteil auf 0,2 – 0,5 Prozent der Bevölkerung. Von 1961 bis 1971 hat sich dagegen die Anzahl der „No Religion“-Personen rund verzehnfacht (von 94.763 auf 929.575), steigt weiterhin beständig in der Anzahl und den Anteilen und umfasst (im Zensus 2011) rund 7,9 Mio. Personen oder 23,9 Prozent der Bevölkerung.
Die dominierende Religionsgruppe in Kanada waren und sind die römischen Katholiken, die sich beständig von 1871 bis 2001 zwischen 40-45 Prozent-Anteilen bewegen und erst 2011 auf 38,7 Prozent sinken. In diesem Zeitraum (1871-2011) verlieren die Mormonen um 14 Prozentpunkte, die Presbyterianer 14, die Anglikaner 9, die Baptisten 5 Prozentpunkte. Auch die United Church of Canada - die größte protestantische Kirche in Kanada -, die 1925 nach 20 Jahren Verhandlungen zwischen Mitgliedern der Presbyterianer, der Methodisten und der Kongregationalisten gegründet wurde, ist seit ihrer erfolgreichen Gründung (mit 20 Prozent Anteil) im Jahr 2011 bei 6 Prozent angekommen. Insofern geht dem Anstieg der Konfessionsfreien der Niedergang der vorwiegend evangelischen Denominationen parallel.
Altersverteilungen
Unter den verschiedenen Ursachen für den Erfolg der Konfessionsfreien auf dem ‚Religionsmarkt‘ ist die Altersverteilung bei den Bekenntnisangehörigen von Bedeutung oder anders formuliert: Wer die Jugend verliert, verliert auch die Zukunft.
Bei dem ersten elektronisch aufbereiteten Zensus (1981) zeigt sich, dass die Konfessionsfreien in den jüngeren Altersgruppen überdurchschnittlich repräsentiert sind – gefolgt von den Mitgliedern der römisch-katholischen Kirche.
Verdichtet man diese sieben Altersgruppen auf drei Gruppen, so werden die Unterschiede noch deutlicher. 1981, also in der ‚Aufschwungsphase‘ der Konfessionsfreien, sind nahezu die Hälfte von ihnen (46,7 Prozent) unter 25 Jahre alt. Ebenso ist der Anteil der 25-44-Jährigen mit 36,4 Prozent überdurchschnittlich groß. Es ist auch anzunehmen, dass von dieser Altersgruppe, die vorrangig Kinder bekommen haben, diese Kinder, sofern sie unter 14 Jahren alt, als konfessionsfrei bezeichnet wurden. (Vor allem bei den evangelischen Glaubensrichtungen zeigt sich die Überalterung der Mitglieder darin, dass die Anteile ihrer Mitglieder bei den Über-45-Jährigen überdurchschnittlich hoch sind.)
Bei den Konfessionsfreien baut sich diese Entwicklung weiter aus. In den Zensus-Jahren seit 1981 zeigt sich sowohl 1991, 2001 und 2011, dass die absolute Zahl der jüngsten Altersgruppe der Konfessionsfreien (0 – 15 Jahre) ansteigt: von 465.000 auf 873.000, dann 1,2 Mio. und schließlich 1,6 Mio.
Obwohl ihre absolute Zahl ansteigt, verringert sich gleichzeitig ihr Anteil an den Konfessionsfreien insgesamt, von 26 auf 21 Prozent. Das bedeutet zum einen, dass durch den Kohorteneffekt die Mitglieder der gleichen Altersgruppe älter werden und ihre Einstellungen ‚mitnehmen‘, andererseits darüber hinaus weitere Kanadier sich in allen Altersgruppen als konfessionsfrei bekennen.
Import-Bekenntnisse?
Hinsichtlich der Frage, welche Mitglieder von religiösen Bekenntnisse in welchen Zeiträumen nach Kanada eingewandert sind, gibt der Zensus 2011 eine eindeutige Auskunft.
