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Säkulare in der Schweiz

Viele Freidenkerinnen und Freidenker haben sich 2016 an der Nationalfondsstudie zu Säkularen in der Schweiz beteiligt. Unterdessen liegen erste Ergebnisse vor. Diese zeigen, dass die Mitglieder von religionskritischen Organisationen („Säkularisten“) sehr einheitliche Identitätsmerkmale haben, mit ihrer religionskritischen Haltung vor allem gesellschaftspolitische Forderungen verbinden und dass sie im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich gut gebildet sind.

Von Pascal Tanner

Suche nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten

Konfessionslose Menschen sind vermehrt im Blick der Wissenschaft, weil diese Bevölkerungsgruppe stark wächst. Seit gut drei Jahren läuft die nationale Studie „Säkulare in der Schweiz“. Damit stehen erstmals religionslose und religionskritisch eingestellte Menschen im Mittelpunkt. Das Ziel der Studie ist es, eine soziologische Beschreibung von diesen Menschen zu erstellen, sie untereinander zu vergleichen und die gefundenen Unterschiede zu erklären. Dazu hat unser Team einerseits Umfragedaten erhoben und andererseits eine Vielzahl von persönlichen Interviews geführt. Neben den Freidenkern haben wir die Mitglieder der Skeptiker und der IG Stiller sowie die Mitglieder der Schweizerischen Laizistischen Gesellschaft und der Coordination laïque genevoise einbezogen. In der Schweiz sind es diese fünf Mitgliederorganisationen, die laizistische oder religionskritische Anliegen vertreten. Wir bezeichnen die Mitglieder dieser Organisationen als „Säkularisten“. Im Rahmen der Studie wollen wir sie insbesondere mit der Gruppe religionsloser Menschen vergleichen. Von den etwa 1.700 Freidenkern in der Schweiz haben 57 Prozent unseren Fragebogen ausgefüllt retourniert, was einer ausgesprochen guten Beteiligungsrate entspricht. Sehr viele unter ihnen waren auch zu einem persönlichen Interview bereit. Unterdessen ist die Umfrage abgeschlossen, sind alle Interviews geführt und liegen erste Auswertungen vor.

Säkularisten, Religionslose und Gesamtbevölkerung im Vergleich

Die Religionslandschaft der Schweiz befindet sich in einem starken Wandel. Die Schweizer Bevölkerung wird immer säkularer. Aktuell sagen rund 22 Prozent von sich, dass sie keiner Konfession oder Religionsgemeinschaft angehören. 9 Prozent der Bevölkerung würde sich als „voll und ganz atheistisch“ bezeichnen. In Bezug auf Zugehörigkeit und Selbstbeschreibung zeigt sich bei den Säkularisten ein gegenteiliges Bild: Lediglich 5 Prozent der Mitglieder von religionskritischen Organisationen sagen von sich selbst, dass sie einer Konfession oder Religionsgemeinschaft angehören. Alle anderen sind religionslos. 76 Prozent gehörten einst einer Gemeinschaft an und 18 Prozent sagen von sich, dass sie schon immer religions- oder konfessionslos waren. 90 Prozent würden sich als „überhaupt nicht religiös“ bezeichnen, 72 Prozent als „voll und ganz atheistisch“.

Die Mitglieder von religionskritischen Organisationen sind im Durchschnitt 55 Jahre alt. Der Altersschnitt in der Gesamtbevölkerung ist mit 47 Jahren leicht tiefer. Verglichen mit religionslosen Personen sind die meisten Säkularisten männlich (78 Prozent) und in technischen Berufen oder in der Informatik tätig.

Säkularisten geben ein deutlich höheres Einkommen an als Religionslose oder Menschen mit Religion. Auch ihr Bildungsniveau ist überdurchschnittlich hoch. 62 Prozent haben mindestens einen universitären Abschluss oder eine noch höherstehende Qualifikation vorzuweisen. Unter den Religionslosen macht dieser Anteil nicht ganz 40 Prozent aus. Am deutlichsten religionskritisch eingestellt sind Säkularisten in Bezug auf die Trennung von Kirche und Staat.

Im Durchschnitt bewerten Säkularisten den Atheismus als sehr bereichernd, dem Buddhismus gegenüber sind sie indifferent, während sie Christentum und Judentum eher als bedrohlich einstufen. Den Islam schätzen sie durchschnittlich als sehr bedrohlich ein.