Insgesamt sind 21 Prozent der Bevölkerung zugewandert. (Alle Kanadier, die mit kanadischer Staatsangehörigkeit geboren wurden, gelten nicht als Migranten.) Die stärkere Auffächerung der Religionen wird u. a. darin deutlich, dass bei den Hindus, Muslimen und Sikhs 63 -70 Prozent Einwanderer sind, von denen die größten Anteile in den Jahren 2001-2011 in Kanada ankamen.
Die Konfessionsfreien sind leicht überdurchschnittlich (81 Prozent) geborene Kanadier. Betrachtet man nun eine weitere Differenzierung, so sind die Unterschiede zwischen Agnostikern, Atheisten und Humanisten nur gering.
Die erklärten Agnostiker und Atheisten sind noch häufiger als Kanadier geboren, als die Konfessionsfreien im Allgemeinen und die Humanisten. Die zwanzig Prozent Einwanderer der Humanisten sind, bei kleiner Gesamtzahl, zu einem Drittel (33,8 Prozent) bereits vor 1971 nach Kanada gekommen. Von den 17 Prozent Migranten unter den Konfessionsfreien sind ein Drittel (32,8 Prozent) von 2001 bis 2011 eingewandert.
Das ließe auf eine liberale Öffentlichkeit schließen, in der man seinen Nicht-Glauben unbehelligt leben kann. Das ist jedoch in Frage zu stellen.
Religionsfreiheit?
Religionsfreiheit heißt nach dem Verständnis der Allgemeinen Menschenrechte auch, an keine Religion glauben zu müssen und dadurch keine Nachteile zu haben.
Zwei Beobachtungen sprechen dagegen, dass diese Religionsfreiheit für die Nicht-Religiösen landesweit gegeben ist.
Zum einen gibt es den Vergleich und Unterschied zwischen den Feststellungen im offiziellen amtlichen Zensus und in repräsentativen Meinungsumfragen. Im Zensus 2011 belief sich der Anteil der Bevölkerung ohne Religion auf 23,9 Prozent, in einer repräsentativen Umfrage (2013) auf 36 Prozent. Diese Unterschiede werden in der Studie „Religious affiliation and attendance in Canada“ thematisiert: „Wie die Abbildung zeigt benennen sich die Kanadier selbst als religiöser, wenn sie mit Regierungsbeamten sprechen, als wenn sie mit dem Meinungsforschern von Angus Reid sprechen.“ Mit anderen Worten, vor den staatlichen Autoritäten wird individuell die Konfessionsfreiheit/“No Religion“ eher verborgen, als in einer anonymen Meinungsumfrage?
Es könnte die These bestätigen, dass die Anzahl der Konfessionsfreien nicht durch eine zunehmende Säkularisierung ansteigt, sondern früher auch bereits vorhanden war und jetzt – in Zeiten größerer Liberalität in Religionsfragen – nur allmählich immer ‚sichtbarer‘ wird.
Und noch ein weiterer Aspekt ist ungewöhnlich: die regionale Verteilung der Konfessionsfreien.
In einer Karte mit den Anteilen der Konfessionsfreien in den Provinzen/Territorien stellt sich eine deutliche Ost-West-Verteilung dar.
Auch wenn es keine 1:1 Verteilung ist, so ist doch die Parallelität zwischen geringer Bevölkerungsdichte und höheren Anteilen von Konfessionsfreien erkennbar. In der Ost-West-Verteilung stellt sich auch die generelle Bevölkerungsverteilung dar. Die dichter besiedelten Provinzen des Westens (mit den Großstädten) und die Provinzen im Osten und Norden mit geringerer Bevölkerungsdichte.
Sofern dabei eine Zusammenhang besteht - was mit einer kleingliedrigeren Unterteilung untersucht werden müsste -, würde das heißen, dass der religiöse Konformitätsdruck in den dichter besiedelten Gebieten und den Großstädten ausgeprägter ist. Das wäre eine Umkehrung des Prinzips „Stadtluft macht frei“, denn in Kanada könnte es heißen: „Landluft macht frei“.