Altersbedingte Unterschiede bei Säkularisten und Erwartungen an Organisation

In den letzten Jahrzehnten haben die beiden grossen Landeskirchen immer mehr Mitglieder verloren. Dies hat zur Folge, dass jüngere Menschen weniger stark religiös sozialisiert werden als ältere und dass man heute generell andere Erfahrungen mit Religion macht als früher. Sichtbar wird diese Entwicklung auch bei den Säkularisten. Unter älteren Mitgliedern sind negative Erfahrungen mit der Kirche oder mit Religionsgemeinschaften stark verbreitet. Jüngere Mitglieder haben viel häufiger sowohl negative als auch positive Erfahrungen gemacht.

Über alle Generationen hinweg ist man sich jedoch einig, dass Religionen eher schädlich sind und dass (religiöse) Traditionen nicht bewahrt werden sollten. Den Säkularisten ist es insbesondere wichtig, dass sich ihre Organisation in der Öffentlichkeit religionskritisch äussert und in der Politik für säkulare Anliegen einsetzt. Etwas weniger wichtig ist ihnen, dass Bildungsveranstaltungen angeboten werden. Gemeinschaftlichen Aktivitäten und der Betreuung von Mitgliedern messen sie vergleichsweise wenig Bedeutung zu. Die meisten Säkularisten wenden nur wenig Zeit, Geld und Energie für ihre Mitgliedschaft auf. Aus einer Religionsgemeinschaft ausgetreten sind sie normalerweise im Alter zwischen 16 und 22 Jahren (44 Prozent). Allerdings sind sie erst seit einer vergleichsweise kurzen Zeit Mitglied in einer religionskritischen Organisation: 54 Prozent sind zwischen 2010 und 2015 Mitglied geworden.

Zwischenbilanz und weiterführende Analysen

Aufgrund von diesen ersten Auswertungen lässt sich zeigen, dass Säkularisten ein klares Profil haben. Sie beschreiben sich selbst sehr deutlich als „überhaupt nicht religiös“ und „vollkommen atheistisch“ – andere Beschreibungsmerkmale sind weniger dominant. Mit diesen beiden Merkmalen sind also zwei zentrale „identitäre Marker“ gefunden. In soziodemografischer Hinsicht sind sie vorwiegend männlich, gut gebildet, haben ein hohes Einkommen und sind in einem rationalistisch geprägten Berufsfeld tätig. Hingegen pflegen sie keine eigene atheistische Praxis. Mit ihrer Mitgliedschaft verbinden sie insbesondere gesellschaftspolitische Forderungen.

Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass die Säkularisten keine „atheistische Glaubensgemeinschaft“ sind, sondern ein Milieu bilden, das gut ausgestattet ist mit intellektuellen und finanziellen Ressourcen. Diese Ressourcen werden aber praktisch kaum auf die jeweiligen Organisationen übertragen. Damit stellt sich die Frage: Warum wird jemand Mitglied, wenn nicht, um die religionskritische Bewegung zu unterstützen? Wie und warum reproduziert sich das säkularistische Milieu? Welche vielleicht sehr unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen spielen für den Beitritt eine wichtige Rolle?

Diese und weitere Fragen werden wir in den folgenden Monaten bearbeiten, um den bisherigen Ergebnissen zusätzliche Tiefenschärfe zu verleihen. Dazu werden wir insbesondere auf die persönlich geführten Interviews zurückgreifen.

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Finanziert wird die Studie „Säkulare in der Schweiz“ vom Schweizerischen Nationalfonds, durchgeführt wird sie von den Universitäten Lausanne und Bern. Pascal Tanner ist Forschungsmitarbeiter im Projekt, geleitet wird es von Prof. Dr. Jörg Stolz (Université de Lausanne) und Prof. Dr. Stefan Huber (Universität Bern). Der Studie liegt ein mixed methods-Design zugrunde. In ihrem Kern besteht sie aus zwei Datensätzen. Für beide Datensätze liegen sowohl Umfragedaten als auch persönliche Interviews vor: Unter den Mitgliedern von religionskritischen Organisationen wurden eine Vollerhebung (n = 1113 Personen inklusive Mehrfachmitgliedschaften) und 76 Interviews durchgeführt. Als Vergleichsdatensatz dienen eine repräsentative Umfrage (n = 1003) und 57 Interviews. Für bestimmte Analysen werden zudem andere sozialwissenschaftliche Datensätze herangezogen, insbesondere vom Bundesamt für Statistik.